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Author's Chapter Notes:

 

Es knistert und dennoch... alles in allem eine Achterbahn der Unsicherheiten.
Es gibt einen Grundriss von Lambeth Palace bzw. dem Areal, nach dem ich hier vorgegangen bin (es ist nicht einfach, sich auf der alten Karte zurechtzufinden) und ich habe zwei Bilder (im Forum) dazu gelegt, auch wenn diese natürlich nicht das korrekt Bild des MAs vom Lambeth Palace zu Zeiten King John's wiedergeben










 

Er hatte sich durchfragen müssen und war dann mit ungutem Gefühl und einem sehr unruhigen Sylvester auf der Fähre themseaufwärts gefahren. Es hatte ihn große Mühe gekostet, das Pferd ruhig zu halten, sonst wäre das Fährboot sicher gekentert und alles wäre in einer Katastrophe geendet. Deswegen atmete er erleichtert auf, als sie das Südufer erreicht hatten und er sein Reittier wieder auf festen Boden führen konnte. Sylvester schien schon für die Binnenschifffahrt nicht gemacht und es wäre klug, dies nicht auch noch auf offener See ausprobieren zu wollen. Eine Überfahrt nach Frankreich hätten sie wahrscheinlich beide nicht lebend überstanden.

Zum Glück war nun der Palast zum Greifen nah, er lag sehr dicht am Ufer und Philip Marc saß nicht mehr auf Sylvester auf, sondern führte ihn auf dem kurzen Weg dorthin. Sein Bad schien ihm völlig umsonst gewesen zu sein, denn die Warterei im überheizten Saal des Towers, der scharfe Ritt entlang des Themseufers und dann das angstvolle Ausharren, gepaart mit dem Halten des schwierigen Pferdes auf der Fähre hatten ihn erneut ins Schwitzen geraten lassen. Er fühlte sich selbst nicht wohl in seiner Haut, aber was half’s?

Der Palast vom Lambeth war zwar die Residenz des Erzbischofs von Canterbury in London, aber bei weitem kein Kloster. Deswegen erwartete ihn auch kein Mönch am Portal, sondern ein weltlicher Wachposten.

„Ich… ich bin der Verlobte von Lady Leslie of Glanvil, Philip Marc de Touraine, derzeit High Sheriff of Nottingham. Ich glaube, sie erwartet meine Ankunft. Kann… kann ich die Lady sehen?“

„Natürlich, Mylord.“

Er hatte nicht damit gerechnet, ohne größere Befragung so einfach durchgelassen zu werden, aber es verhielt sich tatsächlich so. Deswegen nickte er einfach unverbindlich und versuchte sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen, als er passierte.

Die Nervosität überfiel ihn erneut in einer riesigen Welle, seine Zunge klebte ihm am Gaumen – er hatte überdies großen Durst – und es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.

Rechts des Tores befand sich der Wirtschaftstrakt, also wandte er sich zunächst dorthin, um Sylvester abermals in Obhut zu geben. Dann querte er den Hof mit großen, weit ausholenden Schritten und betrat durch ein weiteres Tor die innere Palastanlage. Lambeth Palace war nicht sehr weitläufig und von daher konnte man sich rasch zurechtfinden.

Er hörte das Lachen einiger Frauen und blieb an einem Fenster stehen, welches ihm Ausblick auf den Garten der Residenz bot. Fast stockte ihm der Atem, als er Leslie of Glanvil ohne nennenswerte Schwierigkeiten sofort unter den Damen, die dort unten spazieren gingen, ausmachen konnte. Auch hier drehte er – wie schon im Tower – wieder um und nahm den Weg zurück in den Hof. 

In Eile bog er um die Ecke des Gebäudes in Richtung der Gärten und stieß prompt mit einer Dame zusammen, die erschrocken aufschrie: „Oh guter Gott! Ein zotteliger Riese!“

Bevor er sich eine Entschuldigung zurechtlegen konnte, hörte er Leslies Stimme: „Oh guter Gott, ja. Es ist… es ist mein Verlobter, in der Tat!“

Wie sollte er sich verhalten? Er war noch nie verlobt gewesen, weder zum Schein, noch wirklich und schon gar nicht mit einer Dame von Stand. Was musste er also tun?

Leslie of Glanvil schien dies ebenso wenig zu wissen, weswegen sie sich verlegen und unbeholfen gegenüberstanden, während alle anderen Damen ringsum das Paar erwartungsvoll anstarrten.

Endlich ergriff eine von ihnen das Wort: „Die Wiedersehensfreude hat ihnen beiden anscheinend die Sprache verschlagen. Mylord, es wäre daher nur recht und billig, wenn Ihr Euch uns vorstellen würdet.“

Damit kam etwas Leben in Philip Marc und er erwiderte: „Gewiss doch. Lady Leslie sagte es bereits, ich bin mit ihr… verlobt und mein Name ist Philip Marc de Touraine. Es… es tut mir leid in diesen Spaziergang der Ladies geplatzt zu sein.“

Die Damen kicherten kurz und dann folgte die nächste Frage: „Und Ihr kommt woher, Sir?“

„Aus Nottingham, Mylady, ich bekleide dort das Amt des Sheriffs der Grafschaft.“

„Wie lange seid Ihr bereits mit Lady Leslie verlobt?“

Er fing bei dieser Frage abermals an, ganz unfein zu schwitzen und warf einen hilflosen Blick zu Leslie of Glanvil hinüber. Wenn er nun etwas Falsches antworten würde, würden die Damen die Verlobung sofort als Lüge erkennen und die Farce aufdecken.

„N... noch nicht sehr lange.“

„Ah, das erklärt, weswegen Ihr Eure Verlobte recht distanziert begrüßt habt. Wir dachten uns schon, dass die Verlobung erst kurz vor der Abreise von Lady Leslie erfolgt sein muss und Ihr kaum Gelegenheit hattet, sie näher kennenzulernen.“

Ihm fiel eine Last vom Herzen, die ausweichende Antwort schien die richtige Lösung gewesen zu sein.

Also nickte er erleichtert und bekräftigte mit seiner klaren Bassstimme: „So ist es.“

„Dann wäre es nun an der Zeit, Mylord, Eure Verlobte ihrem Stand entsprechend zu begrüßen.“

Er lief rot an und schaute verlegen zu Boden. Es war sicher nicht angebracht, das kleine schwarzhaarige Persönchen fest an sich zu drücken und sie zu küssen, denn das verstanden die Damen gewiss nicht unter einer angemessenen Begrüßung von Verlobten. Warum kam Lady Leslie ihm jedoch nicht zur Hilfe? Oder fand sie womöglich selbst Vergnügen daran, ihn hier recht zum Narren zu machen? Er schielte kurz zu ihr hin. Nein, sie machte nicht den Eindruck, als wäre ihr daran gelegen ihn zu foppen. Sie schien überaus verlegen und kaum der Worte fähig, ebenso wie er.

Tapfer schritt er daher auf sie zu, deutete eine sehr ungelenke Verbeugung an und versuchte sich in etwas, was er für das Richtige hielt: „Myl… meine Teuerste, wie bin ich froh, dass die Reise ein Ende hat und ich zu Euch gestoßen… ähm, bei Euch angekommen bin.“

Er suchte krampfhaft nach Worten – vergeblich,  denn er verstummte nach diesem einen Satz. Entnervt schloss er die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel.

„Lady Leslie, Euer Verlobter sieht erschöpft aus. Vielleicht dürstet und hungert ihm, wir sollten ihm etwas anbieten, meint Ihr nicht?“

„Ja, das denke ich auch. Wollen wir hineingehen?“

„Mylord, wenn Ihr uns bitte folgen wollt. Mein Name ist Suzanne Penman, dies ist Lady Emma of Montfort und dies Lady Angèle de Souffriac.“

Alle Damen hatten ein paar Sätze gesprochen, nur nicht Leslie of Glanvil. Was war mit ihr los? Warum blieb sie stumm wie ein Fisch? Außer einem Satz ziemlich zu Anfang hatte sie keinen einzigen Ton gesagt. Philip Marc beschlich ein sehr beklemmendes Gefühl.

Im Treppenhaus gelang es ihm ihr zuzuraunen: „Wenn Ihr nicht bald den Mund aufmacht, wird alles auffliegen, Mylady. Ich bin gekommen, um Euch den Hals zu retten und Ihr…“, er konnte nicht weiterflüstern, da eine der anderen Damen sich umdrehte und ihnen einen prüfenden Blick zuwarf.

„Wenn es nicht unziemlich wäre, würden wir euch ein wenig allein lassen, aber ich denke, seine Eminenz der Erzbischof würde das unter seinem Dach nicht gutheißen. Ihr, Mylord Sheriff, scheint Lady Leslie nur in trauter Zweisamkeit zum Sprechen bringen zu können – oder zu sonstigen Reaktionen, wer weiß.“

Alle kicherten ein drittes Mal.

In einem Empfangszimmer standen Krüge mit Bier, Wein und gekeltertem Saft bereit, außerdem eine Schale mit Obst. Die Trauben darauf sahen aus, als wären sie saurer als Essig und obwohl Philip Marc vor Hunger fast umkam, wollte er sie lieber nicht probieren.

„Einen Becher Wein, Mylord? Bedient Euch am Obst, es wurde in den Gärten hier selbst gezogen, im späten Herbst geerntet und eingelagert.“

Er griff nach einem kleinen, sehr harten Apfel, biss hinein und verzog das Gesicht. Auch diese Frucht war sauer wie eingelegter Kohl. Die Trauben konnten demnach nicht viel schlimmer sein. Gab es denn hier nichts Anständiges zu beißen? Brot, Rüben, Fleisch? Oder wenigstens Fisch? Es war noch keine Fastenzeit, also gab es keinen triftigen Grund, um zu darben.

Den ihm dargebotenen Becher mit Wein trank er in einem Zug durstig aus. Wenigstens schmeckte der Rebensaft nicht gar so grauenvoll, er war durchaus genießbar.

 






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