Entgegen aller Vorzeichen by doris anglophil
Summary:

 

Der schwache, feige und äußerst unbeliebte Sheriff of Nottingham lernt seine Lektionen... 


Categories: Sonstige Schauspieler, Matthew Macfadyen, Rollenbezogene Geschichten, Novel-length Characters: eigener m/w Charakter, Sheriff of Nottingham
Genres: Drama
Warnings: Keine
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 26 Completed: Ja Word count: 37967 Read: 115093 Published: 06 Jan 2011 Updated: 30 Jun 2011
Story Notes:

 

Wir begeben uns weit zurück ins Mittelalter, zu "Robin Hood" (in der Version von Ridley Scott) und die ganze Aufmerksamkeit liegt hier aber auf einer Figur, die in Scotts Verfilmung leider nur eine völlig nebensächliche Rolle gespielt hat - nämlich dem Sheriff of Nottingham, der - wie sollte es anders sein - von MM verkörpert wurde. Ihm habe ich hier eine sehr tragende Rolle auf den Leib geschrieben, die in der Fortsetzung der Film-Handlung angelegt ist.
Er wurde da eher als schwacher, feiger, aber dennoch Furcht einflößender Typ geschildert und daran musste ich mich ja erst einmal orientieren.

Alle Personen und auch fast alle Orte dieser Geschichte sind real existierend, bis auf die als Legende geltenden Figuren Robin of Locksley, Marian of Locksley, die Merry Men und noch eine weitere Ausnahme, die ich dann aber erläutern werde.
Dieser Sheriff of Nottingham (SoN) hat tatsächlich gelebt, auch dieses Amt wirklich versehen, nun habe ich ihm mit Matthew Macfadyen (MM) ein Gesicht und MMs SoN aus dem Film im Umkehrschluss einen Namen gegeben.
Es ist von Vorteil, mit der Filmhandlung vertraut zu sein, jedoch nicht zwingend notwendig, man findet dann wohl rasch in die Story auch ohne Vorkenntnisse.
Zusamenhänge mit der englischen Geschichte versuche ich ebenfalls zu erklären.
Gegengelesen hat Becci, danke an dieser Stelle dafür! 

 

DISCLAIMER


Alle Charaktere, Handlungen, Schauplätze etc. von „Entgegen aller Vorzeichen“, die auf dem Film „Robin Hood" (2010/Ridley Scott)  beruhen, sind Eigentum des rechtmäßigen Besitzers Universal Pictures Inc., USA.

Die von der Autorin selbst erschaffenen Charaktere und die Handlung des Romans „Entgegen aller Vorzeichen“ sind Eigentum der Autorin.

Die Autorin ist in keiner Weise mit den Besitzern, Erschaffern oder Produzenten irgendeiner Medienkonzession verbunden.
Vorsätzliche Verstöße gegen das Urheberrecht sind nicht beabsichtigt.

© Doris Schneider-Coutandin 2010

 

1. Kapitel eins by doris anglophil

2. Kapitel zwei by doris anglophil

3. Kapitel drei by doris anglophil

4. Kapitel vier by doris anglophil

5. Kapitel fünf by doris anglophil

6. Kapitel sechs by doris anglophil

7. Kapitel sieben by doris anglophil

8. Kapitel acht by doris anglophil

9. Kapitel neun by doris anglophil

10. Kapitel zehn by doris anglophil

11. Kapitel elf by doris anglophil

12. Kapitel zwölf by doris anglophil

13. Kapitel dreizehn by doris anglophil

14. Kapitel vierzehn by doris anglophil

15. Kapitel fünfzehn by doris anglophil

16. Kapitel sechzehn by doris anglophil

17. Kapitel siebzehn by doris anglophil

18. Kapitel achtzehn by doris anglophil

19. Kapitel neunzehn by doris anglophil

20. Kapitel zwanzig by doris anglophil

21. Kapitel einundzwanzig by doris anglophil

22. Kapitel zweiundzwanzig by doris anglophil

23. Kapitel dreiundzwanzig by doris anglophil

24. Kapitel vierundzwanzig by doris anglophil

25. Kapitel fünfundzwanzig by doris anglophil

26. Kapitel sechsundzwanzig by doris anglophil

Kapitel eins by doris anglophil
Author's Notes:

 

England, zu Anfang des 13. Jahrhunderts, unter der Herrschaft von King John. Das Land ist seit ca. 150 Jahren unter normannischem Einfluss, die englischen Könige sind auch gleichzeitig die Herzöge der Normandie und Titelhalter anderer französischer Provinzen, und ein gewisser Philip Marc de Touraine (hist. verbürgte Tatsache) übt das Amt des Sheriffs of Nottingham aus... 

 

 

Philip Marc setzte sich an den grob gezimmerten, massiven Holztisch und stützte seinen Kopf in einer Geste der Verzweiflung mit beiden Händen ab.

Er war wirklich ein jämmerlicher Versager!

Nichts, rein gar nichts war ihm gelungen, seit er das Amt des Sheriffs in dieser Grafschaft übernommen hatte.

Die Einnahmen aus dem von ihm verwalteten Gebiet, die ihm einst als stattliches Sümmchen in Aussicht gestellt worden waren, schrumpften immer mehr in sich zusammen. Anstatt einer klimpernden Geldkatze befand sich unter seinem Kopfkissen nichts außer widerwärtigem Ungeziefer.

Marian of Locksley hatte sich mit Robin Hood in die Wälder geschlagen, nachdem die französischen Truppen ihren Schwiegervater gemeuchelt hatten.

Er selbst war bei diesem Angriff mit einem blauen Auge davongekommen und er hatte sich den marodierenden Truppen durch ein geschicktes verbales Manöver entziehen können.

Das war nicht sehr heldenhaft gewesen, die Feigheit nagte an ihm. Aber heiligte da der Zweck nicht die Mittel? Durfte man denn nicht seine - in diesem Fall französische - Herkunft aufdecken, um das eigene Leben zu retten? Wie gut, dass ihm seine Kenntnisse der französischen Sprache dabei nützlich gewesen waren. Er dankte seiner Mutter dafür, dass sie darauf bestanden hatte, mit ihm zeitlebens ihn dieser Sprache zu reden.

Andererseits – was war dieses miserable Leben hier in der Provinz schon wert? Wäre es nicht besser gewesen, den Tod diesem sinnlosen Dasein vorgezogen zu haben?

Er stieß einen tiefen Seufzer aus und verfiel immer mehr in Selbstmitleid, wobei er samt und sonders ein Bild des Jammers abgab.

Alles war ihm zuwider. King John war ein furchtbarer Herrscher, der ihn nicht einmal besoldete. Ganz im Gegenteil, er als Sheriff musste noch eine Amtsgebühr an die Krone abführen.

Von dieser Seite her war er also schon ordentlich gekniffen.

Und nun auch noch von der anderen Seite, von der Bevölkerung her, die mehr und mehr Partei für Robin Hood ergriff.

Er war ganz auf sich allein gestellt hier in diesem verdammten Nottinghamshire!

Er hasste es! Er hasste diese Grafschaft, er hasste seinen Posten, er hasste alles, was damit auch nur annähernd zu tun hatte.

Wäre es nicht besser von diesem Amt – das mehr Bürde denn Bereicherung war - zurückzutreten und sich irgendwo als einfacher Schreiber zu verdingen oder aber eine wirklich gute Parzelle Land zu erwerben und ein Bauer zu werden?

Nein, vergiss es, Philip, mahnte er sich selbst.

Er hatte wenig bis gar keine Ahnung von der Landwirtschaft, es würde ebenso in die Hose gehen, wie alles andere, das er bisher angepackt hatte.

Zwar würde er als Schreiber in London oder auch in York sicher nicht schlecht verdienen, aber er würde anderen zu Diensten sein müssen, würde deren Speichellecker sein. Er verzog das Gesicht zu einer äußert unwilligen Grimasse, als er sich vorstellte, dass er mit unterwürfiger Geste und dienstbeflissener Miene den Schriftkram irgendwelcher Kaufleute oder nicht näher zu benennendem, noch schlimmerem Gesindel zu erledigen haben würde.

Er schauderte kurz bei diesem Gedanken und verwarf ihn daher sofort wieder. Es war nicht schlecht, mehr oder weniger sein eigener Herr zu sein, auch wenn dies derzeit ein wenig einträgliches Geschäft war. Er würde es einfach besser machen müssen, würde… mehr Abgaben verlangen müssen.

Nachdenklich kratzte er sich am Kopf – hoffentlich hatte er sich keine Läuse bei irgendeiner dieser Schlampen, die gelegentlich das Bett mit ihm teilten, eingefangen – und schüttelte diesen dann vehement. Die Bürger von Nottingham hatten nichts mehr. Sie lebten sowieso alle schon von der Hand in den Mund und auch er hatte gewiss nicht täglich einen Braten auf dem Tisch. Er lebte nicht in Saus und Braus, ganz im Gegenteil. Das Wildbret gehörte King John, das durfte er genauso wenig antasten wie auch die einfachen Untertanen es nicht durften.

So gab es mal Huhn oder Stücke eines Schweins, dann natürlich im Frühjahr Lamm, später dann eben Fleisch von Ziege oder Schaf, meist an Sonn- und Feiertagen halt.

Fisch wurde öfter aufgetischt, denn es gab nicht wenige Teiche, Seen und Bäche, zum Glück. Und hatte sich mal eine altersschwache Taube verflogen, landete sie meist auch recht schnell in der Bratröhre.

Ein Leben in Völlerei war dies ganz sicher nicht. Es gab sogar Tage, da musste er sich das letzte Stückchen Käse oder Speck gut einteilen, bis Nachschub herangeschafft werden konnte oder eben einige Stücke in der Räucherkammer oder der Käserei gereift waren. Diese Sachen waren entsprechend teuer - Geräuchertes und Käse – und schröpften seine Mittel nicht unerheblich.

Sein Kopf sank tiefer in Richtung Tischplatte. Die einzige Frau, der er jemals geliebt hatte, Marian of Locksley, hatte ihn nicht gewollt. Weder sein Amt noch sein Pelzkragen hatten sie irgendwie beeindrucken können. Sie war eine starke Frau, vermutlich stärker als er selbst es jemals sein würde. Diese Erkenntnis traf ihn hart und er kämpfte wahrhaftig mit den Tränen.

Warum hatte dieser verdammte Robin Longstride aber auch hier auftauchen müssen?

Er rief sich selbst zur Ordnung. Das Erscheinen dieses Bogenschützens aus König Richards Armee hatte nichts damit zu tun, dass Marian ihm die kalte Schulter gezeigt hatte. Das hatte sie lange zuvor bereits getan, immer und immer wieder. Gut, aber damals war sie auch noch nicht Witwe gewesen. Wäre dieser Longstride jedoch nicht hierher nach Nottingham gekommen, um dem alten Locksley vom Tod seines Sohnes zu berichten, hätte dieser ihn auch nicht an seines Sohnes Statt angenommen. Ach, alles war wie verhext!

Er konnte nichts! Sein Vater war viel zu früh gestorben, er hatte ihm nichts Wichtiges, nichts Brauchbares beigebracht, denn er war viel zu jung bei seinem Tod gewesen. Nur seiner Mutter hatte er seine guten Französisch-Kenntnisse und das Erlernen von Lesen und Schreiben zu verdanken.

So konnte er nicht einmal das Schwert sauber und ordentlich führen. Lediglich ein paar Hiebe mit langen Stöcken hatte er von ein paar durch das Land ziehenden Söldnern beigebracht bekommen. Es waren nur grundlegende Übungen gewesen, absolut nichts, auf was man bei einem wirklich bedrohlichen Kampf hätte bauen können.

So blieb ihm ja meist gar keine andere Wahl, als den Kopf hastig einzuziehen und sich feige irgendwo zu verschanzen, bis die Luft wieder rein war.

Er fühlte sich selbst nicht wohl dabei, aber er wollte nicht unrühmlich dahin gemetzelt werden. Er wollte – wenn es denn schon sein musste – heldenhaft und ehrenvoll sterben.

Langsam stand er von dem altersschwachen Schemel auf, der sein Gewicht kaum noch tragen konnte. Er war ein sehr großer Mann, ungewöhnlich groß sogar. Allein dieser Umstand war respekteinflößend, denn er überragte fast alle Menschen in Nottinghamshire, zumindest die, die er kannte. Und das glich seine fehlende Kampfkunst zu einem gewissen Teil aus. Bis jetzt jedenfalls. Wenn er mit seinem schweren Ross über die Felder gesprengt kam, wichen immer alle Leute schnell und zur Seite geduckt aus.

Aber damit erschöpfte sich auch schon sein Respekt bei der Bevölkerung. Er wusste, sie reagierten damit nur auf seine imposante Erscheinung, nicht aber auf seinen Einfluss und nicht auf sein Gebaren als Sheriff dieser Grafschaft. Das war beides wohl eher Anlass für reichlich Gespött unter den Leuten.

Er öffnete die hölzerne Tür, die mit quietschenden Angeln nach außen nachgab, und trat an den Brunnen, um sich einen Krug Wasser zu schöpfen.

Eigentlich hatte er dafür Gesinde - einen Knecht, der auch sein Pferd versorgte, und eine Magd - aber es stand zu befürchten, dass der Knecht sich zu Hood in die Wälder geschlagen hatte und die Magd von den Franzosen verschleppt worden war.

Um die Magd war es ein wenig schade, sie hatte wenigstens dazu getaugt, ihn im Bett zu erfreuen. Nun ja, es würde sicher in der Gegend noch ein paar andere Weibsleute geben. Es war zwar nicht direkt schwer, diese zu gewissen Diensten zu bringen, aber es war auch nicht so, dass sie ihm wie reife Früchte in die Arme sanken. Dazu war sein Ruf einfach zu schlecht, seine Manieren zu rau, sein ganzes Auftreten zu ungehobelt und zu herrisch. Es kostete ihn stets etliche Münzen. Er sollte sich eine Frau, eine Ehefrau nehmen. Aber woher?

Etwas wohlhabendere Eltern schickten ihre Töchter lieber ins Kloster, als sie ihm als Frau zu geben. Und die Armen waren entweder geflüchtet oder hausten nun bei Hood im Wald. Keine sonderlich erbaulichen Aussichten für ihn.

Er konnte ja auch schlecht nach London reiten und sich von King John persönlich eine Braut erbitten.

Dieser würde in schallendes Gelächter ausbrechen, ihn vermutlich in einem Anfall von Jähzorn für einen Tag vor dem Tower an den Pranger stellen lassen und dann - versehen mit einem Tritt in den Hintern - wieder in diese öde Provinz zurückschicken, nicht ohne vorher die Steuerlast für dieses Gebiet und damit auch die Abgaben des Sherifftums an die Krone erneut drastisch erhöht zu haben.

Während er durstig einen Schluck des kühlen Brunnenwassers trank, kam ihm der flüchtige Gedanke, dass dieser Robin Longstride mit seinen Gesetzlosen gar keine so schlechte Sache darstellte.

Oh Gott! So etwas durfte er auch nicht einmal ansatzweise denken! Er war der Krone verpflichtet. Er war ein treuer Vasall des Königs. Er… hatte ihm zu dienen, er… er… ihm gingen die Argumente aus!

Und weiterhin in trübsinnige Gedanken vertieft, sank er wieder auf den Schemel in der Stube, der bei dieser Gelegenheit unter dem Gewicht des Sheriffs dann auch endgültig zusammenbrach.

Kapitel zwei by doris anglophil
Author's Notes:

 

Hier kommt die weitere fiktive Person ins Spiel, die jedoch Sproß einer realen Familie ist, d.h. sie ist zwar erfunden, aber ihre Vorfahren, die gesamte Familie und verwandtschaftlichen Beziehungen hat es gegeben!
Ihr Vater, Ranulf of Glanvil, war Sheriff of Yorkshire unter King Henry II (sehr interessant, "Die Säulen der Erde" lassen recht herzlich grüßen!) von 1163 bis 1176 (mit einer kurzen etwa einjährigen Unterbrechung, in der Zeit hatte er das Amt eines Sheriffs von Lancashire inne), von 1177 bis 1180 war er Justitiar von König Henry II und von 1180 bis 1189 sogar Oberster Justitiar (und "The King's Justice" läßt ebenso vielmals grüßen!, auch wenn dies zu einer anderen Zeit spielte). Neffe Ranulfs of Glanvil war Hubert Walter, seines Zeichens Erzbischof von Canterbury von 1193 bis 1205, also teils noch unter Richard I.
Dies alles kommt nun hier und in den Folgekapiteln immer mal wieder zur Sprache.

Anmerkung: 'Pepper Harrow' ist das Anwesen der Locksleys aus der Ridley-Scott-Verfilmung 2010. Dies ist weitgehend fiktiv, bezeichnet jedoch in der Tat einen Hügel in der Grafschaft Surrey, wo ein großer Teil der Filmdreharbeiten stattfand.

 

Fluchend rappelte sich Philip Marc vom Boden hoch und zog sich das von Wasser durchnässte Hemd mit einem energischen Ruck über den Kopf. Auch das noch! Der Stuhl war hinüber und das Hemd hatte den halben Wasserkrug dabei abgekriegt.

In diesem Augenblick flog die Tür auf und er starrte in das hochrote Gesicht einer jungen Frau. Einer sehr hübschen jungen Frau, besser gesagt. Einer Lady, ihrer ganzen Erscheinung nach zu urteilen.

Mit einem raschen Griff warf er sich seinen Mantel über und fauchte dann die Fremde an: „Guter Gott, Frau, wer seid Ihr und was tut Ihr hier?“

„Mylord… ähm… ich hatte geklopft, aber keine Antwort erhalten und die Tür war nur angelehnt, so… so bin ich eben eingetreten, weil Lärm zu hören war und ich dachte, ich könnte behilflich sein. Habt Ihr Euch wehgetan, Sir?“

„Herrschaftszeiten, nein! Es ist alles in Ordnung. Was führt Euch hierher und wer seid Ihr? Und lasst Euch gesagt sein, ich frage es nicht noch einmal!“

„Oh verzeiht. Mein Name ist Leslie of Glanvil, ich bin die Tochter des verstorbenen Sheriffs of Yorkshire, Justitiar des Königs, Ranulf of Glanvil. Mein Cousin ist Hubert Walter.“

Philip Marc schüttelte ungläubig den Kopf, das konnte doch alles gar nicht sein.

„Ihr seid die Cousine des früheren Erzbischofs von Canterbury? Des Lordsiegelbewahrers von König Richard?“

Und als sie beflissen nickte, kam er näher zu ihr hin und sagte mit einem bedrohlichen Unterton in der Stimme: „Das, Mylady, müsst Ihr mir natürlich beweisen.“

„Das tue ich gern, wenn Ihr mir Eurerseits sagt, wer Ihr seid, Sir.“

„Wen habt Ihr erwartet? Zu wem seid Ihr geschickt worden? Und eine Lady wie Ihr reist doch sicher nicht allein? Wo also sind Eure Begleiter, Madam?“

„Ihr seid ein wenig unfreundlich, Sir. Mir scheint, es kommen nicht sehr viele Reisende bei Euch vorbei.“

Er knurrte: „Wenn Ihr einen Fremdenführer sucht, seid Ihr bei mir an der falschen Adresse.“

Sie wagte es nun ihren Blick etwas zu heben, denn er hatte seinen zuvor entblößten Oberkörper inzwischen vollständig in seinen Mantel gewickelt und das Meiste an nackter Haut war nun wieder züchtig bedeckt.

„Man sagte mir, dass ich auf meinem Weg von York nach London in Nottingham Station machen sollte, der Sheriff dort würde mir gewiss die Tür nicht weisen. Also bin ich auf der Suche nach ihm, wie Ihr Euch nun denken könnt.“

Er gab nicht zu, dass er verwirrt war, daher herrschte er sie erneut an: „Wer ist ‚man‘, Mylady?“

„Meine Mutter, wenn Ihr nichts dagegen habt. Sie meinte, dass der Sheriff of Nottingham bestimmt ein gastliches Haus führt, insbesondere, wenn die Tochter eines anderen Sheriffs an seine Tür klopfen wird.“

Nun war Philip Marc derart verblüfft, dass er nicht sofort antworten konnte. Es schien, als wäre sein schlechter Ruf noch nicht in alle Ecken Englands gedrungen.

„Wo also finde ich den Sheriff hier? Ihr habt ein stattliches Anwesen, Sir, zumindest von denen, die mir bewohnt erschienen. Weswegen ist die Stadt so leer? Hattet Ihr Schwierigkeiten jüngst?“

„Mylady, Ihr seid überaus neugierig. Was Eure Suche nach dem Sheriff anlangt: Den habt Ihr gefunden! Und Nottingham ist leider durch einen Trupp plündernder und brandschatzender Franzosen zurzeit etwas entvölkert, außerdem haben sich viele Überlebende momentan in die Wälder geflüchtet. Ich hoffe, diese Auskünfte genügen Euch.“

Nun wurden die Augen von Leslie of Glanvil riesengroß: „Ihr… Ihr seid der Sheriff of Nottingham? Oh… oh verzeiht, Sir… ähm… Mylord, das konnte ich nicht ahnen.“

„Natürlich konntet Ihr das nicht ahnen. Ich nehme an, Ihr lebt mit Eurer Mutter und früher auch mit Eurem Vater unter etwas erfreulicheren Bedingungen?“

Philip Marcs Stimme hatte einen sarkastischen Ton angenommen.

Doch Leslie of Glanvil antwortete schlicht: „Sicher nur sehr unwesentlich. Und darauf kommt es auch nicht an. Wenn die Zeiten hart sind, dann muss man sich eben den Gegebenheiten anpassen. So darf ich Euch einen Guten Abend wünschen, Mylord, und meiner Freude Ausdruck verleihen, dass ich Euch gefunden habe.“

Es klang so ungekünstelt und freundlich, dass er die Augen für einen kleinen Moment schließen musste. Wie lange schon hatte er solch wohl gewählte Worte der Höflichkeit und des Anstands nicht mehr gehört? Nach seinem Dafürhalten musste das viele Jahre her sein.

Dann hörte er sich selbst murmeln: „Ganz meinerseits. Ich...“, er brach ab und musste sich räuspern, erst dann konnte er halbwegs manierlich weitersprechen, „ich bin Philip Marc de Touraine, der… der Sheriff of Nottingham, Madam.“

Sie sagte nichts und schien auf mehr von ihm zu warten, weswegen er sich nochmals vernehmlich räusperte und dann etwas mühevoll hinzufügte: „Willkommen bei uns in Nottingham.“

Nun schien die Besucherin zufriedengestellt, sie deutete einen Knicks an und meinte dann: „Mylord, ich habe Euch ganz offensichtlich in einer häuslichen Situation überrascht, die für Besucher wenig geeignet ist. Deswegen werde ich nun meine Begleitung aufsuchen und Ihr könntet Euch in der Zwischenzeit ein Hemd und eine Tunika anziehen, damit Ihr nicht weiterhin im dicken Mantel vor mir stehen müsst. Ist Eure werte Gattin denn nicht anwesend, Sir?“

Seine Zunge klebte ihm förmlich am Gaumen, als er mit belegter Stimme dümmlich fragte: „Meine was?“

„Eure Ga…“, doch dann dämmerte Leslie of Glanvil, dass sie damit ganz offensichtlich falsch gelegen hatte, ein scheues Lächeln zog über ihre Lippen und sie hauchte abermals errötend: „Ihr verzeiht, ich nahm an, Ihr wäret verheiratet. Ein Trugschluss, wie mir scheint.“

„Ein Trugschluss, in der Tat. Warum seid Ihr selbst auf die Suche nach dem Sheriff gegangen und habt nicht jemanden aus Eurer Begleitung geschickt, diese Arbeit zu übernehmen?“

„Oh, wir reisen ohne großen Aufwand. Außer einer Magd habe ich nur noch den Stallmeister dabei. Aber… das sage ich natürlich nur Euch im Vertrauen. Unterwegs würde ich das gegenüber Niemandem anmerken.“

„Wie überaus umsichtig von Euch. So holt die beiden herbei, der Herr ist sicher gewohnt im Pferdestall zu schlafen und eure Magd…“, er schaute sich unsicher um, das von ihm bewohnte Anwesen war von einem Palast weit entfernt und bot kaum Platz für alle, wenn seine Magd nicht vor dem Feuer in der Küche geschlafen, hatte sie bei ihm im Bett gelegen. Doch das konnte er natürlich unmöglich den Fremden so anbieten. Es gab nur eine Möglichkeit: Er musste mit den Gästen nach Pepper Harrow, dem Anwesen der Locksleys, umsiedeln.

Marian würde ihn dafür umbringen, aber sie war ja nun im Wald.

„Mylady, führt Eure Leute nach Pepper Harrow. Das liegt jenseits des Hügels, ist aber nicht weit. Dort haben wir mehr Platz und mehr Annehmlichkeiten, das versichere ich Euch.“

„Gehört es Euch, Mylord Sheriff?“

„Ähm, ja… nein… nicht direkt. Freunden von mir. Sie… sie sind derzeit nicht in Nottingham, deswegen kann ich es nutzen. Habt keine Angst, es… es ist alles in bester Ordnung. Ich ziehe mich um, packe einige Vorräte zusammen und komme dann sofort hinüber geritten. Wäre das in Eurem Sinne?“

„Wenn Ihr es für richtig befindet, gerne. Auf gleich.“

„Ja, auf gleich.“

Als sich die Tür hinter Leslie of Glanvil geschlossen hatte, sank er in Verzweiflung mit seinem Allerwertesten auf die Tischplatte, wissend, dass wenigstens diese so stabil war, dass sie nicht auch noch zusammenbrechen würde.

Er raufte sich die Haare, dann warf er den Mantel fast panisch von sich und hastete an die Wäschetruhe, um aus dieser mit großer Ungeduld ein frisches Hemd zu zerren. Von einem Haken an der Wand riss er einen Waffenrock, den er so hastig überstreifte, dass er ihn zunächst verkehrt herum anhatte. Fluchend schlüpfte er wieder aus dem Kleidungsstück heraus und zog es schließlich richtig herum an.

Seine Vorratskammer war weitgehend von den Franzosen geplündert, doch ihm war es gelungen, hinter der großen Feuerstelle in der Küche in einem Hohlraum des Mauerwerks etwas Geräuchertes zu verstecken. Außerdem hatte er Äpfel und Birnen gehortet, die er nun unter seinem Strohsack hervorholte. Er hoffte, dass die Magd der Glanvils imstande sein würde, daraus ein Essen zu zaubern. Aus dem Obst konnte man ein warmes Kompott kochen, es müsste in der Kirche noch Honig von Friar Tucks Bienen sein, den er auf dem Weg nach Pepper Harrow gleich mitnehmen würde.

Mit halb gefülltem Beutel – er hatte zum Glück noch ein kleines Fässchen Wein in Friar Tucks Beständen unweit des Honigs gefunden – trabte er auf Sylvester durch die Stadt. Obwohl er es eilig hatte, trieb er das Pferd nicht zum Galopp an, denn er wollte schließlich nicht außer Atem und völlig verschwitzt ankommen.

Dieser Umstand verunsicherte ihn enorm, denn üblicherweise war ihm so etwas völlig egal, er legte sonst nie Wert auf derlei Dinge.

Warum lag ihm soviel daran, einen guten Eindruck auf die Gäste aus York zu machen? War es, weil er zum ersten Mal seit ewigen Zeiten überhaupt Gäste hatte? War es, weil er froh war ganz allgemein ein wenig Gesellschaft zu haben? Oder war es, weil diese junge Lady ihn beeindruckt hatte? Bei diesem Gedanken hätte er nun fast die Kontrolle über Sylvester verloren, und so rief er sich energisch selbst zur Ordnung: Philip Marc… sei kein Trottel!

Als Pepper Harrow in Sicht kam, parierte er Sylvester schnell durch und blieb mit ihm in einiger Entfernung stehen: Vor dem Haus stand ein sehr kleines Wägelchen, das nur einspännig gefahren wurde und ein Mann entlud diesem gerade eine nicht sehr geräumige Truhe. In der Tat keine große Reisegesellschaft, wie Leslie of Glanvil richtig gesagt hatte.

Er ahnte nicht, dass besagte Dame ihn ebenfalls genau beobachtete, aber im Gegensatz zu ihm nicht gesehen werden konnte, da sie hinter dem Wagen stand und durch eine Lücke hindurch einen guten Blick auf den Sheriff auf seinem Pferd hatte.

Es war offensichtlich, dass diese Grafschaft keine sehr blühende war, dass es viel Elend und Not gab und dass Philip Marc diesen Dingen wohl ziemlich machtlos gegenüberstand. Dennoch gab er ein überaus imposantes Erscheinungsbild ab, wie er dort oben gegen die untergehende Sonne auf dem Hügel auf seinem schweren Pferd saß. Ross und Reiter passen perfekt zusammen und gaben eine harmonische Einheit ab.

Ein leichter Schauer überrieselte Leslie of Glanvil, aber sie schob diese Reaktion rasch auf den kühlen Abendwind.

Kapitel drei by doris anglophil
Author's Notes:

 

Ein paar Erläuterungen dazu, denn heute wird zum ersten Mal der Fakt erwähnt, dass King John im Zug der Feindseligkeiten mit Frankreichs König Philip II einiges an Territorium hatte einbüssen müssen. Schon von jeher von seinem Vater Heinrich II beim Aufteilen des Erbes nur spärlich bedacht, erlangte er zwar durch Heirat einiges wieder, erkämpfte sich auch bei kriegerischen Auseinandersetzungen das Poitou, verlor aber dann das Kernland der britischen Krone, nämlich die Gebiete Anjou, Touraine und die Normandie, sowie später noch die Gascogne. Ihm blieb eigentlich nur noch Aquitaine.
Die englischen Könige waren damals immer auch mit französischen Titeln bedacht, so meist Herzog von Aquitaine oder Herzog von Guyenne.
Diese Konflikte - mal mehr, mal weniger - zogen sich im Prinzip (eigentlich noch länger, aber wir wollen mal nicht pingelig sein) bis ins Jahr 1429 hin, bis eine gewisse Jeanne D'Arc den Franzosen zu Hilfe kam.


Drei Fremdwörter kommen vor, die ich hiermit auch erkläre:
Rise - Kopfschleier, der das Haupt komplett bedeckte
Gebende - Kinnschleier, oftmals recht eng anliegend getragen
Schapel - teils reichverzierter, kronen-ähnlicher Kopfschmuck, der fest aufsaß und alle Schleier darunter hielt. Kann aber auch einfacher Machart sein, je nach Anlass. (Dazu gibt es bei diesem Kapiteleintrag im Forum Beispielbilder).

 

„Wie ist denn der Sheriff, Mylady?“

Die schiere Neugier trieb Ada, die Magd, zu dieser Frage.

„Ada, das wirst du schon sehen. Er muss jeden Augenblick da sein.“

„Schon gut, Mylady, bin halt eine neugierige alte Frau.“

„Ja, das bist du.“

„Er sah sehr eindrucksvoll aus da oben“, murmelte der Stallmeister der Glanvils in seinen Bart.

„Ihr habt ihn gesehen, Aldred?“

„Aye, ganz kurz nur, als ich die Truhe abgeladen habe.“

„Wie ist Eure Meinung?“

Der Mann zuckte mit den Schultern: „Was kann ich schon sagen? Ihr habt mit ihm gesprochen, nicht ich. Das Einzige was mir auffiel war, dass er mit seinem Pferd verwachsen zu sein schien. Sieht man nicht oft, es sei denn bei Rittern, die über mannigfaltige Turniererfahrung verfügen oder eben auf dem Kreuzzug gewesen sind. Und das war er doch nicht, oder?“

„Ich habe keine Ahnung. Wohl eher nicht, denn er schien mir trotz seiner zotteligen Haare und seines Bartes nicht sehr alt zu sein. Und ein Ritter – ich glaube nicht, dass er das ist, auch wenn er vom Adel abstammt. Er sagte, er sei aus der Touraine und das ist Land, das King John verloren hat. Kein Einzelschicksal zwar, aber es kettet einen dann doch beinahe unfreiwillig an die Krone.“

Sie schaute in die Runde und fügte betont munter an: „Nun, es ist nicht an uns, uns darüber Gedanken zu machen. Wir sind ihm dankbar, dass er uns so großzügig hier unterbringt. Ich finde, Pepper Harrow ist ein sehr würdiges Anwesen.“

Ada kam eingeschüchtert in den Saal und meldete stotternd: „Oh… oh… Mylady, der Sheriff of Nottingham ist eingetroffen.“

„Nun, er soll hereinkommen. Er ist der Gastgeber und nicht wir. Ada, nun steh doch nicht so verschreckt da. Der Mann ist schließlich kein Ungeheuer.“

Seine tiefe Stimme ließ alle drei zusammenzucken, als er beim Hereinkommen antwortete: „Ach, bin ich das nicht?

„Mylord, natürlich nicht. Meine… Ada, meine Magd, hat anscheinend nur selten einen Mann Eurer Statur zu Gesicht bekommen und war deswegen etwas verängstigt.“

„Ich verstehe.“

Er wandte sich Ada zu, die er nun ausgiebig musterte. Nein, sie war eindeutig viel zu alt, um eine neue Bettgenossin für ihn abzugeben, schade. Er unterdrückte einen bedauernden Seufzer.

„Mylady, ich habe ein wenig für Speis‘ und Trank gesorgt, auch wenn es nach dem Überfall der Franzosen nicht mehr viel ist, was wir hier zu bieten haben. Kann Eure Magd kochen?“

Er wandte sich - ohne eine Antwort von Leslie of Glanvil abzuwarten – direkt an die Alte: „Du kannst doch kochen, Ada, oder?“

Diese zuckte zusammen und schien ihm gegenüber auf Mausgröße zu schrumpfen, doch es gelang ihr gepresst zu antworten: „Wohl kann ich das, Sir.“

„Gut, der Beutel mit allem liegt in der Vorhalle. Mach dich ans Werk, ich habe Hunger und ich denke, deiner Herrschaft geht es ebenso.“

Leslie of Glanvil lachte, doch es klang diesmal gekünstelt: „Ich glaube, so einen barschen Ton ist sie nicht gewohnt. Ihr habt sie in der Tat ein wenig in Angst versetzt, Mylord.“

„Wirklich? Ich hatte meiner Meinung nach keinen sehr furchteinflößenden Tonfall in meine Worte gelegt. Oder seid Ihr da anderer Meinung?“

„Es schien mir nicht unbedingt der Tonfall allein zu sein, eher Eure ganze Art und Euer äußeres Erscheinungsbild. Das alles zusammen ist sehr… gebieterisch, wie ich finde.“

Er kam näher zur großen Tafel, beugte sich vor und stützte sich dabei mit beiden Händen fest auf der großen Tischplatte ab: „Findet Ihr?“

Sie nickte fest.

Philip Marc zog seine Handschuhe aus und nahm auf dem Lehnstuhl am unteren Ende der Tafel Platz: „Bitte, setzt Euch doch. Das Essen wird wohl noch ein Weilchen dauern, also komme ich in den ungewohnten Genuss einer Unterhaltung mit einer gebildeten, hochstehenden, sich auf Reisen befindlichen Dame. Was mich zu einer Frage veranlasst: Was ist das Ziel Eurer Reise?“

„Canterbury. Und London.“

„Und zu welchem Zweck unternehmt Ihr die Fahrt?“

„Ihr seid neugierig, Mylord Sheriff.“

„Das ist nicht Neugier, das ist Vorsicht. Ihr schuldet mir im Übrigen noch den Beweis, dass Ihr die seid, für die Ihr Euch ausgegeben habt! Habt Ihr Papiere, die Eure Identität klarstellen können?“

„Selbstverständlich.“

„Darf ich diese sehen?“

„Selbstverständlich.“

„Gut, dann möchte ich darum bitten.“

Leslie of Glanvil erhob sich und trat an die Tür, von dort aus rief sie den Stallmeister: „Aldred, bringt mir die Dokumente bitte her. Der Sheriff möchte, dass wir uns legitimieren.“

„Ich danke Euch, Mylady.“

Während sie ihren Platz ihm gegenüber am anderen Ende der Tafel wieder einnahm, erwiderte sie: „Es ist mir ein Vergnügen. Warum seid Ihr so überaus misstrauisch, wenn ich fragen darf?“

Er wand sich ein wenig, bevor er antwortete: „Es… es kamen schon öfter Leute, die behauptet haben, eine bestimmte Person zu sein und waren es dann nicht. Ich… ich möchte nicht, dass es heißt ich würde meine Arbeit nicht gewissenhaft erledigen. Ich habe die Pflicht, Personenkontrollen vorzunehmen.“

„Ja, aber…“, sie wurde durch das Eintreten von Aldred unterbrochen, der eine kleine Lederrolle in der Hand hielt und diese nun dem Sheriff auf den Tisch legte: „Bitte sehr.“

Leslie of Glanvil entließ den Mann sogleich: „Ihr könnt gehen, Aldred. Und seht bitte, wie weit Ada mit dem Essen ist. Ich hoffe, sie kommt in der Küche zurecht?“

„Ja, Mylady.“

Philip Marc hatte inzwischen die Schnüre gelöst und rollte die Dokumente auf. Er besah sich alles genau und nickte zwischendurch immer wieder kurz. Alle Siegel waren angebracht, alle Schriftstücke schienen nach seinem Dafürhalten original und echt zu sein. Für so etwas hatte er einen Blick.

„Zufrieden, Sir?“

Er legte die Papiere auf den Tisch zurück, lehnte sich im Sessel nach hinten und blickte sie direkt an: „Zufrieden. Noch zufriedener wäre ich, wenn man vor dem Essen schon mal etwas Wein bringen würde, ich bin am Verdursten nach dem Ritt hierher.“

„Sir, ich sagte es schon einmal: Ihr habt das Hausrecht hier und müsst dem Gesinde anschaffen, nicht ich.“

„Aber es ist Euer Gesinde, nicht meines.“

„Wollen wir darüber streiten?“

Er war erstaunt über ihre Schlagfertigkeit und wusste damit nicht umzugehen. Geistreiche Konversation kam ihm nur selten unter und er hatte einfach verlernt wie man sich dabei verhielt. Wenn er unsicher war – und das war er in diesem Augenblick ganz gewiss – flüchtete er sich meist in Grobheiten, die diese Unsicherheit überspielten. Doch hier war es schwierig grob zu sein, deswegen schwieg er und starrte abwesend ins Kaminfeuer.

„Seid Ihr müde, Sir?“

Er schreckte hoch und schüttelte den Kopf: „Nein. Oder doch, ein wenig. Ich… ich habe schlecht geschlafen in den letzten Tagen.“

„Das tut mir leid. Wir schlafen auch nicht gut, wegen der Reise, das könnt Ihr Euch sicher denken.“

„Ja… ich vergaß. Es… es…“, er suchte nach Worten, die jedoch verschüttet blieben, deswegen hieb er unvermittelt sehr hart mit der Faust auf den Tisch und brüllte: „Wein her! Ich habe Durst, verdammt nochmal!“

Der Schreck über seinen plötzlichen Unmut fuhr ihr so stark in die Glieder, dass sie fast vom Stuhl gerutscht wäre.

Sie fuhr sich rasch mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen, schluckte und schaute zu Boden.

Zum Glück musste sie auf seinen Wutausbruch nicht direkt reagieren, da endlich Ada mit zwei Zinnbechern und dem Wein hereinkam.

„Danke, Ada. Wie weit ist das Essen?“

„Nur noch wenige Minuten, Mylady. Mylord.“

Sie knickste übertrieben tief und ging rasch wieder hinaus.

„Wie schön, dass Ihr Wein hier hattet. Sagtet Ihr nicht, dass Ihr das Opfer eines Überfalls gewesen seid? Ihr müsst die Lebensmittel gut versteckt haben. Und Sir, wollt Ihr nicht Euren Mantel ausziehen? Das Feuer hat den Saal mittlerweile recht gut angewärmt, wie ich finde.“

„Ihr fragt sehr viel auf einmal. Den Wein scheinen die Plünderer höchstpersönlich in der Eile ihres Raubzugs hier vergessen zu haben, Ironie des Schicksals. Erst dachte ich, dass der elende Pater das Fässchen gehortet hätte, aber dann entdeckte ich, dass es sich um einen edlen französischen Tropfen neuesten Jahrgangs handelte. Und ja, ich konnte ein paar wenige Vorräte sichern, jedoch längst nicht ausreichend für ein festlicheres Mahl. Meinen Mantel, Madam, werde ich dann ausziehen, wenn Ihr mir im Gegenzug nicht länger in Rise und Gebende gegenübersitzt.“

Sie wurde rot, was man aber im Halbdunkel des Raumes nicht sehen konnte. Aber sie konnte seinen Wunsch verstehen, wer saß schon gerne mit einer jungen Dame zu Tisch, die um den Kopf herum völlig in Schleier eingewickelt war. Zumal sie unverheiratet war, bestand kein Anlass ihr Haar unter einer Ansammlung von Tüchern zu verstecken. Sie fand es nur auf der Reise praktischer, da das Haar dadurch nicht so schnell staubig und schmutzig wurde.

Leslie of Glanvil stand anmutig auf und nahm das Schapel ab, das alles auf dem Kopf zusammenhielt. Dann löste sie die Tücher und schließlich das Band um ihr Kinn und legte alles auf einen Stuhl neben sich.

Letztlich schaute sie den Sheriff fast trotzig an: „Nun seid Ihr an der Reihe, Mylord.“

Kapitel vier by doris anglophil
Author's Notes:

 

Heute lernen wir, weswegen sich der SoN oftmals so feige verhalten hat: Er kann nämlich nicht vernünftig mit dem Schwert umgehen. Es hat ihm wohl niemand beigebracht bzw. es wurde keinen Wert darauf gelegt. Seiner Mutter war eine Bildung in Lesen, Schreiben, Rechnen und Sprachen wichtiger, sein Vater verstarb viel zu früh, um ihn in die Kriegskunst einweisen zu können. Anscheinend musste Philip Marc in sehr jungen Jahren bereits in Dienste anderer treten, aber stets nur als Mann der administrativen Dinge, nicht als Söldner oder gar Ritter.
 

 

Ein winziges Lächeln - kaum zu sehen - umspielte seine Lippen, während er sich erhob und den dicken Mantel schwungvoll von sich warf.

Sie riskierte einen raschen Blick und bemerkte mit großer Erleichterung, dass er eine schöne ockerfarbene Tunika trug und darunter wohl ein frisches Hemd gezogen hatte. Die Tunika war nicht übermäßig prächtig, aber aus gutem Stoff und mit ein paar wenigen Goldfäden bestickt, die sich aber da und dort bereits gelöst hatten und kein durchgängiges Muster mehr bildeten.

„Wenn nicht sofort aufgetragen wird, sterbe ich noch vor Hunger“, knurrte er unleidlich und setzte sich wieder auf seinen Platz.

Sie war etwas beleidigt, da er keinen einzigen Ton über ihr Haar, das nun in zwei pechschwarzen Zöpfen rechts und links von ihrem Gesicht herunterhing, verloren hatte. Sie bekam normalerweise sehr viele Komplimente wegen ihrer schönen Haare.

Philip Marc leerte stattdessen seinen Becher Wein in einem Zug und kaum hatte er ihn fest auf der Tischplatte abgesetzt, da trug Ada endlich die Speisen auf.

Wie erwartet, gab es eine dicke Suppe mit etwas Gemüse und Hülsenfrüchten, darin schwamm das klein geschnittene, geräucherte Fleisch. Dazu reichte sie Brot, das bereits etwas hart war, aber noch nicht schimmlig und somit gegessen werden konnte.

Mit gutem Appetit langte Philip Marc zu und verschluckte sich fast, als Leslie of Glanvil artig die Hände faltete und ein Gebet sprach: „Herr, wir danken Dir, dass Du uns bisher auf der Reise so wohlbehütet hast und wir ohne nennenswerte Zwischenfälle einen großen Teil der Fahrt bewältigen konnten. Weiterhin danken wir für Speis‘ und Trank, und für alles, was Du uns in Deiner immerwährenden Güte gewährst. Wir bitten Dich Herr, segne uns und unsere Mahlzeit und schenke uns Deinen Frieden. Amen.“

„Amen“, murmelte er schuldbewusst und bekreuzigte sich rasch. Dann führte er eilig wieder den Löffel zum Mund und konnte ein genüssliches, fast wohliges Schlürfen nicht unterdrücken.

Erst als er es selbst hörte, blickte er entschuldigend von seiner Schale auf und richtete das Wort an Leslie of Glanvil: „Ihr verzeiht. Ich bin es nicht gewohnt, mit Gästen zu Tisch zu sitzen und… und meine Manieren lassen wohl zu wünschen übrig. Es wird nicht wieder vorkommen.“

„Macht Euch keine Gedanken, wir sind hier nicht bei einer großen Gesellschaft und ich kann mir denken, dass Ihr hungrig sein müsst. Die Franzosen scheinen Euch nicht viel übrig gelassen zu haben. Euer Verhalten ist also verständlich und entschuldbar.“

„Danke. Ihr… Ihr seid sehr freundlich.“

Er wollte schon wieder erneut den Löffel in die Suppe tauchen, da ergänzte er noch unbeholfen: „Und ich hätte erwähnen sollen, dass mir Eure Haare gut gefallen. Ich… ich bin nicht sonderlich bewandert in derlei Dingen. Aber ich weiß immerhin, dass man Damen solche Sachen sagen sollte. Was… was ich hiermit getan habe.“

Als er keine Antwort von ihr erhielt, schaute er über den Tisch zu ihr und schob eine rasche Frage hinterher: „Schmeckt es Euch denn, Mylady? Es ist ein einfaches Mahl, aber es hilft den Magen zu füllen.“

„Es ist gut und vollkommen ausreichend, danke.“

Er war verlegen, ihre Bescheidenheit überforderte ihn ziemlich, deswegen konnte er nur noch undeutlich in seinen Bart murmeln: „Ich bin Eurer Gesellschaft nicht würdig, bin nur ein tölpischer Bauer, bin den Titel den ich trage nicht wert.“

Jetzt war es an ihr, den Löffel aus der Hand zu legen und zu ihm hinzusehen: „Ihr habt nur einige Dinge verlernt, nichts, was man nicht wieder zum Vorschein bringen könnte.“

Seine blauen Augen hefteten sich interessiert auf sie: „Da fällt mir ein: Kann euer  Stallmeister denn mit dem Schwert umgehen? Allein wegen Eurer Sicherheit unterwegs sollte dies gewährleistet sein.“

„Oh ja, er ist zwar nicht mehr der Jüngste, aber er kann das Schwert recht ordentlich führen. Ich danke für Eure fürsorgliche Nachfrage.“

Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und merkte dann leicht peinlich berührt an: „Es war nicht allein aus Sorge um Euch heraus gefragt. Entschuldigt, ich… ich würde gerne ein bisschen von ihm im Schwertkampf unterwiesen werden. Vielleicht in der Früh, bevor Ihr morgen die Weiterreise antreten werdet?“

„Um ehrlich zu sein, verstehe ich Eure Bitte nicht recht. Was könnte mein guter Aldred Euch, der Ihr gewiss um zwanzig Jahre oder mehr jünger seid und bestimmt über eine fundierte Ausbildung beim Kämpfen verfügt, denn noch beibringen?“

Philip Marc biss sich fest auf seine Lippen und schwieg eine ganze Weile, bevor er zögerlich zugab: „Ich bin ein schlechter Kämpfer. Ich habe niemals ordentlich gelernt ein Schwert zu führen. Und um genau zu sein: Ich bin ein elender Feigling und ein unbeholfener Idiot!“

Leslie of Glanvil war sichtlich erschüttert über das soeben Gehörte. Dieser große, kräftige, ja regelrecht furchteinflößende Mann, seines Zeichens Sheriff of Nottingham, konnte nicht mit dem Schwert umgehen? Liebe Güte, das war mehr als ungewöhnlich.

Sie holte tief Luft, stand von ihrem Platz auf und ging am Tisch entlang auf ihn zu. Er sah zur Seite, da ihm die peinliche Situation überaus unangenehm war. Wie stand er nun vor dieser reizenden, klugen, jungen Dame da? Sie musste ihn doch unweigerlich für einen jämmerlichen Versager halten. Er schob impulsiv seine Suppenschüssel von sich und erhob sich ebenfalls. 

„Ich werde Euch nicht weiter zur Last fallen. Schlaft wohl, Mylady, ich verabschiede mich.“

„Ihr werdet doch nicht vor der Nachspeise gehen wollen, Sir? Ich glaube, Ada hat etwas Leckeres aus dem Obst gezaubert, das Ihr mitgebracht hattet.“

Er schüttelte betrübt den Kopf: „Lasst es Euch munden. Es sei Euch von Herzen gegönnt. Gute Nacht.“

Mit diesen Worten nahm er seinen Fellmantel auf und hängte ihn sich um.

Als er sich umdrehte und die Tafel verlassen wollte, funkelten ihn die grün-braunen Augen der Leslie of Glanvil unmittelbar an: „Nein. Ich bestehe darauf, dass Ihr bleibt und mit mir zu Ende speist. Es besteht kein Grund für eine überstürzte Verabschiedung.“

Und als er weiterhin stur an ihr vorbeisah, die Lippen noch immer zu einem schmalen Strich zusammengekniffen, legte sie ihm kurz ihre Hand auf den Arm und sagte schlicht nur ein Wort: „Bitte.“

Er zog seinen Arm zurück, als hätte er ihn sich an etwas sehr Heißem verbrannt. Ihre schwarzen Zöpfe waren seinem Fuchsfell am Mantel sehr nahe, er konnte nun sehen, dass ein dünner silberner Faden mit eingeflochten war und die Zöpfe unten zusammenhielt. Sie war viel kleiner als er, aber das waren eigentlich alle Frauen. Selbst die meisten Männer waren ihm an Körpergröße unterlegen.

Er wich einen Schritt zurück, vor allem, um sich selbst unter Kontrolle zu bringen, denn er war gerade mehr als versucht gewesen, dieses kleine Persönchen in seine starken Arme zu reißen.

Das kurze Aufwallen seines Blutes verursachte ihm fast körperliche Schmerzen, doch er unterdrückte die Regung diszipliniert und nahm den Mantel wieder von seinen Schultern.

Schwer atmend ließ er sich zurück auf den Lehnstuhl sinken: „Gut. Ich weiß, was sich gehört und ich werde selbstverständlich bis nach dem Essen bleiben.“

„Ein wahrer Sheriff.“

So wie sie es sagte, klang es ruhig und ehrlich, ohne die geringste Spur von Ironie.

„Zurück zu Aldred. Er wäre sicher angetan von der Aussicht mit Euch ein paar Übungen mit dem Schwert durchgehen zu können. Und wenn Ihr es noch einen Tag länger mit uns aushaltet, reisen wir ganz einfach erst übermorgen weiter. Dann könnt Ihr den morgigen Tag – falls es Eure Zeit erlaubt – nach Eurem Gutdünken mit Schwertkampf-Lektionen anfüllen.“

Er musste etwas erwidern, sonst würde er seinen Ruf als Trottel vom Dienst immer weiter untermauern, also holte er Luft und sagte: „Das wäre mehr als ich erwarten kann. Ich möchte Euch keinesfalls im Fortgang Eurer Reise behindern. Ihr werdet sicher in Canterbury erwartet.“

„Zu keinem bestimmten Tag. Die Wetterlage und die Umstände allgemein können jederzeit zu einer Verzögerung führen. Und uns tut es gut, einmal länger als nur eine Nacht an einem Ort zu verweilen. Ah, und da kommt die Nachspeise, Mylord, wie wunderbar!“

Ada hatte – auch ein wenig aus Angst vor dem unberechenbaren Sheriff – sich selbst übertroffen und kein Kompott aus dem Obst gekocht, sondern dieses in einen dünnen Teig eingebacken, wobei sie der Obstmischung ganz offensichtlich noch Nüsse hinzugefügt hatte.

Es duftete so herrlich, dass Philip Marc das Wasser im Mund zusammenlief und sein Magen sich in froher Erwartung leicht schmerzhaft zusammenzog.

Leslie of Glanvil schnupperte ebenfalls: „Ada, das riecht delikat. Was ist es?“

„Es waren Nüsse und Mehl vorhanden, ich konnte einen Fladen-ähnlichen Teig machen, darin habe ich das kleingeschnittene Obst und die Nüsse eingeschlagen und gebacken. Aldred hat mir den Backofen eingeschürt, was großartig war.“

„Welch eine ungewöhnliche Kreation. Danke.“

Die Magd ging und überließ die Herrschaft der süßen Köstlichkeit.

„Mylady, mein Bleiben scheint sich gelohnt zu haben. Ich hätte es mir nie verziehen, um diese exzellente Nachspeise gekommen zu sein. Ich danke Eurer Überredungskunst.“

Sie lächelte: „Und ich stelle fest, dass Ihr Euch in der Kunst der Unterhaltung im Lauf des Abends enorm gesteigert habt. Das kam Euch nun schon recht leicht von den Lippen. Ihr seht – Eure guten Manieren sind durchaus vorhanden, was ich keinen Moment lang bezweifelt habe. Guten Appetit, Mylord.“

Kapitel fünf by doris anglophil
Author's Notes:

 

Es ist in diesem Kapitel die Rede von der französischen Sprache, die bereits zu Anfang erwähnt wurde. Es verhielt sich damals aber so, dass in England selbst kein Englisch wie wir es heute kennen gesprochen wurde. Die Sprache war durchsetzt von schweren Dialekten, teils geprägt von der Herrschaft von fremden Völkern aus Norden und Osten, teils durch das Gälische beeinflusst . Die Normannen sprachen sowieso ihr Französisch (auch das unterschied sich damals vom heutigen Französisch, auch da herrschte Sprachenwirrwarr wie Bretonisch, Okzitanisch und Ähnliches). Deswegen ist die Sache hier sehr vereinfacht dargestellt und auch so, wie wir es uns eben allgemein vorstellen: Engländer sprechen Englisch, andere (wie Franzosen halt) sprechen ihre Sprache. Nur eben, dass es nicht so ganz der Realität entsprach, das wollte ich hiermit erwähnt haben.
Auch wird hier angemerkt, dass Philip Marc schon zweimal kurz bei Hofe war. Dies sollte man sich vor dem Hintergrund vorstellen, dass seine Mutter sicher dafür gesorgt haben dürfte, dass er - vor allem wegen seiner Herkunft - dieses Privileg wahrscheinlich einmal im Knappenalter gehabt hatte und später war es ganz sicher seine Ernennung zum Sheriff, die ihn kurz zu seinem Souverän und dessen engste Hofhaltung geführt hat.

 

Er wusste nicht, wann er sich zum letzten Mal so wohl gefühlt und so unbefangen eine Unterhaltung geführt hatte. Je länger er bei seinem Gast in Pepper Harrow weilte, umso mehr entspannte er sich und ab und zu zog sogar ein Lächeln über sein Gesicht.

Außerdem hatte er sich endlich mal wieder satt essen können, was nicht unerheblich zu seiner gehobenen Stimmung beitrug.

Nur die Tatsache, dass er sich auf fremdem Grund und Boden befand, war weiterhin eine Art Hemmschuh für ihn. Er hatte Angst, dass Marian oder – schlimmer noch – Robin herkommen könnten, weil sie etwas aus dem Haus zu sich in den Wald holen wollten.

Robin Hoods gespanntem Bogen hier gegenüber stehen zu müssen, und dies mit der Lady aus York als Zeugin, war sein persönlicher Alptraum. Er betete, dass dies nicht geschehen möge.

Er überlegte scharf: Wenn die Eigentümer dieses Anwesens kommen würden, dann bestimmt erst in tiefster Nacht, wenn alle in den Hütten und Häusern drum herum schlafen würden. Es wäre sehr, sehr unangenehm für Leslie of Glanvil und ihre Begleitung, wenn man sie schlafend in Marians Bett überraschen würde.

Müde rieb er sich die Augen, er konnte aber selbst unmöglich auch hier übernachten, oder? Er musste aber, weil er unbedingt ein Auge auf die Besucher oder vielmehr auf die vorübergehend ausgezogenen Hausbesitzer, um genau zu sein, haben sollte.

Drüben in seiner Bleibe in Nottingham hätte er keine Ruhe gefunden und würde sich ewig Vorwürfe machen, wenn den Gästen aus York etwas zustoßen würde.

Wie sollte er aber der Lady klarmachen, dass er hierbleiben musste? Sie würde sein Ansinnen voller Empörung als unschicklich von sich weisen und ihn gar bezichtigen unsittliche Absichten zu haben.

Er grinste. Ganz abwegig war das nicht. Im Grunde genommen hatte er unsittliche Absichten, wenn er vollkommen ehrlich zu sich selbst war. Aber er wusste, dass er diese in vorliegendem Fall weder äußern durfte noch in die Tat umsetzen konnte.

Über den Tisch hinweg betrachtete er sie im Schein des Feuers. Sie war genau das, was ihm – und er war sich sicher auch seiner Mutter, würde sie noch leben – als Gemahlin für sich vorschwebte. Doch wusste er auch, dass das zu  hoch gegriffen war – und zwar mindestens zwei Stufen zu hoch!

Mit Bedauern erhob er sich und machte Anstalten aufzubrechen.

Leslie of Glanvil stand ebenfalls auf und schaute ihn fragend an: „Ihr geht, Mylord? Wie schade, die letzte Stunde empfand ich als sehr angenehm in Eurer Gesellschaft.“

„Das ging mir genauso. Ja, ich sollte aufbrechen, Ihr braucht Euren Schlaf und Ada und Aldred natürlich auch.“

„Es droht uns also keine nächtliche Gefahr in diesem Haus?“
Konnte sie hellsehen? Ahnte sie etwas von seinen sorgenvollen Gedanken? Fast schien es ihm so.

„Keine Gefahr an sich. Nur… es sind unruhige Zeiten, überall können Zwischenfälle auftreten. Davor ist man auch hier nicht gefeit.“

„Ja, das ist mir klar. Dennoch wird es merkwürdig sein, die Nacht hier ohne Euren Schutz und ohne Eure Fürsprache verbringen zu müssen, falls sich etwas ereignen sollte.“

Er zögerte. War nun der Moment gekommen, sich als Beschützer anzutragen? Wenn er nur nicht so verdammt unsicher in solchen Dingen wäre. Seine Unerfahrenheit lähmte ihn regelrecht bei derartigen Entscheidungen.

Doch sie fragte, bevor er sich anbieten konnte: „Es wäre mir auch nicht sehr wohl Euch nun noch heimreiten zu lassen. Es schien mir weiter zu sein, als Ihr angedeutet hattet. Und Pepper Harrow liegt ziemlich abseits. Warum bleibt Ihr nicht hier? Aldred schläft bei den Pferden, Ada in der Küche am Herd und ich habe vorhin ein weiteres Schlafgemach außer dem meinen gesehen.“

Sir Walters Gemach, natürlich. Daran hatte er gar nicht gedacht. Es war zu verlockend. Er würde sich selbstverständlich absolut gesittet verhalten müssen, so viel stand von vorneherein fest. Aber die Aussicht, nicht weit entfernt von dieser reizenden Lady nächtigen zu können, übte eine große Faszination auf Philip Marc aus.

Andererseits war er ein toter Mann, sollte wirklich Robin Hood aufkreuzen. Die Gäste allein hätte dieser wahrscheinlich verschont, es waren Reisende, die einen Zufluchtsort für die Nacht gesucht hatten. Aber er zusätzlich in deren Gesellschaft – er würde sofort von Hoods Pfeil durchbohrt werden, soviel dürfte feststehen. 

Seine Feigheit kämpfte in ihm um Oberhand. Sein Gewissen hielt dagegen. Für diese Frau würde es sich lohnen zu sterben. Sich jetzt nach Nottingham zurückzuziehen, wäre feige gewesen. Einmal tapfer sein! Jetzt war es an der Zeit!

Wie zur eigenen Bestätigung nickte er und gab endlich Antwort: „Ja, im Interesse aller halte ich es auch für das Beste, die Nacht hier zu verbringen. Sir Walters Bett wird mir eine bequeme Schlafstätte sein.“

Leslie of Glanvil lächelte: „Bequemer als Euer eigenes, bin ich mal so kühn zu behaupten.“

Er lächelte nun ebenfalls: „Deutlich bequemer, Ihr sagt es.“

Nicht ein Auge machte er in dieser Nacht zu. Jedes noch so kleine Geräusch ließ ihn sofort im Bett hochschrecken und mehrmals im Lauf der Nacht stand er am Fenster und blickte angestrengt hinaus in die Dunkelheit, darum bemüht etwas Ungewöhnliches frühzeitig entdecken zu können.

Doch alles blieb ruhig und friedlich.

In den wenigen Minuten, die er mal kurz dösend im Bett lag, dachte er an Leslie of Glanvil. Eine solche Frau zu haben, schien ihm irgendwie erstrebenswert.

Doch er hatte auch schon weniger angenehme Dinge über die Ehe, vor allem über Ehefrauen gehört.

So war ihm einmal gesagt worden, dass ehelicher Vollzug eine völlig andere Sache wäre als der Beischlaf bei einer Hure oder einer anderen, eher liederlich zu nennenden Person.

Die meisten Ehefrauen ließen diesen Akt nur widerwillig über sich ergehen und es gab anscheinend nicht wenige, deren Ehemänner sie nicht einmal nackt zu sehen bekamen. Nicht einen Fetzen nackten Fleisches zeigten sie, man musste den ehelichen Beischlaf bedeckt von einem Laken, in das an einer Stelle ein Loch genäht war, vollziehen.

Philip Marc schauderte bei dem Gedanken, dass es ihm auch einmal so in seiner Ehe ergehen würde. Dann lieber nicht heiraten und weiterhin willigen Schlampen beiwohnen. Da hatte man eindeutig mehr davon - und zwar beide Beteiligte, sowohl er als auch die Frau.

Leslie of Glanvil war so nobel, so gut erzogen, so tugendhaft, dass zu befürchten stand, dass es im Ehebett äußerst dürftig daher gehen würde.

Andererseits – sie war klug und einfühlsam, das war kaum zu übersehen gewesen. Vielleicht hätte er ja Glück mit ihr?

Aber dafür müsste es erst einmal zu einer Eheschließung zwischen ihm und ihr kommen, was wohl ein unüberwindbares Problem darstellte. Niemals würde dies geschehen, niemals!

Laut seufzend warf er sich im Bett hin und her. Er konnte keinen Schlaf finden. Die Angst vor nächtlichen Überraschungen hielt ihn ebenso wach wie seine Gedanken, die stets um die liebliche Leslie of Glanvil kreisten.

Wäre er nicht so ein unwürdiger, unfähiger und ungehobelter Tölpel… er war verroht auf diesem Posten des Sheriffs, ganz eindeutig. Mühsam versuchte er, auf Französisch zu denken, in der Sprache seiner Mutter. Wenigstens das konnte er; es klang recht vornehm, wenn er in dieser Sprache redete. Die beiden Male, wo er bei Hofe in London gewesen war, war es ihm recht nützlich gewesen, denn Königin Isabella und auch die Mutter von King John, Königin Eleanor, hatten ihn in Französisch angesprochen. Auch wenn er sich überaus dämlich vorgekommen war und nicht recht gewusst hatte, wie er sich zu verhalten und was er zu sagen hatte, war er doch nicht völlig in Ungnade bei den beiden Königinnen gefallen.

Der Morgen brach an und er fühlte sich einmal mehr wie gerädert. Wenn er gehofft hatte, in Sir Walters bequemem Bett mehr Ruhe zu finden als in seiner eigenen verlausten Schlafstatt drüben in der Ortschaft, so war dies ein Trugschluss gewesen. Die Sorge um das Wohlergehen der Reisenden und auch die Furcht vor einem plötzlichen Erscheinen Robin Hoods waren dem Schlaf absolut nicht förderlich gewesen.

Er stand mit Ächzen auf und spritzte sich ein wenig vom eiskalten Wasser, das in einem Tonkrug auf dem Fenstersims stand, über Gesicht und Oberkörper. Dann schlüpfte er in seine Kleidung und ging festen Schrittes hinunter in die Halle.

Eine ihm äußerst bekannte Stimme ließ ihm jedoch auf der letzten Treppenstufe das Blut in seinen Adern förmlich gefrieren: „Meiner Treu, was tut der Taugenichts von Sheriff hier?“

Robin Longstride, inzwischen besser bekannt als Robin Hood!

Kapitel sechs by doris anglophil
Author's Notes:

 

Nichts fällt einem Mann auch heute noch so schwer, wie Farbe bezüglich seiner Schwächen und Unzulänglichkeiten zu bekennen. Damals war es ganz bestimmt noch eine ganze Ecke schwieriger, da das Bild eines Mannes natürlich ein völlig anderes war. Männer mussten körperlich fit sein; kämpfen zu können war einfach mit eine Grundvoraussetzung für Erfolg und Anerkennung in bestimmten Kreisen, andernfalls galt man als einfacher Bauer oder als Schwächling. Der sichere Umgang mit dem Schwert war darüber hinaus oftmals lebensrettend und nicht wenige Knaben erhielten die ersten Lektionen darin noch bevor sie einen ordentlichen, zusammenhängenden Satz sprechen konnten. Mangelnde Kampfkunst konnte man z.T. durch gehobene Bildung (und die Ausübung eines gelehrten Berufs) ausgleichen, aber es blieb einfach ein Manko.
Der SoN erhält also nicht nur eine Lektion beim Schwertkampf sondern erlernt ebenso einen für seine innere Entwicklung wichtigen Schritt, nämlich ehrlich zu sich selbst und zu anderen zu sein! Dass ihn das zwar zuerst schwach erscheinen lässt, wurmt ihn, aber die Nachhaltigkeit dieser Einsicht wird ihm vielleicht später einmal zugute kommen. Dies wird weitgehend Inhalt der nächsten beiden Kapitel (heute und nächste Woche) sein.

 

Philip Marc kniff verzweifelt die Augen zusammen und schickte ein Stoßgebet gen Himmel.

Dann gelang ihm ein Erwidern, wenn auch mit einer Stimme, die ihm dabei fast den Dienst versagte: „Ich war so frei, noble Reisende hier in der letzten Nacht einzuquartieren. Nottingham verfügt leider über keine Herberge, die dem Standard dieser Personen genügt hätte.“

„Wie edel von Euch, Sheriff. Und wie überaus ungewöhnlich für Euch. Wie auch immer, das Anwesen gehört weder Euch noch mir, also wird Marian über Euer merkwürdiges Verhalten zu befinden haben, Pepper Harrow ist ihr Besitztum.“

„Natürlich. Das weiß ich. Ich… ich hoffe, Lady Marian zeigt sich großzügig. Es handelt sich bei den Reisenden um die Tochter des verblichenen Sheriffs von York und Cousine des früheren Erzbischofs von Canterbury.“

„Falls es in Eurer Absicht gelegen hat, mich zu beeindrucken, so ist Euch dies gelungen. Daher senke ich fürs Erste meinen gespannten und auf Euch gerichteten Bogen und lasse Euch die letzte Stufe nehmen. Sind die Gäste bereits auf?“

„Ich… ich bin mir nicht sicher. Vielleicht Ada und Aldred, die Begleitung der jungen Lady.“

„Hmh, dann dürfte ich diesen Aldred gerade an einen Pfosten in den Stallungen gefesselt haben, nachdem er versucht hatte, mich mit ein paar äußerst geschickten Schwerthieben zu überrumpeln.“

„Oh nein!“

„Oh doch, fürchte ich. Wie hätte ich auch wissen sollen, dass er kein übler Marodeur und Landstreicher ist, sondern ein Gast? Euer Gast sozusagen.“

Robin Hood hatte kaum zu Ende gesprochen, als ein langgezogener Frauenschrei ertönte. Ada!

Sie kam fassungslos angerannt und blieb angesichts der beiden Herren in der Halle, die sich fast wie zu einem Zweikampf bereit gegenüberstanden, wie angewurzelt stehen, wobei sie weiterhin leise jammernd den Kopf schüttelte.

„Es ist gut, Ada. Wir werden Aldred gleich wieder losbinden, es war ein Missverständnis. Robin H… of Locksley ist überraschend zurückgekehrt und dachte, es wären unbefugte Eindringlinge in Pepper Harrow zugange.“

„Danke, Mylord.“

Doch Adas lauter Schrei hatte natürlich auch Leslie of Glanvil auf den Plan gerufen, die nun oben auf der Treppe erschien, um nach dem Rechten zu sehen: „Was ist denn passiert? Ada? Mylord Sheriff?“

Noch bevor Philip Marc sich zu ihr hinwenden und etwas antworten konnte, erklang eine weitere weibliche Stimme: „Gütiger Gott, was geht in meinem Haus vor?“

Marian of Locksley trat in die Halle, streifte ihre Handschuhe ab, warf diese auf den großen Tisch und richtete dann ihren Blick fragend auf den Sheriff.   

Dieser wich trotz seiner körperlichen Überlegenheit ein Stück vor der resoluten Person zurück, er konnte nämlich nie sicher sein, ob sie nicht überraschend, schnell und zielgerichtet einen Dolch zücken würde.

Stattdessen gab Robin mit einem halbwegs amüsierten Unterton in seiner Stimme Auskunft: „Wir haben Gäste. Der überaus fürsorgliche Sheriff war so freundlich, die Reisenden mangels geeigneter Unterkunft hier bei uns unterzubringen.“

„Wie schön. Dann darf ich die Gäste doch bitten, sich hier zu versammeln, damit wir uns nett unterhalten können. Wenn ich also bitten dürfte…“

Leslie of Glanvil ging gemessenen Schrittes die Treppe hinunter, sie hatte instinktiv erfasst, dass die Situation ungefährlich war, jedoch nicht ohne gewisse Brisanz sein musste.

Philip Marc gab seine völlig defensive Haltung auf und kam auf den großen Tisch zu. Um Leslie of Glanvils Willen durfte er sich nicht ganz zum Narren machen und musste Haltung bewahren. Er wollte nicht, dass sie übel von ihm dachte.

Marian blickte in die Runde und sagte dann: „Gut. Ich bin Marian of Locksley, mir gehört Pepper Harrow. Dies ist Robin of Locksley, mein… mein Gatte.“

Ein leises Räuspern des Sheriffs war nicht zu überhören, aber das war das einzige zaghafte Zeichen seines Protestes, der ohnehin von einem eisigen Blick Marians sogleich im Keim erstickt wurde.

„Ich bin Leslie of Glanvil, und habe hier Station gemacht auf meiner Reise von York nach Canterbury. Der Sheriff war so freundlich, mich und meine Begleitung hierher zu bringen, damit wir die Nacht nicht in unziemlichen Verhältnissen zubringen mussten. Mit mir reisen Ada, meine Magd, und Aldred, mein Stallmeister.“

Die Hausherrin quittierte diese Vorstellung mit einem Nicken: „Ich kenne Eure Familie, Mylady. Eure Mutter Bertha vor allem. Und der Name Eures Vaters ist mir ebenso bekannt wie der Eures Cousins. Ihr seid mir herzlich willkommen. Der Sheriff hat Recht getan, Euch hierher zu führen. Robin und ich, wir wohnen zurzeit nicht hier. Es hat große Unruhen vor nicht allzu langer Zeit gegeben und wir… wir haben es vorgezogen, das Anwesen vorübergehend zu verlassen.“

Philip Marc dankte Gott dem Herrn im Stillen dafür, dass Marian die Angelegenheit so gelassen aufnahm. Er selbst war nicht einmal so übel dabei weggekommen. Oder würden Marian und Robin ihn nun doch noch vor der jungen Lady schlechtmachen? Zuzutrauen wäre es ihnen und verständlich wäre es obendrein, er hatte sich in der Vergangenheit Marian gegenüber eher schändlich denn höflich benommen. Wenn sie sich rächen wollte, dann war dies die beste Gelegenheit dafür.

Robin schien auch noch auf einen Nachsatz von Marian zu warten, doch diese schwieg beharrlich.

Somit ergriff die junge Dame aus dem Norden wieder das Wort: „Habe ich das vorhin richtig verstanden, dass Lord Locksley versehentlich Aldred irgendwo draußen festgebunden hat? Wenn dem so ist, würde ich Euch bitten, Mylord, den guten Aldred von seinen Fesseln zu befreien. Anzunehmen, dass auch Adas Lamento von diesem Umstand herrührte.“

„Selbstverständlich, Mylady. Euer Stallmeister dürfte inzwischen schon wieder ungehindert in Pepper Harrow umherlaufen, denke ich.“

„Ich danke Euch.“

Sie wandte sich nun an Philip Marc, dessen Gesichtsfarbe ständig von glühendrot zu wachsbleich und wieder zurück wechselte: „Mylord, wenn Ihr Euch nun ein wenig der Kampfschulung widmen wollt, wäre Aldred nach dem Schrecken am frühen Morgen sicher bereit, Euch dementsprechend zu unterweisen.“

Jetzt war der geeignete Augenblick, um vor Scham in den Boden zu versinken! Er fühlte wie sich die Blicke von Marian und Robin auf ihn richteten und ihn regelrecht durchbohrten. Tausend Fragen blieben ungefragt, aber die Blicke der beiden genügten ihm, um sich wie an den Pranger gestellt zu fühlen. Heiliger Strohsack, er musste sich offenbaren, seine Schwachstellen darlegen, es half nichts.

„Wie darf ich das verstehen, Sheriff?“

Mehr fragte Robin nicht, aber es reichte Philip, um sich mehr als unbehaglich zu fühlen.

Er befeuchtete seine trockenen, rissigen Lippen – unter anderem die Folge der beständigen Mangelernährung und des gehobenen Alkoholkonsums – mit seiner Zunge bevor er antwortete: „Ich… ich bat gestern Abend um ein paar Lektionen im Schwertkampf, um nicht… um den Feinden Nottinghams bei einem weiteren Überfall besser gewappnet gegenüberstehen zu können.“

„Interessant. Dann sollten wir keine weitere Zeit verlieren und sogleich die Sache in Angriff nehmen. Wer weiß, vielleicht sind die Feinde Nottinghams schon bald wieder da.“

Mit Grabesmiene und kalkweißem Gesicht folgte Philip Marc allen anderen nach draußen vor das Tor des Anwesens. Unter dem Sattel seines angebundenen Pferdes zog Robin Hood kommentarlos ein ohne Frage wertvolles und sorgsam geschmiedetes Schwert hervor und warf es dem Sheriff zu, der es in letzter Sekunde reflexartig auffing.

„Ihr dürft damit üben. Eine Leihgabe für die Dauer Eurer Kampf-Lektionen. Und nun lasst mal sehen, auf welchem Niveau Ihr derzeit kämpft.“

„Erwartet nicht zu viel, Robin“, murmelte Philip Marc undeutlich.

„Habt Ihr etwas gesagt?“

„N… nein.“

 

Kapitel sieben by doris anglophil
Author's Notes:

 

Ein paar Dinge zeigen nun langsam Wirkung, aber natürlich geht nichts übers Knie zu brechen. Vielleicht hilft es auch Philip Marc, das er nun Abstand von Leslie of Glanvil bekommt und er sich von ihr verabschieden muss. Manche Sachen müssen sich halt auch erst einmal gedanklich setzen.
Die Kampfsequenzen habe ich so authentisch wie möglich geschildert, da ich selbst sowohl Schwertkampf- als auch Fechtunterricht hatte.
 

 

Bevor er das Schwert mit zittrigen Händen erhob und sich breitbeinig auf seine ersten Verteidigungsschläge vorbereitete, richtete Leslie of Glanvil das Wort an die Herren: „Auch wenn ich glaube zu verstehen, dass die beiden Lords hier, Lord Locksley und Lord Sheriff of Nottingham, nicht die dicksten Freunde zu sein scheinen - aus Gründen, die mir momentan noch nicht ersichtlich sind - möchte ich bitten, dies nicht in ein persönliches Duell ausarten zu lassen. Das… das wäre ganz und gar nicht in meinem Sinne.“

Die Worte der jungen Lady verfehlten ihre Wirkung vor allem bei Philip Marc nicht. Es wäre nicht in ihrem Sinne… also lag ihr etwas an ihm? Oder wie sonst sollte er ihre Bitte verstehen?

Er straffte sich durch und nahm eine lauernde Haltung ein, als er auf den ersten Schwerthieb Locksleys wartete. Das wäre doch gelacht!

Somit parierte den kraftvollen Schlag auch recht passabel, so dass Robin Hood sogar trocken anmerkte: „Seht an, Ihr werdet doch hoffentlich Euer Licht nicht unter den Scheffel gestellt haben und ich renne Euch in die Falle? Dann wird mein Schwert nun eine deutlichere Sprache sprechen müssen.“

Nach drei weiteren, sehr harten Schwerthieben Robins war er soweit in die Defensive gedrängt, dass er nur noch mühsam das Schwert zu einigen eher unwillkürlichen Verteidigungsparaden heben konnte. Beim vierten Schlag traf ihn die volle Wucht eines falsch abgewehrten Hiebes an der rechten Schulter, woraufhin er trotz seiner Statur fast zu Boden sank.

„Ihr müsst deutlicher parieren, Sheriff. Ihr müsst vorhersehen können, woher meine Schläge kommen und dürft Euch nicht verzetteln.“

„Leichter gesagt als getan“, keuchte der angeschlagene Kämpfer, „ich bin völlig aus der Übung.“

„Mit Verlaub, Ihr hattet nie Übung. Ihr seid der Schwertführung unter Kampfbedingungen nicht mächtig und Ihr tut gut daran, es möglichst rasch zu erlernen.“

„Ja, Ihr habt Recht. Ich kann es nicht.“

„Könnt Ihr das wiederholen, Sheriff?“

„Verdammt nochmal, ich kann es nicht!“

Er brüllte es aus sich heraus, und mit dem Eingestehen seiner Unzulänglichkeit vor allen Anwesenden schleuderte er auch seine ganze Wut mit hinaus. Er keuchte und fühlte sich ausgelaugt, leer und zu Nichts nutze. Nach einem Laut des Unmutes brach er in die Knie und stützte sich mit letzter Kraft auf das geliehene Schwert, dessen Spitze sich in den weichen Boden vor ihm bohrte.

Dann hörte er Leslie of Glanvils Stimme: „Ada, hol‘ dem Sheriff bitte etwas zu Trinken. Er ist erschöpft.“

„Ja“, die spöttische Stimme ordnete er Robin zu, „erschöpft von drei recht einfachen Verteidigungsschlägen, und dabei habe ich nicht einmal mit sonderlich raffinierten Hieben aufgewartet. Er ist nichts gewohnt. Er kann nichts außer sich bei dreckigen Huren herumzutreiben, dem Wein, dem Bier und dem Branntwein zu stark zuzusprechen, die Leute in Nottingham auf Geheiß des Königs zu schikanieren und sich beim ersten Anzeichen von Gefahr feige zu verstecken. Ein Vorbild für die gesamte Grafschaft, fürwahr.“

„Lord Locksley, zügelt Eure Zunge ein wenig. Der Lord Sheriff ist sicher kein so übler Mensch wie Ihr ihn darstellt. Zumindest weigere ich mich, dies zu glauben. Ich denke, die harsche Einstufung die Ihr ihm habt zukommen lassen, resultiert eher aus einer persönlichen Feindschaft, die es nun an der Reihe wäre beizulegen. Was sagt Ihr dazu, Mylords?“

Philip Marc richtete sich erneut auf und schnaufte tief durch: „Ihr seid überaus liebenswürdig, Mylady, aber ich bedarf nicht der Fürsprache einer Dame. Ich bin durchaus in der Lage mich selbst verteidigen zu können, sei’s mit Worten oder auch mit Taten.“

Er wollte nicht wie eine Memme vor ihr stehen, so hatte er sich mit letzter Kraft artikuliert und nochmals vor Robin in Positur gestellt.

„Wie überaus löblich von Euch, Sheriff. Ich würde angesichts der Tatsache, dass ihr zu mehr augenblicklich nicht in der Lage seid, aber gerne auf einen weiteren Austausch von Schwerthieben verzichten. Ich würde Euch sonst womöglich den Kopf abschlagen und diesen Anblick möchte ich den Ladies hier nicht zumuten.“

Robin hatte ihn zutiefst getroffen, weit weniger mit seinen gezielten Aktionen mit dem Schwert als mit seinen verbalen Attacken, die leider nur zu sehr den Nagel auf den Kopf trafen. Er war gedemütigt, und das vor Marian und – weit wichtiger – vor Leslie of Glanvil. Nicht einmal Marians Zurückweisungen von früher hatten ihm derart weh getan wie nun diese öffentliche Niederlage, das Eingestehen seiner Unfähigkeiten und die Offenlegung seiner Schwachstellen.

So nickte er nur verdrießlich und reichte Robin sein Schwert wieder. Dann rief er nach Aldred und verlangte sein Pferd, um nach Nottingham zurückzureiten.

Bevor er sich unter Mühen und kraftlos auf den Rücken des großen und schweren Pferdes zog, hielt Robin ihn kurz zurück: „Ihr wäret kein so übler Bursche, wenn Ihr nicht den vollkommen falschen Weg eingeschlagen hättet. Denkt nach und entscheidet dann darüber, wie Ihr Euer Leben weiter gestalten und verbringen wollt. Lebt wohl.“

Als Philip Marc auf Sylvester saß, verzog er das Gesicht zu einer bemüht freundlichen Grimasse und verabschiedete sich von den Damen: „Lady Marian, es war schön Euch wiederzusehen, auch wenn die Umstände für mich recht wenig erfreulich waren. Lady Leslie, ich danke Euch für Euren Beistand und Eure nette und abwechslungsreiche Gesellschaft. Ich wünsche Euch sowie Ada und Aldred eine gute und gesunde Weiterreise. Und… und wenn Ihr am Hof von King John eintrefft, so nehmt Euch in Acht vor ihm. Sein Jähzorn ist bekannt und berüchtigt.“

Er drehte sein Pferd, das unruhig tänzelte, nochmals in ihre Richtung und ergänzte dann nach kurzem Zögern: „Außerdem stellt er recht gern einem hübschen Weibsbild nach, wenn Ihr versteht… good-bye.“

Bevor auch nur eine der Damen etwas erwidern konnte, hatte er dem Pferd die Sporen gegeben und flog in gestrecktem Galopp hinaus Richtung Nottingham.

Unterwegs überkamen ihn abermals trübsinnige Gedanken. Wollte Robin auch ihn zu einem Outlaw machen? Das stand völlig außer Frage, bei seinem Glück würde er recht schnell von den Schergen King Johns gefasst und am nächsten Baum aufgeknüpft werden, sollte er jemals wagen sich auf die Seite der Merry Men zu schlagen. Nein, er musste notgedrungen in Nottingham die Stellung halten und zumindest so tun, als wäre er ein loyaler Handlanger der Regentschaft von John. Es blieb ihm keine andere Wahl. Aber wenigstens baden wollte er, sich die Haare etwas kürzen lassen und den dichten Bart sollte er auch besser entwirren.

Bevor er vor seinem Haus ankam, galt ein weiterer Gedanke Leslie of Glanvil. Bei Gott, sie war wundervoll. Aber – er war ihrer nicht wert. Niemals!

Während Leslie of Glanvil weiter Richtung Canterbury zog, um dort zunächst das Grab ihres verblichenen Cousins Hubert Walter aufzusuchen und zu beten, hatte Philip Marc einen neuen Knecht angestellt, mit dessen Hilfe er zumindest im Haus ein wenig Ordnung geschaffen hatte, überdies hatte er wahrhaftig ein Bad genommen, sich die Haare schneiden und den Bart stutzen lassen.

„Mylord sehen sehr viel besser aus mit dem neuen Haarschnitt und dem gepflegten Bart.“

„Eldon, wenn du deinen neuen Posten nicht gleich wieder verlieren möchtest, dann kümmere dich um deine Angelegenheiten und gib gefälligst keine Kommentare zu meiner Person ab.“

„Sehr wohl, Mylord Sheriff.“

Von einer Einkehr der Normalität in Nottingham zu sprechen, wäre vermessen gewesen, aber immerhin kehrten einige Bewohner wieder in ihre Häuser zurück und nahmen zum Teil ihre angestammte Arbeit als Schmied, Zimmerer oder Händler auf. Auch die Felder ringsum wurden durch einige Bauern nach und nach wieder bewirtschaftet. Die Erträge flossen wohl zu einem nicht unerheblichen Teil in die Wälder, um dort Robin Hood zu unterstützen; wie die Leute das machten, war Philip Marc ein Rätsel, da auch er auf die steuerlichen Abgaben für die Krone bestehen musste.

Noch immer wurde gemurrt, wenn für die Bewohner Nottinghams der monatliche Tag der Steuerzahlung kam, aber er nahm mit Erstaunen zur Kenntnis, dass ihm weit weniger Hass und Ablehnung entgegenschlug, wenn er sich um einen umgänglichen Ton dabei bemühte und den Leuten nicht das Gefühl gab wie eine safthaltige Frucht ausgepresst zu werden. Außerdem schien sein leicht verändertes Äußeres ebenfalls mit der Einstellung des Volkes ihm gegenüber zu tun zu haben.

Eine ältere Frau hatte sogar den Mut, dies entsprechend kundzutun: „Mylord Sheriff, wenn Ihr nur in den Jahren zuvor so frisch und munter und weniger finster ausgesehen hättet, wären wir mit leichteren Herzen zu Euch gekommen, um die Abgaben für die Krone zu leisten. Ihr seht nicht mal schlecht aus unter all dem Gewusel an Haar. Und jünger, als wir alle dachten.“

Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, also schaute er zu Boden und reagierte nicht weiter auf die freimütigen Äußerungen der Alten.

Kapitel acht by doris anglophil
Author's Notes:

 

Nicht nur die Örtlichkeit wechselt, auch die Ereignisse nehmen nun deutlich an Tempo auf und es gibt Wendungen, die vielleicht so nicht zu erwarten waren.
Historisch gesehen hat alles natürlich seine Grundlage und ist ziemlich authentisch, bis auf den Umstand, dass Königin Eleanor bereits tot war, als Stephen Langton Erzbischof von Canterbury war. Das habe ich hier ein bisschen "verwischt", also bitte diese Sache großzügig betrachten.
Der Palast von Lambeth ist noch heute der Sitz des Erzbischofs von Canterbury und wird von ihm zu repräsentativen Zwecken genutzt. Dass der White Tower die Hauptresidenz des Regenten damals war, dürfte klar sein, denke ich.
 

 

Nach langer Reise war Leslie of Glanvil endlich in London angekommen. Sie stellte sich im Tower vor, wohin man sie auch beordert hatte, bekam aber für die Dauer ihres Aufenthaltes eine Unterkunft im Palast von Lambeth zugewiesen. Das war nur recht und billig, da sie eine nahe Verwandte eines Erzbischofs von Canterbury war, wenngleich dort nun sein Nachfolger, Stephen Langton, residierte.

John stand nicht gut mit dem Erzbischof, da dieser von Papst Innozenz III gegen seinen Willen eingesetzt und gesalbt worden war. Vielleicht war auch dies ein Grund, warum man sie – obwohl sie direkt nichts mit Langton zu tun hatte - nicht in der königlichen Residenz im Tower sondern abseits in Lambeth haben wollte.

Allerdings war es jedes Mal eine mühsame und zeitraubende Fahrt mit dem Schiff themseaufwärts vom Tower nach Lambeth und wieder zurück - ein großer Nachteil. Da sie aber nicht täglich bei Hofe zu sein hatte, war dies ein halbwegs erträglicher Umstand.

Sie hatte bei ihrer Ankunft weder King John noch dessen Gemahlin, geschweige denn Königin Eleanor zu Gesicht bekommen, also fügte sie sich brav in das, was William Marshal als des Königs Sprachrohr ihr angewiesen hatte, zumal Ada und Aldred mit nach Lambeth gehen und ihr dort weiterhin behilflich sein konnten. Eine weitere Magd und einen noch halbwegs sich bei Kräften befindlichen Mann zusätzlich im Gesinde zu haben war in dieser Residenz nicht unwillkommen, vor allem weil deren Arbeitsleistung in die erzbischöfliche Haushaltung mit eingebracht werden konnte, und dies ohne ihnen einen Penny zahlen zu müssen, da die beiden Getreuen von den Glanvils besoldet wurden.

Erst als es auf das Weihnachtsfest zuging und die Feste und Lustbarkeiten bei Hofe deutlich mehr wurden, bekam sie endlich Gelegenheit, sich dort vorstellen zu können, da sie mit einer Gefolgschaft des Erzbischofs zu einer der vielen Feiern schon im Vorfeld des Geburtstages von King John, der am 24. Dezember war, geladen war.

„Ihr habt sehr hübsche junge Damen bei Euch, Mylord Erzbischof“, stellte John ein wenig herablassend fest, „ich bitte doch, mir Eure Gesellschaft vorzustellen.“

„Gewiss, Sire. Der Palast von Lambeth beherbergt sehr viele Schätze. Die meisten davon sind mir als Kirchenmann verwehrt, aber ansehen und betrachten darf ich sie alle wohl.“

„Tut nicht so scheinheilig, Langton! Ihr seid genauso ein Hurenbock wie alle anderen geweihten Männer auch. Ob Erzbischof, Kardinal oder Papst, Ihr geht den jungen, hübschen Priestern ebenso gerne an die Wäsche wie pausbäckigen Mägden oder den euch vertrauensvoll in Obhut gegebenen heranwachsenden Ladies vom Lande. Gebt es nur offen zu!“

„Sire, Ihr geht wahrlich zu weit. Wäret Ihr nicht der König, würde ich Euer Benehmen zu tadeln wissen. Und nun lasst mich Euch die Damen vorstellen: Lady Angèle de Souffriac, Lady Emma of Montfort, Lady Leslie of Glanvil sowie Suzanne Penman.“

„Exzellent. Schlaft Ihr mit allen von ihnen oder ist eine davon Eure derzeitige Favoritin?“

Bevor Langton protestieren konnte, hatte der König seine Stirn nachdenklich in Falten gelegt und fragte nach: „Glanvil, sagtet Ihr? Ist sie dann nicht die Cousine von Hubert Walter?“

„Ganz genau.“

Der König stand auf und machte ein paar Schritte auf die Damen zu: „Kommt näher, Lady Leslie.“

Sie tat wie ihr geheißen und sank vor den Füßen des Königs in einen tiefen Knicks.

„Steht auf, Mylady, und seht mich an.“

Auch diesem Befehl gehorchte sie, obwohl ihr Herz sich wie rasend gebärdete und bis zum Hals klopfte.

„Eine wilde Schönheit aus dem Norden Unseres Landes. Ihr seid wie Yorkshire selbst: Dunkel, aber trotzdem schön. Rau und sanft zugleich. Ein ungeschliffener Diamant. Wie lange weilt Ihr schon in London und wälzt Euch im Bett mit Langton?“

„Sire… ich“, sie geriet ins Stottern und wusste keine passende Antwort.

Sie wurde aus der Peinlichkeit der Situation von der wohlklingenden Altstimme einer Dame erlöst, die plötzlich an der Seite des Königs erschien: „John, lasst die junge Lady in Frieden. Ich denke nicht, dass es sich geziemt, eine ehrbare Jungfer wie Lady Leslie derart auszufragen.“

„Mutter, verzeiht. Ich war in Geburtstagslaune und habe nur ein wenig Spaß gemacht.“

„Eure Späße kenne ich, mein Sohn.“

Sie wandte sich nunmehr gütig an Leslie of Glanvil: „Ich freue mich, Euch zu sehen. Ihr seid gut untergebracht in Lambeth, so hoffe ich?“

„Oh ja… danke… Euer… Euer Majestät“, Leslies Stimme klang noch immer unsicher und zittrig, denn Königin Eleanor war fast eine legendäre Figur für sie und ihr nun wahrhaftig gegenüber zu stehen und mit ihr sprechen zu dürfen, überforderte das sonst so forsche Persönchen ein klein wenig.

Doch King John musste das letzte Wort haben, er liebte das: „Mutter, Ihr verzärtelt mal wieder die jungen Damen. Lady Leslie wird an Unserem Hofe einiges zu lernen haben, schätze ich.“

Königin Eleanor wusste, dass sie nicht ständig auf Schutzbefohlene wie diese Dame aus York aufpassen konnte. London war ein sündiges Pflaster und der Hof des Königs sowieso. Es war bedauerlicherweise nur eine Frage der Zeit, bis man der unerfahrenen Lady ihre Unschuld rauben und sie dann mit einem älteren Landadeligen verheiraten würde, mit dem und dessen Nachkommenschaft sie dann irgendwo abseits auf einer alten zugigen Burg den Rest ihres Lebens würde verbringen müssen. Es war eigentlich immer das Gleiche. Sie kamen jung, hoffnungsfroh und unschuldig hierher und endeten in Trübsal - wahrlich ein Jammer. Sie seufzte und blickte ihren Sohn scharf an. Ja, er hatte Recht. Lady Leslie würde einiges zu lernen haben und sie konnte sie vor diesem Schicksal nicht bewahren. Sie konnte es zwar versuchen, aber das Gelingen dieses guten Vorsatzes war eher unwahrscheinlich. So blieb zu hoffen, dass die junge Lady genügend Verstand hatte, um sich selbst helfen zu können.

Verstand hatte sie fürwahr, aber eben nicht genügend Erfahrung, um bei Hofe rasch, schlagfertig und geistesgegenwärtig zu reagieren. Was noch in Nottingham den Sheriff beeindruckt hatte, zeigte hier schon keine Wirkung mehr. Diese Mankos wurden Leslie of Glanvil dann auch fast zum Verhängnis. Im neuen Jahr, als King John den Dreikönigstag feiern ließ, tappte sie ihm gehörig in die Falle.

„Ah, Mylady, habt Ihr Euch mal wieder getraut in den Tower zu kommen? Man sieht Euch so selten hier, wie schade.“

„Ich wollte Euer Majestät zum heutigen hohen Festtag nicht im Stich lassen.“

Er lachte schallend, was sie zusammenzucken ließ, da es in den kahlen und kalten Fluren des Palastes laut widerhallte: „Wie reizend von Euch! Ihr wolltet mich nicht im Stich lassen, hahaha!“

Sie raffte hastig ihre Röcke und wollte am König vorbei eilen, doch dieser hielt sie hart und unnachgiebig am Ellbogen fest: „Wenn Ihr nicht das Liebchen von Stephen Langton seid, noch nicht, wohlgemerkt, warum dann nicht nach Höherem streben?“

„Nach Höherem, Sire? Wie… was meint Ihr damit?“

Er lachte abermals laut auf und gluckste seine Antwort zwischen den Lachern heraus: „Ihr seid sehr süß in Eurer Unschuld und Naivität, Mylady. Und es reizt mich verdammt nochmal sehr, sie Euch zu nehmen! Ihr seid ein Weib wie jedes andere auch; und auch wenn Euer Cousin einen Heiligenschein trug, Euch steht er nicht zu Gesicht. Euch mit einem königlichen Bastard zu erfreuen, würde mich vielleicht sogar für einen halben Tag lang sentimental stimmen.“

Leslie of Glanvil erschrak ob der groben Worte, die der König gebrauchte. Ihre Vorstellung, dass man sich bei Hofe sehr gewählt ausdrücken würde, hatte sie sehr schnell begraben müssen. Dort wurde nämlich eine noch unflätigere Sprache geführt als in mancher verkommenen Provinz.

Nicht wissend wie sie sich dem König am besten und effektivsten verweigern konnte, zwang sie sich zu einem unverbindlichen Lächeln und entgegnete leichthin und unbedacht: „Nun, mein Verlobter würde Euch das doch sehr für übel nehmen, Sire.“

Der König ließ sie ebenso abrupt los wie er sie gepackt hatte und stieß enttäuscht hervor: „Ihr seid verlobt? Das habt Ihr ja noch gar nicht erwähnt. Es macht mich daher argwöhnisch, also muss ich Euch fragen mit wem ihr Euch zu vermählen gedenkt? Sprecht, Mylady, und rasch, wenn Ihr meine Geduld nicht über Gebühr strapazieren wollt.“

„Mit…“, sie überlegte fieberhaft und wie ein Geistesblitz kam ihr der Gedanke, „mit dem Sheriff of Nottingham, Sire.“

Ein Schwerthieb hätte nicht effektiver sein können. King John war dermaßen perplex, dass er für etliche Sekunden nicht einmal zu einer Entgegnung fähig war. 

Dann erklang sein Gelächter so dröhnend, dass es kaum zu ertragen war ohne sich die Ohren zuzuhalten: „Hahahaha! Das ist einfach zu köstlich! Die schwarzhaarige Schönheit aus York und der vertrottelte Philip Marc de Touraine. Das kann nicht Euer Ernst sein, Mylady. Ihr wollt mich auf den Arm nehmen, treibt Scherz mit mir, als Vergeltung für meine Anzüglichkeiten, nicht wahr?“

Doch nun war ihr Kampfgeist geweckt, sie wollte keinen Zoll nachgeben und reckte trotzig ihr Kinn vor: „Das ist mein voller Ernst, Euer Majestät. Ich werde ihn auf meiner Rückreise in Nottingham zum Gatten nehmen.“

„Er besitzt nichts außer den Kleidern, die er am Leib trägt. Das hat er Euch sicher nicht gesagt, als er um Euch geworben hat, also wisst es jetzt.“

Ihr Mut stieg weiter, angefacht durch seine Zweifel, und sie erwiderte kampflustig: „Das wusste ich bereits. Und er besitzt deswegen nichts, weil Ihr, Sire, alle Ländereien in Frankreich verloren habt. Sein Erbe befand sich darunter - King John Lackland!“

Der König raste vor Zorn: „Weib! Ihr vergesst Euch! Ich könnte Euch für diese unverschämten Äußerungen einsperren lassen. Hier gibt es einige nette Gemächer, deren Mauern, sehr, sehr dick sind, meine Liebe. Da aber vermutlich meine gutherzige Frau Mutter angelegentlich nach Euch fragen würde, wäre dies keine gute Idee. Ich zeige mich daher milde und schlage Euch Folgendes vor: Warum lasst Ihr den lieben Sheriff nicht hierher nach London kommen? Ich richte Euch und ihm eine ordentliche Verlobungsfeier aus, da ich annehmen muss, dass er Euch keine große Feier hat bieten können. Lasst nach ihm schicken. Warum sollte ich meine treuen Diener in der Provinz nicht belohnen und einem High Sheriff nicht eine seines Amtes würdige Verlobung als Zeichen meiner Dankbarkeit ausrichten? Ja, das ist in der Tat eine ganz wundervolle Idee. Schreibt ihm nur gleich heute noch, Mylady. Wir erwarten ihn dann in absehbarer Zeit hier im Tower zu London. Und nun entschuldigt mich, ich habe so nebenbei auch noch ein Land zu regieren.“

Nachdem er ihrem Blick entschwunden war, brach sie fast in die Knie aus purer Verzweiflung. Oh Himmel, was hatte sie da nur angerichtet! Sie hatte sich um Kopf und Kragen geredet, nur um diesen Affen von einem König irgendwie auf Distanz zu halten. Doch er war so verschlagen und so listig wie eine Schlange, er verstand es wunderbar, alles zu seinen Gunsten auszulegen und jedem in seinem Dunstkreis den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Was war zu tun? Was sollte sie Philip Marc schreiben? Sie musste schreiben, denn der König würde nachhaken und dann sicherlich selbst ein Schreiben in Auftrag geben. Dem musste sie zuvorkommen und zwar möglichst schnell.

Kapitel neun by doris anglophil
Author's Notes:

 

Ein Seneschall ist ein sehr ranghoher Beamter, der in der Verwaltung des Königreichs tätig war. Hier trifft das auf William Marshal zu, der dieses ehrenvolle und hohe Amt bekleidete.
 

 

Mylord Sheriff! Ihr findet mich in einer etwas prekären Situation, denn ich habe meine Zunge schneller sein lassen als meinen Verstand und King John – Ihr wisst, wie er sein kann – hat die Dinge falsch ausgelegt und verlangt nun nach Eurer Anwesenheit hier in London. Er ist in der Annahme, dass ich mit Euch… dass wir beide… kurzum, er denkt, Ihr wärt mein Verlobter. Nun besteht er darauf, uns eine Feierlichkeit zu widmen, ich glaube, er tut dies nur aus Neugier und um bestätigt zu sehen, dass ich mit meiner vorlauten Äußerung nicht gelogen habe.

Mylord, ich flehe Euch an, geht auf dieses Spielchen ein, ansonsten bin ich verloren!

Leslie of Glanvil

Diesen Brief faltete sie so klein wie möglich zusammen und nähte ihn in den Saum eines Samtetuis ein. Dorthinein kam ganz normal ein zweiter Brief, den sie in weiser Voraussicht mit folgendem Wortlaut verfasste:

Mein lieber Philip! Der gute und fürsorgliche King John bittet Euch zu sich an den Hof nach London, damit Ihr mir – Eurer Euch liebenden Verlobten – nahe sein könnt und möchte als Belohnung für die ihm geleistete Dienste in der Grafschaft Nottinghamshire eine angemessene Verlobungsfeier für uns ausrichten. Ich hoffe sehr, dass Euch Euer Amt abkömmlich werden lässt, harre hier Eurer Ankunft und sehe dieser mit Ungeduld entgegen.

Stets die Eure,

Leslie

P.S. Die samtene Hülle des Briefes ist ebenso blau wie Eure Augen! Habe ich Euch jemals gesagt, wie unglaublich strahlend Eure Augen sind?

King John zog den Brief aus dem blauen Futteral und las ihn durch.

Ein höhnisches Grinsen zog über sein Gesicht, als er halblaut rezitierte: „Habe ich Euch jemals gesagt, wie unglaublich strahlend Eure Augen sind?"

Er steckte den Brief wieder zurück in seine Hülle und gackerte weiter amüsiert vor sich hin: „Ha! Wo gibt es denn sowas? Hat der verlotterte Kerl wirklich blaue Augen? Ist mir nie aufgefallen. Die Kleine scheint tatsächlich einen Narren an diesem Bauerntölpel gefressen zu haben. Weiß Gott, wie er das angestellt hat. Aber ich werde es herausfinden, sobald ich ihn hier unter meiner Fuchtel habe. Ich werde beide streng beobachten. Sollte sich auch nur einer von ihnen etwas zuschulden kommen lassen, wandern sie beide in den Kerker!“

Dann rief er nach seinem Seneschall: „Lasst den Brief zustellen, Marshal, er hat mein Wohlwollen.“

Mit kugelrunden Augen zog Philip Marc ein Schriftstück aus dem feinen, königsblauen Samt heraus, das ganz offensichtlich von der Handschrift einer Frau verfasst war.

Während er las, suchte er mit seiner freien Hand nach Halt an einem groben Balken. Was… was hatte das zu bedeuten? Habe ich Euch jemals gesagt, wie unglaublich strahlend Eure Augen sind? Hatte Leslie of Glanvil den Verstand verloren? Oder hatte sie jemand gezwungen, diesen blanken Wahnsinn zu Papier zu bringen? Bestimmt hatte sich wer einen Scherz erlaubt. Nie im Leben war der Brief wirklich von Lady Leslie. Und wenn doch? Er musste klar und strukturiert denken, doch er war dazu einfach nicht in der Lage. Wer konnte ihm helfen? Ihm fiel nur eine einzige Person ein, die er um Rat fragen konnte: Marian of Locksley!

Er musste völlig von Sinnen sein, in dieser eiskalten Winternacht in den Wald zu reiten und die Outlaws zu suchen! Aber er tat es; unter Sylvesters Hufen knackte ab und zu das Eis einer zugefrorenen Pfütze. Schnee lag keiner, es war ein eher trocken-kalter Winter und es hatte bisher nur wenige Flocken vom Himmel geschneit.

Er wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bevor er rüde von Robin Hoods Wachen gestoppt werden würde. Es gelang kaum einem Reisenden, sich unbehelligt von ihnen durch Sherwood Forest zu bewegen.

„Halt! Wer da?“

Er war nicht überrascht, die knapp gebellten Fragen aus der Dunkelheit zu hören.

„Philip Marc. Ich muss mit Lady Marian sprechen, dringend.“

„Das kann jeder behaupten, Mann. Habt Ihr etwas Besonderes auszurichten, etwas, das Lady Marian die Echtheit Eurer Person und Eure Loyalität beweist?“

„Nicht direkt. Aber wenn man ihr sagen würde, dass ich Nachricht aus London von Lady Leslie habe und zwar keine sonderliche gute, dann wäre es der Sache vielleicht förderlich.“

„Ihr rührt Euch nicht vom Fleck, verstanden?“

„Natürlich.“

Er brachte wohl nahezu eine halbe Stunde oder sogar länger frierend auf dem Pferderücken zu, immer mal wieder ein Stück hin und her reitend, damit der Gaul nicht kalt und lahm wurde. Die Wachen wussten damit umzugehen, sollte er sich jedoch weiter als ein paar Yards von ihnen wegbewegen, würden selbst in der Nacht ihre spitzen Pfeile ihr Ziel in seinem Rücken nicht verfehlen.

Endlich bekam er die erhoffte Mitteilung: „Ihr dürft uns nun folgen.“

Eskortiert von zwei Wachen kam er nach etlichen weiteren Minuten in Sichtweite einiger Feuerstellen, die ihm sogar aus der Ferne heimelig und wärmend vorkamen.   

„Steigt ab.“

Er ließ sich vom Pferd gleiten, das ihm sofort abgenommen wurde, und so stapfte er zu Fuß weiter in Richtung des Lagers.

Als ihm plötzlich die Klinge eines Dolches an den Hals gehalten wurde, schluckte er nervös und rührte sich kein Zoll mehr.

„Sheriff! Ihr werdet doch nicht etwa bekehrt sein und zu uns stoßen wollen?“
Robins Stimme.

„Nein, ja… ähm, nicht ganz.“

„Habt Ihr Fortschritte beim Führen eines Schwertes gemacht?“

„Ja. Ich… ich habe sehr viel geübt. Und ausdauernd.“

„Bestens. Gegebenenfalls wird Euch das irgendwann einmal den Hals retten. Was wollt Ihr von Marian? Sprecht, Mylord.“

„Ich… ich muss sie um Rat in einer privaten Angelegenheit fragen.“

Robin lachte trocken und drückte die kalte Klinge fester an seinen Hals: „Ihr habt Nerven. Oder Ihr seid von Sinnen.“

„Bitte… es geht nicht unbedingt um mich. Eher um Lady Leslie… in London.“

Der harte Stahl an seiner Haut wurde weggezogen und Robin gab ihn frei.

Marian empfing ihn mit aufgelöstem Haar und im Morgenrock, ganz als wäre sie noch in einem großen Anwesen wohnhaft, obgleich sie in einer Behausung lebte, die halb unter der Erde zu liegen schien. Wahrscheinlich wollte sie ihm zeigen, dass man auch hier draußen im Wald, als Outlaw, seine Annehmlichkeiten hatte.

„Was bringt Ihr mir von Leslie of Glanvil, Mylord?“

„Etwas, woraus ich nicht recht schlau werde und ich muss offen gestehen, dass ich dafür den Rat einer weiblichen Person benötige.“

„Gut, dann zeigt es mir.“

Sie lachte nicht, sie spottete nicht, sie las ruhig und konzentriert und reichte ihm am Ende den Bogen Papier ohne Worte zurück.

„Und?“

Er brannte auf eine Antwort, auf des Rätsels Lösung.

„Ihr werdet zu ihr fahren, nicht wahr?“

„Das… das kommt auf Eure Einschätzung an, Lady Marian.“

„Habt Ihr in der Tat blaue Augen?“

„Ja… was tut das zur Sache? Ich verstehe nicht…“

„Mir ist das nie aufgefallen. Aber wenn es ihr aufgefallen ist und sie den Brief in eine Hülle aus Samt in der Farbe Eurer Augen gegeben hat, dann liegt meiner Meinung nach darin die tiefere Bedeutung.“

„Worin? In meinen Augen? In der Samthülle?“

Zu seiner Überraschung legte Marian eine Hand auf seinen Unterarm, als sie antwortete: „Vermutlich in beidem. Und ich denke, sie bewegt sich auf gefährlichem Terrain in London. Ihr solltet so oder so hinfahren.“

„Natürlich. Aber ich werde aus dem Brief nicht schlau. Weswegen redet sie mich so vertraulich an und behauptet, wir wären verlobt? Marian…“, seine Stimme bekam einen flehenden Klang.

„Das Futteral und Eure Augen… Eure Augen und das Futteral… hmh, habt Ihr Euch die samtene Umhüllung des Briefes einmal näher angeschaut? Vielleicht im Gegenlicht des Feuers?“

Skeptisch nahm er das Samtsäckchen an sich und hielt es der Feuerstelle entgegen.

Doch das Feuer war bereits sehr weit herunter gebrannt und gab das Geheimnis der Samthülle nicht preis. Philip Marc war der Verzweiflung nahe.

„Gebt nicht so schnell auf, Mylord Sheriff.“

„Philip“, murmelte er undeutlich, „ich heiße Philip.“

„Ja, ich weiß. Philip also.“

Er wagte es in der langsam entstehenden neuen Vertraulichkeit, ihr eine weitere Frage zu stellen: „Meint Ihr, dass sie und ich… dass es möglich sein könnte… ich wage es nicht zu hoffen, nicht einmal zu denken und doch…“

Marian musste nun doch leicht schmunzeln; also hatte er sich tatsächlich in die schöne Lady aus dem Norden verliebt. So etwas Ähnliches hatte sie sich bereits gedacht. Er würde deutlich anders zu Werke gehen müssen, als die plumpen Versuche der Annäherung und Werbung erneut anzubringen, mit denen er sich bei ihr hatte anbiedern wollen.

„Ich denke, dass grundsätzlich nichts unmöglich ist, Myl… Philip. Doch wenn Ihr wirklich um sie werben wollt, dann müsst Ihr selbst dazu in der Lage sein, das Rätsel um das blaue Etui zu lösen. Es wird sich Euch in dem Augenblick offenbaren, in welchem Ihr bereit seid Euer gesamtes Verhalten umzustellen.“

Er nickte langsam: „Ich verstehe. Und ich danke Euch, Marian. Ihr… Ihr seid sehr warmherzig und klug. Au revoir.“

Er ritt zurück nach Nottingham und kam dort an, als gerade die fahle, morgendliche Wintersonne am Horizont erschien. Eldon war sofort zur Stelle und nahm ihm Sylvester ab, daher befahl Philip Marc ihm auch gleich, dass gepackt werden sollte.

Der Samt in seiner Manteltasche fühlte sich weich, warm und anschmiegsam an und doch war da eine Stelle… er zerrte in plötzlicher Erkenntnis das Futteral hervor und knetete es Zoll für Zoll gewissenhaft durch. Da! Da war es, eine knisternde, festere Stelle im Saum. Er zog seinen Hirschfänger aus dem Halfter und öffnete mit Bedacht die Naht an besagter Stelle. Trotz seiner Ungeduld ging er sehr vorsichtig zu Werke und förderte schließlich mit triumphierender Miene einen vielfach gefalteten Zettel hervor.

Mit zittrigen Fingern entfaltete er das Blatt und las die Nachricht mit angehaltenem Atem.

Dann erscholl sein Ruf durch halb Nottingham: „Eldon! Ich reise noch heute ab, beeil‘ dich also mit der Packerei!“

Kapitel zehn by doris anglophil
Author's Notes:

 

Historisch wird hier nun ein weniger näher auf London als damals noch recht junge Hauptstadt eingegangen. William I (der Eroberer) hat die Hauptresidenz von Winchester nach London verlegen lassen und dort drei Festungen entlang der Themse errichten lassen, von denen heute nur der Tower erhalten ist. In diesem Kapitel werden aber auch die beiden anderen Forts erwähnt.
Außerdem baute man damals die London Bridge aus Stein, sie war die einzige Brücke über den Fluss. Vorher bestand sie aus Holz, dieser Umstand führte allerdings dazu, dass die Brückenkonstruktion mehrere Male in Flammen aufging, weswegen man sich entschloss, eine dauerhafte Lösung aus Stein zu errichten.
Ansonsten wird London so anschaulich wie möglich geschildert, die Stadt war zu der Zeit noch recht überschaubar. William Marshal weist auch darauf hin, dass die königlichen Residenzen künftighin auch Teile um die Westminster Hall (und die Kirche St. Margaret) ausgedehnt würden, was dann ja auch alsbald als Palast von Westminster zu einem wichtigen Königspalast wurde.

 

Während seiner gesamten Reise nach London war er von einer inneren Unruhe geplagt, die ihn kaum und wenn dann nur aus völliger Erschöpfung schlafen ließ. King John war nicht über den Weg zu trauen und er hatte Sorge, dass er die Lüge Leslie of Glanvils bereits enttarnt und sie damit erpresst hatte, ihm zu Willen zu sein.

Stöhnend fuhr er sich bei diesem Gedanken durch seine dunkelbraunen Haare, die er in letzter Zeit tatsächlich etwas besser gepflegt hatte und die deswegen nicht mehr ganz so zottelig und verfilzt waren. Dann trieb er den armen Sylvester zu einem weiteren scharfen Galopp an, bis das Pferd fast unter ihm zusammenbrach.

Gerne gestand er es sich nicht ein, aber er merkte, wie er sich mehr und mehr in Leslie of Glanvil verliebte. Es war ihm nicht recht, ihm waren solche Gefühle suspekt, er kannte sich selbst kaum wieder. Bisher hatten Frauen ihn nur als Bettgenossin interessiert oder – wie Marian – um seine eigene Person in ein vorteilhafteres Licht rücken zu können. Und er erkannte, dass dies der falsche Ansatz gewesen war. Er hatte Marian nie geliebt, sie war nur eben als die einzige passable Frau in seiner näheren Umgebung als Ehefrau in Frage gekommen. Letztendlich war sie mit diesem Robin Longstride einfach besser dran, auch wenn sie nun mit ihm in einem Erdloch hauste. Ironie des Schicksals.

Und so konnte Philip Marc es nicht erwarten, endlich in London anzukommen. Seine Sorge um die junge Lady und seine Sehnsucht danach, sie endlich wiederzusehen, ließen ihn während des Rittes länger im Sattel bleiben, als es ihm und dem Pferd eigentlich zuträglich war. Aber sie waren beide zäh und tapfer und hielten die Strapazen durch.

Als er das sumpfige, von Bächen und Bachläufen durchzogene Gebiet nördlich der Stadt erreicht hatte und von einem Hügel dort das blass-silberne Band der Themse erblickte, das sich mit dem winterlich blau-schimmernden Horizont fast zu einer einzigen, kaum zu definierenden Einheit verbunden hatte, atmete er erleichtert durch.

Am Fluss ging es überaus geschäftig her, er war die Lebensader der neuen Hauptstadt, die ja erst seit etwa einem halben Jahrhundert diese Funktion innehatte. William der Eroberer hatte verfügt, dass London anstelle von Winchester die Landeshauptstadt sein sollte und hatte drei Festungen entlang der Themse errichten lassen: Den White Tower, Baynard Castle und Montfitchet Tower.

Nachdem lange Zeit eine Holzbrücke die Themse überspannt hatte, war man nun dabei eine Brücke aus Stein zu errichten und dementsprechend laut und rege ging es rund um die Baustelle zu. Steinmetze, Maurer, Fährmänner, dazu das übliche Drumherum an Marktleuten, Fischern, Badern und auch Dirnen. Es war eine schier unglaubliche Ansammlung von Menschen, Tieren, Gegenständen und Gerüchen wie sie Philip Marc noch niemals zuvor gesehen oder wahrgenommen hatte. Ein Tollhaus, fürwahr.

Es war schon spät und wurde langsam dunkel, von daher entschloss er sich eine Herberge aufzusuchen und nicht direkt zum Tower weiterzureiten. Er tat es nicht gern, aber er musste seinen ohnehin sehr mageren Beutel öffnen und ein paar Münzen daraus für eine Unterkunft ausgeben.

Das Bett war eine einzige Katastrophe und er machte in der Nacht erneut kein Auge zu, weil ihn das Ungeziefer piesackte.

Ärgerlich warf er dem Wirt das geforderte Geld auf den Tisch und verließ die liederliche Bleibe bereits sehr früh am nächsten Morgen.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als nochmals einige Münzen für ein Bad springen zu lassen, denn in diesem Zustand konnte er keinesfalls im Palast erscheinen. Er war von der Reise verschmutzt und verschwitzt und wahrscheinlich saßen ihm einige Flöhe irgendwo, die nur durch eine heiße Seifenlauge von ihm ablassen würden.

In der Nähe von Baynard Castle fand er schließlich eine entsprechende Badestube.

„Wünscht Ihr zusätzlich eine Magd, die Euch behilflich ist, Mylord?“

Er verstand nicht sofort, was der Betreiber des Badehauses damit meinte, da dieser aber einen lauernden Unterton in seine Frage gelegt und überdies mit einem Auge gezwinkert hatte, war Philip Marc recht schnell klar, was der geschäftstüchtige Mann im Schilde führte. Nein, dafür wollte er kein Geld ausgeben, nicht hier und heute und nicht mit einer Dirne, von der er nicht wusste, ob sie ihm das gerade abgewaschene Ungeziefer nicht direkt wieder aufhalsen würde.

„Nur ein Bad, Mann“, verlangte er daher barsch.

„Sehr wohl, Mylord. Bitte folgt mir.“

Das Wasser war beinahe kalt und von zweifelhafter Eintrübung gewesen, dennoch fühlte er sich nach dem Bad deutlich besser und setzte seinen Weg zum Tower fort. Er war zugegebenermaßen nervös und diese Nervosität stieg je näher er dem Palast kam.

Eine Wache hielt ihn auf: „Was ist Euer Begehr?“

„Philip Marc de Touraine, High Sheriff of Nottingham, für Seine Majestät, King John. Ich wurde durch meine Verlobte, Lady Leslie of Glanvil im Namen des Königs hierher beordert.”

Das Tor öffnete sich sofort und ohne die Notwendigkeit weiterer Worte. So trat  er mit dem Pferd am Führzügel in den ersten Innenhof ein. Da er schon einmal hier gewesen war, war ihm der Weg in den Palast soweit geläufig.

Er ließ Sylvester in der Obhut eines Pferdeknechts, die zu mehreren im Hof mit Ankunft und Abreise von Gästen und Höflingen beschäftigt waren, und ging zu Fuß weiter. So trat er durch einen weiteren Torbogen, wandte sich dann an einen Treppenaufgang, erklomm die Stufen und fand sich in einem zugigen Korridor wieder. Das schien nicht der richtige Weg gewesen zu sein, also kehrte er um - das Ganze retour. Im Hof bemerkte er seinen Irrtum und setzte dann zielstrebig seinen Weg nach innen auf der anderen Seite der Festung fort. Endlich gelangte er zur Empfangshalle, in der sich mehrere Dutzend Personen aufhielten. Meine Güte, dieses London schien der Nabel der Welt zu sein und der Hof King Johns eine einzige Ansammlung von Günstlingen und Speichelleckern. Er kam sich schrecklich fehl am Platz vor.

Als er das letzte Mal im Tower gewesen war, war ihm alles weniger überlaufen, nicht so überstrapaziert und weniger überzogen vorgekommen. Es war damals weitaus ruhiger zugegangen und er hatte - im Nachhinein betrachtet - seine kurzen Gespräche in seiner Muttersprache mit der Königin und der Mutter des Königs sehr genossen.

Endlich bekam er William Marshal zu fassen, der an ihm vorbeirannte, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her: „Mylord, Mylord, so wartet, bitte!“

Der Vertraute des Königs drehte sich auf dem Absatz um und schaute zu demjenigen, der ihn aufgehalten hatte: „Sir, ich habe wahrlich keine Zeit… oh mein Gott, Ihr seid es, Sheriff. Wie konnte ich Euch übersehen, Sir, bei Eurer Statur. Ihr müsst wahrlich nach London geflogen sein, wir haben Euch erst in ein paar Tagen erwartet.“

„So ähnlich verhält es sich auch, Mylord. Wo ist Lady Leslie? Und wird man mich zum König bringen?“

„Natürlich. Alles zu gegebener Zeit. Seine Majestät wird sich trotz immens wichtiger Staatsgeschäfte bestimmt ein wenig Zeit für Euch und… und Eure Verlobte nehmen. Lady Leslie ist jedoch im erzbischöflichen Palast von Lambeth untergebracht. Sie gehört nicht direkt zur Hofgesellschaft, sie ist nur zu Gast hier. Im White Tower ist für Gäste einfach zu wenig Platz. Ich glaube, King John muss das Gebäude erweitern lassen oder sich überlegen, einen weiteren, geräumigeren Palast, am besten rund um die Westminster Hall, in Auftrag zu geben. Wenn Ihr mich nun entschuldigen wollt, Mylord Sheriff.“

Damit befand sich Philip Marc als abgefertigt ohne etwas Vernünftiges erreicht zu haben. Sein Zorn kochte hoch. Wofür hatte er sich auf dem Pferderücken während des Rittes hierher überhaupt abgehetzt? Natürlich war er nur ein Beamter aus der Provinz, kein Höfling, und schon gar nicht ein Günstling des Königs, aber ein etwas zuvorkommenderer Empfang wäre durchaus wünschenswert gewesen. Halblaut vor sich hin grummelnd verließ er die Innenräume und verlangte vor den Marställen barsch nach Sylvester.

Mit ordentlich Wut im Bauch sprengte er aus dem Tower hinaus, er ließ das Pferd sofort angaloppieren und scherte sich nicht drum, dass unterwegs zwei Mägde sich erst in letzter Sekunde vor dem pfeilschnellen Ross in Sicherheit bringen konnten und dabei zwei Wasserkrüge aus Ton zu Bruch gingen. Wohin nun? Zurück in den schäbigen Gasthof und dort weiteres Geld für eine verlauste Unterkunft ausgeben? Auf keinen Fall. Es blieb also nur der Weg nach Lambeth. Hoffentlich würde er dort mehr Glück haben.

Kapitel elf by doris anglophil
Author's Notes:

 

Es knistert und dennoch... alles in allem eine Achterbahn der Unsicherheiten.
Es gibt einen Grundriss von Lambeth Palace bzw. dem Areal, nach dem ich hier vorgegangen bin (es ist nicht einfach, sich auf der alten Karte zurechtzufinden) und ich habe zwei Bilder (im Forum) dazu gelegt, auch wenn diese natürlich nicht das korrekt Bild des MAs vom Lambeth Palace zu Zeiten King John's wiedergeben

 

Er hatte sich durchfragen müssen und war dann mit ungutem Gefühl und einem sehr unruhigen Sylvester auf der Fähre themseaufwärts gefahren. Es hatte ihn große Mühe gekostet, das Pferd ruhig zu halten, sonst wäre das Fährboot sicher gekentert und alles wäre in einer Katastrophe geendet. Deswegen atmete er erleichtert auf, als sie das Südufer erreicht hatten und er sein Reittier wieder auf festen Boden führen konnte. Sylvester schien schon für die Binnenschifffahrt nicht gemacht und es wäre klug, dies nicht auch noch auf offener See ausprobieren zu wollen. Eine Überfahrt nach Frankreich hätten sie wahrscheinlich beide nicht lebend überstanden.

Zum Glück war nun der Palast zum Greifen nah, er lag sehr dicht am Ufer und Philip Marc saß nicht mehr auf Sylvester auf, sondern führte ihn auf dem kurzen Weg dorthin. Sein Bad schien ihm völlig umsonst gewesen zu sein, denn die Warterei im überheizten Saal des Towers, der scharfe Ritt entlang des Themseufers und dann das angstvolle Ausharren, gepaart mit dem Halten des schwierigen Pferdes auf der Fähre hatten ihn erneut ins Schwitzen geraten lassen. Er fühlte sich selbst nicht wohl in seiner Haut, aber was half’s?

Der Palast vom Lambeth war zwar die Residenz des Erzbischofs von Canterbury in London, aber bei weitem kein Kloster. Deswegen erwartete ihn auch kein Mönch am Portal, sondern ein weltlicher Wachposten.

„Ich… ich bin der Verlobte von Lady Leslie of Glanvil, Philip Marc de Touraine, derzeit High Sheriff of Nottingham. Ich glaube, sie erwartet meine Ankunft. Kann… kann ich die Lady sehen?“

„Natürlich, Mylord.“

Er hatte nicht damit gerechnet, ohne größere Befragung so einfach durchgelassen zu werden, aber es verhielt sich tatsächlich so. Deswegen nickte er einfach unverbindlich und versuchte sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen, als er passierte.

Die Nervosität überfiel ihn erneut in einer riesigen Welle, seine Zunge klebte ihm am Gaumen – er hatte überdies großen Durst – und es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.

Rechts des Tores befand sich der Wirtschaftstrakt, also wandte er sich zunächst dorthin, um Sylvester abermals in Obhut zu geben. Dann querte er den Hof mit großen, weit ausholenden Schritten und betrat durch ein weiteres Tor die innere Palastanlage. Lambeth Palace war nicht sehr weitläufig und von daher konnte man sich rasch zurechtfinden.

Er hörte das Lachen einiger Frauen und blieb an einem Fenster stehen, welches ihm Ausblick auf den Garten der Residenz bot. Fast stockte ihm der Atem, als er Leslie of Glanvil ohne nennenswerte Schwierigkeiten sofort unter den Damen, die dort unten spazieren gingen, ausmachen konnte. Auch hier drehte er – wie schon im Tower – wieder um und nahm den Weg zurück in den Hof. 

In Eile bog er um die Ecke des Gebäudes in Richtung der Gärten und stieß prompt mit einer Dame zusammen, die erschrocken aufschrie: „Oh guter Gott! Ein zotteliger Riese!“

Bevor er sich eine Entschuldigung zurechtlegen konnte, hörte er Leslies Stimme: „Oh guter Gott, ja. Es ist… es ist mein Verlobter, in der Tat!“

Wie sollte er sich verhalten? Er war noch nie verlobt gewesen, weder zum Schein, noch wirklich und schon gar nicht mit einer Dame von Stand. Was musste er also tun?

Leslie of Glanvil schien dies ebenso wenig zu wissen, weswegen sie sich verlegen und unbeholfen gegenüberstanden, während alle anderen Damen ringsum das Paar erwartungsvoll anstarrten.

Endlich ergriff eine von ihnen das Wort: „Die Wiedersehensfreude hat ihnen beiden anscheinend die Sprache verschlagen. Mylord, es wäre daher nur recht und billig, wenn Ihr Euch uns vorstellen würdet.“

Damit kam etwas Leben in Philip Marc und er erwiderte: „Gewiss doch. Lady Leslie sagte es bereits, ich bin mit ihr… verlobt und mein Name ist Philip Marc de Touraine. Es… es tut mir leid in diesen Spaziergang der Ladies geplatzt zu sein.“

Die Damen kicherten kurz und dann folgte die nächste Frage: „Und Ihr kommt woher, Sir?“

„Aus Nottingham, Mylady, ich bekleide dort das Amt des Sheriffs der Grafschaft.“

„Wie lange seid Ihr bereits mit Lady Leslie verlobt?“

Er fing bei dieser Frage abermals an, ganz unfein zu schwitzen und warf einen hilflosen Blick zu Leslie of Glanvil hinüber. Wenn er nun etwas Falsches antworten würde, würden die Damen die Verlobung sofort als Lüge erkennen und die Farce aufdecken.

„N... noch nicht sehr lange.“

„Ah, das erklärt, weswegen Ihr Eure Verlobte recht distanziert begrüßt habt. Wir dachten uns schon, dass die Verlobung erst kurz vor der Abreise von Lady Leslie erfolgt sein muss und Ihr kaum Gelegenheit hattet, sie näher kennenzulernen.“

Ihm fiel eine Last vom Herzen, die ausweichende Antwort schien die richtige Lösung gewesen zu sein.

Also nickte er erleichtert und bekräftigte mit seiner klaren Bassstimme: „So ist es.“

„Dann wäre es nun an der Zeit, Mylord, Eure Verlobte ihrem Stand entsprechend zu begrüßen.“

Er lief rot an und schaute verlegen zu Boden. Es war sicher nicht angebracht, das kleine schwarzhaarige Persönchen fest an sich zu drücken und sie zu küssen, denn das verstanden die Damen gewiss nicht unter einer angemessenen Begrüßung von Verlobten. Warum kam Lady Leslie ihm jedoch nicht zur Hilfe? Oder fand sie womöglich selbst Vergnügen daran, ihn hier recht zum Narren zu machen? Er schielte kurz zu ihr hin. Nein, sie machte nicht den Eindruck, als wäre ihr daran gelegen ihn zu foppen. Sie schien überaus verlegen und kaum der Worte fähig, ebenso wie er.

Tapfer schritt er daher auf sie zu, deutete eine sehr ungelenke Verbeugung an und versuchte sich in etwas, was er für das Richtige hielt: „Myl… meine Teuerste, wie bin ich froh, dass die Reise ein Ende hat und ich zu Euch gestoßen… ähm, bei Euch angekommen bin.“

Er suchte krampfhaft nach Worten – vergeblich,  denn er verstummte nach diesem einen Satz. Entnervt schloss er die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel.

„Lady Leslie, Euer Verlobter sieht erschöpft aus. Vielleicht dürstet und hungert ihm, wir sollten ihm etwas anbieten, meint Ihr nicht?“

„Ja, das denke ich auch. Wollen wir hineingehen?“

„Mylord, wenn Ihr uns bitte folgen wollt. Mein Name ist Suzanne Penman, dies ist Lady Emma of Montfort und dies Lady Angèle de Souffriac.“

Alle Damen hatten ein paar Sätze gesprochen, nur nicht Leslie of Glanvil. Was war mit ihr los? Warum blieb sie stumm wie ein Fisch? Außer einem Satz ziemlich zu Anfang hatte sie keinen einzigen Ton gesagt. Philip Marc beschlich ein sehr beklemmendes Gefühl.

Im Treppenhaus gelang es ihm ihr zuzuraunen: „Wenn Ihr nicht bald den Mund aufmacht, wird alles auffliegen, Mylady. Ich bin gekommen, um Euch den Hals zu retten und Ihr…“, er konnte nicht weiterflüstern, da eine der anderen Damen sich umdrehte und ihnen einen prüfenden Blick zuwarf.

„Wenn es nicht unziemlich wäre, würden wir euch ein wenig allein lassen, aber ich denke, seine Eminenz der Erzbischof würde das unter seinem Dach nicht gutheißen. Ihr, Mylord Sheriff, scheint Lady Leslie nur in trauter Zweisamkeit zum Sprechen bringen zu können – oder zu sonstigen Reaktionen, wer weiß.“

Alle kicherten ein drittes Mal.

In einem Empfangszimmer standen Krüge mit Bier, Wein und gekeltertem Saft bereit, außerdem eine Schale mit Obst. Die Trauben darauf sahen aus, als wären sie saurer als Essig und obwohl Philip Marc vor Hunger fast umkam, wollte er sie lieber nicht probieren.

„Einen Becher Wein, Mylord? Bedient Euch am Obst, es wurde in den Gärten hier selbst gezogen, im späten Herbst geerntet und eingelagert.“

Er griff nach einem kleinen, sehr harten Apfel, biss hinein und verzog das Gesicht. Auch diese Frucht war sauer wie eingelegter Kohl. Die Trauben konnten demnach nicht viel schlimmer sein. Gab es denn hier nichts Anständiges zu beißen? Brot, Rüben, Fleisch? Oder wenigstens Fisch? Es war noch keine Fastenzeit, also gab es keinen triftigen Grund, um zu darben.

Den ihm dargebotenen Becher mit Wein trank er in einem Zug durstig aus. Wenigstens schmeckte der Rebensaft nicht gar so grauenvoll, er war durchaus genießbar.

 

Kapitel zwölf by doris anglophil
Author's Notes:

 

Nun noch ein paar Worte zu Stephen Langton, dem damaligen Erzbischof von Canterbury, dessen Amtsvorgänger ja Hubert Walter war, der echte Cousin unserer "erfundenen" Leslie of Glanvil. Langton war ein sehr gelehrter Mann, er hatte in Paris studiert und die Einteilung der lateinischen und griechischen Bibel in Kapitel wie wir sie heute noch kennen stammt von ihm.
Ich habe ihn hier aus dramaturgischen Gründen etwas anders dargestellt, denn in Wirklichkeit war er King John ja dermaßen verhasst (er war gegen dessen Willen vom Papst in dieses Amt erhoben worden), dass er über einen großen Zeitraum hinweg gar nicht in England lebte, sondern in der französischen Zisterzienser-Abtei Pontigny. Erst nachdem man John Lackland exkommuniziert hatte und diesem mit der Übernahme des Landes durch den fanzösischen König Philippe II drohte, durfte Stephen Langton endlich in seine Diözese zurückkehren. Der Konflikt zwischen King John und dem Erzbischof wird in dieser Story zwar thematisch angerissen, folgt aber historisch nicht ganz den Fakten. Dafür entschuldige mich, es diente jedoch der Handlung des Romans anderweitig ungemein.

 

Der Raum war angewärmt durch ein Kaminfeuer, deswegen warf er seinen Mantel mit dem dicken Pelzkragen von sich, ebenso wie die Damen ihre schweren Umhänge ablegten. Zu seiner großen Erleichterung öffnete sich einen kurzen Augenblick später die Tür und eine Dienstmagd trat mit einem Tablett in der Hand ein, worauf sich erkennbar Schinken, Käse und Brot befanden. Er atmete deutlich hörbar auf, was die Aufmerksamkeit der Damen auf sich zog.

„Mylord Sheriff, wann habt Ihr denn das letzte Mal eine Mahlzeit genossen?“

Eine für eine Frau recht große Dame mit rotblondem Haar, die sich ihm zuvor als Suzanne Penman vorgestellt hatte, stellte ihm diese Frage.

„Am gestrigen Abend, Mylady.“

„Ihr müsst fürwahr sehr hungrig sein, denn ein Mann Eurer Statur scheint mir ein hohes Bedürfnis an Nahrung zu haben.“

„Ich habe gelernt mich zu bescheiden, Mylady.“

„Wie überaus alltagstauglich. Lady Leslie wird einen Ehemann bekommen, der nicht beständig nach Wein und Essen verlangt und offensichtlich auch mit den Mitteln dafür zu haushalten weiß.“

Er wusste darauf abermals nichts zu erwidern und griff stattdessen nach der bereitgestellten Vesperplatte.

Nachdem die Damen einige Anstandshappen zu sich genommen hatten, zog sich plötzlich eine nach der anderen mit einer dürftigen Ausrede zurück, bis nur noch Suzanne Penman, Lady Leslie und Philip Marc im Raum waren.

Die rotblonde Dame zog sich diskret in eine Fensternische zurück, wo sie sogleich eine Handarbeit aufnahm.

Endlich konnte sich das Paar, das am Tisch zurückblieb, im Flüsterton unterhalten, worüber niemand mehr erleichtert war als der Sheriff selbst.

„Meine Güte, welch ein Tag!“

„Fragt mich nicht, Sir, wie ich in diese missliche Lage gekommen bin. Ich… ich habe Euch da nicht hineinziehen wollen, mir fiel nur in Gegenwart von King John nichts anderes ein, als ihm rasch einen Verlobten zu präsentieren.“

„Warum ich?“

Sie wurde tiefrot, ihre Antwort war ein einziges verlegenes Stottern: „Oh… das… das kam mir einfach so in den Sinn. Es… es hat wohl keine tiefere Bedeutung. Ihr wart der einzige Mann in passendem Alter, dem ich vor meiner Ankunft in London begegnet bin, deswegen sicherlich.“

„Mylady, wenn wir uns weiterhin benehmen wie zwei Volltrottel – verzeiht meine schonungslos offenen Worte - wird uns kein Mensch am Hof von King John Glauben schenken. Hier inmitten dieser noch recht jungen Ladies mag das vielleicht nicht sonderlich auffallen, aber im königlichen Palast wird das bestimmt anders aussehen.“

„Was schlagt Ihr vor?“

Jetzt war es an ihm rot zu werden bis fast an die Ohren, er war froh, dass man es bei der gerade einbrechenden Dämmerung nicht gut sehen konnte.

„Ich kann es Euch nicht genau sagen, Mylady, ich war noch nie verlobt.“

„Ich auch nicht“, kam es leise von ihr zurück, „auf alle Fälle danke ich Euch von ganzem Herzen, dass Ihr so schnell hierhergekommen seid.“

Und zur Bekräftigung ihres Dankes legte sie ihm eine Hand auf den Unterarm. Er nutzte die Gelegenheit und platzierte nach kurzem Zögern seine freie Hand darauf, so gaben sie ein Bild ab, das sie zum ersten Mal als verlobtes Paar erscheinen ließ. Dies wiederum ließ Suzanne Penman, die immer mal wieder zu den beiden hinschielte, zufrieden aufseufzen.

Philip Marc wurde sehr warm und sein Blut kam in Wallung. Natürlich war Lady Leslie eine vornehme Dame, jemand, um den ein Mann wohl lange werben musste und sich am besten noch in Dingen der Minne verstehen sollte, von daher war er der ungeeignetste Mensch auf Erden für sie. Dies schlussfolgernd zog er seine Hand wieder zurück und auch sie löste daraufhin die Geste der Vertraulichkeit auf.

Er musste sich klarmachen, dass es diese Verlobung in Wirklichkeit nicht gab, dass alles nur ein Konstrukt war, um Lady Leslie vor den Nachstellungen des Königs zu bewahren. Sie wirklich zu seiner Frau machen zu können, würde ein unerfüllter Traum für ihn bleiben.

„Ich werde mich um ein Nachtquartier bemühen müssen, es wird schon dunkel. Obwohl ich mich scheue, bei Dunkelheit mit dem Pferd nochmals den Fluss zu überqueren, es war bei Tag bereits ein Abenteuer für sich.“

„Mylord, ich lasse Euch hier ein Gemach richten.“

Er sah sie erstaunt an: „Das würde gehen? Was sagt der Erzbischof dazu?“

„Er ist ein sehr gastfreundlicher Mann und ich rufe nach Ada oder nach Aldred, die Euch alles zeigen werden.“

Nun lächelte er sogar: „Was denn? Ada und Aldred sind hier? Wie wundervoll für Euch, Myl… meine Liebe.“

Als er aufstand, erhob auch Leslie of Glanvil sich von ihrem Platz, ebenso wie Suzanne Penman am Fenster, von der er sich zuerst verabschiedete: „Mylady, ich hoffe wir sehen uns bald wieder. Gute Nacht.“

„Gute Nacht, Mylord Sheriff.“

Dann wandte er sich Lady Leslie zu, er verfiel wieder ins Flüstern: „Was nun?“

Sie zuckte kurz und fast unmerklich mit den Schultern, hielt ihm aber ihre feingliedrige Hand entgegen, die er so galant wie möglich aufnahm und für einen Moment fasziniert in seiner Pranke hielt.

Auf etwas Druck von ihr hob er die Hand an und neigte seine Stirn fast darauf: „Meine Teuerste, auch Euch wünsche ich eine geruhsame Nacht. So Gott will, werden wir morgen im Tower vorstellig, um uns dem König zu präsentieren.“

Er wollte bereits loslassen und gehen, da zischte sie ihm sehr leise aber dennoch energisch zu: „Ihr dürft meine Hand auch küssen, ich denke, das ist schicklich.“

Kaum hatte sie dies gesagt, da fingen seine Finger gehörig an zu zittern. Er hatte noch niemals – außer in seiner frühen Jugend – einer Dame die Hand geküsst, dafür hatte es nie Gelegenheit gegeben. Entweder er hatte sich ein Weib richtig hergenommen und geküsst oder eben dergleichen gar nicht getan. Sich um eine edle Dame zu bemühen hatte ihm niemand beigebracht.

Daher zog er überaus unsicher ihre Hand an seine Lippen und schmatzte sehr unfein seinen Kuss darauf. Er sah zwar den halb tadelnden, halb amüsierten Blick von Lady Leslie, war aber so gefangen von der gesamten Situation, dass es ihm in dem Augenblick egal war.

Mit Befangenheit nahm er seinen Mantel auf und schritt aus dem Raum, nicht ohne seiner Verlobten noch einen letzten, verunsicherten Blick zuzuwerfen, bis sich die Tür endgültig hinter ihm schloss.

Im Geiste malte Philip Marc sich in der Nacht alle möglichen Szenarien aus, was dazu führte, dass er eine weitere ziemlich schlaflose Nacht verbrachte. Sofern der Schlaf ihn mal kurz übermannte, träumte er all das Zeug, das vorher schon seine Fantasie angeregt hatte – nur wesentlich wirrer und völlig zusammenhangslos.

Er war nur froh, dass er ein ordentliches Gemach und ein recht annehmbares Bett zugewiesen bekommen hatte, auch wenn es in den Ecken des Raums deutlich sichtbar war, dass hier nicht allzu oft saubergemacht wurde. Der Staub lag dick auf einigen Holzbalken und an ein paar Stellen hingen Spinnweben von der hohen Decke herab. 

Außerdem war das Bett zwar recht sauber und bequem, aber ein gutes Stück zu kurz für ihn, weswegen er in einer leichten Diagonale drin liegen musste und seine Füße zur Seite herausschauten.

Ada und auch Aldred kurz wiedergesehen zu haben, war für ihn ein Lichtblick vorm Zubettgehen gewesen; die beiden waren sehr erstaunt über sein Auftauchen im Palast von Lambeth gewesen, hatten aber natürlich keine Fragen gestellt, das stand ihnen nicht zu.

Mit steifen Gliedern, völlig übermüdet und noch immer hungrig stand er im Morgengrauen auf, was recht spät war, da man den Monat Januar schrieb. Fluchend rieb er sich den verspannten Nacken und massierte seine kalten Füße. Wenn der Erzbischof ihm kein ordentliches Frühstück auftischen ließ, würde er den Hungertod in diesem gottverdammten London sterben.

Doch gerade als er in seine Stiefel schlüpfte, klopfte es an die schwere Holztür und auf seine Aufforderung einzutreten kam Aldred herein: „Mylord Sheriff, der Erzbischof bittet Euch, ihm beim Frühstück Gesellschaft zu leisten.“

Philip Marc konnte es kaum glauben und er hoffte, dass Stephen Langton nicht nur eine dünne Grießsuppe servieren lassen würde.

„Ah, Touraine, nur herein mit Euch. Entschuldigt, dass ich Euch nicht schon gestern begrüßt habe, aber mir wurde Eure Ankunft leider erst heute beim Aufstehen mitgeteilt. Ich hoffe, Ihr habt eine angenehme Nacht unter meinem Dach verbracht.“

„Guten Morgen, Eminenz. Danke, es war alles zu meiner Zufriedenheit.“

„Bestens. Ihr seid mit Leslie of Glanvil verlobt, so hörte ich? Der Cousine meines Amtsvorgängers, ein schöner Zufall.“

„Ähm, ja, so verhält es sich, Eminenz.“

„Setzt Euch zu mir und langt zu. Ihr seht hungrig aus, Sheriff.“

„Vielen Dank.“

Nachdem der Erzbischof ein kurzes Gebet gesprochen hatte, konnte endlich gegessen werden und Philip Marc wurde zum ersten Mal seit langem einigermaßen satt. Es gab Geräuchertes, sowohl Fleisch als auch Fisch, dazu Getreidebrei, Gemüsesuppe und Rührei, dem Himmel sei Dank.

Dazu tranken die beiden Herren einen heißen, stark gewürzten Wein, der aber mit Wasser verdünnt war, damit man nicht am frühen Morgen bereits einen Schwips bekommen würde.

„Werdet Ihr heute in den Tower gehen? King John hat nach Euch verlangt, soweit ich weiß, und möchte eine Feier zu Ehren Eurer Verlobung geben.“

„Ich war gestern bei Hofe und wurde von William Marshal abgewiesen. Der König hätte zu viel zu tun, sagte er mir.“

„Ja, er hat enorm viel damit zu tun, irgendwelche Intrigen zu spinnen. Er schreckt auch nicht davor zurück, die Kirche darin zu verwickeln und sie systematisch zu spalten. Ich sehe schwere Zeiten auf die Diözese zukommen und es wird sich nicht darauf beschränken. Der Papst sieht mit Sorge auf England.“

„Ihr scheint nicht gut Freund mit dem König zu sein, Eminenz. Ich verstehe von all diesen Dingen nur recht wenig, ich bin nur ein einfacher Beamter aus der Provinz, wenn auch von normannischem Adel. Aber mein Titel ist nichts wert, mein ganzes Erbe verloren und deswegen muss ich mich mit dieser Tätigkeit in Nottingham zufriedengeben. So einfach verhält es sich.“

„Ja, ich weiß. Ist die beabsichtigte Eheschließung mit Lady Leslie eine Zweckehe? Ihrer Familie gehört viel Land in Yorkshire.“

Von dieser Warte her hatte es Philip Marc noch nie zuvor betrachtet und es war ihm unangenehm, dass man von ihm nun zwangsläufig annahm, dass er Lady Leslie aus reiner Berechnung heiraten wollte.

„Oh nein! Nein“, er beeilte sich mit Nachdruck dem zu widersprechen, „ich… ich finde meine Verlobte überaus reizend und nett.“

Der Erzbischof geriet ins Schmunzeln: „Nun, das Eine schließt ja zum Glück das Andere in diesem Fall nicht aus, Touraine.“

„Ich meine…“, er wusste nicht recht, wie er es besser formulieren sollte, versuchte es aber krampfhart, „ich habe ihr nicht wegen ihres Vermögens die Ehe angetragen. Überhaupt nicht. Ich habe nicht einmal ansatzweise daran gedacht.“

„Eine Liebesheirat demnach?“

Dass es auch das nicht war, konnte Philip Marc natürlich nicht zugeben, also nickte er beflissen.

„Wie schön zu wissen, dass es so etwas in unserer fürchterlichen Zeit noch gibt. Meine Gratulation, Sheriff.“

Kapitel dreizehn by doris anglophil
Author's Notes:

 

Die Themse war lange Zeit ein ziemliches Hindernis. Zuerst überspannte eine Holzbrücke den Fluss, die aber sehr oft in Flammen aufging und somit im Hoch-Mittelalter den Anforderungen einer großartigen Hauptstadt nicht mehr entsprach. Daher ließ man zur Zeit von King Henry II und Richard I endlich eine Steinbrücke errichten, um dem wachsenden Verkehr mit Kutschen, Pferden, Gespannen usw. Herr zu werden.
Die Bauzeit dieser Brücke betrug sage und schreibe 33 Jahre, man musste den damals noch riesigen Gezeitenhub erst architektonisch und bautechnisch in den Griff bekommen, und erst 1209 konnte sie von King John eröffnet werden. Die Rede ist natürlich von der sagenhaften London-Bridge, die jahrhundertelang der einzige Übergang über den Fluss war.
Deswegen war es durchaus üblich und ein einträgliches Geschäft (vor allem natürlich während der Bauzeit), dass Fährleute ihre Dienste anboten. Außerdem gab es eine weitere Möglichkeit von einer Flussseite auf die andere zu kommen, und zwar konnte man bei Ebbe durch eine Furth den Fluss durchqueren. Wo genau die historische Furth von Londinium lag, ist trotz längerer Recherche nicht mehr genau auszumachen. Der Einfachheit halber habe ich diese nun unweit Lambeth Palace gelegt, was aber wahrscheinlich nicht korrekt sein dürfte.

 

Froh der verhörähnlichen Konversation mit dem Erzbischof entkommen zu sein und einen vollen Magen zu haben, besuchte er Sylvester in den Stallungen. Er reichte ihm einen der sauren Äpfel, den er am Vortag in seine Manteltasche gesteckt hatte und lächelte, als das Pferd ihm diesen gierig abnahm. Dem Gaul machte das Saure offensichtlich nicht das Geringste aus.

Dann kam Leben in den Hof von Lambeth Palace, es erschienen nämlich die Damen reisefertig für die Fahrt zum Tower.

Er trat zu ihnen, deutete eine ungeschickte Verbeugung an und sprach alle betont munter an: „Guten Morgen, Myladies. Ich hoffe, Ihr habt Euch für die Überfahrt gerüstet, es ist sehr kalt heute.“

„Werdet Ihr Euer Pferd mitnehmen?“
„Nein, ich lasse Sylvester hier. Mir scheint, das einzige Pferd Englands, das seekrank wird, befindet sich in meinem Besitz.“ 

Dieser Satz löste sogleich ein erstes Gekichere unter den Damen aus.

„Der Erzbischof ist in seiner Kutsche vorgefahren.“

„Ah, und wie kommt er über die Themse? Die Brücke ist ja noch nicht passierbar, sie wird erst neu gebaut.“

„Er nutzt die Ebbe und setzt über die Furth auf die andere Flussseite über.“

„Das ist möglich?“

„An einer einzigen Stelle der Themse, ja. Aber es ist nicht ungefährlich. Bei ungünstigen Verhältnissen kann die Kutsche im Schlamm steckenbleiben und wenn dann die Flut einsetzt, ist sie dahin.“

„Wundervolles London“, murmelte er nach diesen aufklärenden Worten von Lady Emma of Montfort mit beißender Ironie vor sich hin. 

Die Fähre kam gut voran, die Flut hatte schon länger eingesetzt und es ging überaus flott themseabwärts, so dass der Tower schneller als gedacht erreicht wurde.

Philip Marc war sehr gespannt, ob man ihn heute zum König lassen würde, aber wenn er alle Damen aus Lambeth und den Erzbischof sozusagen als Eskorte dabei hatte, konnte King John wenig dagegensetzen. Da spielte es auch keine große Rolle, dass Stephen Langton eine fast schon offen zu nennende Feindschaft mit dem Herrscher pflegte.

Alle vier Damen waren bei Hof bekannt und so durften diese sich sofort bei Königin Isabella melden.

Im Vorzimmer des Königs erwartete ihn bereits der Erzbischof: „Ah, da seid Ihr ja. Dann wollen wir mal. Ich habe Euch bereits angekündigt.“ 

King John hatte einen denkbar schlechten Ruf und er tat nichts dagegen, seinen Untertanen – ob Lord oder Bauer – zu beweisen, dass er kein so übler König war. Auch sein Bruder Richard hatte durchaus seine Fehler gehabt, doch trug die große Unpopularität Johns inzwischen erheblich dazu bei, dass Richard langsam aber sicher geradezu als das Idealbild eines Herrschers angesehen wurde.

Philip Marc war wenig erbaut von der Aussicht, gleich dem unberechenbaren King John gegenüberstehen zu müssen, aber da half nun nichts, er musste es über sich ergehen lassen. 

„Seine Eminenz, der Erzbischof von Canterbury und der High Sheriff of Nottingham in seiner Begleitung.“

Das war ihre Ankündigung und er neigte instinktiv in Demut sein Haupt.

Die Maßregelung ließ wie erwartet nicht lange auf sich warten: „Dass Ihr es wagt hier zu erscheinen, zeugt entweder von großer Dummheit oder von ebenso großem Mut. Ihr habt diesen verdammten Outlaw Locksley nicht im Griff und duldet es, dass er sein Unwesen in Nottinghamshire treibt. Wozu habe ich überhaupt einen Sheriff dort? Nichts als Ärger habe ich mich Euch. Ihr seid unfähig und des Amtes nicht würdig. Und Ihr, Langton, schleppt ihn hierher. Es sieht Euch ähnlich, Euch mit hirnlosen Kreaturen wie dieser abzugeben.“

„Mit Verlaub, Sire, Ihr selbst hattet nach dem Sheriff of Nottingham schicken lassen.“

„Ich? Seid Ihr von Sinnen, Erzbischof?“

„Es war wegen der Verlobung, Majestät.“

„Der was? Ach… ach ja, ich verstehe“, der König lenkte ein und sein Tonfall schwenkte von zornig auf listig um, „natürlich. Die Schöne aus Yorkshire und der Sheriff aus Mittelengland. Der Stoff, aus dem Märchen sind… wie herzallerliebst. Nun, da Ihr schon mal hier seid, können wir ein paar sehr wichtige Dinge die Gesetzlosen betreffend bereden und da Ihr mir in der Vergangenheit recht gute Dienste geleistet habt, Sheriff, werde ich Gnade walten lassen und Euch sogar eine angemessene Verlobungsfeier ausrichten. Was sagt Ihr dazu, hmh?“

Philip Marc wusste, dass – egal welche Antwort er nun gab – er sich um Kopf und Kragen reden konnte, deswegen fiel seine Entgegnung sehr vage aus: „Mir ist alles recht, Euer Majestät.“

„Das glaube ich. Ihr redet wie ein Waschlappen. Grässlich. Was die schöne Lady Leslie of Glanvil an Euch findet, ist mir wahrlich ein großes Rätsel. Ihr habt eine solche Frau gar nicht verdient. Wenn Ihr nicht fähig seid Euren Mann hier an meinem Hof zu stehen, Sheriff, dann löse ich die Verlobung und gebe Eure Braut einem anderen, einem von höherem Stand. Habt Ihr mich verstanden?“
„Klar und deutlich, Sire.“

„Schon besser. Also: Wo ist Eure Verlobte?“

„Bei Königin Isabella, soweit ich weiß.“ 

King John winkte einen Pagen heran: „Schafft sie her. Ich möchte das reizende Paar gerne zusammen sehen. Beeilung!“

Der Sheriff schwitzte, einmal aus Angst vor dem, was nun gleich geschehen würde und einmal weil er seinen Wintermantel weiterhin anhatte und der Raum völlig überheizt war.

„Ihre Majestät, Königin Isabella, Ihre Majestät, Königinmutter Eleanor und Lady Leslie of Glanvil.“

„Endlich. Kommt nur herein, meine Damen. Mutter“, der König nickte vor allem seiner Mutter zu, wohl wissend, dass er sich ihr gegenüber nicht alles herausnehmen konnte. 

Königin Eleanor eilte schnurstracks auf den Sheriff zu: „Oh, wie tut es gut Euch wiederzusehen, Mylord.“

Dieser verneigte sich um etliches tiefer als jemals zuvor und murmelte undeutlich: „Majestät sind zu gütig.“

Sie reichte ihm ihre Hand, die er schüchtern ergriff, einen Handkuss andeutete und der hohen Dame auf diese Weise abermals huldigte.

„Bei Gott, Ihr habt nicht viel dazugelernt seit unserer letzten Begegnung. Hat Eure Verlobte Euch denn nicht ein klein wenig Galanterie den Damen gegenüber beigebracht?“

„Verzeiht, Majestät, Lady Leslie und meine Wenigkeit sind erst seit kurzem verlobt. Es… es fehlte bislang an Gelegenheit für das Hofieren.“ 

Die Königin wandte sich nun an Leslie of Glanvil: „Ach Kindchen, Ihr werdet einen Haufen Arbeit mit Eurem Ehemann haben. Aber so wie ich Euch in den vergangenen Wochen kennengelernt habe, habe ich kaum Sorge, dass Ihr seine etwas bäurische Art nicht in das tadellose Benehmen eines Edelmannes umzuwandeln wisst. Doch ich muss gestehen, ich kann nachvollziehen, was Euch an ihm gefallen hat, er hat etwas von einem rohen Edelstein, etwas Wildes, Raues an sich. Manchen Damen gefällt das.“

Es war ihm unangenehm, dass über ihn befunden wurde wie über ein Stück Schlachtvieh auf dem Markt. Aber da es die Königin war, die so sprach, erduldete er diese öffentliche Taxierung. 

Der König winkte leicht unwirsch ab: „Schön, schön. Ich danke Euch, Mutter. Und nun zurück zur Verlobung: Ich gebe ein Bankett zu diesem Anlass, wäre Euch in fünf Tagen von heute an gerechnet recht?“

„Das wäre es, Sire.“

„Euch auch, Mylady?“

Sie knickste ergeben und murmelte: „Aber natürlich, Euer Majestät.“

„So ist es beschlossen: Wir feiern in fünf Tagen! Ich wünsche noch einen guten Tag allerseits. Mutter, Erzbischof, Isabella, Mylords, Myladies.“

Er rauschte plötzlich ab, als wäre der Leibhaftige selbst hinter ihm her und ließ seinen Hofstaat einfach stehen. 

Kapitel vierzehn by doris anglophil
Author's Notes:

 

Heute redet der Erzbischof von Canterbury mal Tacheles!

 

„War das alles?“ raunte Philip Marc dem Erzbischof zu.

„Offensichtlich. Es ist sehr schwer Strategien hinter King Johns Worten und Taten zu erkennen. Wollt Ihr und Lady Leslie mit mir in der Kutsche zurück nach Lambeth fahren?“

„Eine große Ehre, Eminenz, aber was ist mit den anderen Damen? Wie kommen die zurück?“

„Mit dem Fährboot und einer angemessenen Begleitung natürlich. Macht Euch keine Sorgen.“

„Wenn Ihr gewährleisten könnt, dass Eure Kutsche nicht im Schlamm der Themse steckenbleibt und wir zu Fuß vor der einsetzenden Flut flüchten müssen, nehme ich Euer großzügiges Angebot gerne an.“

Stephen Langton lachte laut auf: „Ihr seid doch nicht wirklich der Hasenfuß, für den Euch King John ausgeben möchte, oder? Auf mich macht Ihr einen ganz anderen Eindruck, offen gesagt. In all der Zeit, in der ich auf diese Weise den Fluss überquere, ist mir so etwas kein einziges Mal passiert.“

„Sehr beruhigend. Und wie oft ist das gewesen, Eminenz?“

„Nicht sehr oft!“

Und nun lachten beide so herzerfrischend, dass Lady Leslie, die gerade mit der Königin gesprochen hatte, sich verwundert umdrehte. 

Ihr blieb vor Staunen der Mund offen stehen, so dass die Königin sie tadeln musste: „Mylady, gafft nicht so offensichtlich, auch wenn Euch anscheinend sehr gefällt was Ihr dort seht.“

„Verzeiht, Majestät, es war sehr unfein von mir.“

„Das war es. Seht Ihr Euren Verlobten denn so selten lachen, weil Ihr gar so genau hinschaut?“

„Um ehrlich zu sein, sehe ich ihn heute zum allerersten Mal lachen.“

Ihr wurde bewusst, dass dies einen merkwürdigen Eindruck machen musste, also korrigierte sie sich rasch: „Zumindest habe ich ihn niemals zuvor so erfrischend laut lachen hören und sehen.“

„Ja, ich habe verstanden, dass Ihr ihn noch nicht sehr lange kennt. Aber Ihr liebt ihn? Oder kommt die Heirat aus anderen Gründen zustande?“

„Es ist keine Zweckehe, falls Ihr das meint. Er… er besitzt ja kaum was.“

„Im Gegensatz zu Euch, nicht wahr? Meint Ihr nicht, dass er sich deswegen um Euch bemüht? Wegen Eurer Besitztümer?“

Doch Leslie of Glanvil schüttelte mit Nachdruck den Kopf: „Nein, da bin ich mir ganz sicher.“

Wie das sein konnte, blieb der Königin allerdings unbeantwortet. 

Erst während der Rückfahrt in der Kutsche kam Philip Marc auf die kurze Begebenheit zu sprechen: „Ihr habt mich vorhin so tadelnd angesehen. Was habe ich falsch gemacht?“

„Ich? Wann?“

„Als ich mit Seiner Eminenz so laut gelacht habe. Setzt es auf meine Liste für schlechtes Benehmen, die ohnehin sehr umfangreich sein dürfte.“

„Es war nicht, weil ich es missbilligte.“

„Nicht? Dann ist dies ein Glückstag für mich, endlich eine Tat, die Ihr nicht anprangert oder meinen miserablen Manieren anlastet. Danke, Mylady.“

„Mylord, stellt Euer Licht nicht unter den Scheffel. Ihr seid keineswegs so ungehobelt, wie Ihr Euch zuweilen selbst darstellt.“ 

Der Erzbischof mischte sich in das Gespräch ein: „Wahrlich ein Pärchen, das sich erst noch näher kennenlernen muss. Nun ich dachte, die Abgeschiedenheit der Kutsche wäre eine gute Gelegenheit für etwas mehr Zweisamkeit, ohne die anderen Damen drum herum, überdies war ich der Meinung, dass meine Anwesenheit nicht ins Gewicht fallen und so diskret sein würde, dass sich mal vertraulichere Situationen ergeben, und was macht Ihr, Mylord, Mylady? Ihr sitzt einander gegenüber und diskutiert über gutes oder schlechtes Benehmen. Das kommt mehr einem alten Ehepaar gleich, wohl kaum aber jungen Leuten, die frisch verlobt sind.“

„Mylord Erzbischof!“ Lady Leslie klang entrüstet.

„Was denn? Ich fordere Euch nicht auf, vor meinen Augen Unzucht zu treiben, aber etwas verliebter dürfte es für mein Dafürhalten zwischen Euch und dem Sheriff schon zugehen.“

„Eminenz, bitte!“ Auch der Sheriff war sichtlich verlegen.

„Ich spreche nun ganz offen: Wenn der König von dieser Verlobung nicht felsenfest überzeugt werden kann, wird er Mittel und Wege zur Trennung finden oder Schlimmeres veranlassen.“ 

In der Kutsche konnte man eine Stecknadel fallen hören, bis schließlich Lady Leslie atemlos hauchte: „Ihr wisst…?“

„Nein. Ich vermutete. Aber jetzt, mit eben Eurer Frage, habe ich die Gewissheit. Es gibt keine Verlobung, nicht wahr? Sie ist eine Erfindung, aus welchen Gründen auch immer.“

„Wie habt Ihr es herausgefunden?“

„Ihr könnt von Glück sagen, dass King John ein verbohrter Schwachkopf ist. Wenn Ihr allen eine Liebesheirat vorgaukeln wollt, müsst Ihr Euch anders benehmen. Ihr traut euch nicht einmal auf drei Fuß aneinander heran. Verliebte Blicke sehe ich auch keine, außer vorhin recht kurz bei Euch, Mylady, und die Zweisamkeit verursacht Euch beiden mehr Unsicherheit statt Wohlgefühl. Es war also nicht sehr schwer, die Wahrheit zu erraten. Dem König wird man diese Komödie auch nicht sehr viel länger vorspielen können. Heute war er nicht ganz bei der Sache und etwas unkonzentriert, aber er wird dahinter kommen und zwar schneller als man denkt, wenn nicht bald ein anderes Verhalten an den Tag gelegt wird.“ 

Sowohl Lady Leslie als auch der Sheriff hüllten sich in betretenes Schweigen.   

Daher sprach der Erzbischof weiter: „Der König ist zu allem fähig. Er kann Euch spurlos verschwinden lassen, Mylord Sheriff, sollte ihm Eure Nase nicht passen. Er kann Euch in den Tower werfen lassen, sollte er auch nur ansatzweise bemerken, dass mit der Verlobung etwas nicht stimmt. Und er kann Euch einen Kopf kürzer machen, wenn Ihr nur ein falsches Wort in seiner Gegenwart sagt, egal zu welchem Thema.“ 

Im Tower hielt King John seine Gemahlin in einem Korridor am Ärmel ihres mit Pelz verbrämten Gewandes fest: „Nicht so eilig, Teuerste. Für gewöhnlich hole ich von Euch keinerlei Rat ein, aber ich geruhe heute mal eine Ausnahme zu machen: Welchen Eindruck hattet Ihr von Lady Leslie und ihrem bärbeißigen Verlobten?“

„Keinen schlechten, Sire.“

„Interessant. Meint Ihr, die beiden wären ineinander verliebt?“

„Das scheint mir gut möglich. Ich habe sie tadeln müssen, weil sie ihn mit Kuhaugen angegafft hat als er laut lachend beim Erzbischof stand. So einen Blick wirft man nur einem Mann zu, dem man äußerst zugetan ist. Außerdem beharrte sie darauf, dass er keineswegs an ihren materiellen Gütern interessiert sei. Für mich liegt klar auf der Hand, dass sie sich lieben.“

„Habt Ihr auch bei ihm derlei Anzeichen ausmachen können?“

„Vielleicht weniger als bei ihr, aber das führe ich vor allem darauf zurück, dass er neu bei Hofe ist und sie bereits länger hier weilt und mit allem vertrauter ist. Außerdem möchte ein Mann sich nicht öffentlich die Blöße geben und zu deutlich zeigen, wie es um ihn in Sachen der Liebe bestellt ist.“

„Danke, Madam. Ich bin bereit, den beiden noch ein Weilchen bei ihrem Tun und Treiben zuzusehen, weil es mich augenblicklich amüsiert. Ihr habt nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass ich diesen ungeschliffenen Klotz von Sheriff nicht sofort seines Amtes enthebe und irgendwo in einem Verlies verrotten lasse. Man soll ein verliebtes Paar nicht grausam entzweien.“ 

Verzweifelt schaute Leslie of Glanvil zwischen dem Erzbischof of Canterbury und dem Sheriff of Nottingham hin und her: „Ja, ich habe mich mit dieser Notlüge versündigt und nun werdet Ihr, Mylord Sheriff, wegen meiner losen Zunge zu leiden haben. Es… es tut mir so leid, Sir.“

Ihre Unterlippe zitterte verdächtig und es stand zu befürchten, dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde.

Stephen Langton versuchte sie zu beruhigen: „Noch ist nichts verloren, Mylady. Ich kann Euch nicht behilflich sein, mir sind diese Dinge aufgrund meines Amtes auch nicht sonderlich geläufig. Also müsst Ihr Euch selbst zu helfen wissen und das möglichst rasch. Eile ist geboten. Ich sah heute Mittag im Tower, dass Ihr sehr wohl dazu in der Lage seid, dem Sheriff liebevolle Blicke zuzuwerfen, also kann er Euch – glückliche Fügung – nicht völlig gleichgültig sein, trotz seines etwas spröden äußeren Erscheinungsbildes. Wie steht Ihr umgekehrt zu Lady Leslie, Touraine?“ 

Philip Marc seufzte: „Eine etwas verwirrende Situation, ich bin ein einfaches Leben ohne große Aufregungen gewohnt. Hungersnot und Krieg scheinen einfacher zu bewältigen zu sein, als eine einzige Intrige am Königshof. Um Eure Frage zu beantworten, Eminenz, und es fällt mir nicht leicht, da ich niemals zuvor in einer ähnlichen Situation war: Lady Leslie ist die Anmut und Grazie in Person und ich könnte mir wahrhaft keine schönere Ehefrau vorstellen. Allerdings bin ich ihrer nicht würdig.“

„Das steht hier nicht zur Debatte! Gut. Somit stehen die Dinge gar nicht schlecht. Ich kann jetzt noch dafür sorgen, dass es nach unserer Rückkehr in den Palast vom Lambeth ein schmackhaftes Nachtmahl geben wird und Ihr dies ohne weitere Gesellschaft einnehmen werdet. Der Rest liegt bei Euch. Und Mylord Sheriff, verzeiht meine Offenheit: Wer nur bei Huren liegt, kann nicht lernen wie man um eine feine Dame wirbt. Habt Ihr Erinnerung an Eure Mutter?“

„Ihr seid schonungslos offen, aber Ihr habt Recht. Ja, ich erinnere mich ein wenig an meine Mutter, ihr danke ich meine Kenntnisse der französischen Sprache, warum fragt Ihr?“

„Sie war gewiss eine feine Dame, nicht wahr?“

„Oh ja.“

„Gut. Sie wäre darüber entsetzt, wie schrecklich unbeholfen Ihr Euch jungen Ladies gegenüber verhaltet und wie wenig Ihr über Liebe und Leidenschaft wisst. Und wir verwechseln hier bitte nicht Leidenschaft mit reiner körperlicher Begierde.“

„Ich glaube ich verstehe, was Ihr meint, Eminenz.“

„Sehr schön. Ah, und ich sehe die Einfahrt zu Lambeth Palace.“ 

 

Kapitel fünfzehn by doris anglophil
Author's Notes:

 

Vielleicht läuft die Sache doch nicht so rund wie man sich das allgemein wünscht... aber ein bisschen Romantik habe ich halt aufkommen lassen.

 

Aufs Äußerste befangen setzte Philip Marc sich ein wenig später zu Tisch, nachdem er seine dicke Kleidung abgelegt hatte und sich hastig mit allen zehn Fingern durch die langen und nun schon wieder recht ungepflegten Haare gefahren war.

„Es war etwas zu offen vom Erzbischof gesprochen, vor allem in Eurer Anwesenheit. Mir war die Unterhaltung peinlich“, gestand er sogleich ohne aber Lady Leslie dabei anzusehen.

„Ja, er hat kein Blatt vor den Mund genommen. Vor allem tut er das fast jedem gegenüber, er gerät durch seine unverblümte Art sehr oft mit dem König aneinander. Ich finde es aber gut zu wissen, woran ich mit Euch bin.“

Er schien verwirrt: „Wozu müsst Ihr das wissen? Das verstehe ich nicht.“

„Mir ergründet sich somit mehr und mehr Euer Charakter. Mir war bereits bei unserem ersten Treffen in Nottingham klar, dass Ihr nicht der grobschlächtige Kerl seid, für den Ihr Euch selbst ausgebt. Ihr habt durchaus Anstand und gute Manieren, die Ihr nur unter einer sehr harten und rauen Schale versteckt.“

„Möglich“, murmelte er betreten und heftete seinen Blick auf die Speisen, die der Erzbischof ihnen hatte bringen lassen.

Es war gut und reichlich aufgetischt, in Philip Marc machte sich Vorfreude auf das exzellente Mahl breit, die zu einem gewissen Teil sogar seine aufgewühlten Nerven zu beruhigen vermochte.

Nachdem er einen Schluck des guten Weines gekostet und ein Stück frisch gebackenes Brot bestrichen mit Gänsefett probiert hatte, lehnte er sich etwas entspannter zurück und sah seine Tischpartnerin zum ersten Mal an diesem Abend an. Doch das, was er sah verschlug ihm sofort den Atem und er blickte rasch wieder auf das Gesottene und Gebratene vor ihm in den Schüsseln. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, würde er sagen, sie habe es darauf angelegt ihn zu verführen.

Ihre schwarzen Haare waren in einem einzigen Zopf zusammengeflochten, der ihr über die linke Schulter herabhing und mit grün-goldenen Bändern durchzogen war. Dazu trug sie ein passendes Kleid, das aus tannengrüner Wolle mit gleichfarbigem Samtbesatz gefertigt war. Goldene Bänder und Schnüre vervollständigten das Bild und gaben dem Gewand eine leicht prunkvolle Note. 

Nun, der Erzbischof hatte ihm eine klare Aufgabe gestellt und die musste er angehen und so gut es ihm möglich war lösen.

Also räusperte er sich und presste dann schnell heraus: „Ihr tragt ein wundervolles Kleid.“

„Danke. Es ist ein Weihnachtsgeschenk von Königin Eleanor. Sie hat ein großes Herz.“

Er war froh, das Thema wechseln zu können und sprang sofort darauf an: „Ja, das ist wahr. Ich bin nun zum dritten Mal in Audienz bei ihr gewesen und noch immer schafft sie es, mich – und wohl auch alle anderen – zu beeindrucken.“

„Sie ist zur Königin geboren. Nicht jede Herrscherin oder königliche Gemahlin kann das von sich behaupten.“

„Damit könntet Ihr Recht haben.“

Die Unterhaltung versiegte wieder, weil sich beide erneut dem Essen widmeten. 

Er unterdrückte mit Mühe und Not einen Rülpser und nuschelte unfein mit halbvollem Mund: „Verzeiht.“

Leslie of Glanvil schaute von ihrem Teller auf und entgegnete sanft: „Schlingt nicht so, Mylord. Es ist genügend da, kein Grund zur Hast. Es ist hier nicht so wie in Nottinghamshire.“

Mit einem Nicken quittierte er ihre Bemerkung: „Zum Glück. Es… es ist eine Angewohnheit, bedingt durch die schlechte allgemeine Lage dort. Wenn man mir etwas zu essen vorsetzt, dann ist mir bewusst, dass dies das letzte Mal für lange Zeit sein könnte und ich nutze es weidlich aus. Teil meiner miserablen Manieren.“

„Auch bei uns in Yorkshire hat es durchaus Zeiten der Not gegeben.“

„Habt Ihr hungern müssen, Mylady?“

„Ja. Nicht für lange und nicht sehr stark, aber ich kenne das Gefühl.“

„Ihr seid sehr verständnisvoll und mitfühlend.“

„Das danke ich meiner Erziehung.“                 

Ein weiteres Mal wusste Philip Marc nichts zu erwidern und nahm den Verzehr der Speisen zum willkommenen Anlass für eine Pause in der Konversation.

Sie brach die Stille mit einem Vorschlag: „Soll ich Euch nach dem Essen ein wenig auf der Laute vorspielen?“

Seine Augen weiteten sich vor Überraschung: „Um ehrlich zu sein – mir hat noch niemals zuvor jemand etwas auf der Laute vorgespielt und auch auf keinem anderen Instrument. Ich… ich danke Euch sehr und freue mich darauf.“

„Keine Ursache, Mylord.“ 

Sie zogen sich in zwei Lehnstühle am Kaminfeuer zurück, während er sich einen Becher heißen Weines griffbereit hinstellte, nahm sie die Laute auf und zupfte ein wenig oben und unten daran herum, was sich allerdings mehr schaurig denn schön anhörte.

Er begann sich gerade zu wundern, da wandte sie sich ihm zu und sagte: „Das Instrument war wohl ein wenig verstimmt. Nun endlich.“

Sie spielte nicht nur, sie sang auch dazu und wenn es einen Himmel geben sollte, so stellte ihn Philip Marc sich dergestalt vor: Mit einem wunderschönen singenden Engel; es fehlten der Lady dafür nur noch ein paar schimmernde Flügel.

Er spendete ab und zu wohlwollend Applaus und malte sich aus, dass es immer so sein könnte, wenn sie erst einmal ein Ehepaar waren. Doch darin lag der Fehler an der gesamten Idylle: Diese Verlobung war unecht! Es würde keine Eheschließung zwischen ihnen erfolgen! 

Abrupt stand er auf und zerriss dadurch das bislang recht stimmungsvolle Bild.

„Mylord, ist Euch nicht wohl?“

„Nicht wohl? Im Gegenteil, mir ist zu wohl. Ich… ich bin derlei harmonisches Beisammensein nicht gewohnt. Ich weiß nicht einmal, was ich zu Euch sagen soll. Ich befürchte, dass meine Worte entweder zu ungehobelt und fehl am Platze sein werden oder aber dass mich dieser Abend zu dummen und unangebrachten Bemerkungen verleiten wird. Ich werde es nicht Recht machen können. Der Erzbischof wird bitter enttäuscht von mir sein.“

Sie legte die Laute auf den Tisch und kam auf ihn zu. Er stand am Fenster, hatte ihr den Rücken zugewandt und schaute verbissen in die Nacht hinaus.

„Ihr findet es schwer, mit mir zusammen zu sein?“

„Nein… nein, versteht mich nicht falsch. Ich finde es wunderbar… zu wunderbar. Aber es erinnert mich daran, dass nichts davon stimmt, dass alles eine Lüge ist, dass alles dazu dient, King John auf diese Fährte zu locken. Ich weiß, es ist nur zu Eurer eigenen Sicherheit und allein deswegen habe ich eingewilligt, dieses Spiel mitzuspielen. Nur hätte ich nicht gedacht, dass ich dessen nicht fähig bin. Ich kann nicht den liebenden Verlobten spielen, es tut mir unendlich leid für Euch, Mylady.“

Ohne ihre Antwort abzuwarten, riss er die Tür auf und stürmte davon. 

Als er sein Gemach erreicht hatte, ahnte er, was er mit seinem verunsicherten Verhalten aufs Spiel gesetzt hatte. Er musste in den kommenden Tagen den König davon überzeugen der Verlobte von Lady Leslie of Glanvil zu sein. Gelang dies nicht, blickten sowohl er als auch sie einem ungewissen Schicksal, wenn nicht sogar dem Tod entgegen. Alles auf eine Karte setzen, egal welche Vorbehalte ihn persönlich quälten, das war nun die Losung. Er hatte früher sehr oft gelogen, wenn es seinen eigenen Zwecken gedient hatte, hier jedoch war es ihm einfach nicht mehr möglich. Und er wusste auch warum: Er würde sich selbst verraten und seine Gefühle für Lady Leslie sehr bald preisgeben. Er liebte sie! Gepeinigt von dieser plötzlichen Erkenntnis warf er sich aufs Bett und hieb fest mit beiden Fäusten auf die Kissen ein.

Leslie of Glanvil verfügte über nur wenig Erfahrung mit Männern, so kam sie nicht gleich hinter die Gründe für des Sheriffs merkwürdiges Verhalten. Aber sie ahnte, dass er etwas vor ihr verbarg und dass er Gefühle nicht zeigen konnte oder wollte. Er würde es lernen müssen und sie nahm sich vor, seine Lehrmeisterin zu sein. In ihrer weiblichen Ehre war sie ein wenig gekränkt ob des raschen und unvermittelten Abgangs von Philip Marc, aber ihr Großmut und ihr verständnisvolles Wesen halfen ihr innerhalb weniger Minuten darüber hinwegzukommen. Sie mussten beide zueinander finden, um die Täuschung für den König perfekt zu machen und sie hoffte, dass sie auf den Sheriff of Nottingham diesbezüglich weiterhin bauen konnte. Sie betete dafür.
Kapitel sechzehn by doris anglophil
Author's Notes:

 

Gut, es geht ein wenig voran mit den Beiden... so nach dem Motto "zwei Schritte vor und einen wieder zurück". Im Prinzip ist es nur Lady Leslies Engelsgeduld zu danken, dass die Sache einen weiterhin positiven Verlauf nimmt. Und es könnte sein, dass am Horizont Gewitterwolken aufziehen...

 

Philip Marc machte Sylvester fertig, er wollte diesmal mit ihm bei Ebbe den Fluss durchqueren und zum Palast reiten. Das ersparte dem armen Tier eine Fährpassage, außerdem musste das Pferd unbedingt bewegt werden.

Er zog gerade den Sattelgurt fest und prüfte den Sitz von Sattel und Steigbügel, als er von hinten angesprochen wurde: „Falls Ihr in den Tower reitet, würdet Ihr mich dann bitte mitnehmen?“

Er fuhr hochrot im Gesicht herum und blickte in ihr frisches Antlitz: „Ich denke nicht, dass dieser Ausflug auf Sylvester für uns beide geeignet ist. Ich würde die Passage durch die Furth der Themse zuerst gerne alleine ausprobieren. Es wäre unverzeihlich, wenn Euch dabei etwas geschehen würde.“

„Überaus aufmerksam von Euch, Mylord.“

„Wir sehen uns dann später.“

„Mylord Sheriff, ich habe heute niemanden zur Eskorte über den Fluss, ich bitte Euch also inständig mich mitzunehmen. Euer Pferd sieht mir stark genug aus und mein Gewicht ist so hoch nicht.“

Er musterte sie kurz und erwiderte dann leicht undeutlich: „Vermutlich seid Ihr leicht wie eine Feder. Ich möchte aber nicht versäumen darauf hinzuweisen, dass es reichlich unschicklich ist, Madam.“

Sie lächelte hintergründig: „Unschicklich? Für ein verlobtes Paar? Das glaube ich kaum. Wollen wir, Mylord?“ 

Sie vor sich im Sattel sitzen zu haben war Freude und Qual zugleich für ihn. Ihr Haar war zwar bedeckt von Tüchern, aber er konnte durch die Kopfbedeckungen hindurch riechen, dass es offensichtlich frisch gewaschen war.

Anfangs war er bemüht gewesen, sie möglichst wenig zu berühren, doch das war während eines solchen Rittes einfach auf Dauer nicht machbar.

Als sie also am unbefestigten Ufer ankamen, richtete er äußerst zögerlich das Wort an sie: „Ihr haltet Euch am Sattelknauf gut fest und ich… ich werde Euch eng umfassen müssen, damit wir nicht beide in den Dreck fallen. Ist Euch das Recht?“

„Das ist es. Tut nur was immer getan werden muss, um sicher ans andere Ufer zu kommen.“

Die Wonne, sie fest im Arm halten zu dürfen, war unbeschreiblich für ihn. Ihre Taille war unter all der dicken Kleidung gut auszumachen und er schätzte, dass nicht viel fehlen würde, damit er sie an ihrer schmalsten Stelle mit beiden Händen würde umfassen können.

Seine Gedanken nahmen gefährliche Wege, denn er stellte sich im Geiste bereits vor, wie sie ohne diese Kleidung aussehen würde. Energisch musste er sich selbst zur Ordnung rufen und ein Bad im eiskalten Themsewasser wäre eigentlich ein praktikables Gegenmittel gewesen, was ihm aber aufgrund Ihrer Anwesenheit natürlich nicht möglich war. 

Sie brauchten recht lange für das Durchreiten der Furth, weil Philip Marc die Sache sehr vorsichtig anging und so stand Sylvester zum Schluss bereits bis weit über die Sprunggelenke im Wasser wegen der rasch einsetzenden Flut. Doch alles ging glatt und sie erreichten das andere Ufer noch rechtzeitig.

Dort machten sie kurz Rast und er half ihr vom Pferd nachdem er selbst abgesessen war. Sie rutschte halb aus dem Sattel und landete direkt in seinen Armen.

„Verzeiht, ich hatte Euch zu früh losgelassen.“

„Mylord, ich bitte Euch. Mit mir müsst ihr nicht umgehen, als wäre ich ein Kelch aus dünnem Glas. Und wie Ihr seht bin ich durchaus in der Lage mich selbst zu halten, auch wenn Ihr in diesem Fall mein Halt seid.“

Er erwiderte nichts, weil jede Antwort ihn hätte verraten können, doch damit ließ sie sich nicht abspeisen: „Ihr solltet lernen, vertrauteren Umgang mit mir zu pflegen, da wir bald an den Hof gelangen werden.“

„Gewiss.“ 

Sie spürte seinen Widerstand und forderte ihn heraus: „Bin ich Euch so zuwider, dass Ihr mich ständig von Euch weist?“

Tief Luft holend antwortete er: „Nun, es ist ja nur vor dem König und der Hofgesellschaft vonnöten, hier hört und sieht uns keiner. Wir müssen im Augenblick also nicht das Bild eines verlobten Paares abgeben.“

Doch sie gab nicht auf: „Das nicht, aber wir sollten es üben.“

Beinahe hätte er laut aufgestöhnt, doch er unterdrückte diese Regung in letzter Sekunde noch.

Stattdessen nahm er eine fast bedrohliche Haltung ein und knurrte: „Was wollt Ihr, Mylady? Meine Geduld herausfordern? Mich zum Narren machen? Mir kundtun, dass ich nicht weiß wie ein verlobter Mann sich zu verhalten hat? Dann lasst Euch sagen, dass Ihr in allen drei Punkten erfolgreich gewesen seid! Meine Geduld ist erschöpft, ich fühle mich wie ein kompletter Narr und ich weiß wirklich nicht wie all dies weitergehen soll.“ 

Lady Leslie konterte tapfer, auch wenn sie ein klein wenig eingeschüchtert von seiner Verbalattacke war: „Mich täuscht Ihr nicht. Ihr flüchtet Euch wieder in Grobheiten, weil Ihr verlegen seid und Eure Gefühle nicht einordnen könnt. Was um Himmels willen geht Euch denn so fürchterlich gegen den Strich? Sagt es doch endlich, ich werde die Wahrheit schon verkraften.“

Doch statt einer Antwort kam es nur knapp von seiner Seite: „Wir sollten jetzt weiterreiten.“ 

Als sie beide wieder auf Sylvester saßen und er sie weiterhin umschlungen hielt, auch ohne brackiges Flusswasser unter sich zu haben, lehnte sie sich kurz an ihn und fragte: „Es wird im Tower aber gehen, oder?“

Er wusste sofort was sie meinte und nickte: „Seid unbesorgt, ich werde meinen Part zu spielen wissen.“

„Gestern Abend sagtet Ihr aber etwas anderes.“

„Ich lasse Euch nicht im Stich.“

„Danke.“

„Ich habe keine Lust, mich am Galgen wiederzufinden oder Euer hübsches Köpfchen auf einem Scharfrichterblock sehen zu müssen.“

Sie kicherte: „Ihr findet, ich habe ein hübsches Köpfchen?“

„Durchaus.“

„Seht Ihr, Ihr könnt galant sein, wenn Ihr wollt.“

„Ich bemühe mich.“ 

Er wusste, seine wahren Gefühle für Leslie of Glanvil würden bald ans Licht kommen, es war jetzt schon nicht einfach, sich nicht zu verraten und Distanz zu wahren. Sobald sie nun im White Tower angekommen waren, würde er versuchen das zu tun, was man von ihm erwartete und er hoffte, dass es ihm nur als das Spielen seiner Rolle ausgelegt wurde. Würde Leslie herausfinden, dass er sich nicht verstellt hatte, ja sich nicht einmal hatte verstellen müssen, war er verloren. 

William Marshal sah die beiden zufällig von einem Fenster aus an den Tower heran reiten und ließ den König rufen. Dieser war ausnahmsweise recht guter Laune und blickte belustigt hinunter auf das Paar hoch zu Ross.

„Sie sehen schon nett miteinander aus, nicht wahr, Sire?“

„Ja. Ich war zuerst skeptisch, aber mir scheint alles in Ordnung zu sein mit den beiden. Was schade ist, denn nichts langweilt mich mehr, als Dinge zu sehen die vollkommen in Ordnung sind. Einfach grauenvoll. Ich werde mir etwas einfallen lassen müssen, um mehr Leben in diese öde Liebesgeschichte zu bringen.“

Natürlich erfuhr William Marshal nicht, welch teuflischer Plan da nun im königlichen Hirn ausgeheckt wurde. 

Zwar wusste Philip Marc nicht, dass sie beobachtet wurden, aber er ahnte, dass es besser sein würde, sich nicht mehr zu neutral und abwartend zu verhalten. So ließ er beim Absitzen Lady Leslie auch sehr langsam an seinen Armen herabgleiten und er versuchte außerdem, dabei ein liebevolles Lächeln aufzusetzen. Das fiel ihm schwer, weil er immer schon dachte, dass sein Lächeln ihn einfach idiotisch aussehen ließ. Er gefiel sich selbst nicht, wenn er lächelte.

Seine vermeintliche Verlobte sah das anders: „Ihr seht so viel umgänglicher aus wenn Ihr lächelt.“

„Und Ihr seid sehr freundlich.“

„Es geziemt sich freundlich zu seinem Verlobten zu sein.“

Er nahm ihren koketten Unterton zwar wahr, konnte damit aber nicht umgehen und wusste keine passende Entgegnung darauf.

Daher verzog sich sein Lächeln zu einer schiefen Grimasse und er beeilte sich dennoch zwei Worte herauszuquetschen: „Scheint so.“ 

Sie legte ihm beim Gang durch den Tower ihre Hand auf seinen Arm, eine Geste der Vertrautheit, wie ihm klar bewusst wurde.

Als sie beim König vorgelassen wurden, atmete Philip Marc einmal tief durch und platzierte zusätzlich seine andere Hand auf ihre. Leslie of Glanvil schaute ihn kurz verblüfft an, bevor sich ein zufriedener Ausdruck auf ihr Gesicht legte. 

King John hingegen grinste regelrecht diabolisch: „Welch herzerwärmender Anblick. Ich frage mich schon eine ganze Weile, wie es dieser raubeinige Kerl geschafft haben mag Euer Herz zu gewinnen, Mylady. Ich finde es nach wie vor ungewöhnlich.“

„Anzunehmen, Sire, dass er nicht so raubeinig ist wie es den äußeren Anschein hat.“

„Ha, gut gekontert. Dennoch – das musstet Ihr schließlich erst herausfinden und ich glaube, dass dies in der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen sein dürfte.“

„Eine Frau hat dafür einen anderen Blick, Majestät.“

„Offensichtlich. Und Ihr, Sheriff, wie habt Ihr es angestellt sie rumzukriegen, hmh?“ 

Was sollte er darauf antworten? Alles, was mit dieser Scheinverlobung zusammenhing, schien dem Sheriff of Nottingham unendlich kompliziert und verworren zu sein.

Er räusperte sich und gab zur Antwort: „Wir… wir haben uns auf Anhieb sehr gut verstanden.“

Der König lachte laut auf: „Gut verstanden – Ihr versteht es vortrefflich einen guten Scherz zu machen“, dann plötzlich wandte sich sein Lachen in ein ärgerliches Bellen, „gebt nicht immer diese ausweichenden Antworten, Mylord. Ich mag das nicht sonderlich. Also, ich warte auf eine bessere Auskunft.“

Er dachte nach, seine Gedanken rasten förmlich hinter seiner hohen Stirn, so vieles hing hier von einer geeigneten Antwort ab: „Vielleicht habe ich Lady Leslie auf Grund meiner… meiner Ehrlichkeit und meiner Statur beeindruckt.“

„Ja, vielleicht. Groß gewachsen seid Ihr in der Tat. Ehrlich? Ihr gegenüber will ich es nicht in Abrede stellen, aber eher allumfassend gesehen wage ich Eure Ehrlichkeit in Zweifel zu ziehen. Wie dem auch sei, es war schön Euch gesehen zu haben, doch nun muss ich einige Schriftstücke unterzeichnen. Wir sehen uns spätestens zur großen Feier wieder, nicht wahr?“

„Ja, Sire. Gott erhalte Euch gesund.“ 

Der König war gegangen und William Marshal kam auf das Paar zu: „Mylady, wenn Ihr noch Königin Isabella Eure Aufwartung machen wollt, dann kommt bitte mit.“

Leslie of Glanvil schaute den Sheriff an, der langsam seine Hand löste und ihr zunickte: „Geht nur. Ich warte bei Sylvester.“

Auch sie war nur zögerlich bereit, ihre Hand von seinem Arm zu nehmen und als sie es tat, reichte sie ihm die Hand zum Kuss. Wesentlich geübter als noch am Tag zuvor ergriff er diese und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken, was ihr eine Gänsehaut verursachte und ihm ein mollig-warmes Gefühl bescherte.

„Auf bald, Mylord.“

„Auf bald, Mylady.“ 

Der Erzbischof von Canterbury, der kurz nach dem Paar von einer anderen Verabredung kommend eingetroffen war, schaute nicht ohne Sorge auf Philip Marc: „Ich kenne King John. Er ist ein gerissener Hund und ich warte nur darauf, dass ihm irgendetwas Sonderbares einfällt, um Euch völlig in Misskredit zu bringen. Seht Euch vor.“

„Ihr meint, er heckt etwas aus? Was?“

„Meiner Treu, Mylord, wenn ich das wüsste. Eine Intrige eben.“

„Er schien mir heute recht gut gelaunt und uns mehr gewogen gewesen zu sein als beim letzten Mal.“

„Das kann sich bei King John von einer Minute auf die andere ändern, er wechselt die Laune schneller als ein Sommergewitter aufziehen kann.“

„Ja, scheint so. Danke für Eure Sympathie.“

„Nichts zu danken. Mir ist vieles, was er tut ein Dorn im Auge. Wir sehen uns ebenfalls zur Verlobungsfeier wieder, nicht wahr?“

„Natürlich, Eminenz.“

Kapitel siebzehn by doris anglophil
Author's Notes:

 

Natürlich hat King John nur Abartigkeiten im Sinn.
Ich muss dazu erläutern, dass es das "Ius Primae Noctis" an und für sich überwiegend in der Literatur und in anhängigen Genres (wie z.B. Film) gibt. Die Geschichtsschreibung und die Überlieferungen sind sich darüber nicht ganz einig, es darf aber als Fakt angenommen werden, dass so mancher Feudalherr sich dieses Privileg herausgenommen hat, ob rechtlich fundiert oder nicht.
Es wurde z.B. in "Braveheart" thematisiert und so habe ich es auch eingebaut, weil ich fand, dass John Lackland ein Mensch war, der auf so etwas mit Genuss, Schadenfreude und vor allem aus reiner Bösartigkeit bestanden hätte.
Es geht also gehörig rund und es ergibt sich eine unschöne Wendung...

 

Philip Marc hatte mehr als einen Tag lang Lady Leslie nicht mehr gesehen, doch nun stand die große Feierlichkeit im Tower an und so trafen sie kurz vor der Abreise aus dem Palast von Lambeth aufeinander.

Er wurde von Ada benachrichtigt, dass seine Verlobte ihn kurz zu sprechen wünsche und beeilte sich, dieser Aufforderung nachzukommen.

„Ihr habt mich rufen lassen, Mylady?“

„Ja. Seid Ihr zur Abfahrt bereit? Werden wir den Tag und die Nacht im Tower gut überstehen?“

„Wenn Ihr bereit seid, bin ich es auch.“

„Gut. Woher habt Ihr Euer Gewand? Es sieht mir neu aus.“

„Der Erzbischof war so gütig, mir eine halbwegs höfische Ausstattung zukommen zu lassen.“

„Daran hat er wohlgetan.“

Darauf wusste er mal wieder nichts zu erwidern, zumal auch sie sich offensichtlich festlich herausgeputzt hatte. Er war nicht in der Lage, ihr seine Bewunderung offenzulegen. 

Leslie of Glanvil bemerkte es wohl, sagte aber nichts. Sie wusste, er würde früher oder später mit Gewissheit darauf eingehen.

Die Fahrt über die Themse zog sich hin, es wehte ein eisiger und starker Wind und machte die Fährpassage überaus unangenehm.

Sie hüllten sich beide in Schweigen, sagten kaum etwas und versuchten dem winterlichen Sturm zu trotzen.

Doch Leslie fror erbärmlich, trotz der dicken Umhänge, in die sie sich gehüllt hatte. Philip Marc hingegen hielt sein Gesicht in den kalten Wind und tat recht unbeteiligt.

Erst als er sich einmal kurz umdrehte, sah er wie blass sie war und wie sie fast schon mit den Zähnen klapperte. 

Mit zwei ausladenden Schritten war er bei ihr und legte ihr zusätzlich sein Fuchsfell um die Schultern: „Besser?“

Sie nickte mit dem Kopf und schüttelte ihn aber auch gleichzeitig: „Danke. N… nicht viel besser, um ehrlich zu sein.“

Er nickte ebenfalls, zögerte kurz und zog sie dann in seine Arme. Sie versank beinahe darin, zumal er seinen Umhang halb öffnete und sie sich fröstelnd an seine Brust kuschelte.

Sie konnte zum Glück nicht sehen, dass er seinen Kopf zu ihr hinunter beugte und ihr rasch einen scheuen Kuss auf ihr Haupt drückte. Außerdem war ihr Haar von Schleiern bedeckt, so dass sie es auch nicht fühlen konnte. 

Kurz bevor sie am Tower anlegten, murmelte sie in seinen dicken Umhang hinein: „Ihr lasst mich nicht los, nicht wahr?“

Ihre Schutzbedürftigkeit rührte ihn, verunsicherte ihn aber auch, daher antwortete er knapp: „Im Tower ist es warm, mein Umhang wird dort nicht mehr vonnöten sein.“

Sie sah zu ihm auf, die Blässe hatte einem rosa Ton auf ihren Wangen Platz gemacht: „Sicher. Aber…“, sie verstummte und traute sich nicht ihre Gefühle genauer auszudrücken. 

Auf dem Weg zum König dämmerte ihm, dass sie seinen Schutz nicht wegen der Kälte eingefordert hatte.

Er atmete tief durch und nahm dann ihre Hand auf: „Wir… wir werden unsere Sache gut machen. Und… Ihr seht wirklich bezaubernd aus.“

Sie lächelte still in sich hinein, denn dies war seine Reaktion gewesen, die eigentlich schon in Lambeth hätte kommen sollen.

„Ja“, raunte sie, „wir werden es gut machen.“ 

Es schien ihnen, als wäre der König bereits betrunken zur Feier erschienen, denn er war sehr laut, aufgekratzt und hatte teils Mühe sich zu artikulieren. Während des Banketts sprach er noch mehr dem Alkohol zu und brachte viele Trinksprüche aus, die meisten widmete er mit grölender Stimme dem verlobten Paar.

Nur die Anwesenheit seiner Mutter hielt ihn davon zurück, sich völlig unmöglich zu benehmen.

Erst als sie und auch Königin Isabella sich von der lärmenden Feier zurückgezogen hatten, gab es kein Halten mehr für King John. Es passte ihm nicht, dass alles überaus harmonisch und ohne Zwischenfälle verlaufen war, er war auf Provokation aus.

So brach er plötzlich in ein fast irre zu nennendes Gelächter aus und rief quer durch den ganzen Saal: „Diese Feier ist sterbenslangweilig! Das ist kein Amüsement, das ist ein Trauerspiel! Ich helfe der Sache auf die Sprünge und sage, nein, ich befehle, dass der Erzbischof sofort die Trauung an den Verlobten vollzieht! Ja! Sie sollen gleich hier und heute heiraten.“

Er klatschte wie verrückt in die Hände und war fasziniert von seinem spontanen Einfall. 

Stephen Langton war aufgestanden und brachte seinen Einwand vor: „Bei allem Respekt, Euer Majestät, das halte ich für keine gute Idee. Es war nur die Rede von einem Verlobungsbankett und nicht von einer Hochzeit.“

Doch der König war nun in Fahrt.

Jeglicher Widerstand reizte ihn nur mehr und ließ sein großes Ego weiter ausschweifen: „Papperlapapp, Langton! Ihr habt nichts zu melden. Wenn ich sage, es wird geheiratet, dann wird es so gemacht.“

Leslie und Philip waren dem kurzen Wortwechsel mit angehaltenem Atem gefolgt. Das lief ganz und gar nicht nach ihren Vorstellungen.

So erhob sich auch der Sheriff of Nottingham und tat seine Meinung kund: „Oh, wir fühlen uns überaus geehrt, aber es scheint uns ein wenig überstürzt. Wir möchten dann doch lieber in Nottingham in den heiligen Stand der Ehe treten, nach unserer Rückkehr aus London. Danke für Euer freundliches Angebot, Sire.“ 

Wenn er geglaubt hatte, mit diesen Worten den König von seinem irren Vorhaben abbringen zu können, so war dies ein Trugschluss.

King John schlug sich krachend mit den Händen auf die Oberschenkel, sein Lachen dröhnte durch den ganzen Raum: „Ihr seid zu köstlich in Eurem Bemühen, die Hochzeit abwenden zu wollen. Soll ich Euch was sagen: Die Eheschließung findet statt und zwar jetzt! Los Erzbischof, fangt an, wenn Euch Euer Kopf lieb ist. Und Ihr, Sheriff, haltet gefälligst den Mund, sonst lasse ich Euch bei Ebbe an einen Pfahl in der Themse ketten, und wir sehen alle mit Vergnügen zu wie die Flut heran rollt!“

Stephen Langton unternahm noch ein letztes Manöver, um das Unheil abzuwenden: „Sire,  genug gescherzt. Wir haben uns wirklich köstlich amüsiert, dank Euch.“

Der König brüllte nun: „Scherz? Ich mache keinen Scherz! Das ist mein völliger Ernst! Und nun genug geredet, ich will Taten sehen!“ 

Leslie of Glanvil nickte dem Erzbischof resigniert zu, dann erhob sie sich halbwegs würdevoll und trat vor ihn. Philip Marc folgte ihrem Beispiel, auch wenn ihm höllisch schwindlig war und er nicht mehr wusste, was genau da nun vor sich ging. Er nahm alles Folgende lediglich wie betäubt wahr und hörte sich selbst ein paar Worte murmeln, die ihm Stephen Langton vorgesagt hatte. Dass auch Leslie of Glanvil das Gleiche nach ihm sagte, bekam er nicht richtig mit.

Nur das höhnische Lachen des Königs und sein unwirscher Befehl drangen nach einer Weile an sein Ohr: „Hört Ihr nicht, Sheriff? Küsst sie endlich, sie ist gerade Eure Frau geworden!“

Er sah auf und blickte in tränenumflorte grüne Augen. Völlig ohne eigenen Willen beugte er sich zu diesen hin und presste kurz seine Lippen auf ihre. Er fühlte nichts mehr, er war wie ausgelaugt. 

Sie erwiesen beide dem König ihre Reverenz und dieser grinste weiterhin so diabolisch, dass dem Erzbischof langsam dämmerte, dass dieses Spielchen noch nicht sein Ende gefunden hatte.

Mit ungutem Gefühl im Bauch setzte sich Stephen Langton wieder auf seinen Platz und hatte kaum einen erholenden Schluck Wein aus dem Becher genommen, als der König fröhlich allen seine nächste Idee verkündete: „Wunderbar. Alles ganz wunderbar. Ich gratuliere. Und nun, Sheriff, da Ihr dieses schöne Weib aus Yorkshire Eure Ehefrau nennen dürft und alles mit Ihr anstellen könnt, was Euch so in den Sinn kommt, müsst Ihr diese Wünsche nur noch ein klein wenig hinten anstellen. Doch ich bin sicher, das werdet Ihr verschmerzen.“

Philip Marc ahnte ebenfalls etwas Unheilvolles, aber er konnte es nicht bewusst erfassen, der König drückte sich zu vage aus.

Doch King John schien in der Tat auf eine Frage von ihm zu warten, also schluckte er und brachte heiser hervor: „Bi… bitte, Sire? Ich verstehe nicht…“. 

King John erhob sich von seinem Thron, stieg die Stufen hinunter und stellte sich bedrohlich direkt vor den Sheriff in Positur.

Seine Stimme hatte einen gefährlichen Tonfall angenommen, als er ihm zuzischte: „Selbstverständlich erhebe ich hiermit meinen Anspruch, mein Recht auf die erste Nacht.“

Langton war aufgesprungen, nur um gleich wieder mit Verzweiflung im Blick auf seinen Stuhl zurückzusinken und zu flüstern: „Ius Primae Noctis. Ich habe es geahnt.“ 

Philip Marc war, als würde man ihm den Boden unter den Füßen wegziehen, alles schien sich um ihn zu drehen.

Er hörte sich selbst entsetzt ausrufen. „Niemals!“

„Beschwert Euch nicht, Sheriff. Ihr bekommt Eure werte Gattin morgen früh so gut wie unversehrt wieder und dürft nach Nottingham abreisen.“

Inzwischen hatte auch Leslie of Glanvil die gesamte Tragweite von des Königs Forderung erfasst und war mit einem Aufschrei ohnmächtig in sich zusammengesunken.

Fassungslos kniete Philip Marc neben ihr und hielt ihre Hand, während sich einige der verbliebenen Hofdamen darum bemühten, sie aus der Ohnmacht zu erwecken.

Als sie matt die flatternden Lider wieder aufschlug, vernahm sie seine tiefe, wenn auch leicht gebrochene Stimme: „Keine Angst, ich lasse es nicht zu.“ 

Der König wetterte: „Ihr lasst es nicht zu? Mylord, Ihr habt keine andere Wahl. Entweder dies oder Ihr findet Euch im Kerker des Towers wieder und Eure Gattin stelle ich unter strengen Hausarrest, bis Ihr Vernunft angenommen habt.“

Philip Marc war immer den Weg des geringsten Widerstandes gegangen, hatte Feigheit stets mutigen Taten vorgezogen, doch damit war nun endgültig Schluss.

Er kam von seinen Knien hoch und baute sich vor King John in seiner ganzen imposanten Größe auf: „Dann ruft Eure Wachen und lasst mich festnehmen. Lieber verrotte ich in einem feuchten, dreckigen Verlies, als Euch in dieser Hinsicht gehorsam zu sein.“

„Nein“, flehte Leslie ihn an, „bitte nicht!“

Er drehte sich zu ihr um: „Ich lasse es nicht zu, mein letztes Wort, Myl… Leslie.“    

Während die Wachen sich auf Geheiß des Königs mit gezückten Schwertern um ihn postierten, schlang sie beide Arme um seinen Hals, barg ihr Gesicht an seiner linken Brust unterhalb der Schulter und fing bitterlich an zu weinen.

„Sch, nicht doch. Weint nicht.“

„Oh, My… lord… was… soll… nun… werden?“

„Was soll schon werden. Ich gehe für Euch und Eure Ehre in Haft. Lebt wohl. Und es wäre schön, wenn Ihr meinen Namen einmal sagen könntet, bitte.“

„Philip!“ 

Es war mehr ein Aufschrei von ihr, denn er wurde just in diesem Moment unsanft von ihr losgerissen und abgeführt.

„Wie rührend“, die Stimme des Königs klang wie ätzendes Gift, „Mylady, Ihr steht unter Hausarrest und dürft den Tower nicht verlassen. Innerhalb der Mauern des Towers dürft Ihr Euch frei bewegen, aber wehe Ihr tut auch nur einen Schritt nach draußen!“

„Darf… ich… meinen… Gatten… besuchen?“

„Vorerst nicht. Sprecht mich in einer Woche noch einmal darauf an. Und lasst Euch sagen, dass Ihr mich sehr verärgert habt. Ihr und Euer verlauster Ehemann scheint nicht zu wissen, dass man seinem König Gehorsam schuldig ist.“ 

 

Kapitel achtzehn by doris anglophil
Author's Notes:

 

Ja, nun haben wir den Salat! Der König hat böse zurückgeschlagen und jetzt sind der SoN und Lady Leslie absolut überraschend miteinander verheiratet, wenn auch rüde getrennt - er wurde eingekerkert und sie steht unter Hausarrest. Was soll nun werden? 
Lady Leslie zerbricht sich den Kopf darüber und kommt darüber sogar in den Genuss einer Art von "Aufklärungsgespräch". Sicherlich dürfte sie nicht gänzlich unbedarft sein, aber sie ist noch nicht völlig im Bilde über so manche Vorgänge, sie hat ein klein wenig Informationsbedarf.

 

Stephen Langton kam mit steinernem Gesichtsausdruck in Lambeth an und fauchte jeden ärgerlich an, der ihm in die Quere kam: „Nicht jetzt! Ich muss nachdenken und allein sein. Bitte keine Störungen!“

Der Erzbischof of Canterbury war nicht sehr oft derart übel gelaunt, so dass die Nachricht über seinen sonderbaren Gemütszustand in Windeseile die Runde in Lambeth Palace machte. Außerdem hatten die ebenfalls zurückgekehrten Damen natürlich ebenso schnell verbreitet, was sich bei der Verlobungsfeier im Tower so zugetragen hatte. 

Ada stemmte die Hände in die Hüften und meinte zu Aldred: „Dieses miese Schwein von einem König! Er ist wirklich ein Lump und verdient geköpft zu werden!“

„Pscht, nicht so laut, Ada. Ich verspüre keine große Lust darauf, als Gefolgsmann von Lady Leslie und dem Sheriff of Nottingham aufzufallen. Nicht, weil mir die Loyalität fehlt, nein, aber wir müssen einen kühlen Kopf behalten und darüber nachdenken, was nun zu tun ist. Wir sind derzeit die einzigen – vom Erzbischof vielleicht abgesehen – die die beiden als Verbündete haben und wir müssen unbedingt auf freiem Fuß bleiben, um helfen zu können.“

„Was sollen wir nur tun?“

„Ich weiß es noch nicht. Aber dem Erzbischof oder auch mir wird schon noch etwas einfallen, keine Angst.“

„Hoffentlich. Ich bete dafür. Das einzig Erfreuliche an der ganzen Sache ist die Tatsache, dass sie verheiratet sind.“

„Wenn dir das ein Trost ist.“

„Ist es. Wer weiß, ob es ohne diese ganze umständliche Geschichte jemals dazu gekommen wäre. Wahrscheinlich nicht. Und ich fand schon immer, dass die beiden ein so schönes Paar abgeben würden.“

„Schon immer, dass ich nicht lache.“

„Nun, seit damals in Nottingham eben.“ 

Leslie of Glanvil, nunmehr Leslie Marc de Touraine, weinte sich die ganze Nacht lang die Augen aus dem Kopf. Es war ganz allein ihre Schuld, dass sie nun unter Hausarrest stand, beim König in Ungnade gefallen war, einen Mann zur Ehe gezwungen hatte und dieser nun auch noch wegen ihr im Kerker saß. Wie unbedarft und naiv sie doch gewesen war, als sie dem König leichthin ihre Verlobung verkündet hatte. Aber hätte sie es nicht getan, wäre sie wahrscheinlich vor Wochen schon in dessen Bett gelandet. Und nun… sie überlegte. Was wäre, wenn sie sich dem König freiwillig hingeben würde? Sie könnte somit die Freilassung des Sheriffs… ihres Gatten erwirken. Der Sheriff… Philip würde es nicht erfahren müssen, wem oder welchem Umstand er seine Freiheit verdankte. Zwar würde es sie eine Riesenüberwindung kosten, diesem fürchterlichen Despoten John ihre Jungfräulichkeit zu opfern, aber sie und Philip würden dann ihrer Wege gehen können. 

Nein, er würde es merken. Er würde spätestens dann merken, was los war, wenn sie mit ihm das Bett teilen würde. Mit… ihm, ihrem Ehemann. Mit Philip Marc de Touraine, dem stattlichsten Mann Englands.

Sie malte sich aus, wie es sein würde, wenn er sie berühren würde. Sie wusste nicht ganz genau, auf was die Sache hinauslaufen würde, aber er würde sie küssen, ganz sicher, das stand für sie fest. Den Kuss, den er ihr im Schockzustand nach der Eheschließung vor dem König und der Festgesellschaft gegeben hatte, zählte nicht. Das war nur ein flüchtiges Berühren ihrer Lippen gewesen.

Vielleicht würde sie auch ihn berühren können. Sie wusste, dass er eine sehr breite und behaarte Brust hatte, das hatte sie gesehen, als er einst halbnackt in seinem Haus in Nottingham vor ihr gestanden hatte, auch wenn sie damals so getan hatte, als hätte sie ihren Blick züchtig gesenkt.

Sehr viel mehr Vorstellungsvermögen besaß sie nicht, da ihre Mutter noch keine Notwendigkeit zu einem fraulichen Gespräch gesehen hatte, denn eine Eheschließung war bei ihrer Abreise aus Yorkshire noch nicht abzusehen gewesen. 

Und wenn sie sich dem König hingeben und dann einfach ohne Philip weggehen würde? Konnte sie nicht diese Ehe annullieren lassen, weil sie unter Zwang und ohne beiderseitiges Einverständnis eingegangen wurde? Dann würde Philip nie herausfinden, dass sie keine Jungfrau mehr war und alles wäre gut. Nein, auch das war kein sonderlich wertvoller Plan, er würde wissen, dass sie durch ihr Opfer seine Freilassung erwirkt hätte. Und außerdem stand es ihr klar vor Augen: Sie wollte diese Ehe nicht annullieren lassen! Sie wollte ihn! Sie war in ihn verliebt! 

Sie suchte Beistand bei Ada, die der Erzbischof mit einigen Kleidungsstücken zu ihr in den Tower geschickt hatte: „Ada, du musst mir sagen, was es bedeutet mit einem Mann das Bett zu teilen. Ich muss es wissen, meine Mutter ist weit weg von mir und ich bin nun verheiratet.“

„Mylady, das steht mir wahrlich nicht zu. Außerdem ist Euer Ehemann eingekerkert und daher ist es derzeit eher unwahrscheinlich, dass er seinen ehelichen Pflichten nachkommen wird.“

„Bitte, es ist wichtig, auch wegen King John. Ich muss es genau wissen!“

Ihre Stimme hatte einen flehentlichen Klang angenommen, doch Ada schüttelte weiterhin stur den Kopf: „Unmöglich. Geht und versucht es bei einer der anderen Damen, vielleicht habt Ihr da mehr Glück.“ 

So kam es, dass Lady Leslie in dieser Angelegenheit Suzanne Penman bei deren Besuch bei ihr ansprach. Nachdem diese zunächst ob des Themas ihres Gespräches entsetzt abgewehrt hatte, erklärte sie sich nach einer Weile doch bereit, der jungen Lady aus dem Norden ein wenig Aufklärung zu geben.

„Ich weiß kaum mehr als Ihr, Lady Leslie. Mein Ehemann hat das Zeitliche gesegnet, bevor er sich im Bett vollständig auf mich hatte wälzen können.“

„So seid Ihr noch Jungfrau?“

„Ja, so absurd es auch klingen mag. Ich bin eine jungfräuliche Witwe. Aber da Ihr so überaus neugierig seid, will ich Euch etwas sagen: Es ist ähnlich wie bei den Tieren. Der Mann legt sich auf Euch, drückt Euch die Beine auseinander und füllt Euer Innerstes dann mit seinem Geschlecht aus. Es soll zu Anfang höllisch wehtun, aber man sagt auch, dass die Frau sich allmählich daran gewöhnt.“ 

Lady Leslie schluckte und wagte dann nachzufragen: „Es macht also niemandem Vergnügen? Ich dachte…“, sie brach ab, weil sie nicht genau wusste, wie sie ihre Annahme weiterformulieren sollte.

„Vergnügen macht es allenfalls dem Mann. Einer Frau wohl kaum und wenn, dann muss es sich um eine Hure handeln.“

„Verzeiht, aber was ist an einer Hure anders? Ist sie nicht auch eine Frau wie Ihr und ich?“

„Sicherlich. Aber sie hat keine Moral, keinen Halt, keinen Anstand.“

„Und das genügt, um an den Umarmungen eines Mannes Gefallen oder sogar Vergnügen zu finden? Ich finde das sonderbar.“

„Gute Güte, was stellt Ihr Euch denn vor?“

„Ich… ich weiß nicht. Mein… mein Gatte… also ich finde ihn sehr anziehend und ich denke, dass die Vereinigung mit ihm sehr schön, sehr angenehm sein könnte.“

„Mylady, macht Euch nichts vor. Der Sheriff ist ein Bär von einem Kerl und er wird Euch sehr wehtun, glaubt mir. Männer wie er kennen keine Rücksichtnahme, sie stürzen sich wie berauscht auf Euch, reißen Euch fast in Stücke ungeachtet Eures Wimmerns und schlafen dann schnarchend neben Euch, im schlimmsten Falle noch auf Euch, ein.“ 

Die junge Lady fühlte wie jede Euphorie in ihr wich und einem beklemmenden Gefühl Platz machte. Wenn es sich tatsächlich so verhielt wie Suzanne Penman es ihr gesagt hatte, dann wollte sie doch lieber versuchen, diese Ehe annullieren zu lassen. Aber konnte sie Philip einfach so hier im Kerker lassen? Das kam nicht in Frage. Sie musste seine Freilassung erwirken. Nur wie? Wie? Wie?

Kapitel neunzehn by doris anglophil
Author's Notes:

 

Alles nicht so einfach, nicht wahr?
Zum Glück haben die beiden Unglücksraben ein paar Leute, die ihnen Rückendeckung verschaffen. Ob das jedoch reicht, um King John von seinem irren Vorhaben abzubringen, ist natürlich fraglich.
Dennoch nimmt nun der Erzbischof selbst die Fäden in die Hand, und da er ein erklärter Intimfeind des Königs ist, ist die Gelegenheit günstig, dem herrischen Despoten mal zu zeigen wo es langgeht. Das Gelingen dieser Mission ist allerdings mehr als ungewiss. Dennoch ruhen so einige Hoffnungen auf dem klugen und feinsinnigen Kirchenmann.

 

Erzbischof Stephen Langton hatte sich lange genug den Kopf zermartert, nun musste etwas geschehen, es musste gehandelt werden. Er fuhr in den Tower, um mit Lady Leslie zu reden und ließ sie zu sich bringen.

„Eminenz, Ihr habt nach mir geschickt?“

„Ja, Mylady. Wie lieb und teuer ist Euch die Befreiung Eures Ehemannes? Auch wenn Ihr ein wenig überraschend zur Frau des Sheriffs gemacht wurdet, so weiß ich doch, dass es weder Euch noch ihm völlig gegen den Strich gegangen ist. Ihr seid in ihn vernarrt, nicht wahr?“

„Oh, Ihr lest in mir wie in einem offenen Buch, Erzbischof. Mir ist seine Befreiung sehr wichtig und ich habe mir lange Stunden darüber Gedanken gemacht, wie man dies bewerkstelligen könnte.“

„Ich auch. Und ich bin der Meinung, wir sollten Euren Stallmeister Aldred nach Nottingham schicken.“

„Aldred? Nach Nottingham? Aber weswegen denn?“ 

Der Erzbischof lächelte leicht und legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander, während er Lady Leslie seinen Plan darlegte: „Er kann unauffällig reisen und wird hier nicht großartig vermisst werden. King John ahnt nichts von seiner Anwesenheit und seiner Zugehörigkeit zu Eurem Hausstand. Ich werde in Kürze den König bitten, mit mir nach Canterbury zu kommen, um sich dort neue Jagdfalken anzusehen und die Erweiterung der Kathedrale zu begutachten.“

„Ich… ich verstehe nicht recht auf was Ihr hinauswollt.“

„Aldred soll in Nottingham Robin und Marian of Locksley von der Lage hier in Kenntnis setzen. Unsere Hoffnung baut sich darauf, dass die Gesetzlosen den Gefangenen dann befreien kommen, wenn der König abwesend sein wird.“

„Eminenz, der Plan wird nicht gelingen. Es ist irrig anzunehmen, dass jemand aus Nottingham auch nur einen Finger für den Sher… für meinen Gatten rühren wird. Sie werden vielmehr froh sein, dass sie ihn los sind. Er… er ist leider ziemlich unbeliebt dort.“

„Eure Ehrlichkeit und Betroffenheit rühren mich, mein Kind. Vertraut mir – sie werden kommen. Und wenn es in erster Linie Euch zuliebe ist.“

„Euer Wort in Gottes Ohr, Eminenz. Ich bete, dass sich alles so fügen wird.“

„Ich auch, Mylady, ich auch.“ 

Bei einer Sache war sie zuvor hellhörig geworden und daher traute sie sich nun nachzuhaken: „Ihr habt vorhin gesagt, dass die Heirat weder mir noch Phi… meinem Gatten zuwider gewesen ist. Woher nehmt ihr die Gewissheit, dies von ihm behaupten zu können? Dass ihr mich durchschaut habt, gebe ich ja zu, doch der Sheriff gab wohl kaum Anlass zu solchen Annahmen.“

„Dann seid Ihr mit Blindheit geschlagen, Mylady. Mehr möchte ich aber nicht sagen, das solltet Ihr besser selbst herausfinden.“

„Mylord Erzbischof, er hat sich nicht einmal getraut mich als seine Braut zu küssen.“

„Ihr sagt es. Er hat sich nicht getraut. Gewollt hat er es dennoch. Und nun ertragt Euren Hausarrest noch für einige Tage. Soll ich Eurem Gatten etwas ausrichten, wenn ich ihn besuchen gehe?“

„Habt Ihr die Erlaubnis vom König ihn zu sehen?“

„Ja.“ 

Ihre Aufregung über diese Neuigkeit war deutlich merkbar, denn sie lief nun unruhig hin und her beim Sprechen: „Oh, sagt ihm… nein, besser nicht. Sagt ihm, dass ich ihn gerne besuchen würde, der König mich aber nicht zu ihm lässt.“

„Natürlich, das richte ich ihm gerne aus. Sonst noch etwas?“

„Werdet Ihr ihm sagen, dass Hilfe naht? Oder würde das falsche Hoffnungen in ihm wecken?“

„Ich werde nur sagen, dass er sich körperlich in Form halten soll, falls er gezwungen sein sollte, sich seinen Weg aus dem Verlies freikämpfen zu müssen.“

Lady Leslie standen die Tränen in den Augen: „Er ist kein guter Kämpfer, bedauerlicherweise.“

„Hmh, schade. Möchtet Ihr mich noch etwas an ihn ausrichten lassen? Dass Ihr ihn liebt, vielleicht? Es würde ihn sicher beflügeln.“

„Würde es das? Ja, ich liebe ihn, aber ich möchte nicht, dass Ihr ihm dies sagt. Ich… ich träume davon ihm dies eines Tages selbst sagen zu können. Danke Erzbischof, dass Ihr mich aufgesucht und mir – und auch Philip – ein Licht der Hoffnung entzündet habt.“

„Es segne Euch der dreifaltige Gott, mein Kind.“ 

Er hatte von ihr geträumt. Halb gequält, halb beseelt schloss Philip Marc seine Augen und noch einmal zog der Traum im Geiste an ihm vorbei: Wie er sie richtig geküsst hatte und nicht nur brüderlich wie nach der erzwungenen Trauung. Wie er sie langsam aufs Brautbett gelegt hatte und ihre schwarzen Haare sich auf dem hellen, leinenen Kissen wie ein Fächer ausgebreitet hatten. Wie er langsam seine Hand um eine ihrer Brüste gelegt hatte und dann sachte das Hemd, das noch ihre zarte Haut bedeckt hatte, weggeschoben hatte… er riss missmutig die Augen wieder auf, denn genau an dieser Stelle hatte sein Traum geendet. Überdies hörte er wie sich jemand festen Schrittes näherte.   

„Ah, Mylord Sheriff, Ihr seht aus, als hätte Euch der Leibhaftige persönlich erschreckt. Geht es Euch nicht gut?“

„Ihr habt Nerven, Eminenz. Natürlich geht es mir nicht gut. Was habt Ihr angesichts meiner miserablen Situation denn erwartet? Dass ich hier sitze und erfreut vor mich hin lächle?“

„Keineswegs.“

„Wie schön, dass wenigstens Ihr hier unten vorbeischaut. Meine Tage sind mit Langeweile angefüllt und ich weiß meist nicht einmal, ob Tag oder Nacht ist.“

„Haltet Euch bereit für einen Kampf um Eure Befreiung.“

„Ihr beliebt zu scherzen, Mylord Erzbischof.“

„Keineswegs.“

Das sagtet Ihr bereits.“ 

Stephen Langton musterte den Gefangenen etwas genauer: „Ich dachte, Ihr würdet mich nach Eurer Ehefrau fragen. Es enttäuscht mich, dass Ihr es nicht getan habt.“

Das Lachen des Sheriffs klang bitter: „Ehefrau? Das ist nicht Euer Ernst. Eine Ehe, die dem kranken Hirn eines kranken Despoten entsprungen ist. Eine Ehe, die Ihr geschlossen und mit zu verantworten habt.“

„Ach, zu dieser Verantwortung stehe ich.“

„Also gut. Wie geht es Lady Leslie?“

„Sie lässt Euch sagen, dass sie sehr bedauert nicht zu Euch gelassen zu werden.“

„Darüber bin ich froh. Ich könnte es nicht ertragen, sie in einer Kerkerzelle empfangen zu müssen. Es ist ihrer unwürdig. Sie… sie ist…“, er brach mangels passender Worte ab, doch der Erzbischof ergänzte seinen Satz: „Sie ist eine wundervolle junge Lady, wolltet Ihr sicher sagen.“ 

Philip Marc fuhr sich durch die völlig verfilzten Haare und nickte: „Ja. Das auch. Sie soll mich nicht in diesem desolaten Zustand sehen. Ich… ich fände es unangebracht.“

Stephen Langton lächelte: „Oh ja, verstehe.“

Dann beugte er sich zu dem Gefangenen vor und fügte mit amüsiertem Unterton hinzu: „Dass Ihr eitel seid, Mylord, hätte ich nicht erwartet.“

„Eitel? Ich? Und das hier im finsteren Verlies? Wie könnte ich.“

„Ihr fürchtet, Eure Gemahlin könnte Euch in diesem ungepflegten und wenig erbaulichen Zustand sehen. Das ist eitel, wenn ihr mich fragt.“

„Wenn Ihr meint.“

Der Sheriff klang mutlos und apathisch. 

Der Erzbischof fasste nach dem Arm des Eingekerkerten: „Ich werde in Kürze gemeinsam mit dem König eine Reise nach Canterbury unternehmen. Versprecht mir, Touraine, dass Ihr nicht den Kopf hängen und Euch nicht völlig gehen lasst. Es ist wichtig, dass Ihr Euch täglich ein wenig körperlich ertüchtigt.“

„Körperlich ertüchtigt? Weshalb sollte das nötig sein?“

„Habt Ihr einen Gegenstand, mit dem Ihr einen Schwertkampf nachempfinden könntet?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Nun, so denkt Euch eben eine solche Waffe und übt damit in Eurem Geiste. Macht Liegestütze so oft und so viele Ihr könnt. Durchmesst diese Zelle im Laufschritt mehrmals täglich und mehrmals hintereinander.“

„Eminenz, was soll das alles?“

„Ich sagte es bereits: Rechnet mit einem Befreiungsschlag für Euch.“ 

Dem Sheriff entfuhr ein spöttisches Lachen: „Für mich? Wer sollte denn zu meiner Befreiung antreten? Wollt Ihr etwa eine Armee aufstellen? Ihr seid zwar kein besonderer Freund von King John, aber Hochverrat würdet Ihr dennoch nicht begehen.“

„Damit mögt Ihr Recht haben. Dennoch hofft auf Beistand und Hilfe in einigen Tagen. Und nun kniet nieder, mein Sohn, damit ich Euch segnen kann.“

Nachdem er den Segen des Erzbischofs empfangen hatte, wagte er es ihm noch eine Frage zu stellen: „Leslie ist wohlauf, nehme ich an?“

„Sie ist soweit munter wie ein Fisch im Wasser, nur darf sie den Tower nicht verlassen.“

„Sie… sie wird sich John nicht unterwerfen, oder?“

„Seid ganz ruhig, Touraine, sie ist eine großartige Frau. Auf bald.“

 

Kapitel zwanzig by doris anglophil
Author's Notes:

 

Heute wird es wieder ein klein wenig geschichtlicher. Zunächst wird die Abtei von Fontevraud (die alte Schreibweise ist jedoch "Fontevrault", die ich so auch im Text übernommen habe) erwähnt, dazu verlinke ich deren Internet-Seite http://www.abbayedefontevraud.com/v3/ .

Ich habe diesen Ort schon besucht und war damals höchst beeindruckt von der gesamten Anlage, die etwas Magisches an sich hat, vor allem aber von den Grabmalen der Hoheiten und Majestäten, darunter Richard I. Löwenherz und eben Eleanor von Aquitanien.

Sie hatte ein sehr unruhiges Leben, auch wenn sie im Film meist als ein ruhender Pol dargestellt wird, ging alles um sie herum doch recht turbulent zu. Ihr Gatte, Henry II (schlage den Bogen zu "Die Säulen der Erde" - er ist dort aufgetreten als Sohn von Kaiserin/Königin Matilde bzw. Maud) wuchs ja überwiegend im Anjou auf, durch seine Heirat mit Eleanor kamen Besitztümer wie die Touraine (aha!) und die Gascogne hinzu. Das Land ging dann ja später wieder unter King John verloren, daher sein etwas unschöner Beiname "Ohneland" (Lackland). Ich möchte nicht zu stark ins Detail gehen, aber Henry II. setzte seine Frau gefangen, als sie sich gemeinsam mit Richard und John gegen ihn erhob. Späterhin wandte sich John, der sie damals unterstützt hatte, gegen sie und drohte ihr gleichfalls mit Verbannung, wenn sie ihn nicht ohne Vorbehalte gewähren lassen würde. Es stand also nicht einmal die engste Familie loyal zueinander, schwierige Zeiten voller Konflikte... 

Außerdem wird in diesem Kapitel einiges in französischer Sprache gesprochen, wozu ich hier die Übersetzung liefere:

„Bonsoir, mon Lord.“ = "Guten Abend, Mylord."
„Bon… bonsoir, Votre Majesté.“ = Gu... guten Abend, Eure Majestät."
„Je vous en prie, mon Lord." = "Ich bitte Euch, Mylord."
"Au revoir, mon Lord de Touraine. Je suis très, très attristée que mon fils, Le Roi Jean, a perdu tous les terres dans votre et dans ma patrie. Jean Sans Terres - cela en dit long. » = "Auf Wiedersehen, Mylord Touraine. Ich bin sehr, sehr betrübt, dass mein Sohn, King John, alle Ländereien in Eurer als auch meiner Heimat verloren hat. John Lackland - der Name ist Programm."
« Au revoir, Madame. » = "Auf Wiedersehen, Madame."

 

Königin Eleanor betrat das Gemach von Lady Leslie, wie immer Ruhe und Würde ausstrahlend: „Meine Liebe, es tut mir sehr leid, dass Ihr unter Hausarrest steht. Gerne würde ich Euch behilflich sein, aber ich fürchte, mein Einfluss ist zu gering. Ich traue es meinem eigenen Fleisch und Blut zu, dass es mich nach Frankreich schickt, um eine Weile im Gebet in der Abtei von Fontevrault zuzubringen, sollte ich wagen mich hier einzumischen. Mein seliger Gatte Henry und meine beiden Söhne auf dem Thron Englands haben mir mein Leben wahrlich nicht leicht gemacht, das muss ich leider anmerken. Ich hoffe, Ihr habt mit Eurem Gatten und Euren Nachkommen einst mehr Glück, Mylady.“

„Ich danke Euch für Eure netten Worte, Majestät. Allerdings glaube ich kaum, dass es mir vergönnt sein wird, diese Ehe zu einem glücklichen Ende zu bringen.“

„Man weiß nie, Lady Leslie. Das Leben hält so manche Überraschung für uns parat und man darf niemals aufgeben, auch wenn die Lage zunächst noch so hoffnungslos erscheint.“

„Ihr seid zu gütig, Madame. Dürft Ihr zu meinem Gatten?“

„Noch habe ich es nicht versucht, ich hörte aber, dass mein Sohn morgen abreisen und ein paar Tage außerhalb Londons verbringen wird. Dann werde ich mir natürlich Zugang zu dem Gefangenen verschaffen, das kann mir während seiner Abwesenheit nämlich niemand verbieten.“

„Nehmt Ihr mich mit?“

„Das würde ich gerne, aber ich möchte Euch nicht unnötig in Gefahr bringen. Mein Sohn hat überall seine Spitzel. Bleibt lieber wo Ihr seid, Kind.“ 

Leslie Marc de Touraine blickte die Königin an und fragte leise: „Meint Ihr, dass es richtig von mir war, dem König sein Ius Primae Noctis zu verweigern, Madame?“

„Was denkt Ihr denn! Natürlich war es richtig. Einzig und allein Euer Gatte hat das Recht an Eurem Körper und an Eurer Liebe. Niemand sonst, auf welchem archaischen Recht auch immer dieser Anspruch beruhen mag. John hat gewiss mehr als einmal Ehebruch begangen, und zwar in seinen beiden Ehen. Er ist rast- und ruhelos und kennt keine Moral. Ich vermag ihn nicht mehr zu ändern und Königin Isabella ebenso wenig. Wir müssen froh sein, dass er uns nicht beide ins Kloster schickt und Euch womöglich mit dazu. Er ist zu allem fähig.“

„Ja, das fürchte ich auch. Wollt Ihr Philip Marc de Touraine bitte meine liebsten Grüße bestellen, Madame?“

„Aber sicher doch, mein Kind. Das werde ich gerne tun.“ 

Der Erzbischof von Canterbury begab sich ausnahmsweise persönlich in den Gesindetrakt von Lambeth Palace, um Aldred von seiner Mission nach Nottingham zu unterrichten.

„Wer ist hier Aldred in Diensten der Glanvils?“

Ein überraschter, wenngleich nicht direkt verwunderter älterer Mann meldete sich mit gefasster Stimme: „Das bin ich, Euer Eminenz.“

„Gut. Ich habe einen besonderen Auftrag für Euch. Kommt mit.“

Erst als sie allein waren und nicht mehr von anderen gehört werden konnte, was sie miteinander zu besprechen hatten, redete der Erzbischof weiter: „Es handelt sich um den Sheriff of Nottingham und dessen Gattin, Eure Herrin.“

„Ja, das dachte ich mir schon. Was soll ich tun?“

„Ihr reitet unverzüglich und so schnell Ihr könnt nach Nottingham, besser gesagt in den Sherwood Forest, um dort Robin Hood, Euch auch bekannt als Robin of Locksley, aufzusuchen. Ihm und Lady Marian berichtet Ihr von der Lage hier und bittet sie im Namen von Lady Leslie und von mir einzuschreiten.“

„Oh… oh, das ist ein vorzüglicher, wenn auch recht gewagter Plan, Eminenz.“

„Ich weiß. Werdet Ihr diese Aufgabe übernehmen, Aldred?“

„Ihr könnt Euch auf mich verlassen, Erzbischof.“

„Gut. Und behaltet Stillschweigen über das, was wir hier beredet haben. Das Gelingen der Mission kann davon abhängen. Verliert keine weitere Zeit mehr und brecht sofort auf. Das ist alles, Ihr könnt gehen, mit meinem Segen und meinem Dank sowie dem Dank von Lady Leslie und dem Sheriff.“ 

Der Gefangene hatte keine Schritte gehört und war umso erstaunter, als sich plötzlich die schwere Kerkertür öffnete und er einer eindeutig weiblichen Gestalt gegenüberstand. Zuerst machte sein Herz einen gewaltigen Satz, denn er dachte es wäre Leslie, doch als die Dame zu sprechen anfing, war die Sache klar: Es war Königin Eleanor.

„Bonsoir, mon Lord.“

„Bon… bonsoir, Votre Majesté.“

Sie hielt ihm ihre Hand entgegen und lächelte dabei: „Ihr habt nun Gelegenheit, Eure Fertigkeiten bezüglich des galanten Handkusses weiter auszubauen, mon Lord.“

Er schüttelte den Kopf: „Nicht doch. Ich bin viel zu schmutzig und zerlumpt, um meiner Königin die Hand reichen zu dürfen, geschweige denn diese zu küssen. Immerhin weile ich schon einige Tage hier. Vergebt mir also, wenn ich Eurer Aufforderung diesmal lieber nicht nachkomme.“

„Sehr rücksichtsvoll von Euch, Mylord. Mein Sohn hat London für ein paar Tage den Rücken gekehrt, ich dachte es wäre gut, wenn Ihr das wisst.“

„Danke, Madame.“

„Ich soll Euch liebe Grüße von Eurer Frau bestellen. Sie hatte mich gebeten sie mitzunehmen, aber ich habe diese Bitte ablehnen müssen. Es wäre wenig ratsam gewesen, sie dadurch womöglich in Gefahr zu bringen.“

„Ihr seid sehr umsichtig, ich danke Euch.“

„Je vous en prie, mon Lord. Ich könnte es mir selbst nicht verzeihen, sollte Lady Leslie etwas zustoßen. Ich wollte mich auch nur persönlich vergewissern, dass Ihr nicht krank seid und es Euch den Umständen entsprechend gut geht. Es ist leider möglich, dass wir uns nicht wiedersehen werden, deswegen lasst mich Euch sagen, dass ich Eure Gattin gut verstehen kann und ebenfalls das in Euch sehe, was außer ihr wohl nur wenige sehen: Einen guten Mann, einen stattlichen Mann, einen fähigen Mann. Ihr müsst nur etwas mehr an Euch selbst glauben und an die, die Euch Vertrauen entgegenbringen. Es mögen deren nicht viele sein, aber es gibt sie. Und es mag floskelhaft erscheinen, wenn ich sage, dass unter Eurer rauen Schale ein guter – kein weicher, wohlgemerkt – Kern steckt, aber es entspricht der Wahrheit. Au revoir, mon Lord de Touraine. Je suis très, très attristée que mon fils, Le Roi Jean, a perdu tous les terres dans votre et dans ma patrie. Jean Sans Terres - cela en dit long. »

« Au revoir, Madame. » 

Aldred war wahrlich kein Jungspund mehr, aber er ritt was das Zeug hielt, so ausdauernd und so lange an einem Stück wie es ihm und dem Pferd möglich war. Als er schließlich in Nottingham vor dem Haus des Sheriffs erschöpft aus dem Sattel rutschte, konnte er nicht mehr aufrecht stehen oder laufen.

Eldon erschien aufgrund des Hufgetrappels vor dem Haus und half dem völlig erledigten Reiter hinein.

„Bringt Ihr Nachricht von meinem Herrn?“

„Ja. Und keine gute. Hast du einen Schluck Wein für mich?“

„Ich kann Euch einen Krug schlechtes Bier anbieten, mehr habe ich leider nicht.“

„Her damit, besser als nichts.“ 

Nachdem er einen Schluck getrunken und das Gesicht angewidert verzogen hatte, war er in der Lage weiterzusprechen: „Der Sheriff wird im Tower zu London gefangen gehalten. Er hat King John die Stirn geboten, als dieser… ach was erzähle ich so viel, das ist völlig unerheblich für dich. Ich muss in die Wälder zu den Outlaws und denen sagen, was vorgefallen ist. Kannst du mir den Weg zeigen?“

„In die Wälder? Zu Robin Hood? Ihr habt es ja gut vor. Ich schwöre Euch, der macht keinen einzigen Finger für den Sheriff krumm.“

„Das lasst meine Sorge sein. Nur hinkommen muss ich irgendwie.“

„Es dürfte nicht allzu schwer sein. Ihr müsst nur einen gut gefüllten Beutel durch den Sherwood Forest tragen, dann werdet Ihr ganz von selbst in deren Hände fallen. Vielleicht habt Ihr Glück und könnt Euer Anliegen vorbringen, bevor Ihr von einem Pfeil durchbohrt vom Pferd fallt.“

„Es wird jetzt dunkel, heute also nicht mehr. Aber gleich in der Früh wollen wir es wagen.“

„Ihr, mein Herr, Ihr. Nicht wir.“ 

Aldred hatte mehr Glück als Verstand, denn er traf anderntags auf seinem Ritt in den Wald an einer Weggabelung direkt auf Lady Marian.

Er dankte Gott, als er sie vor allem an ihrem Pferd erkannte und so sprach er sie an: „Mylady, bitte wartet!“

Sie schob sich ihre tief in die Stirn gezogene Kapuze ein Stück nach oben, musterte ihn abwartend und ließ ihn ein kleines Stück näherkommen.

„Was wollt Ihr?“

„Ich habe eine beschwerliche Reise von London hierher unternommen, um Euch ausfindig zu machen. Schenkt mir ein paar Minuten Eurer wertvollen Zeit, ich bitte Euch.“

„Ich kenne Euch irgendwo her.“

„Das ist richtig. Mein Name ist Aldred und wir haben uns vor einigen Wochen, im späten Herbst, auf Eurem Besitz Pepper Harrow getroffen.“

„Aldred? Ihr habt Lady Leslie of Glanvil auf ihrer Reise begleitet und mein… mein Mann Robin hat Euch versehentlich an einen Balken im Stall gebunden.“

„Ganz genau. Es freut mich, dass Ihr Euch daran erinnert.“

Lady Marian lachte: „Ja, wenn auch Ihr das so erinnerungswürdig findet, ist es ja gut. Was liegt denn an, Aldred?“ 

Sie hörte überaus aufmerksam zu, was Aldred zu berichten hatte. Äußerlich hatte es den Anschein, dass sie völlig ruhig war, aber es wühlte sie innerlich doch ziemlich auf.

„Aldred, die Dinge sind so leicht nicht. Wir können nicht einfach vergnügt und seelenruhig in den Tower spazieren und den Sheriff of Nottingham aus dem Kerker holen. Außerdem muss ich die Sache mit Robin und den anderen besprechen. Da aber der gute Sheriff bislang eher ein Brechmittel für alle hier war, sehe ich eine nur äußerst geringe Chance für ihn, um ehrlich zu sein. Den Meisten wäre es sicher lieber, er bliebe dort bis ans Ende seiner Tage.“

„Der Erzbischof von Canterbury verwendet sich sehr für ihn und vor allem für seine Frau, Lady Leslie.“

Marian stieß einen Seufzer aus: „Ich werde ein gutes Wort für ihn einlegen, aber ohne Gewährleistung für eine positive Entscheidung.“

„Danke. Wann kann ich Nachricht von Euch erwarten, Mylady?“

„Morgen um die gleiche Zeit.“

„Geht es nicht schneller?“

„Heute Abend frühestens.“

„Habt Dank.“ 

Robin Hood verdrehte die Augen himmelwärts, als er von der Angelegenheit in Kenntnis gesetzt wurde.

„Kommt gar nicht in Frage. Dieser Hanswurst hat dir jahrelang nachgestellt, hat alle hier in Angst und Schrecken versetzt und nun sollen ausgerechnet wir ihm zur Hilfe eilen?“

„Ich dachte mir schon, dass du das sagen würdest. Aber hier geht es nicht darum, dass der Sheriff bislang kein angenehmer Zeitgenosse gewesen ist, hier geht es darum, dem König die Stirn zu bieten und vielleicht dadurch noch mehr Leuten die Augen zu öffnen, den lieben Sheriff eingeschlossen.“

„Wir haben schon einmal versucht, ihn zu bekehren.“

„Ja, und auch wenn es damals bei dem Versuch geblieben ist, steckt etwas in ihm, das erweckt werden muss. Davon bin ich überzeugt.“

„Wenn du der Meinung bist, dass es durch einen Überfall auf den Tower erweckt werden kann… lass uns hören, was der Rest von uns sagt.“ 

Allan A’Dale klopfte fest an die Holztür in Nottingham und bekam diese von Eldon geöffnet: „Ihr wünscht?“

„Ich bringe eine Nachricht für Aldred, den Stallmeister.“

„Kommt herein, er sitzt am Feuer.“

Der Outlaw trat ein und zog seine Reithandschuhe aus.

Dann wandte er sich an den Gast: „Lady Marian und Robin of Locksley lassen ausrichten, dass morgen früh gen London aufgebrochen wird.“

„Oh, das ist eine überaus gute Nachricht. Danke vielmals, auch an Lord und Lady Locksley. Ich werde im Morgengrauen bereit sein.“

„Und ich ebenfalls“, ließ sich Eldon mit einem breiten Grinsen im Gesicht vernehmen.

Kapitel einundzwanzig by doris anglophil
Author's Notes:

 

Nun beginnt ein recht spannender, abenteuerlicher Teil. Die Schwertkampf-Einheiten, die der SoN für sich einübt, sind selbstverständlich absolut authentisch.
Das Tor von Aldersgate ist eines der Stadttore in der Stadtmauer Londons, die bereits zu Teilen von den Römern herstammte. Es war in Nutzung bis ins Jahr 1761.
Smooth Fields ist das heutige Smithfields, wo im Mittelalter ein großer Viehmarkt war und es heute noch eine tolle Markthalle mit Waren von A bis Z gibt. Auch waren Hinrichtungen früher dort sehr populär, noch bevor man den Tower für solche Spektakel für sich entdeckte. Hier wurde im Jahr 1305 auch der schottische Nationalheld William Wallace gehängt, ausgeweidet und gevierteilt.
Dass Eldon und andere leichtes Spiel haben, sich als Wache am bzw. im Tower rekrutieren zu lassen, liegt sehr wohl im Bereich des Möglichen. Es herrschte eine hohe Fluktuation, dem die Verantwortlichen gar nicht recht Herr werden konnten; viele wurden krank, starben oder mussten aufs Land, um Verwandten zu helfen oder in irgendwelche Schlachten ziehen. Wachposten konnte man also gar nicht genug haben. Wenn daher kräftige, willige Männer dafür vorsprachen, wurden sie in der Regel auch genommen, denn sie galten eben auch als guter Nachschub für die Soldaten.

 

Auf der Reise gab es genügend Gelegenheit, um Pläne zu schmieden. Da Aldred gesagt hatte, dass King John sich nicht in London befinden würde, war dies als leichter Vorteil für die Leute aus Nottingham anzusehen. Eine offensive Vorgehensweise war kaum ratsam, besser war viel List und Tücke anzuwenden. Jemand musste herausfinden, wo genau sich die Gefängniszelle des Sheriffs befand und ob man vielleicht einer Zeichnung der Lage derselben und der Gänge habhaft werden konnte. Wichtig war auch zu erforschen, ob es eventuell geheime Zugänge von irgendwoher gab, möglicherweise von der Themse aus. Leider befand sich der Erzbischof nicht in London, er hätte sicher weiterhelfen können. Dass man im Tower weitere Verbündete finden würde, stand stark zu bezweifeln. Lady Leslie kannte sich in dem Gebäude nicht aus und die Königinmutter würde sich ganz bestimmt aus allem heraushalten. 

Sie reisten in mehreren kleinen Gruppen, um nicht aufzufallen. Aldred war die Ehre zuteil geworden, mit den Locksleys reiten zu dürfen, während man Eldon in die Gruppe von Friar Tuck und Little John gesteckt hatte.

Am Tor von Aldersgate trafen alle wieder zusammen, es wurde eine letzte Lagebesprechung auf dem Viehmarkt von Smooth Fields abgehalten.

Für Marian of Locksley war es ein großer Vorteil, dass man sie bei Hofe nicht kannte, wohl hatte sie einst das kurze Vergnügen gehabt Richard Lionheart zu begegnen, doch weder Königin Isabella noch Johns Mutter war sie von Angesicht bekannt. 

Vor einer Begegnung mit William Marshal musste man sich vorsehen, er kannte sowohl Marian als auch Robin Hood. Da Marshal in Abwesenheit des Königs dessen Vertreter in der Hauptstadt war, hielt man sich besser von ihm fern. Seine Loyalität war nicht einschätzbar, gut möglich, dass er dem König so treu ergeben war, dass er eine Gefahr für die Befreier darstellte, ebenso war es möglich, dass er den König verriet und mit den Outlaws gemeinsame Sache machte. Aber verlassen durfte man sich nicht auf ihn. Es war ein zu großes Risiko. 

Wichtig war, dass man Philip Marc irgendwie würde bewaffnen können. Auch wenn Robin der Meinung war, ebenso könnte man einem alten Hammel ein Schwert in die Hand drücken, das hätte ungefähr den gleichen Nutzen, so stimmte er dennoch mit den anderen überein, dass es schlussendlich notwendig war. Dies würde Eldons Aufgabe werden, der sich als Gefängniswärter anstellen lassen sollte. Es war allgemein bekannt, dass ständig Tower-Wachen gesucht wurden, Aldred hatte schon oft entsprechende öffentliche Aushänge in London gesehen.  So konnte Eldon wahrscheinlich mit einer Mahlzeit, die er dem Gefangenen dann ausliefern würde, auch ein Schwert in dessen Zelle bringen. Eldon war sich bewusst, wie viel von dieser, seiner Mission abhängen würde und er zitterte vor Aufregung und Anspannung, als er während der Lagebesprechung dafür erwählt wurde. 

Marian oblag es, sich im Tower umzusehen und umzuhören und wichtige Informationen, beispielsweise aus dem Kerkertrakt von Eldon, an die anderen weiterzugeben. Aldred war für die Quartiere der Leute aus Nottingham zuständig, außerdem sollte er mit Ada Sorge dafür tragen, dass alle möglichst in der Nähe des Towers unterkamen und täglich eine warme Mahlzeit erhielten.

Little John würde mit einigen anderen Männern die äußeren Tower-Wachen verstärken und Robin wollte sich um die baulichen Gegebenheiten kümmern, er hatte lange genug mit King Richard riesige Festungs- und Burganlagen belagert und wusste schnell die Schwachstellen an solchen Bauwerken auszumachen. 

Philip Marc wurde die Zeit lang, außer einigen Ratten, Mäusen, Spinnen oder ähnlichem Krabbelgetier zuzusehen und auf die tägliche Essensration zu warten, hatte er nichts zu tun. Seit dem Besuch von Königin Eleanor schien schon wieder einiges an Zeit verstrichen zu sein, obwohl er das nur sehr schlecht einschätzen konnte. Der einzige Anhaltspunkt war die Austeilung des Essens, von dem er annahm, dass es meistens am frühen Nachmittag gebracht wurde, aber sicher konnte man sich dieses Fixpunktes auch nicht sein.

Konnte er wirklich erwarten, dass jemand zu seiner Befreiung etwas unternehmen würde? Da außer dem Erzbischof auch die Königin so explizit auf die Abwesenheit des Königs hingewiesen hatte, musste ja etwas im Gange sein. Aber was? Und wer käme dafür in Frage? Man würde hoffentlich Leslie nicht mit hineinziehen, das wäre unverantwortlich in seinen Augen. 

Da er eindringlich darum gebeten worden war, sich in guter körperlicher Verfassung zu halten, machte er zum wiederholten Male Liegestütze, die er in den vergangenen Tagen immer öfter ausgeführt und in der Schwierigkeit nach und nach ausgebaut hatte. Danach versuchte er sich ein eineinhalb-händiges Schwert vorzustellen, es zu fühlen, die kalte Klinge zu spüren, die Schwere des Gewichtes dieser Waffe zu erahnen. Er ließ es einige Male im Geiste durch die Luft sausen und hieb dann auf einen unsichtbaren Gegner ein. Dreier, Fünfer, Abwehr über Kopf, Abwehr am Körper, Vierer, Sechser. Er ging alles durch, wieder und immer wieder. Erst als er sich wahrhaft erschöpft und kraftlos fühlte, beendete er seine imaginären Lektionen. Müde kniete er vor seinem schäbigen Strohlager nieder und betete: 

Gütiger Herr im Himmel! Lass mich geduldig sein und die Gefangenschaft weiterhin mit Fassung ertragen, wie ich es in der Vergangenheit bereits recht gleichmütig getan habe. Beschütze Leslie und alle, die ihr gewogen sind und sende ihnen Heerscharen von Engeln zur Begleitung. Leite die auf dem rechten Weg, die sich eventuell um eine Befreiung für mich bemühen und führe sie zu ihrem Ziel. Ich bitte Dich, Herr, vergiss mich armen Sünder nicht, Amen. 

Nachdem er das Kreuz geschlagen hatte, sank er auf sein Lager und hoffte inständig, dass Leslie diese Ehe nicht würde annullieren lassen. So überraschend dies alles auch gekommen war und so widrig die gesamten Umstände waren, so betete er doch zu Gott, dass er heil aus der Sache herauskommen und mit Leslie an seiner Seite London verlassen würde können. Wenn King John ihm auch gewiss sein Amt als Sheriff nehmen würde, so konnten sie beide bestimmt nach Yorkshire gehen und sich dort gemeinsam etwas aufbauen. Notfalls wäre auch zu erwägen über die Grenze nach Schottland zu reisen und am Hof von Stirling bei König William dem Löwen unterzukommen. Möglichkeiten gab es durchaus, er war nicht unbedingt auf John Lackland angewiesen. Oder Frankreich – selbst das war eine Überlegung wert. 

Bereits kurze Zeit nach ihrer Ankunft in London, sah Robin Hood sofort wie einfach es war, sich unbemerkt Zugang zum Tower zu verschaffen. Die Wachen waren absolut liederlich in der Ausführung ihres Dienstes, zudem schienen sie nur unzureichend ausgebildet und bewaffnet zu sein. Offensichtlich rechnete der König nicht damit, dass ihn jemand so unmittelbar und rotzfrech angreifen würde. Es würde nicht notwendig sein, sich von außen durch rostige Gitter oder unterirdische Wasserläufe nach innen vorzuarbeiten. Es reichte vollkommen, eine Wache betrunken zu machen und anschließend gemütlich an dem sich im Delirium befindlichen Manne vorbeizumarschieren. 

Auch für Eldon war es nicht sonderlich schwierig gewesen, sich die entsprechende Anstellung zu verschaffen. Er hatte bereits am ersten Tag seines neu angetretenen Dienstes ein Saufgelage der Wachen mitbekommen und es war für ihn nicht schwer gewesen, ein Schwert in den Kerkertrakt zu schmuggeln und dort zu verstecken, bis er eingeteilt war, den Gefangenen das Essen auszuteilen.

Es dauerte nur wenige Tage, bis man Eldon diese Aufgabe anvertraute, denn derjenige, der diesen Dienst sonst immer versah, hatte sich krank gemeldet und ein anderer wollte nicht, da er grundsätzlich faul war und den langen Fußmarsch durch die verschiedenen Gewölbe scheute. Also meldete Eldon sich blitzschnell freiwillig dafür und wurde mit Kannen und Eimern losgeschickt. Er staunte nicht schlecht, wie viele Leute im Tower gefangen gehalten wurden. Da er ohnehin nicht schreiben und lesen konnte, war es auch mit dem Rechnen bei ihm nicht weit her und weiter als zu einem Dutzend konnte er nicht zählen. Er gab es also rasch auf, die Zahl der Gefangenen rechnerisch zu erfassen. 

Außerdem erschreckte ihn das, was er zu sehen und zu hören bekam ganz außerordentlich. Manche Gefangenen schienen kaum noch am Leben zu sein, andere wiederum waren aufsässig und aggressiv, wieder andere schienen gefoltert worden zu sein oder litten an den Spätfolgen der Folter.

Bei jeder Klappe in der Tür, die er öffnete, hoffte er seinen Herrn zu finden, doch es verging sehr viel Zeit, bevor er ihn tatsächlich ausfindig machte.

Er öffnete die hölzerne Klappe und spähte in die Zelle, sah aber auf den ersten Blick nichts und niemanden.

„Essen!“ rief er und klapperte mit dem Holzlöffel an einem Zinnkrug.

War der Gefangene darin etwa tot? Man hatte ihm gesagt, dass dies durchaus vorkommen konnte. Andererseits wusste Eldon, dass es gefährlich sein konnte, allein wegen solcher Anzeichen die Tür ganz zu öffnen, denn oftmals wurde man dann übertölpelt und der Gefangene machte einen Ausbruchsversuch. Deswegen hatte er auch die Schlüssel für die großen Türen nicht erhalten, er musste bei einem solchen Verdacht erst Verstärkung holen. Der Oberaufseher des Kerkers kam dann mit und schloss auf, wenn mindestens zwei Wachposten dabei waren, um solchen Ausbrüchen vorzubeugen. 

Also rief er nochmals das Essen aus, schob es dann durch die Klappe zu dem Gefangenen und schloss diese wieder. Er drückte sein Ohr an die Tür und horchte. Nach ein paar Minuten hörte er Schritte und es war klar, dass die Schale mit dem Brei darin aufgenommen wurde. Also riss Eldon mit einem Ruck die Klappe wieder auf und sah fast direkt in die blauen Augen seines Herrn.

„Mylord!“

Mehr konnte er nicht sagen, dazu war er viel zu aufgeregt. 

Der Sheriff of Nottingham war ebenfalls perplex und wusste nicht, was er davon halten sollte, denn er hatte weder die Stimme Eldons noch ihn als Person erkannt,  da dessen Gesicht im Dunkeln nicht gut sichtbar war.

Vorsicht schien geboten, also fragte er nach: „Bist du neu hier, Mann?“

Eldon fasste sich wieder und holte tief Luft, dann gelang es ihm zu antworten: „Oh ja, das auch. Ich habe etwas für Euch, Mylord.“

Er zog ein Schwert - einen schweren, aber ausgewogenen Eineinhalb-Händer - hervor, welches er die ganze Zeit schon unter seinem Gewand auf dem Rücken getragen hatte und reichte es durch die Türklappe. 

Dabei fiel der Schein einer Laterne auf sein Gesicht und der Sheriff wusste, was die Stunde geschlagen hatte: „Eldon! Wie… oh mein Gott! Wie kommst du denn hierher? Und das Schwert?“

Er betrachtete die Waffe im schummerigen Licht der Laterne und bemerkte, dass es genau das gleiche Schwert war, mit welchem er vor vielen Wochen mit Robin Hood in Pepper Harrow Kampf-Lektionen durchgegangen war.

Ihm dämmerte sogleich einiges mehr, auch wenn Eldon sich kurzfasste: „Mylord, ich muss weiter. Es würde sonst auffallen. Da Ihr nun das Schwert habt, wird der Plan zu Eurer Befreiung unverzüglich anlaufen. Ich kann leider die Tür nicht öffnen, da ich die Schlüsselgewalt nicht habe. Aber sobald die Dinge ins Rollen gekommen sind, wird sich jemand von uns der Schlüssel bemächtigen und Euch hier heraus holen.“

„Großer Gott, sag bitte nicht, dass Robin Hood den Befehl über diese Rettungsaktion hat.“

„Doch, genau der. Haltet Euch bereit, wir kommen.“

„Eldon…“, doch da war die Klappe bereits wieder zugegangen und der getreue Bursche war weitergeeilt.

Kapitel zweiundzwanzig by doris anglophil
Author's Notes:

 

Mit ein bisschen Mut, List und Tücke konnten auch zwei Frauen zur damaligen Zeit so einiges bewirken... man musste sich nur trauen! Selbstverständlich kann man den schweren Dialekt hier nur andeutungsweise auf Deutsch wiedergeben, wäre es im Original gesprochen und kämen die Worte in rascher Abfolge, würde es von uns kaum jemand verstehen, denke ich mal.
Dann noch ein Wort zu Hollow Bourne, das im Text erwähnt wird: Dem entspricht das heutige Holborn in Camden, London (nahe dem British Museum, oder auch - bekannter für manche von euch - in Holborn gelegen: Freemasons Hall, die dem MI5 HQ in "Spooks" entspricht). Der Name bedeutet "hohler Bach" und steht wahrscheinlich für einen Teilabschnitt des River Fleet, der durch einen sehr tiefen Einschnitt dort in der Gegend fließt/floß (nach seiner Begradigung und Kanalisierung eben nicht mehr). Smithfields, das im letzten Kapitel eine Rolle spielte, ist nicht sehr weit, ebenso ist die Entfernung zur Themse gut zu Fuß bewältigbar. Zum Tower muss man schon ein gutes Weilchen gehen (ca. zwei Meilen), aber im MA war das ja weniger ein Problem als heute.

 

Die Gedanken überschlugen sich sofort in des Sheriffs Kopf. Sein Puls raste und er konnte nicht klar denken. Robin Hood war hier? Um ihn aus dem Tower zu befreien? Unmöglich! Er musste halluzinieren, ja, das war’s: Er war sterbenskrank, lag in einem schweren Fieberdelirium und all dies geschah gar nicht wirklich, sondern nur in seiner kranken Fantasie.

Eine andere Erklärung konnte es doch gar nicht geben und doch… er wusste, dass er das nicht nur geträumt oder vor sich hin fantasiert hatte. Er hielt den kalten Stahl der Schwertklinge wahrhaftig in seinen Händen und dieses Mal spürte er tatsächlich wie schwer die Waffe wog, wenn man sie anhob. Es war kein imaginäres Schwert, es war echt!

Wenn dem so war, wenn sich die Dinge so verhielten wie Eldon ihm gesagt hatte, dann musste Leslie hinter all dem stecken. Oder vielleicht doch nicht? Wie konnte sie, da sie unter Hausarrest stand? Er war sich sicher, dass ihre Briefe – sofern sie überhaupt welche schreiben durfte – unter Zensur standen und nicht nach draußen gehen würden ohne auf ihren Inhalt kontrolliert zu sein. Demnach wäre es ihr kaum möglich gewesen, aus Nottingham Hilfe herbei zu holen. Es musste also jemand anderes dafür Sorge getragen haben. Der Erzbischof! Er hatte das alles eingefädelt, einen Boten nach Nottinghamshire geschickt und den König von London weggelockt. Er hatte ja auch bei seinem Besuch hier bei ihm in der Zelle gesagt, dass er sich darauf einrichten sollte, über kurz oder lang befreit zu werden. Je länger er darüber nachdachte, umso größer wurde seine Gewissheit, dass Stephen Langton der Drahtzieher gewesen sein musste.

Dass Robin Hood darauf eingegangen war, stand auf einem völlig anderen Blatt. Wahrscheinlich verdankte man seinen Einsatz lediglich dem Umstand, dass Marian in Leslie eine Art Tochter sah, ihr schon immer wohlgesonnen war und Robin zu dieser Mission überredet hatte.

Aufgeregt berichtete Eldon den anderen von seiner erfolgreichen Tat und der kurzen Unterhaltung mit seinem Herrn.

Marian lächelte, als Eldon stolz verkündete, dass der Sheriff trotz Gefangenschaft vor Gesundheit nur so zu strotzen schien und einen zwar zerlumpten, aber ansonsten guten Eindruck machte.

„Das klingt erfreulich, Eldon. Wenn er bei Kräften ist, kann er tatkräftig mitkämpfen, sollte dies notwendig werden. Wir hoffen jedoch, dass es bei ein paar wenigen Ausfällen bleiben wird und kein Schlachtgetümmel entsteht.“

„Das hoffen wir alle“, bekräftigte Aldred nickend.

Marian hatte nur noch eine Aufgabe zu erledigen, bevor die Rettung ihren Anfang finden sollte: Sie musste Lady Leslie im Tower ausfindig machen und ihr zur Flucht verhelfen! Es war immens wichtig, dass sie dem Ort des Geschehens fern sein würde und somit nicht durch unbedachte Reaktionen ihren Gatten betreffend die gesamte Unternehmung gefährden konnte. Verliebten war diesbezüglich einfach alles zuzutrauen. Und dass diese beiden ineinander verliebt waren, war Marian vollkommen klar.

Sie hatte Augen und Ohren offengehalten und hatte von Ada wichtige Informationen erhalten, die nämlich annähernd sagen konnte, wo sich ihre Herrin im Tower aufgehalten hatte, als sie ihr Kleidung aus Lambeth gebracht hatte. Es konnte natürlich sein, dass Lady Leslie das Gemach gewechselt hatte, aber das schien allen ziemlich unwahrscheinlich.

Also brauchte man nur ein bisschen seinen Mut zusammenzunehmen und beten, dass alles gutgehen würde.

Marian hatte sich ein sehr einfaches Gewand besorgt und bekam ein Kleiderbündel von Ada gebracht. Damit versehen spazierte sie forsch drauf los und versuchte sich in den Gängen, Treppenhäusern und Sälen des Towers zurechtzufinden.

Sie wurde nur einmal angehalten und gefragt, was sie hier zu schaffen habe und sie gab mit breitem bäurischem Dialekt Auskunft, dass sie Kleidung für Lady Leslie, der unter Hausarrest stehenden Gemahlin des Sheriffs of Nottingham bringen würde. Für den Fall, dass man sie noch ausführlicher befragt hätte, hatte sie sich die glaubwürdige Geschichte zurechtgelegt, dass sie aus Lambeth Palace kam und die Magd von Lady Leslie ersetzte, die krank geworden war. Aber so weit musste sie ihre Geschichte gar nicht weiterspinnen, denn man ließ sie ohne weiteres passieren, ja man zeigte ihr sogar den richtigen Weg.

Sie klopfte energisch an die Tür.

„Wer da?“

„Mylady, saubere Kleidung für Euch.“

„Ada?“

„Nein, Ada ist leider krank.“

Die Tür öffnete sich und Marian erschrak, als sie eine blasse, sehr schmal gewordene und fast kränklich wirkende Leslie Marc de Touraine erblickte.

„La… Lady Marian“, flüsterte diese fassungslos.

Marian schlüpfte schnell in das Gemach und schloss die Tür.

„Ja. Bitte bleibt ganz ruhig und lasst mich reden. Zunächst muss ich feststellen, dass Euch entweder die Londoner Luft oder die Ehe nicht zu bekommen scheint. Ihr seht wirklich schlecht aus.“

„Schiebt die Schuld auf meine Ehe, Mylady.“

„Dachte ich mir. Daran können wir aber bald etwas ändern. Leider ist es sehr viel einfacher in den Tower hinein- als wieder hinauszukommen. Ich habe Euch Adas Kleider mitgebracht, wohinein Ihr vermutlich zwei- bis dreimal passen dürftet, aber das bekommen wir schon hin. Zieht sie an, bitte.“

Die junge Lady nahm die Sachen entgegen und schlüpfte hinein, dann schlang Marian einen Strick darum, damit ihr die Röcke nicht vom Leib rutschen würden. Geübt band sie ihr die schwarzen langen Zöpfe nach oben und knotete ein leinenes Kopftuch drum, außerdem hieß sie Leslie sich Gesicht und Hände mit Asche und Ruß aus dem Kamin schmutzig machen.

„Fertig ist die Magd. Ihr seid nun Katie und ich habe Euch… dich zufällig hier getroffen und nehme dich nun mit zur Baustelle der London Bridge, wo wir uns einen schmucken Ziegelleger oder Steinmetz ansehen gehen. Wir sind Weibsleute, die genau wissen, was sie wollen und es sich auch notfalls nehmen. Natürlich werden wir – sobald wir den Tower hinter uns gelassen haben – mit Robin und den anderen zusammentreffen, die alle hier in London sind.“

„Und...“, Leslie standen die Tränen in den Augen, „und was ist mit Philip?“

„Ach ja, der gute Philip. Keine Angst, wenn alles nach Plan läuft, wirst du ihm bald in die Arme sinken können. Er hat von Eldon bereits ein Schwert erhalten und sobald du hier raus bist, holen wir ihn.“

Lady Leslie hatte zwar nur die Hälfte der Zusammenhänge verstanden, aber sie merkte, dass hinter all dem offensichtlich eine ausgeklügelte Taktik stand und fragte daher nichts mehr. Vorsichtig öffneten die beiden Frauen die Tür und spähten in den Flur hinaus. Da alles ruhig zu sein schien, gab Marian Leslie einen Schubs und folgte ihr kurz darauf nach.

An der ersten Ecke fasste sie sie am Arm und rief laut und mit schwerem Dialekt aus: „Nee, is‘ nich‘ möglich! Katie! Das is gut, dass ich dich hier treffe! Bin auf’m Weg zur Brücke, willste mit? Klar willste, ich weiß ja, wie du den kräftig‘n Edgar immer anstarrst. Ha, na will mich nich‘ beschwer’n, kann ja meine Aug‘n auch nich von John lass‘n. Dann woll’n wir mal, bevor es dunkel wird und die Jungs den Hammer bei der Arbeit fall‘n lass’n, wa?“

Leslie nickte nur schüchtern, gab aber dann lauter und mit bemühtem Dialekt Antwort, als sie von Marian fast schon schmerzhaft in die Seite gekniffen und somit zur Ordnung gerufen wurde: „Ja… da woll’n wir mal.“

Sie kicherten albern, als sie Arm in Arm an einigen Wachposten vorbeigingen und Marian es sogar gelang, ihren Allerwertesten aufreizend hin und her zu schwingen, wobei sie fröhlich gackernd verkündete: „Ich sach dir’s, Katie, die Jungs brauch’n nich nur was Handfestes zum Ess‘n, nee, die brauch‘n auch handfeste Weiber, damit die sich wohlfühl’n. Biste bereit, den‘n heut‘ Abend was zu biet’n?“

„Klar bin ich das.“

„Noch lauter“, zischte Marian Leslie zu, die daraufhin doppelt so laut rief: „Ich biet‘ ihn‘n was, wenn sie mir dann auch was zu biet’n ham. Jawoll.“

„Du sachst es. Die soll’n sich vorseh’n, wir komm’n nu!“

Als sie ein gutes Stück weg vom Tower waren und tatsächlich die Brücken-Baustelle an der Themse sichtbar wurde, blieb Lady Leslie stehen und brach in Tränen aus: „Oh, ich fasse es nicht! Ich bin tatsächlich geflüchtet. Der Zorn von King John wird mächtig groß sein. Hoffentlich bemerkt man meine Abwesenheit erst, wenn… wenn Philip auch in Sicherheit ist. Sie werden… sie werden ihm sonst etwas antun. Er endet am Galgen, ich weiß es.“

„Es ist keine Zeit zum Jammern. Kommt, wir gehen. Je schneller wir zu den anderen stoßen, desto eher wird man Philip zur Hilfe eilen können. Auf, auf.“

Doch als sie in Hollow Bourne ankamen, brach Lady Leslie ohnmächtig zusammen. Aldred persönlich trug sie auf ein halbwegs ordentliches Lager und kümmerte sich mit Ada um sie.

„Der Kummer hat ziemlich an ihr gezehrt. Sie ist entkräftet und hat Erkrankungen nicht viel entgegenzusetzen. Der Winter bringt etliche Krankheiten mit sich, das ist eben so. Mit Gottes Hilfe, gutem Essen und viel Wärme wird sie wahrscheinlich wieder gesund werden“, so lautete Friar Tucks Diagnose, der ein bisschen etwas von Heilkunde verstand. Ähnlicher Meinung war auch Marian, die ebenfalls viele Kranke in Nottingham gesehen und gepflegt hatte.

Sie beschlossen, bei ihrem ursprünglichen Plan zu bleiben, ungeachtet der kranken Leslie, die man selbst in gesundem Zustand in der Obhut von Ada gelassen hätte. So nahmen sie alle ein recht karges Mahl zu sich und begaben sich dann zu Bett, um den nächsten Tag gestärkt angehen zu können.

Marian zog sich das gleiche einfache Gewand erneut an und ließ sich von Friar Tuck ein Gebräu in einer kleinen Tonflasche geben, das sie vorsichtig in einen Lederbeutel an ihrem Gürtel steckte.

Little John und einige andere waren bereits am Tower und hatten die Wachen an den Außenmauern im Blick.

Nachdem Marian einen Blick auf die zwar nicht mehr bewusstlose, aber weiterhin schlafende und sich im Fieber befindliche Leslie geworfen hatte, zogen sie los.

Kapitel dreiundzwanzig by doris anglophil
Author's Notes:

 

In diesem Kapitel stetht natürlich die Befreiung des SoN aus dem Tower im Mittelpunkt.
Es werden einige der Merry Men namentlich genannt, die - laut Überlieferung und wenn man halbwegs zuverlässigen Quellen glaubt - mindestens aus den folgenden Personen bestanden: Little John, der den Posten eines Hauptmannes innerhalb dieser Gruppe innehatte, Much Miller, Will Scarlett, Arthur A'Bland, Will Stutely, David of Doncaster, Friar Tuck und Allan A'Dale plus natürlich Marian.

 

Marian wuchs erneut über sich hinaus, als sie sich im Tower als leichtes Mädchen ausgab und es ihr sogar gelang, sich beim Obersten Kerkermeister persönlich auf den Schoß zu setzen und mit ihm zu trinken. Dass sie ihm dabei ein Mittel in den Apfelwein mischte, bekam er vor lauter Freude über das sehr zugängliche Weibsbild auf seinen Oberschenkeln nicht mit. Auch nicht, dass zwei Wachen bereits eingeschlafen waren. Nur Eldon hielt noch mit ihm und der vermeintlichen Dirne mit. Natürlich sackte er kurze Zeit später ebenfalls zusammen und Eldon holte grinsend die Kerkerschlüssel vom Haken. Gemeinsam mit Marian hastete er durch die Gänge des Verlieses zu Philip Marcs Zelle.

Hastig schlossen sie auf und standen ihm gegenüber. 

„Lady Marian. Ihr höchstpersönlich, welche Ehre.“

„Kommt rasch. Ich weiß nicht genau, wie lange dieses komische Schlafmittel anhält, das Friar Tuck mir für die Wachen gegeben hat. Reden können wir später.“

„Wo ist Leslie?“

„In Sicherheit. Wir haben ihr gestern Nachmittag zur Flucht verholfen.“

„Gelobt sei der Herr. Danke.“

Sie strebten rasch dem Ausgang zu. 

Königin Eleanor erhob die Hände flehend zum Himmel: „Sie ist weg! Als ich heute früh kurz bei ihr vorbeischauen wollte, musste ich feststellen, dass sie nicht auffindbar war. Allerdings scheint niemand ihre Flucht gesehen oder bemerkt zu haben. Was können wir tun, Mylord Marshal?“

William Marshal zuckte ratlos mit den Schultern: „Jetzt nichts mehr. Und ihr seid sicher, Lady Leslie nicht persönlich geholfen zu haben von hier zu verschwinden?“

„Mylord, natürlich nicht. Ich verhielt mich ganz ruhig und neutral, da ich keine große Lust darauf verspüre von meinem Sohn ins Kloster nach Frankreich geschickt zu werden.“

„Gut. Ich sehe nur eine Schwierigkeit: Wer immer Lady Leslie hier heraus gebracht hat, wird voraussichtlich auch versuchen, den Sheriff of Nottingham zu befreien.“

„Ihr habt Recht. Und nun?“

„Ich werde sofort nachsehen und die Wachen verdoppeln lassen.“

„Tut das, Mylord, tut das.“ 

Die neu angeforderten Wachen sahen im Raum der Wachposten sofort das Unheil in Gestalt von drei schnarchenden Kameraden. Sie zückten ihre Schwerter und rückten aus. Dass sich unter den acht Mann Verstärkung zwei Outlaws - nämlich Will Stutely und Allan A’Dale - befanden, ahnte niemand vom Rest.

Marian hatte den beiden Männern an ihrer Seite schon bedeutet, sich so leise wie möglich zu verhalten. Dadurch war es möglich, die herannahenden Wachen zu hören, obwohl auch diese darauf bedacht waren, möglichst wenig Lärm zu machen.

Philip Marc hob sein Schwert an und wartete an einer Ecke auf die Gegner. Marian stand dicht hinter ihm und Eldon hielt sich mangels geeigneter Waffe und Erfahrung im Hintergrund.   

Will Stutely und Allan A’Dale hatten sich ebenfalls in weiser Voraussicht als Letzte der Gruppe formiert und so traf der erste Schwerthieb des Sheriffs eine der echten Wachen. Lady Marian schnellte vor und stieß dem Nächsten in Windeseile ihren Dolch in die Seite. In dem Moment gaben sich Will und Allan zu erkennen und die verbleibenden vier Wachen waren eingekreist.

Erst wollten sie Widerstand leisten, weil ihre Gegner zwar ebenfalls zu viert waren, aber einer davon nur eine Frau war, doch dann tauchte plötzlich Eldon noch aus dem Dunkel des Ganges auf und sie rissen sich ergebend die Arme in die Höhe. 

Sie wurden entwaffnet, bekamen die Hände auf den Rücken gefesselt und wurden alle vier an den Knöchelgelenken zusammengebunden.

Eldon erhielt eines von ihren Schwertern und die Flüchtigen hatten nun noch die schwere Aufgabe, im Freien draußen die Bewachung zu überwinden und aus dem Tower raus zu kommen.

Dort aber waren ja zum Glück Robin, Little John und weitere Outlaws postiert. 

Robin hatte Marian erklärt, wohin sie sich am besten wenden mussten, um so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Das taten sie auch, aber William Marshal schien Alarm ausgelöst zu haben, denn es waren plötzlich mehr Wachen auf dem Posten als sonst üblich.

Allan A’Dale wich zurück in den Schutz der Mauer und schüttelte den Kopf: „Sieht leider nicht gut aus. Wenn wir den Ausfall wagen, dann müssen wir kämpfen und hoffen, dass wir sie erledigen, mit Hilfe von Robin und den anderen.“

Marian nickte: „Ich führe es darauf zurück, dass man inzwischen Lady Leslie im Tower vermisst hat und sich den Rest zusammenreimen kann. Also – bereit?“

Alle nickten ebenfalls und schöpften ein letztes Mal tief Luft. Dann brachen sie brüllend und die Waffen schwingend aus der Deckung. 

Philip Marc wurde von ihnen mitgerissen, er hieb einen Gegner sofort nieder, der ihm körperlich allerdings sehr unterlegen war und ein anderer kam ihm gerade vors Schwert, sank aber mit einem Pfeil im Rücken in sich zusammen, bevor er ihn niederstrecken konnte. Anscheinend hatten Robin oder einer seiner anderen Leute ihn schon vorher im Visier gehabt.

Am Ende wusste er nicht mehr, wie viele er zu Fall gebracht und dabei entweder getötet oder zumindest verwundet hatte, aber seine Lungen brannten wie Feuer vor Anstrengung und sein Arm mit dem Schwert wurde ihm schwer wie Blei. Dennoch kämpfte er verbissen weiter, bis niemand sich ihm mehr entgegenstellte. 

Verblüfft sah er sich um, wurde aber von Eldon weitergezogen: „Mylord, rasch. Wir sind entkommen. Wir müssen uns zerstreuen und treffen uns alle in Hollow Bourne wieder. Ich begleite Euch, damit Ihr nicht verloren geht.“

„Ist meine Gattin auch dort?“

„Ja. Doch nun Beeilung.“

Er konnte nicht glauben, dass er die Freiheit erlangt hatte und in Kürze Leslie of Glanvil – oh nein, natürlich Leslie Marc de Touraine, seine Frau - wiedersehen würde. Als sich diese Erkenntnis in ihm breit machte, musste er kurz stehenbleiben und um Fassung ringen. 

Dank eines Tyrannen als König war er nun der Ehemann dieser Frau, ein Umstand, den er sich in seinen kühnsten Träumen nicht einmal annähernd hatte vorstellen können. Und sofern sie sich noch ein Weilchen in diesem Quartier in Hollow Bourne sicher fühlen konnten, stand einem Vollzug der Ehe wohl auch nichts mehr im Weg.

Es sei denn – sie wollte ihn nicht und würde es vorziehen, die Ehe annullieren zu lassen. Dies war seine größte Angst. 

Er war zwar von edler Herkunft, keine Frage, aber nur noch sein Name zeugte davon. Sein ganzes Erbe war weg, er nannte nichts außer Sylvester und ein paar halbwegs angemessene Kleidungsstücke sein eigen. So hoffte er inständig, dass die Glanvils, also Leslies Familie in Yorkshire, ihn nicht für einen dahergelaufenen Mitgiftjäger halten würden. Auch darüber machte er sich seit der Eheschließung Gedanken, im Kerker hatte er genügend Zeit gehabt, über solche Dinge nachzudenken. 

Niemand Geringerer als Robin Hood persönlich erwartete ihn in Hollow Bourne: „Mylord Sheriff, eine respektable Leistung, die Ihr da heute gezeigt habt. Euer Umgang mit dem Schwert hat sich sehr gebessert seit unserem letzten Aufeinandertreffen.“

Philip Marc fiel es überraschend leicht, sich bei seinem Befreier zu bedanken: „Mylord Locksley, auch wenn das nicht Euer wahrer Name ist, so werde ich darüber kein Wort mehr verlieren, denn ich schulde Euch meinen Dank auf alle Zeit. Euch und Euren Mannen sowie Lady Marian habe ich mein Leben zu verdanken und auch das Wohlergehen meiner… meiner Gattin. Verzeiht, wenn ich momentan nicht mehr zu sagen vermag, aber Ihr versteht sicher, dass ich Leslie gerne sehen möchte.“ 

Lady Marian schaltete sich in das Gespräch ein: „Kommt herein, aber ich muss Euch leider sagen, dass Leslie krank und kaum ansprechbar ist. Sie hat hohes Fieber.“

Der Sheriff sah Marian an, als hätte sie tausend Warzen im Gesicht, dann schob er sie energisch zur Seite und trat ein.

Als er zu ihrem Lager kam und sah wie elend, abgemagert und bleich sie dalag, fuhr ihm ein harter Schmerz durch die Brust. Seine eigene Erschöpfung wurde ihm in diesem Augenblick erst bewusst und er sackte völlig entkräftet vor ihrem Bett zusammen.

Marian, die ihm gefolgt war, meinte trocken zu Robin: „Die beiden passen einfach wunderbar zusammen.“

Er lachte: „Er hat sich gewiss seine Hochzeitsnacht etwas anders vorgestellt.“

Marian strich ihm liebevoll über eine Wange: „Lass dir gesagt sein: Sie sich auch.“

 

Kapitel vierundzwanzig by doris anglophil
Author's Notes:

 

In London können sie alle nach den erfolgreichen Fluchtversuchen und dem Verhelfen dazu natürlich nicht bleiben, also müssen alle so rasch wie möglich die Rückreise nach Nottinghamshire oder weiter nach Norden - je nachdem - antreten. Dennoch kommt so ein bisschen Romantik auf, trotz der Krankheit von Lady Leslie...  

 

Philip Marc wachte davon auf, dass ihn jemand unsanft an der Schulter rüttelte: „Mylord! Wacht auf! Wir müssen weg.“

Mühsam schlug er die Augen auf und sah, dass er auf dem Boden geschlafen hatte, ihm aber jemand zwei Schaffelle übergeworfen hatte damit er im Schlaf nicht fror.

„Was… was ist los? Eldon?“

„Ja, Mylord. Robin Hood sagt, wir müssen aufbrechen, es ist zu unsicher hier. Man wird nach uns suchen und wir als Fremde sind bestimmt schon aufgefallen. So wird es nicht lange dauern, bis man unsere Spur gefunden hat.“

„Verstehe. Was ist mit Les… Lady Leslie?“

„Aldred hat einen Wagen besorgt, worin sie transportiert werden kann. Kaum mehr als ein Viehkarren, das muss jedoch ausreichen. Er hat auch Sylvester aus Lambeth heimlich hierher gebracht.“

„Das ist sehr gut. Ich muss ihm dafür danken. Jedoch kann ich es nicht für gutheißen, zu dieser kalten Jahreszeit meine kranke Frau auf eine beschwerliche Reise zu schicken. Sie ist nicht einmal ansprechbar.“ 

In diesem Moment war eine schwache Stimme zu vernehmen: „Ich… ich bin ansprechbar. Wo bin ich denn? Nicht mehr im Tower, oder?“

Marian hielt Philip Marc in letzter Sekunde zurück: „Ich gehe. Wartet bitte einen Moment.“

Unglücklich blieb er ein Stück entfernt stehen und ließ Marian den Vortritt.

„Ihr seid nicht mehr im Tower, aber recht schwach und krank. Wenn Ihr mir versprecht Euch nicht aufzuregen, schicke ich Euch jemanden an Euer Lager, dem sehr daran gelegen ist Euch zu sehen und zu sprechen.“

„Ver… versprochen.“

„Schön. Wartet.“

Sie winkte den Sheriff herbei, der nur wenige Schritte brauchte, um nahe zu kommen. 

Mit einem verlegenen Lächeln und unfähig der Worte schaute er sie an: „Mylady.“

„Ich habe einen Fiebertraum“, hauchte sie.

„Habt Ihr nicht. Ich stehe wirklich vor Euch.“

„Da… dafür danke ich Gott.“

„Ich auch, Madam. Wie fühlt Ihr Euch?“

„Müde. Der Husten quält mich sehr.“

„Wenn es Euch nicht zu viel Mühe macht, möchte ich Euch eine einzige Frage stellen, die mich sehr beschäftigt hat.“

„Bitte.“

„Liegt es in Eurer Absicht, die Ehe annullieren zu lassen? Ich… ich meine, ich könnte es verstehen, wenn Ihr es vorhabt.“

„Könntet Ihr das?“

„Ja.“

„Dann meine Gegenfrage: Würdet Ihr eine Annullierung beantragen wollen?“

Er wusste, wenn er nun wahrheitsgemäß antwortete, kam es einem Eingeständnis seiner Liebe recht nahe, er versuchte also ruhig zu bleiben als er antwortete: „Ich... ich wüsste eigentlich keinen Grund dafür.“ 

Sie lächelte schwach: „Gut. Ich auch nicht.“

Marian legte Philip Marc eine Hand auf die Schulter: „Genug jetzt. Wir müssen die Abreise vorbereiten und Lady Leslie soll sich ihre Kräfte für die Reise sparen.“

Er war etwas ungehalten, weil Marian ihn zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt unterbrochen hatte, sah die Notwendigkeit aber ein und zog sich vom Krankenlager seiner Frau zurück: „Wir… wir sprechen uns später. Erholt Euch weiterhin gut.“ 

In Nottingham würden sie auf Dauer auch nicht bleiben können, das war ihm klar. Er wollte Leslie auf keinen Fall zumuten, in solchen Verhältnissen wie Robin und Marian im Wald wohnen zu müssen. Es mochte seine romantischen Seiten haben, ohne Zweifel, er verstand nun auch die Beweggründe und Ziele der beiden und der Merry Men besser, aber er wollte auch, dass Leslie zu ihrer Familie zurückkehrte und vor allem war ihm daran gelegen, diese kennenzulernen. King John würde es viel zu viel Mühe machen und zu viele Kosten verursachen, sie bis in den hohen Norden verfolgen zu lassen. Selbst wenn ein Trupp ihnen tatsächlich bis dorthin hinterher reiten sollte, konnten sie sich dann immer noch woanders hinwenden. Schottland war nicht sehr weit entfernt. 

King John würde er jedenfalls keine weiteren Dienste mehr leisten, so viel stand für ihn fest. Er hatte gehört, dass sich bereits Edelmänner gegen ihn zusammengeschlossen und mehr Rechte für sich und das Volk und weniger Willkür des Herrschers gefordert hatten. Vielleicht würde er sich ihren Forderungen anschließen, sobald er sich ein genaueres Bild von der Situation gemacht hatte. Es klang fürs Erste nicht unvernünftig. 

Sie packten Lady Leslie sehr fürsorglich warm ein, wickelten sie in Lagen dicker Wolltücher und Felle und legten ihr angewärmte Steine dazu. Philip Marc schaute persönlich darauf, dass sie es so bequem wie möglich auf dem Wägelchen hatte und nahm sich vor ständig an ihrer Seite zu reiten.

Sofern sie nicht schlafen würde, konnte man sich ja ein klein wenig unterhalten und darauf freute er sich schon.

Aber sie hustete stark und konnte kaum sprechen. Dann schlief sie wieder ein Weilchen und er ritt einsam und still neben dem Gefährt her. 

Erst als eine Rast angeordnet wurde, kam etwas Leben in sie, denn sie sprach ihn an: „Mylord, es ist reichlich unschicklich von mir, aber… ihr müsstet mich herunterheben, denn ich muss dringend eine Notdurft verrichten.“

Er wurde rot und stotterte unbeholfen: „Oh… oh, natürlich… sofort. Wie dumm von mir, an so etwas keinen Gedanken zu verschwenden, wo ich doch gerade eben selbst… also… Ihr wisst schon.“

Sie musste trotz eines Hustenanfalls schmunzeln.

So näherte er sich dem Wagen und hob sie ohne jegliche Mühe hoch.

„Wohin?“

„Ada kommt mit mir. Dort hinter diese Büsche, das wäre gut. Ihr seid sehr stark.“

„Nein, bin ich nicht. Ihr seid leicht wie eine Feder. Ihr müsst mehr essen.“

„Wenn ich euch erst einmal zehn Kinder geboren habe, werdet Ihr mich nicht mehr auf Händen tragen können.“ 

Fast hätte er sie fallen lassen, als er dies aus ihrem Mund gehört hatte, doch er riss sich zusammen.

Dann versuchte er, auf ihren leichten Tonfall einzugehen: „Zehn, sagtet Ihr? Wahrlich eine stattliche Anzahl.“

Sie war erschrocken über die Ungeniertheit ihrer eigenen Worte und machte den Versuch, diese abzumildern: „Es… war ungehörig von mir. Über derlei Dinge sollte man nicht scherzen, verzeiht.“

Da Ada nahte, setzte er sie vorsichtig an einer Reihe dichten Buschwerks ab und erwiderte: „Ich bin sehr froh, dass Euch überhaupt eine Unterhaltung möglich ist. Legen wir daher nicht jedes Wort auf die Goldwaage.“

„Danke“, murmelte sie undeutlich und entschwand seiner Sicht. 

Die erste Nacht auf der Reise verbrachten alle in einem Schafschober und Philip Marc wusste, dass jeder einzelne von ihnen anschließend den penetranten Gestank dieser Tiere annehmen würde, aber es war halbwegs warm dort und die Stallung bot annähernd genug Platz für die gesamte Gruppe.

Als der Sheriff sich sein Lager unweit der Schlafstatt seiner Frau richtete, musste er unwillkürlich lächeln, als er an ihre unbedacht geäußerten Worte dachte. Zehn Kinder. Nun – an ihm sollte es nicht liegen. Aber noch war es nicht soweit, er würde sich in Geduld fassen müssen.

Sie rief ihn zu sich: „Mylord, ich wünsche Euch eine gute Nacht.“

„Schlaft wohl, Mylady, auch wenn Euch der hartnäckige Husten lästig ist.“

„Danke, dass Ihr mir behilflich gewesen seid. Das war überaus aufmerksam von Euch.“

„Nicht doch, es war eine Selbstverständlichkeit.“

Er machte Anstalten sich zu entfernen, doch sie hielt ihn zurück: „Ich möchte keinesfalls unverschämt oder aufdringlich erscheinen, aber Ihr dürft ruhig meinen Namen sagen, wenn Ihr möchtet.“ 

Einem Impuls folgend hob er ihre noch immer welke und heiße Hand an, hauchte einen Kuss darauf und sagte leicht unsicher: „Gern. Leslie.“

Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, sie schloss die Augen und schlief ein.

Das fand er ein klein wenig schade, denn er hätte gerne auch seinen Namen erneut von ihr gehört. Einmal erst hatte sie ihn ausgesprochen, mehr entsetzt gerufen, als man ihn in den Kerker abgeführt hatte.

Es gab in ihm kaum noch Zweifel, dass seine Liebe zu ihr erwidert wurde. Auch wenn sie sich einander noch nicht erklärt hatten, so war dies nur noch eine Frage der Zeit und ihre gegenseitigen Gefühle waren sehr offensichtlich.

Müde von der Reise, aber ansonsten recht glücklich, schlief auch er ein.

Kapitel fünfundzwanzig by doris anglophil
Author's Notes:

 

Aber nun geht es hier mit großen Schritten dem Ende zu...  und es kommt, wie es kommen muss...    
Es mag sehr idealisiert und romantisiert sein, aber natürlich zeigt es auch auf, wie sehr sich der SoN zu seinen Gunsten verändert hat, wie aus einem ungehobelten Menschen ein zart-liebender Gatte werden kann und wie wichtig u.U. die richtige Frau bei so etwas ist.

 

Als sie in Nottingham eintrafen, stellte ein kleiner Voraustrupp fest, dass königliche Soldaten das Haus des Sheriffs beschlagnahmt hatten. Zwar stellten sie aufgrund ihrer geringen Zahl keine besonders große Gefahr dar, aber es war besser, man ließ sich dort erst gar nicht blicken und machte einen Riesenbogen um die Stadt.

So fanden sich sowohl der Sheriff als auch Lady Leslie im Waldquartier der Outlaws wieder, das ein paar verbliebene ältere Männer, einige Frauen und etliche Kinder in der Zwischenzeit bewacht und in Ordnung gehalten hatten. 

Die Gesundheit von Leslie Marc de Touraine war noch nicht vollständig wiederhergestellt, aber es ging ihr inzwischen deutlich besser. Marian verfügte daher kurzerhand, dass Robin und sie bei Friar Tuck nächtigen sollten, damit das jungvermählte Paar endlich Gelegenheit bekam, sich einander anzunähern.

Robin protestierte: „Nein, kommt nicht in Frage. Wir haben genug für diesen Kerl und seine – zugegeben - reizende Gattin getan. Ihnen nun auch noch unser Bett, unser Heim hier im Wald zu überlassen, ist eindeutig zu viel des Guten.“

„Robin?“

„Hmh?“

„Bitte!“

„Ach… dir kann man wahrlich keine Bitte abschlagen. Also gut.“

Sie kam zu ihm hin und küsste ihn, dann zog sie ihn mit sich fort. 

Philip Marc legte ein weiteres Scheit Holz auf das Feuer und sah zu, wie es hoch aufflackerte und eine sehr heimelige Wärme verbreitete. Das war gut. Er hatte Angst, dass Leslie kalt werden könnte. Sie hatte zwar kein Fieber mehr, aber sie hustete noch immer von Zeit zu Zeit.

„Ist Euch warm genug, Mylady?“

„Danke, ich fühle mich recht wohl.“

Was das Umwerben einer Frau betraf, war er – wie er schon so oft festgestellt hatte - äußerst wenig bewandert, sonst hätte er darauf eine passende Antwort gegeben. So aber blieb er stumm und starrte in die Flammen. Würde diese Nacht sie in ihrer Beziehung zueinander weiterbringen? War Leslie wirklich so weit wieder genesen, dass er sie würde beschlafen können? Er war sich wie so oft sie betreffend völlig unsicher. 

So räusperte er sich lediglich und sagte leichthin: „Nun müsst Ihr zu Bett. Wir wollen doch Eure Familie bald erreichen und haben noch viele Meilen vor uns. Ihr bedürft der Ruhe, Myl… Leslie.“

Ihre Stimme zitterte, als sie fragte: „Und Ihr, Mylord?“

„Ich habe ebenfalls einen Namen.“

„Verzeiht. Und Ihr, Philip?“

„Ich… ich bin nicht sonderlich müde.“

„Weswegen denke ich, dass das eine Lüge ist?“

„Ihr seid sehr klug und habt ein untrügliches Gespür für das Feine.“

„Also ist es eine Lüge?“

Er fuhr zu ihr herum, sein Gesicht glühte, als er ihr Antwort gab: „Ja doch! Ich wollte rücksichtsvoll sein und Euch wegen Eures Gesundheitszustands nicht behelligen. Ihr… ihr seid noch recht schwach.“

„Verstehe. Dann also gute Nacht.“ 

Das war eine sehr kalte Abreibung für ihn, er verbeugte sich knapp und bellte kurz angebunden: „Wünsche angenehme Ruhe!“

Er warf sich ärgerlich und unruhig auf einer provisorischen Schlafstatt am anderen Ende des halb-unterirdischen Baues hin und her. Irgendwann übermannte ihn dann doch ein leichter Schlaf.

Durch ihr andauerndes und lautes Husten schreckte er hoch.

Rasch kam er auf die Beine, entzündete eine Fackel und eilte an ihr Bett: „Ist Euch kalt? Das Feuer ist sehr weit niedergebrannt, soll ich es neu entzünden?“

„Das… das wäre sehr freundlich. Ich hätte nicht gedacht, dass es doch so kalt hier drinnen wird. Verzeiht, dass ich Euch geweckt habe.“

Philip Marc schürte das Feuer an und schaute noch einmal nach Leslie: „Es wird nun gleich wärmer. Schlaft weiter.“ 

Sie hielt ihn am Ärmel seines groben Leinenhemdes fest: „Ich war abweisend zu Euch, dafür bitte ich um Vergebung.“

Er schüttelte den Kopf: „Nein. Ich… ich bin einfach ein dämlicher und ungebildeter Idiot. Ich muss Euch um Vergebung bitten.“

„Ihr? Ihr, der Ihr lediglich Rücksichtnahme geübt habt? Unsinn.“

„Leslie, wollt Ihr nun diskutieren oder schlafen? Ich würde sagen, letzteres stünde Euch besser an.“

„Da mögt Ihr Recht haben. Doch mir will nicht recht warm werden, meine Füße sind fast Eiszapfen.“

Endlich durchschaute er ihre koketten Manöver. Die Gewissheit, dass sie vorhatte ihn in ihr Bett zu holen, durchrieselte ihn wie ein warmer Schauer.

Er schluckte nervös und bekundete mit ungewohnt belegter Stimme: „Ihr bewegt Euch auf recht dünnem Eis, Madam. Ein weiteres ermunterndes Wort aus Eurem Munde und ich werde Euch höchstpersönlich für den Rest der Nacht warmhalten.“

„Philip, wollt Ihr nun diskutieren oder ins Bett kommen?“ 

Sein glückliches Lachen hielt eine ganze Weile an, bis es vom ersten leidenschaftlichen Kuss abgelöst wurde, den er sich so lange von ihr ersehnt hatte.

Äußerst unangenehm war nur der Umstand, dass sie beide seit Tagen nur unzureichend Körperpflege betrieben hatten; zumindest Philip hatte nach seiner Befreiung aus dem Tower von Eldon die Haare geschnitten bekommen und man hatte auch den Versuch einer Rasur unternommen. Leslie hingegen war zu krank gewesen, als dass sie ein Bad hätte nehmen können oder dass eine Waschung des Körpers möglich gewesen wäre. 

Nachdem er sicher sein konnte, dass Leslies Füße und ihr gesamter Körper wieder warm waren, wandte er sich ihr zu: „Ich habe seit dem ersten Tag unserer Bekanntschaft von diesem Augenblick geträumt. Nur… eine Sache muss ich erwähnen, damit ich dich weiterhin davon überzeugen kann, kein Grobian zu sein: Ich würde unglaublich gerne den Grundstein zum ersten von den geforderten zehn Kindern legen und… und dafür muss ich dir wehtun. Ein richtiger Grobian hätte es nun einfach getan ohne auf dich einzugehen.“

Sie nickte an seine Brust gekuschelt: „Ich weiß. Du bist sehr… groß und…“, sie brach ab und holte tief Atem, dann fuhr sie gefasst fort: „Ich wäre sehr glücklich, dich zu empfangen.“ 

Es war beinahe so wie in seinem Traum im Gefängnis des Towers: Im ersten grauen Licht des Morgens breiteten ihre schwarzen Haare sich auf dem Kissen aus wie ein Fächer, er umfasste mit zittrigen Händen ihre perfekt geformten Brüste und schob ihr Hemd nach oben. Ihr Leib schimmerte wie Marmor, aber er sah auch, wie dünn sie war, ihre Hüftknochen stachen deutlich hervor und er konnte ihre Rippen sehen. Ihr schwarz behaartes Dreieck war noch unberührt, die letzte Bastion, die es zu erobern galt.

Er war ungeduldig, er wollte sie ganz, er wollte rasch zur Erfüllung gelangen, denn er war so prall, dass es ihn schmerzte.

Er murmelte an ihrem Hals: „Verzeih mir, bitte.“

Mit diesen Worten schob er zuerst seine Hand in ihre Mitte, danach drückte er sich nach und nach in sie hinein. Ihr entsetztes Jammern versuchte er so gut es ging mit Küssen zu ersticken. 

Sie keuchte und rief angstvoll aus: „Nein! Oh bitte, das ist zu…“, dann war sie plötzlich ruhig und riss die Augen auf. Sie spürte ihn in sich, so vollkommen mit ihr vereinigt, dass ihr die Tränen nicht mehr aus Schmerz, sondern aus Liebe in die Augen schossen. Sie wollte mehr davon und sie wollte mehr von ihm sehen, als nur sein bärtiges Gesicht, seine halbgeschlossenen blauen Augen und seine Blattern-Narben auf Wange, Oberlippe und Stirn.

„Bitte…“, ihr Ton klang jedoch völlig anders, nicht mehr verängstig, sondern kehlig-heiser, so dass er hellhörig wurde und in all seinen Bewegungen innehielt.

„Wa… was ist? Ich weiß, es war grauenvoll, aber… aber wenn du wirklich ein Kind haben möchtest, solltest du es noch ein klein wenig aushalten. Tut es noch sehr weh?“

„Nein, ich verspüre fast keinen Schmerz mehr. Ich… ich möchte dich sehen, ich möchte wissen, was da in mir ist, ich möchte… mehr von dir.“ 

Verblüfft richtete er sich auf und wischte sich die schwitzende Stirn am Ärmel seines Hemdes ab: „Was?“

„Ist das so ungewöhnlich?“

„Ich… ich weiß nicht. Ich bin zum ersten Mal verheiratet und wenn mich nicht alles täuscht, dann du auch.“

„Philip, du hast herum gehurt und das wohl nicht zu knapp. Mache deinen Reichtum an Erfahrung also bitte nicht kleiner als er tatsächlich ist.“

„Leslie, das ist etwas völlig anders. Das kann man nicht vergleichen.“

Sie wurde trotzig: „Und warum nicht?“

Er fing an zu stottern: „Weil… weil du keine Hure bist, sondern meine Frau.“

„Ich bin geneigt, da momentan keine großen Unterschiede zu sehen. Eine Hure erfreut einen Mann und eine Ehefrau erfreut ihren Mann.“

„Du… du bist unmöglich. Da habe ich mir was eingehandelt mit dir.“

Leslie schmiegte sich wieder an ihn: „Ja, hast du.“ 

Philip Marc ergoss sich aufstöhnend in seine Frau, die rittlings auf ihm saß. Oh mein Gott, wenn ihm das jemand vor einigen Stunden gesagt hätte, hätte er denjenigen verhöhnt und als kompletten Narren bezeichnet.

„Philip?“

„Hmh?“

„Das war um etliches besser für mich. Ich habe mich nicht so erdrückt und eingeengt gefühlt. Und ich konnte deinen Körper ansehen und anfassen. Wir… wir könnten es immer so machen, wenn wir ein Kind bekommen wollen.“

Er musste nun so lachen, dass zu befürchten stand, dass er die gesamte Nachbarschaft in den angrenzenden Behausungen aufwecken würde.

„Sch. Was ist denn, Philip?“

„Nichts“, er gluckste weiterhin vor unterdrücktem Lachen, „ich denke nur gerade, dass ich derzeit wohl der glücklichste Mann auf Erden bin.“

„So habe ich dich erfreut?“

„Ja, meine Liebste, das hast du.“ 

 

Kapitel sechsundzwanzig by doris anglophil
Author's Notes:

 

Das war's nun leider! Das Ende ist hiermit gekommen... aber es ist natürlich ein schönes Ende, wie sich bereits in den letzten beiden Kapiteln angedeutet hat.
Hier kommt nun die komplette Wandlung des SoN klar hervor, die sogar (in Andeutungen zumindest) soweit geht, dass er sich mit den Idealen der Outlaws eines Sinnes erklärt und sich gegen die Regentschaft von John wendet. Das alles mündet - und da schlagen wir wieder ansatzweise den Bogen zum Ridley Scott Film - im Unterzeichnen der Magna Carta.
Diese wurde am 15. Juni 1215 in Runnymede (Grafschaft Surrey) unterzeichnet und vom König - nicht ganz freiwillig - feierlich besiegelt. Dem zuvor gegangen waren Aufstände der Barone durch das Land, nach der Unterzeichnung erneuerten sie jedoch ihren Treueid auf King John, was aber die Unzufriedenheit nur kurz beilegte. Die Aufstände ließen erst mit dem Tod Johns im Oktober 1216 nach.
Es ist erwiesen, dass Stephen Langton in seiner Eigenschaft als Erzbischof von Canterbury und Kardinal Roms die Unterschrift eines der Adeligen bezeugt hat (es ist auch belegt, von welchem, aber hier greift meine künstlerische Freiheit halt) und so ist es in diesem Kapitel natürlich die Unterschrift von Philip Marc de Touraine. Der wiederum wird im Original-Dokument leider anderweitig benannt, aber das lassen wir mal großzügig außer Acht und nehmen es so, wie es nachfolgend beschrieben ist!

 

Bevor sie aufstanden und sich für ihre Weiterreise in den Norden rüsteten, blieb ihnen nur noch eines zu erwähnen, etwas, das sie sich beide bislang nicht getraut hatten zu sagen. 

Während Philip Marc in seine Stiefel schlüpfte, fragte er mit einem letzten Rest von Unsicherheit in der Stimme: „Du wirst deiner Mutter doch glaubhaft versichern, dass ich keinerlei Interesse an deinen Besitztümern und deinem Erbe habe, oder?“

Sie kokettierte mit einem gekonnten, unschuldigen Augenaufschlag: „Weswegen hast du mich denn sonst geheiratet?“

„Weil der König es von uns erzwungen hat.“

„Ist das der einzige Grund?“

„Ähm… eigentlich schon.“

„Und wie so oft glaube ich dir nicht.“ 

Er fühlte sich ertappt, lächelte aber dazu: „Und wie so oft hast du Recht. Leslie, von dem Augenblick an, wo du in meine bescheidene Hütte drüben in Nottingham geplatzt bist, war ich von dir angetan. Von dir… verzaubert. In dich… verliebt.“

„Das werde ich dann so an meine Mutter weitergeben.“

„Das würde mich sehr freuen.“

„Philip?“

„Hmh?“

„Ich bin wohl nicht die Ehefrau, die du erwartet hast.“

„Wieso das? Ich habe gar nichts erwartet, du bist ja auch recht unverhofft in mein Leben getreten.“

„Nun, da ich auch nicht so genau weiß, welches Verhalten Ehefrauen üblicherweise an den Tag legen sollen, ist es wohl nicht schlimm, wenn ich alles falsch mache, oder?“

„Was könntest du falsch machen? Ich habe bisher nur Richtiges von dir gehört und gesehen.“

„Gut. Das ermutigt mich dann auch, dir zu sagen, dass ich mich über die Maßen in dich verliebt habe. Und nicht erst heute Nacht. In einen zotteligen, groben, ungehobelten, riesigen Mann, der den meisten anderen eher Angst denn Liebe einflößt.“ 

Philip Marc sank ergriffen vor ihr auf die Knie: „In der Tat, jetzt kommt alles ans Licht. So möchte ich all das nachholen, was mich zunächst die erfundene Verlobung und die aufgezwungene Eheschließung nicht haben tun lassen: Mylady, ich bitte hiermit auf Knien um Eure Hand zum Bund fürs Leben und zwar allein aus dem triftigen Grund, weil ich Euch von ganzem Herzen liebe. Ich erwarte Eure Antwort mit großer Ungeduld.“

„Absolut vollendet, Mylord. Ich danke Euch für den ehrenwerten Antrag und geruhe diesen anzunehmen und zwar allein aus dem triftigen Grund, weil ich Euch ebenso von ganzem Herzen liebe. Seid der Meine, wie ich die Eure bin, Mylord Sheriff.“

„Mit dem Sheriff ist es wohl endgültig vorbei. Ich kann Euch nur meinen altehrwürdigen Titel bieten – und mich selbst dazu. Doch möchte ich Euch bitten, ein wenig an Gewicht zuzulegen, damit Ihr unsere wundervollen Kinder gebären könnt.“

Sie lachte: „Wenn Ihr mich unbedingt fett haben wollt – ich tue, was ich kann.“

„Brav. Nicht fett, mein Herz, aber kräftiger. Schwangerschaften und Geburten verlangen nach etwas Substanz. Ich sorge dafür, dass du gut zu essen haben wirst.“

„Du bist so aufmerksam und fürsorglich.“

„Du hast mich gelehrt, so zu denken und zu handeln. Von einem feigen, tölpischen und unfeinen Idioten habe ich mich dank dir nun endlich recht weit entfernt.“ 

Wahre Liebe legt sich einfach über zwei Menschen wie ein feingewirktes Tuch. 

Nachdem Philip und Leslie Marc de Touraine einige Zeit in Yorkshire sowie in Schottland und Frankreich verbracht hatten, war die Zeit gekommen, King John politisch die Stirn zu bieten. Philip Marc hatte sich nach reiflicher Überlegung dafür entschieden, gemeinsam mit Robin of Locksley und vielen anderen Noblen des Landes den Herrscher notfalls mit Gewalt zu zwingen, eine Deklaration von Rechten zu unterzeichnen. Im Juni 1215 gab John Lackland endlich nach, nach zermürbenden Aufständen und einem Marsch der Noblen auf London. Dafür war dann auch Philip Marc extra auf die traditionelle Wiese der Zusammenkünfte ein gutes Stück nordwestlich von London in der Nähe der Burg von Windsor gereist,  und setzte nicht ohne Stolz seine Unterschrift unter das Dokument, die von niemand geringerem als Stephen Langton, Erzbischof von Canterbury und inzwischen zum Kardinal erhoben, bezeugt wurde. 

Obwohl seine Zwillingssöhne Ranulf Stephen und Hubert Philip die Zusammenhänge noch nicht richtig verstanden, hatte er sie zu dem Ereignis mitgenommen und zeigte den beiden kleinen Knäblein, wo er und der Erzbischof unterschrieben hatten.

Darüber hinaus hielt sich die erneut schwangere Leslie mit Töchterlein Marian Bertha während dieser Zeit im Palast von Lambeth auf.

Es war Marian of Locksleys Wunsch an die abreisenden Marc de Touraines damals in Sherwood Forest gewesen: „Es wäre wundervoll, wenn Ihr eine Tochter nach mir benennen würdet. Lebt wohl.“

Und Philip und Leslie hatten natürlich mit Freuden diesem Wunsch entsprochen. 

Drei von den erwünschten zehn Kindern waren bereits geboren, das Vierte stand also kurz davor, das Licht der Welt zu erblicken – wenn alles weiterhin gutging, würde bald die Hälfte geschafft sein!

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