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Hätte er gewusst, wie lange das alles dauern würde, hätte Mick sich diese Sache sicher zweimal überlegt. Nun waren es schon zwei Wochen her, seit er den letzten Tropfen Blut gehabt hatte, und sein Körper war schwach und schmerzte. Er hätte nie gedacht, dass es eine so lange Prozedur war sich als Vampir auszuhungern.

Bei seinem Gespräch mit Josef war ihm klar geworden, dass er nicht die Ewigkeit damit verbringen wollte, so weiterzumachen wie bisher. Er konnte diesen Selbsthass nicht länger ertragen und konnte sich auch nicht vorstellen für immer dem nachzutrauern, was er mit Beth beinahe hätte haben können. Der Augenblick, als er dies alles realisiert hatte, war der Augenblick gewesen, indem er beschlossen hatte zu sterben.

Vielleicht hätte er anders gehandelt, wenn er noch ein Mensch gewesen wäre. Man brachte sich nicht wegen einer Frau um, aber er war kein Mensch. Coraline hatte ihn ausgesaugt, Beth hatte ihn von sich gestoßen und ihm blieb nicht der Trost von Familien und Freunden. Er hatte nur einen Freund - Josef. Er lebte seit mehr als 50 Jahren allein. Er hatte alle engen Kontakte verloren dadurch, dass er zum Vampir geworden war. Und nun hatte er das Gefühl gehabt durch Beth ein Stück seiner Menschlichkeit wieder erlangen zu können, doch es hatte sich alles zerschlagen. Er konnte die Ewigkeit damit zubringen sich selbst und sein Leben zu hassen oder er konnte jetzt gehen - er hatte sich entschlossen zu gehen.

 

Nach dem Gespräch mit Josef hatte er alle Blutkonserven in den Abfluss geschüttet, sich in seiner Wohnung eingeschlossen und gewartet. Tief in seinem Inneren hatte er gehofft, dass Beth sich noch einmal melden würde, doch als sie sich auch nach drei weiteren Tagen nicht gemeldet hatte, hatte er sein Handy ausgeschaltet. Er wollte nicht weiter hoffen, wo es nichts mehr zu hoffen gab. Er würde sterben, durch Blutmangel und zwar sehr bald.

Er würde dankbar sein, wenn es endlich so weit war. Die letzten Tage waren die Hölle gewesen. Am Anfang hatte er nur aufs Ende gewartet, irrationaler Weise mit der Annahme, dass es dann schneller gehen würde, schmerzloser.

Die erste Woche war kaum etwas passiert. Er hatte zwar gemerkt, wie er schwächer wurde, sein Bedürfnis nach Blut zunahm und gedacht, dass es bald vorbei sein musste. Er hatte Schmerzen gehabt, aber im Vergleich noch wenige zu denen, die ihn jetzt plagten. Er hatte immer das Ziel vor Augen gehabt, dass es bald zu Ende sein musste. Er spürte, wie seine Kräfte recht schnell schwanden, doch er schien genug Reserven zu haben, das weiter durchzuhalten. Als die Schmerzen allerdings am Ende der Woche immer stärker wurden, hatte er geglaubt bald sterben zu können.

 

Dem war nicht so, die Schmerzen wurden mehr und mehr unerträglich, aber je größer die Qualen wurden, desto mehr wuchs auch wieder sein Lebenswille. Sein Körper wollte nicht sterben. Er begann mit einem Mal wie irre in seiner Wohnung nach eventuell noch vorhandenen Blutreserven zu suchen. Er war wie ein Junkie auf Entzug gewesen. Ihn hatten Übelkeit und Schwindel geplagt und seine Hände waren zittrig gewesen wie bei einem Alkoholiker, der zu lange keinen Tropfen Schnaps mehr gehabt hatte. Er konnte an nichts mehr denken außer an Blut und wie er es bekommen konnte.

Es war schwer gewesen in dieser Phase durchzuhalten und nicht Josef anzurufen, damit er mit etwas frischem Blut vorbeikam, aber er hatte alles so leid gehabt, daher hatte er durchgehalten. Als vor drei Tagen zu den Schmerzen auch noch Krämpfe hinzukamen, Licht nicht mehr nur in den Augen schmerzte und er teils auch nur noch verschwommen hatte sehen können, hatte er gedacht, nun sei es bald ausgestanden. Er hatte sich kaum noch bewegen können und hatte mehr oder minder bewusstlos auf dem Sofa gelegen, in einem Zustand zwischen Schlaf und Wachsein, voller Halluzinationen ohne aber je frei von Schmerzen zu sein. Und nun nach drei weiteren Tagen war er immer noch am Leben, wenn er nun auch dem Tode mittlerweile näher war als dem Leben.

 

Nur mit Mühe hatte Mick es zur Tür geschafft.

“Leave me alone, Josef! I don’t wanna talk to you!”, sprach er mehr nebenbei in die Sprechanlage und dann sah er auf einmal auf den kleinen Bildschirm der Videoüberwachung. Beth!

Sein Herz krampfte sich zusammen und er war versucht, die Tür aufzureißen, um sie hereinzulassen. Dann jedoch fiel es ihm ein, er hatte seit Tagen kein Blut mehr gehabt. Würde er ihr die Tür öffnen und ihr warmes, süßes Blut riechen, würde er sich kaum zurückhalten können. Außerdem wusste er nicht, ob sie kam, um sich wieder mit ihm zu versöhnen oder um ihm erneute Anschuldigungen an den Kopf zu werfen. Es war besser nicht mit ihr zu reden.

Zumindest konnte er jetzt mit der Vorstellung in den Tod gehen, dass sie vielleicht doch ein wenig für ihn empfunden hatte.

“I’m not Josef. Please open the door and let’s talk!”, erwiderte Beth.

“Beth, I can’t let you in right now. Please go! Come back later!”, antwortete Mick, während er sich gegen den Türrahmen lehnte.

Er konnte sie riechen, ihren sanften, weiblichen Duft, einen Duft, der Leben verhieß und Wärme. Er spürte, wie seine Fangzähne hervortraten. Nein, er musste stark bleiben – es durfte nicht sein! Er war ein Monster, eine Bestie, er konnte sie nicht an sich heranlassen, denn dann würde sie daran irgendwann zugrunde gehen.

 

“Open the door, Mick! I want to talk to you now and I will stay here, until you will open that bloody door. I understand that you probably don’t wanna see me again, but I need to see you and I need to talk to you and I will wait here, until you will let me in.”

Wie immer wusste Beth genau, was sie wollte. Das liebte er besonders an ihr.

„Beth“, seine Stimme war kaum mehr als ein Hauch. Ihm schwirrte der Kopf, der Boden schien zu schwanken, in seinem Kopf klangen die Worte, “I love you“, doch stattdessen zwang er sich mit letzter Kraft zu den Worten: “You have to go! You have to go, Beth! Please!“

Mick stolperte zurück zum Sofa, vor dem er kraftlos zusammenbrach. Er zog sich auf das Sofa hoch und hörte noch Beths Worte, “Mick, open that fucking door! If you don’t let me in, I will break in, I swear! I really need to talk to you. Please open the door and let me explain. This is the least you can do for me…”, dann wurde alles schwarz um ihn herum.

 

Beth bekam keine Antwort, obwohl sie sah, dass die Freisprechanlage noch an war.

“Mick, open the door or at least talk to me. We can also talk like this, if you don’t want to let me inside”, fuhr Beth verzweifelt fort, doch es kam keine Antwort. Er konnte sie doch nicht einfach mit Schweigen bestrafen, sie aussperren.

“Mick, listen to me! I’m sorry for what I’ve said to you! I was rather freaked out that night. It wasn’t so easy for me, accepting Josh´ death. I needed time, but here I am. I want to set things right between us.”

Immer noch kam keine Antwort. Vereinzelte Tränen liefen Beths Wangen hinunter. Sie versuchte mit ihm zu reden, sich mit ihm zu auszusöhnen, aber er reagierte nicht einmal.

“If you are angry, then say it! Just yell at me that I have been an unfeeling bitch, that I’ve treated you like shit... whatever. I would understand that, but please don’t give me the silent treatment.”

Wieder kam keine Reaktion und Beth war nahe daran sich umzudrehen und zu gehen. Wieso machte er das?

Es war nicht Micks Art, sie so vor verschlossener Tür stehen zu lassen. Ja, er hatte es einmal gemacht, nachdem diese Sache in der Wüste geschehen war, aber selbst da hätte er vermutlich irgendwann die Tür aufgemacht, hätte sie ihn so angefleht wie sie es jetzt tat.

 

Er musste wirklich wütend sein, dass er sie in seine Freisprechanlage schreien ließ ohne auch nur zu antworten. Er wollte sie anscheinend nicht mehr wiedersehen und sie verstand auch, wieso das so war.

Sie stieß sich von der Tür ab und ging. Sie hatte sich hier schon genug zum Affen gemacht. Es war besser, wenn sie jetzt ging. Sie hatte gerade den Aufzug erreicht, als ihr etwas auffiel. Seine Stimme hatte komisch geklungen, so schwach und erschöpft. Und es hatte keine Wut mitgeschwungen, sie hatte keinen Groll aus seinen Worten gespürt, nur Traurigkeit und Erschöpfung.

Eine eiskalte Hand griff nach ihrem Herzen. Es ging ihm nicht gut, das musste es sein. Tief in ihrem Herzen spürte sie, dass er in Gefahr war.

Sie rannte zurück zu seiner Wohnung.

“Mick, open the door! Please Mick! I don’t know why you are not opening the door, but I know that something is awfully wrong with you!”

Keine Reaktion, auch nicht, als Beth begann gegen die Tür zu hämmern und erneut Sturm zu klingeln. Und dann fiel es ihr ein. Sie kannte ja seinen Sicherheitscode. Er hatte ihn ihr verraten, als sie sich mit Audrey in der Wohnung versteckt hatte. Rasch tippte sie den Code ein und die Tür ging auf. In der Wohnung war alles still. Niemand schien hier zu sein. Vielleicht hatte sie sich doch getäuscht und alles war in Ordnung und sie hatte Mick nur aufgeweckt, der sich dann wieder zurück in seinen Eisschrank verzogen hatte.

Sie trat unsicher weiter in die Wohnung und dann sah sie ihn.

 

Er lag auf dem Sofa, die Beine hingen herunter und er schien nicht bei Bewusstsein zu sein. Beth stockte vor Schreck der Atem und sie eilte an seine Seite.

“Mick, Mick“, schrie sie ihn an. Sie rüttelte an ihm. Seine Haut war gelblich wie damals in der Wüste. Er brauchte Blut, dringend, doch zuerst musste er aufwachen.

“Mick, wake up, Mick, please!”

Seine Augen öffneten sich und er blickte zu ihr hoch. „Beth!“

Er schien immer noch halb bewusstlos zu sein, aber sein Blick war voller Liebe und Dankbarkeit, als er Beth musterte, während er langsam zu Bewusstsein kam.

Beth lächelte ihn an: “That´s better, now stay with me. Stay with me, Mick!”

Mick sah sie an, er konnte riechen, wie sie sich um ihn sorgte, und er sah, wie ihr Blut in ihren Adern pulsierte, fühlte ihren erhöhten Herzschlag regelrecht. Ihr Blut konnte sein Leben retten. Er spürte, wie seine Vampirnatur ihn überrollte, wie seine Fangzähne sich bildeten, sich die Iris seiner Augen weiß färbte. Seine Hand umklammerte ihren Arm fest.

Er musste sie beißen, er musste einfach.

 






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