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Author's Chapter Notes:

 

Personenverzeichnis:

Arthur Clennam – Näheres unter Kapitel eins
Yí-Yuè – Silberner Mond, Edelprostituierte/Konkubine
Gabriel Clennam – Näheres unter den Kapiteln eins und zwanzig
Clifford Baxter – Näheres unter Kapitel vierzig

Weiterhin Cha-Dong und eine chinesische Mittelsdame

Erwähnung finden Méi-Hua und weitere chinesische Vermittlerinnen.

Orte: Im Hause Clennam in Shanghai/Xujiahu Qu und im Haus der Mittelsdame in Shanghai

Glossar: Xiansheng - siehe Kapitel fünfunddreißig
Xinzhuang - heute Minhang, ein Stadtbezirk Shanghais










 

Arthur hatte sich wochenlang mit der Frage herumgeplagt, ob er sich überhaupt noch einmal eine chinesische Konkubine ins Haus holen sollte, es war ihm lange Zeit ein unbequemer Gedanke gewesen, doch wann immer er in einer Art stummem Dialog Méi mit dieser Frage konfrontierte, meinte er ihre Antwort laut und deutlich zu hören: „Arthur müssen sich nehmen eine Qiè! Ganz unbedingt! Méi nicht wollen, dass Arthur liegen alleine in großes Bett.“

Bis er allerdings diese Stimme Méis in seinem Kopf wirklich akzeptiert hatte, dauerte es eine ganze Weile.

Nachdem er also mit Clifford und mit seinem Vater darüber gesprochen hatte, nahm die Sache konkrete Formen an.

Er wollte keine Frau, die ihn an Méi erinnerte. Das allein war schon nicht einfach, da chinesische Edel-Prostituierte sich alle sehr ähnlich waren. Sie waren eigentlich alle durch die Bank weg ausnehmend schön, jung, hoch gebildet, wohlerzogen und bis zu einen gewissen Grad unterwürfig.

Als er mit dem Anliegen, eine ganz andere Konkubine aufnehmen zu wollen, bei der ersten Vermittlerin vorsprach, schüttelte diese nur den Kopf und sagte ihm sofort, dass es eine solche Frau nicht gäbe.

Arthur war es egal, dann würde er eben nicht mit dieser Vermittlerin ins Geschäft kommen. Es gab noch viele andere, die sich ein Zubrot damit verdienten, Konkubinen an die reiche europäische Klientel zu vermitteln.

Bei der zweiten Anlaufstelle war man bemüht, seinen Vorstellungen ein gewisses Verständnis entgegenzubringen, aber es scheiterte letztendlich daran, dass man dort trotzdem immer wieder versuchte, ihm den gängigen Typus unterzujubeln.

Die dritte Vermittlerin wusste bereits, welchen außergewöhnlichen Wunsch Clennam Xiansheng hegte, derlei Dinge sprachen sich herum wie ein Lauffeuer. Die Dame ahnte bereits, dass sie das Geld einstreichen würde, sie war findig und wusste eine Stelle, nicht einmal sehr weit von Xujiahu Qu, wo man sich diesbezüglich hinwenden konnte. Sie bedeutete Arthur, in zwei Tagen wieder zu ihr zu kommen.

In der Zwischenzeit hatte sie nach Xinzhuang schicken lassen, um dort Yí-Yuè, was Silberner Mond bedeutete, zu verständigen.

Sie war wirklich nicht das, was Chinesen in erster Linie als Idealbild einer Qiè bezeichnen würden. Sie war ein gutes Stück größer als die meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen, außerdem hatte man – aus welchen Gründen auch immer – bei ihr früher versäumt, die Füße zu wickeln, so dass sie normal ausgebildete Füße und keine verkrüppelten Lotos-Füßchen hatte.

Ihre Haare waren auch nicht ganz schwarz, insbesondere bei Sonneneinstrahlung fiel auf, dass ein mahagoni-ähnlicher Ton darauf lag, äußerst ungewöhnlich. Und – sie war keine sehr junge Konkubine mehr, die Vermittlerin wusste Arthurs Alter nicht genau, aber sie schätzte, dass er jünger sein musste als Yí-Yuè.

Aus all diesen Gründen war sie keine sehr beliebte, keine sehr oft vermittelte oder mit großer Erfahrung gesegnete Qiè, trotz ihres fortgeschrittenen Alters. Sie hatte den weitaus größeren Teil ihres Lebens in Xinzhuang verbracht, hatte dort im Haus geholfen und sich nützlich gemacht. Nebenbei hatte sie ihre Bildung vervollkommnet, sie sprach Japanisch und gut Englisch, genau genommen sogar besser als Méi, und musizierte exzellent.

Die Vermittlerin teilte Yí-Yuè mit, aus welchem Grund man ausgerechnet nach ihr geschickt hatte. Sie sagte ihr alles über Clennam Xiansheng, was bekannt war, und das war erschreckend vieles. Sie wusste von der Seidenmanufaktur, von den winterlichen Aufenthalten in Kanton, von Arthurs langer und inniger Beziehung zu Méi-Hua und natürlich alles über deren tragischen Tod. Sie wusste, dass es derzeit ein reines Männerhaus war, da draußen in Xujiahu Qu, wo Vater, Sohn, ein Freund des Sohnes, zwei Boys und ein Koch zusammen wohnten, und auch, dass dessen Schwelle seit zweieinhalb Jahren keine Frau mehr überschritten hatte. Es war eine einmalige Chance für die bereits langsam vor sich hinwelkende Yí-Yuè.

Als Arthur kam und ihr vorgestellt wurde, war er sehr überrascht. Einen winzigen Augenblick lang war er geneigt, sie abzulehnen, zu wenig hatte sie in seinen Augen mit einer Konkubine gemein, doch kehrte sich seine Meinung fast ebenso schnell ins Gegenteil. Das war doch eigentlich genau das, was er gewollt hatte! Nämlich, dass sie eben nicht dem gängigen Ideal ihres Berufsstandes entsprach, dass sie völlig anders war als alle anderen chinesischen Prostituierten, dass sie nicht so überirdisch perfekt wie beispielsweise Sanfte Jade war. Und an Méi erinnerte sie ihn auch überhaupt nicht, was noch eine große Sorge von ihm gewesen war.

Er begrüßte sie daher ausgesucht höflich, zuerst in Chinesisch, dann in Englisch: „Miss Yí-Yuè, ich bin sehr erfreut, dass Sie den Weg hierher auf sich genommen haben, vielen Dank.“

Als er ihre Stimme zum ersten Mal hörte, bekam er eine Gänsehaut, etwas, was ihm so noch nie passiert war, denn sie hörte sich nicht so piepsig und schrill an, sie war mehr wie eine sanfte Meeresbrise, die ihn umschmeichelte: „Shaoyé, die Freude ist sehr auf meiner Seite.“

Der Satz war so gut wie perfekt gewesen! Arthur staunte.

Er holte tief Luft und hörte sich dann selbst sagen: „Wenn die Damen einverstanden sind, würde ich nun gerne das Geschäftliche aushandeln.“

Das war seiner Zustimmung gleichzusetzen und er zog sich für ein paar Minuten mit der Vermittlerin zurück. Auch der Preis war deutlich niedriger als der von Méi, was aber Arthur völlig egal war, darum ging es ihm selbstverständlich nicht.

Das Geschäft mit der Vermittlerin war abgeschlossen, Arthurs Chinesisch-Kenntnisse waren zum Glück gerade so ausreichend, um nicht vollends über den Tisch gezogen zu werden. Er fragte noch nach dem Ort, wohin Yí-Yuè sich monatlich hin zurückziehen werde, und hoffte insgeheim, dass es nicht jenseits des Flusses liegen würde, doch er war noch weitaus überraschter zu hören, dass man darauf bei Yí-Yuè keinen gesteigerten Wert legte. Entweder war die Einrichtung um einiges liberaler als die von Méi, oder sie war dort tatsächlich nur von geringem Wert, so dass man bei ihr nicht sonderlich darauf achtete. Arthur war ein wenig verwirrt.

Yí musste es ihm angesehen haben, als er wieder zu ihr trat: „Gab es Probleme? Ich hoffe nix wegen mir.“

Er schmunzelte, ganz perfekt war ihr Englisch also doch nicht!

So beeilte er sich zu antworten: „Nein, ganz und gar nicht. Und wegen Ihnen ganz bestimmt nicht. Wenn Sie möchten, können wir fahren, mein Wagen steht vor dem Haus.“

„Fahren? Wagen? Keine Rikscha?“

„Nein, ich habe einen Wagen mit einem Maulesel, der ist zwar ab und zu ein wenig störrisch, ich wünschte, ich hätte das Pony aus dem Kloster Huzhou noch. Leider ist es vor ein paar Jahren eingegangen und der Maulesel war das einzige Zugtier, das ich hier bekommen konnte. Und ich möchte nicht unhöflich sein, Yí, aber wir Christen feiern heute Weihnachten und deswegen möchte ich gerne langsam den Heimweg antreten.“

„Natürlich, Shaoyé. Gern.“

Unterwegs fragte er sie ein klein wenig aus: „Ich weiß, wie wichtig euch Chinesen die Astrologie ist, und von daher darf ich Ihnen schon einmal mitteilen, dass mein chinesisches Sternzeichen der Hahn ist.“

Sie rechnete blitzschnell und konnte daher flugs antworten: „Dann sind Shaoyé nun wohl zweiunddreißig Jahre alt.“

Er war total verblüfft: „Wie… woher wissen Sie das so schnell, Yí?“

Sie lächelte und sagte: „Sternzeichen kommen erst wieder nach zwölf Jahren. Shayoé sehen leider nicht mehr ganz aus wie Zwanzig. Aber dürfen nicht böse sein, weil ich es gerechnet habe.“

„Ich bin Ihnen doch nicht böse! Ach, vielleicht doch ein wenig, weil Sie sagten, dass ich nicht mehr ganz wie Zwanzig aussehe.“

Sie kicherte nicht und redete sich nicht heraus, wie das vielleicht nun bei einer jüngeren Chinesin der Fall gewesen wäre, sondern schaute ihn offen an und meinte: „Ich sage Wahrheit, weil das gut ist.“

Arthur spürte, dass er es richtig gemacht hatte, er hatte anscheinend einen weiteren Glücksgriff getan.

„Und wie ist nun Ihr Sternzeichen, Yí?“

„Wenn ich das sage, werden Shaoyé ebenso schnell gerechnen und dann wissen, wie alt ich bin.“

„Ja, das steht zu vermuten. Gleiches Recht für alle.“

„Ich bin Drache. Und damit Shaoyé nicht mühsam muss gerechnen, ich sage es: Bin ich drei Jahre voraus!“

Arthur fand das interessant, Méi war drei Jahre jünger als er gewesen und Yí nun war drei Jahre älter. Also - der Drache und der Hahn…

Sie waren am Haus in Xujiahu Qu angekommen und wurden bereits vom Eingang her neugierig beäugt, denn Cha-Dong stand schon dort. Arthur war klar, dass er Yí am kritischsten gegenüberstehen würde, er war auch der Einzige im Haus gewesen, der drei Tage lang nicht mit ihm gesprochen hatte, nachdem er allen die Entscheidung mitgeteilt hatte, dass er wieder mit einer Konkubine zusammenleben wollte. Arthur hatte Cha-Dongs Schweigen tolerant zur Kenntnis genommen, Méi war schließlich damals seine Vermittlung gewesen.

Cha-Dong wusste, er durfte nicht unhöflich gegenüber der neuen Qiè sein, sonst würde er sich bald auf der Straße wieder finden, also fügte er sich seufzend in die neuen Umstände. Aber er würde ein wachsames Auge auf die Neue haben, so viel war er sich selbst und der toten Méi schuldig.

So begrüßte er die Ankommenden zwar ausgesucht höflich, aber wesentlich zurückhaltender als es eigentlich seine Art war. Yí merkte davon nichts, da sie Cha-Dong ja nicht kannte. Aber Arthur bekam es sehr wohl mit und nahm sich vor, zu gegebener Zeit mit dem Boy ein Wörtchen zu reden.

Als sie im Haus drinnen waren, klopfte Arthur an die Tür des Arbeitszimmers, worin sich sein Vater derzeit befand, und bat darum, Yí-Yuè vorstellen zu dürfen. Und er hatte dabei ganz massive Erinnerungen an die gleiche Szene, als er Méi-Hua einst vorgestellt hatte. Die Situationen ähnelten einander ganz ungeheuer. Er wählte, ob bewusst oder unbewusst, das war ihm nicht so ganz klar, sogar fast die gleichen Worte wie damals:

„Dad? Hast du, bevor wir Weihnachten feiern, einen Moment für mich Zeit?“

„Sicher doch. Was liegt denn an?“

„Wir werden ab heute weibliche Gesellschaft haben, wenn es Recht ist. Ich habe Silberner Mond gleich mit hierher gebracht. Darf sie hereinkommen und sich vorstellen?“

„Natürlich, ich freue mich.“

Er winkte Yí heran, die in der Tat ein wenig nervös zu sein schien, daher schenkte Arthur ihr ein aufmunterndes Lächeln.

„Miss Yí-Yuè, wie gut dass mein Chinesisch das noch hergibt und ich in der Lage dazu bin, Ihren Namen richtig zu übersetzen. Wie ich höre, werden Sie uns von nun an mit Ihrer Anwesenheit hier erfreuen?“

„Guten Tag, Laoyé. Danke für freundliches Willkommen. Wenn gestatten, ich werde gute Qiè für Shaoyé sein.“

„Sie sprechen unsere Sprache ausgezeichnet. Und wenn Sie möchten, dann können wir auch gleich zum Weihnachtsdinner gehen, denn ich höre, dass Cha-Li gerade den Gong dafür schlägt. Alles weitere können wir gerne nach dem Essen besprechen, Miss Yí.“

Vor dem Dinner wurde sie noch Clifford Baxter vorgestellt, der sie nett begrüßte, aber eindeutig einen kantonesischen Dialekt sprach, sobald er ein paar Worte in Chinesisch mit ihr wechselte.

Ihr Benehmen war beim Essen soweit untadelig, aber sie meisterte das erste große Dinner längst nicht so souverän wie Méi es getan hatte, da sie viel zu nervös war und viel zu lange schon nicht mehr in den Diensten eines Europäers gestanden hatte. Ihre Hände zitterten stets ein wenig, was beim Löffeln der Suppe sehr hinderlich war.

„Wir haben einige Jahre lang Weihnachten immer im Süden Chinas verbracht, was wir nun bereits zum dritten Mal in Folge nicht mehr können, wegen der politischen Unruhen. Unser Haus in Kanton haben wir leider auch verloren. Also haben wir uns in den letzten Jahren im kalten Shanghai zu einer Männergesellschaft zusammengerottet und warten immer sehnsüchtig darauf, dass es Frühling wird.“

Mr. Clennam gab diese Erklärung in Richtung Yí ab, die verstehend nickte und höflich erwiderte: „Und Seide im Winter auch nicht gemacht wird, so Tage hier sehr lange sind.“

„Ja, genauso verhält es sich. Ich hoffe, Sie stoßen sich nicht zu sehr an den christlichen Ritualen, die sich Ihnen nun gleich eröffnen werden, da das Weihnachtsfest für uns von großer Bedeutung ist.“

„Ich werde zuhören mit Interesse.“´

Sie setzte sich nach dem Essen mit den Männern in den Salon und lauschte ganz einfach den biblischen Geschichten, die jeder von den Herren reihum passageweise vorlas. Als Arthur am Lesen war, fiel ihr ebenfalls seine sehr weiche, und zugleich doch kraftvoll männliche Stimme auf. Er war wirklich ein überdurchschnittlich gut aussehender Mann, und sie war froh, dass sie an keinen alten, fettwanstigen oder sonst wie unattraktiven Dienstherren geraten war. Das war nämlich üblicherweise die Art von Kunden, die für eine Qiè wie sie übrig blieben. Die schönen, jungen Herren nahmen sich natürlich immer auch eine schöne, junge Qiè. Dass sie an diesen jungen Herrn geraten war, war für sie ein kaum fassbarer Glücksfall.

 




Chapter End Notes:

 

Drei Bilder in Anlehnung an dieses Kapitel im Forum!



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