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Story Notes:
Disclaimer: Alle Charaktere, bis auf die von mir dazu erfundenen Charaktere, sind geistiges Eigentum der BBC. Eine Urheberrechtsverletzung ist nicht beabsichtigt.



Ein tiefes Grollen war zu hören, Guy wandte seinen Kopf herum und blickte stirnrunzelnd zum Himmel. Er hätte während seines Ausrittes doch besser auf den Himmel achten sollen. Dieser hatte sich nämlich innerhalb kurzer Zeit zur fast völligen Schwärze zugezogen. Das sah nicht gut aus, dachte er bei sich, und im gleichen Moment erhellte ein Blitz den Himmel und nur wenig später setzte ein lauter Donner ein. Damit aber nicht genug begannen plötzlich dicke Tropfen durch die Laubdecke des Waldes herabzuprasseln.

Guy fluchte wütend, bis nach Nottingham würde er es nicht mehr schaffen. Vielleicht gab es ja hier im Wald eine Möglichkeit sich unterzustellen. Gab es nicht irgendwo hier in der Nähe ein altes Forsthaus? Da könnte er eventuell Unterschlupf suchen. Entschlossen gab er seinem Pferd die Sporen, er wollte schließlich nicht klatschnass werden.

 

Als Guy das kleine Forsthaus erreichte, war er dennoch recht nass geworden. Erneut fluchte er. Wieso hatte er bei seiner Suche nach Robin Hood den Himmel auch nicht genauer im Auge behalten? Zu dieser Jahreszeit – es war Mitte April - waren plötzliche Gewitter doch keine Seltenheit. Er stieß die Tür zu dem Haus auf, wobei er sich wunderte, dass diese nicht verriegelt war. War der Förster, der hier gewohnt hatte, nicht schon vor Jahren gestorben? Der neue Förster jedenfalls, Guy hatte immer mal wieder mit ihm zu tun gehabt, hatte sich mit seiner Familie lieber auf Nottingham eingerichtet. Guy trat hinein, es war düster, doch es wirkte ungewöhnlich sauber und der muffelige Geruch, der ungenutzten Behausungen eigen war, haftete ihm nicht an. Vielleicht hatte Robin Hood sich ja hier mit seiner Räuberbande versteckt, obwohl das mutete Guy nun doch ein wenig unwahrscheinlich an, so dumm war Hood nun auch nicht.

Er betrat den großen Wohnraum, der zu seiner Verwunderung noch vollständig möbliert war. Er runzelte die Stirn, legte dann aber nur den schweren, vor Nässe triefenden weiten Ledermantel ab und wandte sich zuerst einmal dem Kamin zu. Ein kleines Feuer würde sicherlich helfen gegen die Kälte, die durch die nassen Kleider bis zu seiner Haut durchdrang. Tatsächlich fand er Feuerholz neben dem Kamin und hatte es schon nach wenigen Augenblicken geschafft ein Feuer zu entzünden. Er war gerade dabei auch noch die zweite Lederjacke, die dem Regen nicht standgehalten hatte auszuziehen, als er plötzlich nicht weit hinter sich ein Geräusch hörte und dann eine Stimme.

„Wer seid ihr? Und was tut ihr hier?“, scharf klang die weibliche Stimme an sein Ohr. Er fuhr herum und sah sich von einer Frau mit dunklen Haaren und einem langen weißen Kleid mit einem Schwert bedroht. Sofort zog er sein eigenes Schwert.

„Dasselbe könnte ich Euch fragen, Mylady!“, antwortete er schneidend.

„Dies ist mein Haus, Sir, also sagt mir wer Ihr seid!“

„Euer Haus?“, Guy lachte spöttisch, „Mit Sicherheit nicht! Dieses Haus war der Besitz des früheren Försters und dieser ist schon seit einigen Jahren tot.“

„Und ich bin die Gemahlin des früheren Försters und damit ist dies mein Haus!“

Guy konnte sie im Schein des Feuers nun genauer erkennen: Hüftlange mittelbraune Haare, eine schlanke und dennoch weibliche Figur und grünbraune Augen, die ihn gefährlich anblitzten. So wie sie ihr Schwert hielt, schien sie damit umgehen zu können, was ungewöhnlich für eine Frau war. Sie war zwar nicht von besonders großer Statur, aber auch nicht klein. Seine Stirn zog sich in Falten, ihre Unverfrorenheit ärgerte ihn.

„Dann ist dies dennoch nicht Euer Haus, das Haus ist nach dem Tod Eures Mannes zurück in den Besitz des Sheriffs gefallen, von dem er dieses ursprünglich erhalten hatte. Ihr dürftet also hier nicht wohnen!“, erwiderte Guy.

„Wer seid Ihr, dass Ihr das so genau wisst?“, entgegnete die Frau vor ihm zornig.

„Ich bin Sir Guy of Gisborne, der Stellvertreter des Sheriffs!“

Guy konnte sehen, wie die Frau leicht zusammenzuckte, doch sie bemerkte nur kühl: „Dann hätten wir zumindest Eure Identität geklärt!“

Guy machte einen Schritt vor: „Eure sehe ich aber noch nicht ganz als geklärt. Oder könnt Ihr beweisen, dass der frühere Förster Euer Mann war?“

„Wollt ihr den Ehering sehen?“, fauchte die Unbekannte ihn an, ihre Augen schienen ihn durchbohren zu wollen.

Ohne dass es ihm recht bewusst war, trat er einen Schritt zurück.

„Nein, ich glaube Euch, nur würdet Ihr so gnädig sein mir nun auch Euren Namen zu verraten?“, antwortete Guy kühl. Dass er ausgerechnet mit diesem Weib zusammentreffen hatte müssen, ärgerte ihn langsam schon.

„Enide“, die Fremde sagte es schnell und kühl. Dann fügte sie hinzu, ein wenig versöhnlicher, vielleicht aber auch nur aus Berechnung, da sie nun wusste, dass er dem Sheriff von diesem Vorfall erzählen könnte und sie dann vertrieben werden würde: „Soll ich Euch eine Decke holen? Ihr werdet Euch sonst noch so den Tod holen, so nass wie Ihr geworden seid!“

„Nein“, erwiderte Guy barsch, „das wird nicht nötig sein!“

Ein lautes Niesen widerlegte seine Äußerung jedoch sofort.

„Ich hole eine Decke“, meinte Enide mit einem - wie Guy bemerkte - leicht ironischen Lächeln.

Als sie verschwunden war, trat Guy grummelnd wieder näher ans Feuer. Dieses Weib ärgerte ihn, hoffentlich dauerte dieses Gewitter nicht zu lange.

 

Einige Minuten später war Enide wieder da mit einer großen Decke, die sie ihm wortlos reichte. Guy legte die Decke ebenso stumm um seine Schulter, es fror ihn schon sehr. Wieso war er auch nicht achtsamer gewesen?

Enide zündete währenddessen ein paar Kerzen an, die den doch sehr dunklen Raum erhellten. Guy blickte sich im Zimmer um, es war ein großer schöner Raum, stilvoll eingerichtet, aber ohne jeglichen unnötigen Schmuck. Er nahm sich einen großen Eichenstuhl und rückte ihn etwas näher ans Feuer, um sich dann darauf niederzulassen. Das warme Feuer tat ihm gut, er hätte Enide fast ignorieren können, draußen stürmte es. Mit einem Mal krachte es laut. Ein Donner war zu hören. Enide fuhr mit einem spitzen Schrei zusammen und Guy drehte sich verärgert zu der Frau um, die zitternd dastand, immer noch mit einer Kerze in der Hand.

„Was hast du, Weib? Noch nie ein Gewitter erlebt?“, fuhr er sie an.

Einen Moment schwieg sie, dann sagte sie ruhig und klar: „Mein Mann ist bei einem Gewitter von einem Baum erschlagen worden. Das erklärt vielleicht, wieso ich Gewitter nicht leiden mag.“

Guy blickte sie verwundert an, ihre Stimme war gefasst gewesen, doch ein leichtes Zittern hatte er ausmachen können. Er überlegte, wie er darauf reagieren sollte, doch bevor er etwas erwidern konnte, fuhr Enide fort: „Soll ich Euch etwas Milch warm machen gegen die Kälte?“

„Ich friere nicht!“, entgegnete Guy ruppig, aber an der Art, wie seine Hände die Decke umschlossen hielten, konnte Enide leicht erkennen, dass er log.

„Ihr solltet die nassen Sachen ausziehen, sonst werdet Ihr euch mit großer Gewissheit den Tod holen oder zumindest schwer erkranken!“

Guys Augenbrauen hoben sich fragend, dann antwortete er langsam und gedehnt: „Ich denke: Nein, das werde ich nicht tun! Nicht dass Ihr mir nachher dann noch Vorwürfe macht und mir wer weiß was unterstellt!“

„Ich unterstelle Euch nichts“, entgegnete Enide unwillig, „und denkt bloß nicht, ich hätte damit an irgendetwas anderes gedacht als daran, dass Ihr Euch schwer erkälten werdet, wenn nicht noch Schlimmeres. Und Ihr wärt wahrlich nicht der erste Mann, den ich nackt gesehen hätte, und es wäre sicherlich nicht so, dass ich über Euch herfallen würde. So gut seht Ihr dann nun auch wieder nicht aus!“

Guy wusste nicht, was er auf diese Worte hätte erwidern sollen, dieses Weib war ungehörig und frech, dass er es am liebsten gepackt und geschüttelt hätte. Was fiel dieser Witwe eines Försters eigentlich ein, so mit ihm zu verfahren?

Enide hatte seinen zornigen Gesichtsausdruck wohl bemerkt und trat zurück zur Tür, den Kopf gesenkt: „Ich wollte nicht ungehörig sein, ich dachte nur, diese nassen Kleider… dass Ihr Euch erkälten würdet und…“, sie schwieg wieder.

Guy musterte sie immer noch erbost mit hochgezogenen Augenbrauen und gerunzelter Stirn.

„Vielleicht passt Euch ja etwas von meinem Mann! Ich schaue mal nach!“, fuhr sie schnell fort und verschwand. Guy blickte ihr verwundert und wütend nach. Die Kleider von ihrem verstorbenen Gemahl sollte er tragen, auf was für Ideen kam denn diese Frau? Zudem würden diese ihm sicherlich zu klein sein, er war nämlich mit Sicherheit weitaus größer als der Gemahl dieser leicht verstörenden jungen Witwe. Was hatte ihn ausgerechnet in das Heim dieser Frau verschlagen?

 

Einige Minuten später stand Enide wieder in der Tür, in den Händen einige Kleiderstücke. Sie trug sie zu Guy.

„Ich hoffe, es passt, ich werde jetzt etwas Milch warm machen.“

Verwirrt nahm Guy ihr die Kleider ab und blickte ihr verwundert nach, als sie ohne ein weiteres Wort wieder den Raum verließ. Sie mochte wundersam sein, aber gut anzusehen war sie. Hastig schüttelte er den Kopf, diese Frau interessierte ihn nicht. Sie war ihm vom Stand weit unterlegen, wirkte leicht verrückt und so schön war sie nun auch wieder nicht.

Er dachte nicht mehr darüber nach und probierte stattdessen die Kleider, die Enide ihm gereicht hatte, an. Sie passten besser als er gedacht hätte. Zuerst hatte er ja nicht vorgehabt sie überhaupt anzuziehen geschweige denn anzubehalten, aber nun fühlten sich die trockenen Kleider so gut auf seiner durchgefrorenen Haut an, dass er beschloss sie doch anzubehalten.

Einige Minuten später trat Enide wieder ins Zimmer, er drehte sich leicht zu ihr um und bemerkte, wie sie einen Moment innehielt und ihn mit einem leicht abwesenden Blick ansah, den er nicht genau deuten konnte. Dann aber war dieser Ausdruck wieder aus ihrem Gesicht gewichen.

Mit gesenktem Kopf trat Enide zu Sir Guy und reichte ihm stumm einen Becher mit warmer Milch. Einen Augenblick hatte dieser Mann sie tatsächlich sehr an ihren verstorbenen Ehemann erinnert, aber daran wollte sie nicht denken. Trotz der sechs Jahre, die seitdem vergangen waren, war die Erinnerung an ihren Gemahl immer noch schmerzlich. Sie hatte ihn sehr geliebt und obwohl sie nur vier Jahre verheiratet gewesen waren, kam es ihr wie ein halbes Leben vor.

 

Ohne einen Versuch zu machen mit Sir Guy ein Gespräch zu beginnen, stellte Enide einen zweiten Eichenstuhl ans Feuer und ließ sich darauf nieder, nachdem sie sich auch einen Becher mit dampfender Milch geholt hatte.

Guy beobachtete aus den Augenwinkeln Enides Treiben. Es verwunderte ihn, dass die Frau nicht versuchte eine Unterhaltung mit ihm zu beginnen, obwohl er insgeheim dankbar war, dass sie es nicht tat. Er spürte nicht die geringste Intention sich mit ihr zu unterhalten. Er saß hier nur die Zeit ab, in der es draußen wetterte und stürmte, er wollte kein Gespräch mit ihr führen.

Als sie sich zu ihm ans Feuer setzte, befürchtete er schon nun ihr Geplapper ertragen zu müssen, aber zu seiner Verwunderung setzte sie sich nur stumm nieder. Ihre beiden Eichenstühle standen nicht weit auseinander, aber auch nicht nahe beieinander. Sie schienen miteinander nichts zu tun zu haben, obwohl sie an demselben Feuer saßen und von derselben Milch tranken.

Eine Weile hingen beide nur ihren Gedanken nach, den anderen abwechselnd verhohlen musternd und geflissentlich ignorierend. Schließlich brach Sir Guy das Schweigen, dem diese Stille, obwohl eigentlich erwünscht, ein wenig unheimlich war. Ein Weib, das nicht schwätzte und nicht einmal den Wunsch dazu zu haben schien sich mitzuteilen, war ihm ein wenig suspekt.

„Nun, sagt mir, Enide, wie lange lebt Ihr schon hier?“, fragte er die Frau neben sich.

„Meint Ihr insgesamt oder seit mein Gemahl tot ist?“, fragte diese zurück

„Insgesamt“, erwiderte Guy und wandte seinen Blick ihr zu. Irgendetwas zog ihn an dieser Frau an, auch wenn er zunächst Misstrauen gegen sie gehegt hatte und es immer noch tat.

„Seit zehn Jahren, vor zehn Jahren hat mich mein Gemahl von meinem Heimatort hierher gebracht“, beantwortete sie ruhig seine Frage.

„So lange schon?“, wollte Guy verwundert wissen.

„Ja, vier Jahre zusammen mit meinem Mann und seit sechs Jahren lebe ich hier alleine.“

„Eine Magd habt Ihr auch nicht?“

„Nein!“, entgegnete Enide mit kühler Entschiedenheit, als sei damit dieses Gesprächsthema beendet.

„Ihr lebt hier seit sechs Jahren ohne eine Menschenseele“, stieß Guy verwundert aus, „seid Ihr nie einsam?“

„Seit dem Tod meines Mannes kenne ich kein anderes Gefühl als Einsamkeit, aber daran würde auch eine Masse von Menschen um mich herum nichts ändern können!“

Sie stand abrupt auf und schien gehen zu wollen, dann jedoch hielt sie inne und wandte sich wieder Guy zu: „Doch sagt Ihr mir: Ist es mit Euch nicht genauso? Ihr lebt hier ebenso wie ich seit vielen Jahren, aber nach allem, was ich von meinem Mann früher und auch von den wenigen Kontakten, die ich seit seinem Tod noch habe, höre, scheint Ihr mir ein ebenso großer Einzelgänger wie ich zu sein. Ihr seid hart zu den Menschen sagt man, niemand kennt Euch, niemand mag Euch, aber fürchten tut Euch jeder.“

„Ihr nicht, wie ich vermute“, erwiderte Guy aufbrausend. Nun war auch er aufgestanden.

„Ich weiß nicht“, erwiderte Enide unsicher und trat einen Schritt zurück, „ich denke schon, denn Ihr könnt mir leicht nehmen, was bis heute mein Leben war und damit auch alle Erinnerungen an die Zeiten, wo ich noch keine Einsiedlerin war, wo noch jemand zu mir gehörte. Dann aber fürchte ich Euch auch wieder nicht, Ihr werdet mich wegen dieser Worte nicht hängen lassen und selbst wenn Ihr es tut, habe ich weniger zu verlieren als die meisten. Das Einzige, was ich feststellen wollte, ist, dass wir uns nicht ganz unähnlich zu sein scheinen. Ich lebe als Einsiedlerin weit weg von den Menschen und Ihr habt es Euch so eingerichtet, dass Euch auch in einer Masse von Menschen niemand nahe zu kommen wagt!“

„Und was wollt Ihr damit nun belegen oder beweisen?“, herrschte Guy sie an, „Was maßt Ihr Euch überhaupt ein Urteil über mein Leben an? Ihr lebt seit Jahren hier in der Einöde, Ihr wisst nichts von dem Leben außerhalb oder von mir, und nur weil Euer Leben Euch nichts wert zu sein scheint, heißt es noch lange nicht, dass ich bereit bin Eure Respektlosigkeit zu dulden.“

Er war nahe daran sie zu schütteln vor Wut. Wieso sprach nur diese Frau so auf ihn ein, als wüsste sie, wer er sei? Wieso maßte sie sich an ihn zu verurteilen? Er stand auf der Seite des Gesetzes, nicht sie.

„Ich maße mir kein Urteil an, es war nur mein Eindruck von Euch, nach allem, was ich bis jetzt von Euch gesehen und gehört habe, aber ich wollte Euch nicht beleidigen. Wahrscheinlich kanntet Ihr es nie anders!“

„Ich kannte es einmal anders!“, Guys Stimme hob sich, der Zorn ließ sie noch tiefer, noch bedrohlicher klingen, seine Stirn war zerfurcht von Falten der Erregung und der Wut, „bevor ich vor vielen Jahren hierher nach Nottingham kam als Stellvertreter des Sheriffs, war ich einmal mit einem jungen, sehr liebenswürdigen und vertrauensvollem Mädchen verlobt. Es war kurz vor unserer Hochzeit, als sie am späten Nachmittag allein durch ein kleines Waldstück ging, um noch etwas bei Verwandten zu holen, die nahebei wohnten. Sie kam an diesem Abend nicht mehr heim. Gesetzlose, die in den Wäldern ihr Unwesen trieben, hatten sie überfallen, vergewaltigt und getötet. Vielleicht versteht Ihr nun, dass ich nicht gänzlich gefühlskalt bin. Ich bin nur nicht wie Ihr, dass ich mich vom Leben ganz zurückziehe.“

Guy bebte, als er sich dieses schrecklichen Augenblickes, als er vom Tod seiner Verlobten und der Art desselben erfahren hatte, erinnerte. Er wusste nicht, wieso er dies alles überhaupt erzählt hatte, wieso er das, was er bis jetzt niemandem erzählt hatte, einer Wildfremden gegenüber äußerte, einer Eremitin, die seit Jahren im Wald lebte, einer Frau, die man als zumindest wunderlich, wenn nicht schon als verrückt oder als Hexe bezeichnen musste. Er war nahe daran sofort aufzubrechen, hier wollte er nicht länger bleiben, er hatte dies nie einem Menschen hier erzählt, weil er kein Mitleid wollte, und nun dieses Mitleid dieser Frau ertragen zu müssen, war mehr als er bereit war auf sich zu nehmen, nur um nicht erneut nass zu werden.

 

Enide hielt ihn auf, indem sie ihm still tröstend die Hand auf die Schulter legte. Einen Augenblick sagte keiner von beiden etwas, sie blickten einander tief in die Augen. Guy suchte Mitleid in Enides Augen, dieses herabsetzende Mitleid, das einem den Schmerz, den man fühlte, nur noch deutlicher machte, aber in Enides Augen lag nichts außer Schmerz, ihrem Schmerz, seinem Schmerz, dem Schmerz, den sie beide lange mit sich herumgetragen und den sie nun eher ungewollt voreinander offen gelegt hatten.

„Ich weiß, wie leer Ihr Euch seitdem gefühlt haben müsst“, sprach Enide schließlich, „denn ich habe auf andere Weise dasselbe gefühlt. Wir waren beide einsam, jeder auf eine andere Weise.“

Guys Kopf neigte sich ihrem zu, es war wie magisch, sie waren beide in einer ähnlichen Situation, beide einsam, beide unverstanden von der Welt, beide hatten sie den Menschen, der ihnen am meisten bedeutete, verloren. Langsam, fast unsicher tastete sich Guys Mund an Enides Lippen heran. Mit einer Sanftheit, die seiner Person eigentlich uneigen war, küsste er ihre zarten, roten Lippen. Sie streckte sich ihm dürstend entgegen, hatte all dies zu lange nicht mehr erlebt. Leicht öffnete sie ihren Mund für ihn und er erforschte zärtlich mit seiner Zunge ihren Mund, für einen Augenblick versanken sie ineinander, vergaßen alles um sich herum, dann trennten sie sich wieder: Hastig, rasch, verwirrt. Keiner wagte den anderen anzusehen, etwas zu hoffen, was er nicht erhoffen sollte oder etwas zu sagen, was falsch aufgenommen werden könnte.

 

Schließlich brach Enide das Schweigen: „Hör nur, das Gewitter hat aufgehört!“

Guy nickte, das war wohl das Signal für ihn sich wieder auf den Weg zu machen.

„Ich sollte mich wieder umkleiden vorher!“

Nun war es an Enide zu nicken, sie wollte ihm zuerst anbieten, dass er die Kleider anbehielt, scheute dann aber davor zurück, da sie Angst hatte, dass er es falsch verstehen würde. Sie zog sich aus dem Zimmer zurück, so dass er sich umkleiden konnte. Einige Minuten später trat er aus dem Raum hinaus zu ihr. Scheu nahm sie die Kleider wieder aus seiner Hand entgegen. Er schien unsicher, ob er noch etwas sagen sollte oder nicht, wollte schon gehen, als Enide plötzlich leise anbot: „Ihr könnt einmal wiederkommen, wenn Ihr wieder vom Regen überrascht werdet oder auch zu anderer Zeit!“

Ihre Stimme verlor sich. Hatte sie zuviel gesagt? Verlegen blickte sie zu Guy hoch, in seine tiefblauen Augen, ihr Mann hatte braune Augen gehabt, aber was machte das nun noch?

Enide sah, wie Guy leicht nickte, mehr nicht, dennoch fühlte Enide Freude, nicht überströmende Freude oder Begeisterung, aber ein Gefühl stiller Zufriedenheit. Er würde wiederkommen. Sie sah zu, wie Guy sich umdrehte und sein Pferd bestieg. Er gab dem Hengst die Sporen und ritt im Galopp davon, aber er würde wiederkommen.

Er würde wieder zu ihr kommen.




Ende
Becci ist Autor von 31 anderen Geschichten.

Diese Geschichte ist Teil der Serie Challenge 1 - Thema Frühlingsgewitter/Aprilwetter. Die nächste Geschichte in dieser Serie ist Nur eine kleine Geschichte.


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