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Author's Chapter Notes:

 

Nun noch ein paar Worte zu Stephen Langton, dem damaligen Erzbischof von Canterbury, dessen Amtsvorgänger ja Hubert Walter war, der echte Cousin unserer "erfundenen" Leslie of Glanvil. Langton war ein sehr gelehrter Mann, er hatte in Paris studiert und die Einteilung der lateinischen und griechischen Bibel in Kapitel wie wir sie heute noch kennen stammt von ihm.
Ich habe ihn hier aus dramaturgischen Gründen etwas anders dargestellt, denn in Wirklichkeit war er King John ja dermaßen verhasst (er war gegen dessen Willen vom Papst in dieses Amt erhoben worden), dass er über einen großen Zeitraum hinweg gar nicht in England lebte, sondern in der französischen Zisterzienser-Abtei Pontigny. Erst nachdem man John Lackland exkommuniziert hatte und diesem mit der Übernahme des Landes durch den fanzösischen König Philippe II drohte, durfte Stephen Langton endlich in seine Diözese zurückkehren. Der Konflikt zwischen King John und dem Erzbischof wird in dieser Story zwar thematisch angerissen, folgt aber historisch nicht ganz den Fakten. Dafür entschuldige mich, es diente jedoch der Handlung des Romans anderweitig ungemein.










 

Der Raum war angewärmt durch ein Kaminfeuer, deswegen warf er seinen Mantel mit dem dicken Pelzkragen von sich, ebenso wie die Damen ihre schweren Umhänge ablegten. Zu seiner großen Erleichterung öffnete sich einen kurzen Augenblick später die Tür und eine Dienstmagd trat mit einem Tablett in der Hand ein, worauf sich erkennbar Schinken, Käse und Brot befanden. Er atmete deutlich hörbar auf, was die Aufmerksamkeit der Damen auf sich zog.

„Mylord Sheriff, wann habt Ihr denn das letzte Mal eine Mahlzeit genossen?“

Eine für eine Frau recht große Dame mit rotblondem Haar, die sich ihm zuvor als Suzanne Penman vorgestellt hatte, stellte ihm diese Frage.

„Am gestrigen Abend, Mylady.“

„Ihr müsst fürwahr sehr hungrig sein, denn ein Mann Eurer Statur scheint mir ein hohes Bedürfnis an Nahrung zu haben.“

„Ich habe gelernt mich zu bescheiden, Mylady.“

„Wie überaus alltagstauglich. Lady Leslie wird einen Ehemann bekommen, der nicht beständig nach Wein und Essen verlangt und offensichtlich auch mit den Mitteln dafür zu haushalten weiß.“

Er wusste darauf abermals nichts zu erwidern und griff stattdessen nach der bereitgestellten Vesperplatte.

Nachdem die Damen einige Anstandshappen zu sich genommen hatten, zog sich plötzlich eine nach der anderen mit einer dürftigen Ausrede zurück, bis nur noch Suzanne Penman, Lady Leslie und Philip Marc im Raum waren.

Die rotblonde Dame zog sich diskret in eine Fensternische zurück, wo sie sogleich eine Handarbeit aufnahm.

Endlich konnte sich das Paar, das am Tisch zurückblieb, im Flüsterton unterhalten, worüber niemand mehr erleichtert war als der Sheriff selbst.

„Meine Güte, welch ein Tag!“

„Fragt mich nicht, Sir, wie ich in diese missliche Lage gekommen bin. Ich… ich habe Euch da nicht hineinziehen wollen, mir fiel nur in Gegenwart von King John nichts anderes ein, als ihm rasch einen Verlobten zu präsentieren.“

„Warum ich?“

Sie wurde tiefrot, ihre Antwort war ein einziges verlegenes Stottern: „Oh… das… das kam mir einfach so in den Sinn. Es… es hat wohl keine tiefere Bedeutung. Ihr wart der einzige Mann in passendem Alter, dem ich vor meiner Ankunft in London begegnet bin, deswegen sicherlich.“

„Mylady, wenn wir uns weiterhin benehmen wie zwei Volltrottel – verzeiht meine schonungslos offenen Worte - wird uns kein Mensch am Hof von King John Glauben schenken. Hier inmitten dieser noch recht jungen Ladies mag das vielleicht nicht sonderlich auffallen, aber im königlichen Palast wird das bestimmt anders aussehen.“

„Was schlagt Ihr vor?“

Jetzt war es an ihm rot zu werden bis fast an die Ohren, er war froh, dass man es bei der gerade einbrechenden Dämmerung nicht gut sehen konnte.

„Ich kann es Euch nicht genau sagen, Mylady, ich war noch nie verlobt.“

„Ich auch nicht“, kam es leise von ihr zurück, „auf alle Fälle danke ich Euch von ganzem Herzen, dass Ihr so schnell hierhergekommen seid.“

Und zur Bekräftigung ihres Dankes legte sie ihm eine Hand auf den Unterarm. Er nutzte die Gelegenheit und platzierte nach kurzem Zögern seine freie Hand darauf, so gaben sie ein Bild ab, das sie zum ersten Mal als verlobtes Paar erscheinen ließ. Dies wiederum ließ Suzanne Penman, die immer mal wieder zu den beiden hinschielte, zufrieden aufseufzen.

Philip Marc wurde sehr warm und sein Blut kam in Wallung. Natürlich war Lady Leslie eine vornehme Dame, jemand, um den ein Mann wohl lange werben musste und sich am besten noch in Dingen der Minne verstehen sollte, von daher war er der ungeeignetste Mensch auf Erden für sie. Dies schlussfolgernd zog er seine Hand wieder zurück und auch sie löste daraufhin die Geste der Vertraulichkeit auf.

Er musste sich klarmachen, dass es diese Verlobung in Wirklichkeit nicht gab, dass alles nur ein Konstrukt war, um Lady Leslie vor den Nachstellungen des Königs zu bewahren. Sie wirklich zu seiner Frau machen zu können, würde ein unerfüllter Traum für ihn bleiben.

„Ich werde mich um ein Nachtquartier bemühen müssen, es wird schon dunkel. Obwohl ich mich scheue, bei Dunkelheit mit dem Pferd nochmals den Fluss zu überqueren, es war bei Tag bereits ein Abenteuer für sich.“

„Mylord, ich lasse Euch hier ein Gemach richten.“

Er sah sie erstaunt an: „Das würde gehen? Was sagt der Erzbischof dazu?“

„Er ist ein sehr gastfreundlicher Mann und ich rufe nach Ada oder nach Aldred, die Euch alles zeigen werden.“

Nun lächelte er sogar: „Was denn? Ada und Aldred sind hier? Wie wundervoll für Euch, Myl… meine Liebe.“

Als er aufstand, erhob auch Leslie of Glanvil sich von ihrem Platz, ebenso wie Suzanne Penman am Fenster, von der er sich zuerst verabschiedete: „Mylady, ich hoffe wir sehen uns bald wieder. Gute Nacht.“

„Gute Nacht, Mylord Sheriff.“

Dann wandte er sich Lady Leslie zu, er verfiel wieder ins Flüstern: „Was nun?“

Sie zuckte kurz und fast unmerklich mit den Schultern, hielt ihm aber ihre feingliedrige Hand entgegen, die er so galant wie möglich aufnahm und für einen Moment fasziniert in seiner Pranke hielt.

Auf etwas Druck von ihr hob er die Hand an und neigte seine Stirn fast darauf: „Meine Teuerste, auch Euch wünsche ich eine geruhsame Nacht. So Gott will, werden wir morgen im Tower vorstellig, um uns dem König zu präsentieren.“

Er wollte bereits loslassen und gehen, da zischte sie ihm sehr leise aber dennoch energisch zu: „Ihr dürft meine Hand auch küssen, ich denke, das ist schicklich.“

Kaum hatte sie dies gesagt, da fingen seine Finger gehörig an zu zittern. Er hatte noch niemals – außer in seiner frühen Jugend – einer Dame die Hand geküsst, dafür hatte es nie Gelegenheit gegeben. Entweder er hatte sich ein Weib richtig hergenommen und geküsst oder eben dergleichen gar nicht getan. Sich um eine edle Dame zu bemühen hatte ihm niemand beigebracht.

Daher zog er überaus unsicher ihre Hand an seine Lippen und schmatzte sehr unfein seinen Kuss darauf. Er sah zwar den halb tadelnden, halb amüsierten Blick von Lady Leslie, war aber so gefangen von der gesamten Situation, dass es ihm in dem Augenblick egal war.

Mit Befangenheit nahm er seinen Mantel auf und schritt aus dem Raum, nicht ohne seiner Verlobten noch einen letzten, verunsicherten Blick zuzuwerfen, bis sich die Tür endgültig hinter ihm schloss.

Im Geiste malte Philip Marc sich in der Nacht alle möglichen Szenarien aus, was dazu führte, dass er eine weitere ziemlich schlaflose Nacht verbrachte. Sofern der Schlaf ihn mal kurz übermannte, träumte er all das Zeug, das vorher schon seine Fantasie angeregt hatte – nur wesentlich wirrer und völlig zusammenhangslos.

Er war nur froh, dass er ein ordentliches Gemach und ein recht annehmbares Bett zugewiesen bekommen hatte, auch wenn es in den Ecken des Raums deutlich sichtbar war, dass hier nicht allzu oft saubergemacht wurde. Der Staub lag dick auf einigen Holzbalken und an ein paar Stellen hingen Spinnweben von der hohen Decke herab. 

Außerdem war das Bett zwar recht sauber und bequem, aber ein gutes Stück zu kurz für ihn, weswegen er in einer leichten Diagonale drin liegen musste und seine Füße zur Seite herausschauten.

Ada und auch Aldred kurz wiedergesehen zu haben, war für ihn ein Lichtblick vorm Zubettgehen gewesen; die beiden waren sehr erstaunt über sein Auftauchen im Palast von Lambeth gewesen, hatten aber natürlich keine Fragen gestellt, das stand ihnen nicht zu.

Mit steifen Gliedern, völlig übermüdet und noch immer hungrig stand er im Morgengrauen auf, was recht spät war, da man den Monat Januar schrieb. Fluchend rieb er sich den verspannten Nacken und massierte seine kalten Füße. Wenn der Erzbischof ihm kein ordentliches Frühstück auftischen ließ, würde er den Hungertod in diesem gottverdammten London sterben.

Doch gerade als er in seine Stiefel schlüpfte, klopfte es an die schwere Holztür und auf seine Aufforderung einzutreten kam Aldred herein: „Mylord Sheriff, der Erzbischof bittet Euch, ihm beim Frühstück Gesellschaft zu leisten.“

Philip Marc konnte es kaum glauben und er hoffte, dass Stephen Langton nicht nur eine dünne Grießsuppe servieren lassen würde.

„Ah, Touraine, nur herein mit Euch. Entschuldigt, dass ich Euch nicht schon gestern begrüßt habe, aber mir wurde Eure Ankunft leider erst heute beim Aufstehen mitgeteilt. Ich hoffe, Ihr habt eine angenehme Nacht unter meinem Dach verbracht.“

„Guten Morgen, Eminenz. Danke, es war alles zu meiner Zufriedenheit.“

„Bestens. Ihr seid mit Leslie of Glanvil verlobt, so hörte ich? Der Cousine meines Amtsvorgängers, ein schöner Zufall.“

„Ähm, ja, so verhält es sich, Eminenz.“

„Setzt Euch zu mir und langt zu. Ihr seht hungrig aus, Sheriff.“

„Vielen Dank.“

Nachdem der Erzbischof ein kurzes Gebet gesprochen hatte, konnte endlich gegessen werden und Philip Marc wurde zum ersten Mal seit langem einigermaßen satt. Es gab Geräuchertes, sowohl Fleisch als auch Fisch, dazu Getreidebrei, Gemüsesuppe und Rührei, dem Himmel sei Dank.

Dazu tranken die beiden Herren einen heißen, stark gewürzten Wein, der aber mit Wasser verdünnt war, damit man nicht am frühen Morgen bereits einen Schwips bekommen würde.

„Werdet Ihr heute in den Tower gehen? King John hat nach Euch verlangt, soweit ich weiß, und möchte eine Feier zu Ehren Eurer Verlobung geben.“

„Ich war gestern bei Hofe und wurde von William Marshal abgewiesen. Der König hätte zu viel zu tun, sagte er mir.“

„Ja, er hat enorm viel damit zu tun, irgendwelche Intrigen zu spinnen. Er schreckt auch nicht davor zurück, die Kirche darin zu verwickeln und sie systematisch zu spalten. Ich sehe schwere Zeiten auf die Diözese zukommen und es wird sich nicht darauf beschränken. Der Papst sieht mit Sorge auf England.“

„Ihr scheint nicht gut Freund mit dem König zu sein, Eminenz. Ich verstehe von all diesen Dingen nur recht wenig, ich bin nur ein einfacher Beamter aus der Provinz, wenn auch von normannischem Adel. Aber mein Titel ist nichts wert, mein ganzes Erbe verloren und deswegen muss ich mich mit dieser Tätigkeit in Nottingham zufriedengeben. So einfach verhält es sich.“

„Ja, ich weiß. Ist die beabsichtigte Eheschließung mit Lady Leslie eine Zweckehe? Ihrer Familie gehört viel Land in Yorkshire.“

Von dieser Warte her hatte es Philip Marc noch nie zuvor betrachtet und es war ihm unangenehm, dass man von ihm nun zwangsläufig annahm, dass er Lady Leslie aus reiner Berechnung heiraten wollte.

„Oh nein! Nein“, er beeilte sich mit Nachdruck dem zu widersprechen, „ich… ich finde meine Verlobte überaus reizend und nett.“

Der Erzbischof geriet ins Schmunzeln: „Nun, das Eine schließt ja zum Glück das Andere in diesem Fall nicht aus, Touraine.“

„Ich meine…“, er wusste nicht recht, wie er es besser formulieren sollte, versuchte es aber krampfhart, „ich habe ihr nicht wegen ihres Vermögens die Ehe angetragen. Überhaupt nicht. Ich habe nicht einmal ansatzweise daran gedacht.“

„Eine Liebesheirat demnach?“

Dass es auch das nicht war, konnte Philip Marc natürlich nicht zugeben, also nickte er beflissen.

„Wie schön zu wissen, dass es so etwas in unserer fürchterlichen Zeit noch gibt. Meine Gratulation, Sheriff.“






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