Henrys Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Schon wenige Tage später erhielt Margaret einen Brief, worin Henry mitteilte, dass er geschäftlich im Norden des Landes zu tun hätte und einen Zwischenstopp in Milton einlegen würde. Mit Henrys Brief in der Tasche machte sich Margaret auf den Weg nach Marlborough Mills.
Sie standen im Wohnzimmer der Thorntons und unterhielten sich leise über die Küche, die Higgins und John in den letzten Tagen eingerichtet hatten. Heute sollte sie in Betrieb gehen und Margaret freute sich sehr darüber. Mary war bereits mit den Vorbereitungen beschäftigt und John hatte Margaret nach langem Bitten erlaubt zu helfen. „Du hättest es ohnehin nicht verhindern können“, lachte Margaret glücklich.
Mrs. Thornton saß über eine Handarbeit gebeugt und ihre Gedanken wanderten zu Jane. Sie bedauerte einerseits, dass Jane es vorgezogen hatte, Marlborough Mills zu verlassen, andererseits erwartete sie von ihren Dienstmädchen bedingungslose Loyalität und Diskretion. Beides hatte Jane mit Füßen getreten, in dem sie vertrauliche Familienangelegenheiten ausgeplaudert hatte. Auch wenn ihr das Mädchen Leid tat, so war es sicher das Beste, denn das einstige Vertrauen hätte niemals wieder hergestellt werden können.
Mrs. Thornton sah auf, als sie Margaret lachen hörte. Obwohl sie nichts von dem verstand, was ihr Sohn und Margaret miteinander sprachen, drückten sowohl Mimik als auch Gestik ihrer beider Empfindungen füreinander aus.
Sie hatten die Köpfe zusammen gesteckt und auf einer Seite berührten sich leicht ihre Schultern. Margaret hatte ihre rechte Hand auf Johns Unterarm gelegt. Ihr linker Arm baumelte an ihrem Körper hinab. Wie zufällig berührten Johns Finger ihren Handrücken und strichen kaum merklich darüber. Die tiefe Zuneigung zwischen den beiden blieb Mrs. Thornton nicht verborgen. Sie hatte ihren Sohn noch nie glücklicher gesehen. Gegen ihren Willen musste sie lächeln. Vielleicht war Miss Hale ja doch nicht Johns schlechteste Wahl.
Bereits am darauf folgenden Tag traf Henry in Milton ein. Margaret begrüßte ihn herzlich, sie freute sich, ihn wieder zu sehen.
Tante Shaw, Edith und auch Maxwell Lennox ließen ihre herzlichen Glückwünsche ausrichten. Ob sich Henry ebenso über Margarets bevorstehende Hochzeit freute, war nicht zu erkennen, seine Gesichtszüge wirkten verschlossen.
John gesellte sich erst später dazu. Die beiden Männer begrüßten sich zwar höflich, aber distanziert. John dachte an seine erste Begegnung mit Henry. Es war in London während der Ausstellung gewesen. Schon damals hatte er das Gefühl gehabt, dass Henry in Margaret weit mehr als seine Schwägerin sah. Und dieses Gefühl hatte er auch jetzt. John entging es nicht, dass Henrys Blick Margaret folgte, wann immer er sich unbeobachtet fühlte. Er konnte nicht verhindern, dass ein winziges Gefühl der Eifersucht in ihm aufstieg.
Bald darauf zogen sich John und Henry in Mr. Hales Arbeitszimmer zurück. Henry erzählte John, dass er einen der beiden Offiziere südlich von London ausfindig machen konnte.
„Ich habe versucht mit ihm in Kontakt zu treten, doch meine Briefe blieben bislang unbeantwortet“, erklärte Henry.
„Wo befindet sich der andere?“, wollte John wissen.
„Derzeit auf See, aber seine Familie wohnt nicht weit von hier. Ich habe erfahren, dass er in etwa zwei bis drei Wochen zurück erwartet wird.“
Henry reichte John ein Papier, worauf die Adressen der beiden Offiziere notiert war.
„Wie schätzen Sie die Chance ein, die Herren zu einer wahrheitsgemäßen Aussage zu bewegen?“ John fuhr mit der Hand durch sein Haar.
„Ich weiß es nicht. Cpt. Reid ist mittlerweile verstorben, aber ich könnte mir vorstellen, dass die Herren ‚überredet’ werden könnten. Ich fürchte allerdings, dass es nicht billig werden wird“, antwortete Henry stirnrunzelnd.
John nickte langsam.
„Ich werde die Herren persönlich aufsuchen und sehen, was ich machen kann“, sagte er bestimmt.
„Das würden Sie für Frederick tun?“ Henry hob erstaunt den Kopf.
„Für Margaret“, antwortete John leise, „es gibt nichts, was ich nicht für sie tun würde.“ John ging auf die Tür zu, drehte sich aber noch einmal um: „Dürfte ich Sie um einen Gefallen bitten, Lennox?“
„Natürlich“, erwiderte Henry überrascht.
„Bitte erwähnen Sie gegenüber Margaret und Mr. Hale nicht, dass ich beabsichtige, die Herren Wright und Smith persönlich aufzusuchen.“
Henry sah John lange an und nickte schließlich: „Sie haben mein Wort.“
Henry sah nachdenklich aus dem Fenster seines Zugabteils. Die Nachricht von Margarets bevorstehender Hochzeit hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich immer noch Hoffnungen gemacht, sie eines Tages doch noch für sich gewinnen zu können. Nun hatte er sie endgültig verloren. Immer wieder hatte Edith ihm in den Ohren gelegen, dass er sich um Margaret bemühen müsse, bevor es ein Anderer täte. Er wollte Margaret nicht bedrängen. Nun bereute er es, dass er Ediths Rat nicht befolgt hatte. Er schloss traurig seine Augen, als er an Margarets Blicke dachte, die sie mit Thornton austauschte. In diesen Blicken lag so viel Liebe, Verständnis und gegenseitiges Vertrauen, wie er es selten bei zwei Menschen gesehen hatte. Auch wenn er sich im Grunde darüber freute Margaret so glücklich zu sehen, so konnte er den Schmerz, den er tief in seinem Innersten fühlte, nicht vertreiben.
Henry erinnerte sich noch sehr gut an seine erste Begegnung mit Thornton bei der Ausstellung in London im letzten Jahr. Thornton war ihm fast schon feindselig entgegen getreten. Auch wenn er ihn zu Anfang für einen ungehobelten, arroganten Händler gehalten hatte, so musste er sich insgeheim doch eingestehen, dass Thornton kein übler Mensch war und er Margaret ganz offensichtlich über alles liebte.
„Chef!“, rief Higgins John zu, als dieser im Hof an ihm vorbei ging. John drehte sich zu ihm um und hob fragend die Augenbrauen. „Haben Sie heute schon etwas gegessen?“
„Nein, ich war zu beschäftigt“, antwortete John seufzend.
„Es gibt Eintopf, kommen Sie“, forderte Higgins ihn auf.
„Das habe ich schon ewig nicht mehr gehabt“, antwortete John lächelnd und folgte Higgins.
Sein Blick fiel sogleich auf Margaret, die zusammen mit Mary Besteck und Teller an die Arbeiter verteilte. Sie lächelte ihm strahlend entgegen, als er sich zusammen mit Higgins auf eine Bank setzte.
Margaret drückte jedem der beiden Männer einen Löffel in die Hand und Mary brachte die Teller. John warf Margaret einen liebevollen Blick zu, bevor sie sich wieder der Arbeit widmete.
„Hm, das ist gut“, er sah überrascht auf „sehr gut sogar“.
„Mary ist ein gutes Mädchen und eine hervorragende Köchin. Seit dem Tod ihrer Schwester scheint sie über sich hinaus zu wachsen. Ich wüsste nicht, wie ich ohne sie zurecht kommen würde, besonders jetzt, seit die Kinder da sind“, antwortete Higgins.
In den nächsten Tagen hatte Margaret nicht allzu viel Zeit, um Mary in der Küche zu helfen, sie war mit ihren eigenen Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt. Sie war Mrs. Thornton unendlich dankbar, dass diese ihr half. Die Gäste mussten geladen werden, mehrere Schneider wurden mit der Fertigung der Garderobe und natürlich auch für Margarets Hochzeitskleid beauftragt. Es musste ein geeigneter Platz für die Gäste reserviert , das Menü bestellt und all die anderen Dinge noch erledigt werden, die für eine Hochzeit unabdingbar waren.
Auch wenn sich Margaret immer gewünscht hatte an einem sonnigen Tag zu heiraten und ihr Lieblingskleid zu tragen, so erkannte sie doch, dass Milton eigene Regeln für sie parat hielt. John war an ihrer Seite, was spielte ihr Kleid da für eine Rolle? Konnte sie überhaupt noch glücklicher sein?
Doch zuvor fand Fannys Hochzeit statt. John war erleichtert, dass ihm eine weitere Szene mit Fanny erspart blieb. Er hatte die Vermutung, dass er dies seiner Mutter zu verdanken hatte. Und was die Miltoner Gesellschaft anging, so war sie wesentlich gnädiger als seine Schwester und er nahm von allen Seiten Glückwünsche entgegen, als seine Verlobung mit Margaret bekannt wurde.
Etwa zwei Wochen nach Fannys Hochzeit saß John im Zug und hatte nachdenklich seinen Blick geradeaus gerichtet. Margaret war überrascht gewesen, als er ihr erzählte, dass er für einige Tage Milton aus geschäftlichen Gründen verlassen musste, hatte aber nicht weiter nachgefragt. Er hasste es, Margaret nicht die Wahrheit zu sagen, aber er war sich sicher, dass sie es niemals zugelassen hätte, dass er Wright und Smith aufsuchen und ihnen Geld dafür anbieten würde, damit sie die Wahrheit bezeugten. Und es hatte ihn nicht wenig gekostet, die Herren zu überreden, vor Gericht ihre Aussage zu revidieren.
Der im Süden lebende Wright war kein großes Problem gewesen. Seit er aus der Marine ausgeschieden war, schien für ihn der Sinn des Lebens im Geist des Weines zu liegen. Smith dagegen war ein weitaus härterer Verhandlungspartner und es hatte John ein hübsches Sümmchen gekostet, bis dieser schließlich einwilligte.
Im Grunde war John jedoch zufrieden. Er hatte von beiden eine unterzeichnete Erklärung bei sich, die er gleich bei seiner Ankunft in Milton an Henry schicken wollte. Dieser würde alle weiteren juristischen Schritte in die Wege leiten und mit viel Glück wäre Frederick bereits ein freier Mann, wenn er, John, Margaret vor den Traualtar führen würde. Er konnte sich kein schöneres Hochzeitsgeschenk für sie vorstellen.
Es dämmerte bereits, als John wenige Tage nach seiner Rückkehr nach Milton am Schreibtisch seines Büros saß und noch einige Korrespondenz erledigte.
„Feuer! Es brennt“, schrie jemand panisch.
John hob entsetzt seinen Kopf und blickte aus dem Fenster. Tatsächlich, auf der anderen Seite des Hofes quoll Rauch empor. John stürmte aus seinem Büro und rannte über den Hof. Lautes Stimmengewirr kam aus allen Ecken und der Hof füllte sich binnen Sekunden mit Menschen.
„Schnell, bildet eine Löschkette!“, rief eine männliche Stimme „Das Feuer darf nicht überspringen!“, schrie ein anderer.
„Ist noch jemand im Gebäude?“ John hatte Mühe die Menge zu übertönen.
„Nein, zum Glück ist niemand mehr drin“, erhielt er von irgendwoher die Antwort. John versuchte, einige Karren und Säcke gefüllt mit Baumwolle aus der Gefahrenzone zu ziehen, damit sie nicht ebenfalls Feuer fingen.
„Higgins, helfen Sie mir!“, schrie er. Eine unglaubliche Hitze schlug ihnen entgegen, als sie sich dem Brand näherten. Bereits die Hälfte des Gebäudes brannte lichterloh.
Ein gellender Schrei ließ John hochschrecken. „Da ist noch jemand drin!“, schrie eine Stimme. John schnellte herum und lief zum Eingang.
„Thornton, nein! Sie können da nicht rein!“ Higgins versuchte ihn zurückzuhalten, doch John hörte ihn schon gar nicht mehr, er war bereits durch die Tür verschwunden.
Er hob schützend die Arme vor sein Gesicht und sah sich mit zusammen gekniffenen Augen um. Die Hitze war fast unerträglich und das Atmen fiel ihm wegen des dichten Rauchs sehr schwer. Er ging einen Schritt weiter, als er über sich ein lautes Knacken hörte. Bevor er jedoch reagieren konnte, brach ein Deckenbalken herunter und erwischte ihn am Kopf. John sah nur noch schwarz und sank bewusstlos zu Boden.
Chapter End Notes:
Ich möchte einmal Becci und Tatty ganz fest Knuddeln für ihre Hilfe! ;-)