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Story Notes:

 

DISCLAIMER

Diese Geschichte ist frei erfunden und hat keinerlei Bezug zum wirklichen Leben der darin beschriebenen Personen.

Die Personen gehören sich selbst, ausser denen, die von der Autorin erfunden / geschaffen wurden.

Die von der Autorin selbst erschaffenen Charaktere und die Handlung der Geschichte sind Eigentum der Autorin.

Vorsätzliche Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte sind nicht beabsichtigt.

© Doris Schneider-Coutandin 2008

 




 

 

Sonntag, 29. Juni 2008. Ernst-Happel-Stadion. 22.38 Uhr.

Warum denke ich gerade an „Einstürzende Neubauten“? Eine merkwürdige Assoziation, aber mein Gefühl lässt mich nun mal gerade an diesen komischen Bandnamen denken. Ich bin physisch und psychisch so geplättet, als wäre ein Bulldozer über mich drüber gefahren. Mehr als zwei Stunden lang bin ich extrem Achterbahn gefahren, emotional gesehen. Selten ist es so schlimm gewesen – ständig zwischen Hoffen und Bangen. Ich habe geschrieen, getobt, gebetet, gestikuliert, gelitten; nicht eine Sekunde habe ich durchatmen können. Ein einziger Kampf.

Bereits Minuten vor dem Schlusspfiff ist es mir klar geworden, aber mein Kopf hat sich geweigert, das Wort in mir wirklich entstehen zu lassen. Ein hässliches Wort für einen Fußballer, schon unter normalen Umständen, aber heute – ein Furcht erregendes Monster, eine Ausgeburt der Hölle: Verloren!

Eine Katastrophe nationalen Ausmaßes. Und in just dieser Sekunde, in der dich diese unwiederbringliche Wahrheit durchdringt, ringst du nach Luft, furchtbare Gedanken durchrasen dein Gehirn wie grelle Blitze, der schlimmste davon ist zwar absurd, aber er ist vorhanden: Aus! Morgen bist du ein Nichts, morgen kennt dich keine Sau mehr, morgen bist du Vergangenheit, morgen bist du nicht mehr der Trainer dieser Mannschaft. Sie feuern dich wegen Inkompetenz!

Ich bin so durch den Wind, dass es mir schwer fällt überhaupt einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Ich versuche mich an sämtliche psychologischen Tricks zu erinnern, aber keiner will sich einstellen, nichts Brauchbares fällt mir ein.

Das ist der Moment, in welchem ich anfange Automatismen abzuspulen. Ich nehme wahr, was um mich herum vorgeht, aber ich lasse es nicht an mich heran. Ich bewege mich mechanisch, ohne inneren Antrieb, könnte gerade nicht einmal sagen, ob mein Herz überhaupt noch schlägt.

Alles ist wie betäubt. Den Song kennt man ja: „Fühl’ mich leer und verbraucht, alles tut weh, hab’ Flugzeuge in meinem Bauch…“. Genau so ist es!

Ich sehe meine Spieler in sich zusammenfallen. Einige lautlos, wie ein geschnittener Grashalm, andere klagend und wimmernd. Wer gibt ihnen Trost? Ich sehe mich um, niemand sonst ist da. Einige von ihnen krümmen sich wie unter Schmerzen auf dem Rasen. Ich überlege: Vielleicht haben sie sich wehgetan? Dann rufe ich mich zur Ordnung: Natürlich haben sie das, nicht körperlich zwar, jedoch – verlieren tut weh! Was ist zu tun?

Eine merkwürdige Überlebensstrategie setzt bei mir ein, denn entweder übergebe ich mich jetzt, hier und sofort auf diesen beschissen grünen Rasen oder ich wachse über mich hinaus. Noch ist Zeit, sich zu entscheiden!

Mir ist wirklich elend schlecht und ich tendiere für den Bruchteil einer Sekunde zu Ersterem, dann aber – gemessenen Schrittes, was sich für mich wie Zeitlupentempo anfühlt, setze ich einen Fuß vor den anderen und stehe mitten auf dem Spielfeld bei einem Spieler, der vor Gram halbtot zu sein scheint. Ich knie mich nieder und sage irgendwas, tue irgendwas. Nichts anderes nehme ich wahr, weder die Kameras für die Fernseh-Übertragung, noch die Fotoapparate der Reporter und schon gar nicht die Jubelgesänge der Gewinner.

Der nächste, der mir ins Auge fällt, lehnt erschöpft und ausgelaugt am Torpfosten. Ich erhebe mich aus der Hocke und wandere über das halbe Spielfeld hinüber zu ihm. Sage ich was zu ihm? Offensichtlich. Aber was? Ich weiß es nicht mehr.

Wie alt bin ich? Achtundvierzig? Nie im Leben! Achtundachtzig, mindestens!

Was um mich herum gesagt wird, registriere ich nicht. Ich tröste, dabei würde ich selbst so gerne getröstet werden. Mein Blick heftet sich auf die Ehrentribüne und das, was dort nun vorbereitet wird. Mein Gang nach Canossa… und leerer Trost von der versammelten Prominenz.

Ich sehe diesen verdammten silbernen Pott nicht mehr an, gehe ohne dem Ding auch nur einen Blick zuzuwerfen weiter. Um meinen Hals baumelt eine silberne Medaille, ich werde gedrückt, umarmt und weitergereicht, ohne dass ich es überhaupt mitbekomme. Trost war das nicht. Nur ein bisschen Mitleid vielleicht.

Irgendwann komme ich etwas zu mir, schüttele die Halbnarkose ein wenig ab und merke, dass ich bereits in den Katakomben bin. Gut so! Den Siegestaumel der anderen habe ich wohl völlig ausgeblendet.

Montag, 30. Juni 2008. Club Phoenix. 1.55 Uhr.

Der Presse habe ich mich als guter Verlierer präsentiert. Noch immer fühle ich mich ein wenig so, als wäre das alles gar nicht passiert, als träumte ich einen völlig surrealen Traum. Doch mir wird langsam klar, dass ich mitten in der Realität stehe.

Die Lethargie legt sich etwas, der Schmerz noch nicht.

So richtig nach Feiern ist eigentlich keinem zumute, aber alles war vorbereitet und organisiert und so gehen wir natürlich alle hin zur Party. Man freundet sich mit dem Wort an, dass man am Tag zuvor nicht hatte hören wollen, das nun aber – logischerweise – in aller Munde ist: Vize-Europameister!

Ist doch auch was, oder? Ja, ist es. Nur – Europameister klingt halt besser und ich wette, es würde sich auch wesentlich besser anfühlen.

Irgendwo zwischen Essen und Trinken finde ich einen Teil meiner Lebensgeister wieder. Leider lässt mich mein Boss aber in dieser Nacht sehr schnell im Stich; er geht sofort nach dem Essen und meint, ihm wäre die Luft etwas zu stickig hier. Dem scheint es auch nicht gut zu gehen. Wenn der jetzt schon verschwindet, wer soll dann die Moral in der Truppe wiederherstellen?

Das ist nicht gut, das ist gar nicht gut. Mein Kopf dröhnt.

Eine dreiviertel Stunde nach dem obersten Boss gehen meine ersten Spieler, deren Frauen und ein paar Betreuer. Mist! Eine Trauerfeier ist fröhlicher. Was kann ich tun? Kann ich überhaupt etwas tun?

Bevor die uns nun die Stühle auf die Tische stellen und alles den Bach runter geht… tanzen müsste wer! Tanzen? Blödsinn! Wer will unter diesen Umständen tanzen? Keine Sau! Der Gedanken verselbständigt sich, meine Füße tun das Gleiche. Jetzt – verdammt noch mal! – wird getanzt. Aber hallo!

Ich entkrampfe mich immer mehr, beim Tanzen tritt plötzlich ein Zustand leichter Entspannung ein. Und ich merke, dass ich nicht der Einzige bin, dem es so geht. Das ist gut.

Um mich herum schweben im Discolicht lächelnde Gesichter. Halt – lächelnde Gesichter? Ich sehe genauer hin: So ist es!

Ein lieber Gast, ein bekannter deutscher Sänger (ich sagte vorhin was aus einem Liedtext von ihm auf!), umarmt mich fest und verabschiedet sich. Es ist viertel vor vier, die Zeit rennt mit einem Mal nur so dahin. Wir tanzen weiter. Ich spüre meine Füße bald nicht mehr, auch einige Damen haben sich ihrer Stöckelschuhe entledigt und bewegen sich barfuss auf der Tanzfläche. Gefällt mir!

Die Frau an meiner Seite gibt mir Signale, die nicht zu missverstehen sind. Zurück ins Hotel, bitte! Ich sehe auf die Uhr: Zehn vor fünf, also gut, es reicht. Wir verlassen den Club, treffen auf unentwegte Fans vor der Tür, ich ertappe mich dabei, dass ich lächele und nett Autogramme verteile. Um fünf in der Früh, nach einer verlorenen Europameisterschaft! Völlig irre.

Ich schlafe schlecht, träume wirr, schlage mich dabei mit fiesen vierten Offiziellen, todtraurigen Spielern, inkompetenten Kritikern und oberneugierigen Reportern herum. Dazu ein komischer Silbertopf, der sich immer weiter von mir entfernt!

Nach drei Stunden miserablem Schlaf schrecke ich hoch – und soll in diesem Zustand packen, den Journalisten unter die Augen treten und – das Allerwichtigste: Zurück nach Deutschland, nach Berlin, zu hunderttausend oder mehr Fans! Ich kann es nicht! Echt, ich pack’s nicht!

Montag, 30. Juni 2008. Flughafen. 12.45 Uhr.

Wunderbar, ich sitze wahrhaftig im Flugzeug nach Berlin! Ich frage mich gerade ernsthaft, wie ich hierhin gekommen bin. Seufzend nehme ich meine Sonnenbrille ab und schließe meine gequälten Äuglein.

Die Order geht durch den Flieger, dass wir möglichst bis zum Landeanflug nicht gestört werden dürfen. Sehr vernünftig, bin ich sehr dafür.

Irgendwie habe ich mitgekriegt, dass einige von uns gar nicht im Bett gewesen sind. Und ich habe gerade das Gefühl, es wäre auch besser für mich gewesen. Jetzt weiß ich, was man darunter zu verstehen hat, wenn man sich „gerädert“ fühlt.

Habe ich geschlafen? Keine Ahnung. Der Pilot kreist mit dem Flugzeug über Berlin, er fliegt sogar eine extra Schleife über dem Brandenburger Tor, aber ich kriege meine Augen gerade nur mühsam auf.

Wir fahren durch eine Wasserwand nach der Landung in Berlin-Tegel. Begrüßungszeremoniell der Flughafen-Feuerwehr, sagt unser Pilot. Nett von denen. Ich finde nur, dass wir es eigentlich nicht verdient haben.

Ich habe einen psychischen Tiefpunkt, definitiv. Wir waren so schlecht gestern! Haben mit Recht die Hucke voll gekriegt! Nein, nein, was rede ich mir denn da ein? Blödsinn!

Ich denke nicht, dass ich einigermaßen dynamisch die Gangway herunter komme, aber ich bemühe mich, da ja mal wieder unzählige Kameras auf uns gerichtet sind. Mein Hemd ist zerknittert – habe ich das überhaupt gewechselt? Ach ja, ich war ja kurz im Bett heute früh, stimmt.

Und dann Probleme mit dem Gepäck. Es muss nun doch alles komplett mit, ein Aufwand, der erst nicht einkalkuliert war. Ich bin angepisst, kann es mir aber nicht anmerken lassen. Alle Fernsehanstalten sind live dabei!

Es wird umgeräumt, umorganisiert, umdisponiert. Mit Verspätung fahren die Busse los. Nun bin ich doch langsam auf die Fanmeile gespannt. Ein bisschen ziehe ich mich aus Lethargie und Müdigkeit hoch, auch wenn die Busfahrt auf mich wieder leicht einschläfernd wirkt.

Montag, 30. Juni 2008. Fanmeile. 14.35 Uhr.

Erst der offizielle Teil. War klar. Ich steige aus dem Bus, Applaus brandet auf. Hier schon, hinter dem großen Fantrubel. Wahnsinn. Ich höre das Gejohle bereits. Meine Laune bessert sich, wir werden sehr lieb, fast enthusiastisch bereits im Backstage-Bereich empfangen. Gang zum Goldenen Buch, ich habe Angst, dass ich mit meinen zittrigen, schwitzigen Händen die handgeschöpfte Papierseite versaue, als ich mit dem Füllfederhalter meinen Namen schreibe. O Gott, meine Unterschrift ist furchtbar heute, das reinste Gekrakel. Scheiße.

Vorne beginnt die Party, die Torhüter werden vorgestellt. Der gleiche Ablauf wie damals zur WM. Etwas Anderes, Neues wäre in der Kürze der Zeit nicht machbar gewesen. So wissen fast alle, wie der Hase läuft und das ist auch gut so.

Ich bekomme die Instruktionen vom Sender, nicke zu allem mechanisch, dann drückt man mir zwei Fußbälle und ein Fan-Shirt in die Hand. Wir schieben uns weiter nach vorne. Ist das Mittelfeld schon dran? Scheint so.

Ich möchte so gerne da raus und allen am liebsten persönlich die Hand drücken und dann auch wieder nicht. Eigentlich – eigentlich möchte ich nur meine Ruhe und ins Bett. Und nachher wieder Transfer, in den Flieger, Transfer; bis ich heute zu Hause bin, bin ich klinisch tot! Ohne Mist.

Der Mannschaftskapitän wird angekündigt. Meine Güte, der war auch fertig gestern und heute Nacht. Ein Synonym für „Pechvogel der Nation“. Arme Sau!

Aber nun feiern sie ihn, zum Glück. Es hilft ihm, wieder Oberwasser zu bekommen.

Dann geht alles rasend schnell, man schiebt uns auf die Bühne und los geht’s. Ich kann mich kaum orientieren, wo muss ich hin? Was muss ich tun? Irgendwo auf diesem merkwürdigen Catwalk kicke ich die Bälle seitlich weg. Und dann – bin ich ein Model, oder was? die machen das wohl immer so – laufe ich bis zum Ende durch und werfe ganz vorne am Rand das Shirt in die Menge. Lachend. Ich habe tatsächlich gelacht! Darüber bin ich ganz fassungslos, so dass ich nicht einmal mitbekomme, dass mich der Moderator zur Seite genommen und mir eine Frage gestellt hat. Wie? Was hat er gesagt?

Ich lobe ganz einfach alles und jeden, damit kann ich nichts falsch machen.

Und dann habe ich das Gefühl, es dauert ewig da oben. Nichts gegen die Musikstücke und Fangesänge – es ist wunderschön, so einen überwältigenden Empfang zu haben, aber nach meinem Dafürhalten zieht sich alles wie Gummi.

Für einen zweiten Platz ist das alles schier unglaublich, ich weiß. Ich schätze es auch, wirklich und wahrhaftig. Es ist so oft die Rede vom zwölften Mann, den Fans. Eine nicht zu unterschätzende Kraft, ganz klar. Unendliche Dankbarkeit von unserer Seite. Oft bin ich richtig gerührt von der Unterstützung der Fans. Auch heute. Nur – alles hat irgendwann einmal ein Ende.

Wann ich genau wieder in den Bus steige, ich weiß es nicht. Wann genau ich wieder am Flughafen eintreffe auch nicht. Es liegt so unglaublich viel hinter uns, hinter mir.

Dienstag, 1. Juli 2008. Zu Hause. 9.30 Uhr.

Wie? Zu Hause? Unfassbar, ich habe in meinem eigenen Bett geschlafen. Trotzdem rotieren ständig noch die Bilder der letzten Tage in meinem Kopf. Ich kann es nicht abstellen und bin mir nicht schlüssig, ob ich es gut oder schlecht finden soll.

Die Idylle ist nur von kurzer Dauer, ich werde bald schon wieder unterwegs sein.

Schnell überfliege ich die Zeitungen, erledige Telefonate, mir scheint unendlich viele, das Telefon steht nicht eine Sekunde still. Ich habe nicht einmal meinen Maileingang angesehen, ich habe Angst davor, es sind sicher tausende, na ja gut, zumindest hunderte von Mails und das ist mir gerade ein bisschen zuviel.

Natürlich scheue ich nicht das Licht der Öffentlichkeit, aber heute zieht es mich so gar nicht vor die Tür. Ich möchte einfach einmal nicht ständig angegafft, angesprochen, mit Dauergrinsen bedacht, mit Schulterklopfern versehen oder mit – wenn auch wohlwollend gemeinten – Sprüchen angegangen werden. Wenn ich einen Fuß vor die Tür setze, wird dies nämlich der Fall sein, ich kenne das zur Genüge.

Das alles zieht einen Rattenschwanz ohne Ende hinter sich her: Empfänge, Galas, Interviews, Werbeauftritte, wohltätige Auftritte, soziale und ehrenamtliche Engagements. Wollte ich alles wahrnehmen, käme ich nicht mehr zum Arbeiten.

Und arbeiten muss ich, selbst jetzt, nach dem Gewinn der Vize-Europameisterschaft. Ach, das Wort geht schon viel besser von den Lippen heute. Hört sich auch positiv an, nicht so in ein schwarzes Loch blickend, als wenn man sagen würde: „Verlust der Europameisterschaft“. Und doch drückt man den gleichen Umstand damit aus.

An Urlaub kann ich derzeit auch noch nicht denken, sicher erst Mitte oder Ende Juli, vielleicht für eine Woche oder – wenn alles gut geht – für zehn Tage.

Es gibt sehr viel in der Nachbereitung zu tun und der Blick richtet sich bereits wieder nach vorne, auch wenn man noch nicht so recht weiß, ob man dazu schon die Kraft hat. Und unliebsame Dinge müssen erledigt werden.

Ich bin kein Typ, der so etwas auf die lange Bank schiebt, es wird in den Telefongesprächen, die ich derzeit führe, schon klar, dass und wie ich in einigen Angelegenheiten meinen Standpunkt vertrete.

Es fällt mir schwer, gerade nach der extrem emotionalen Phase, die ich gerade durchlebt habe, aber für manches gibt es nur den steinigen, unbequemen Weg.

Ich scheue mich nicht, ihn zu gehen und auch nicht, andere auf diesen Weg zu schicken.

Viele andere Fragen bleiben erst einmal offen, ich gebe den betreffenden Personen Luft und Zeit zum Nachdenken. Mir selbst gönne ich diesen Luxus nicht. Nicht derzeit. Ich werde noch immer viel unterwegs sein, bereite mich nun gerade auf den DFB-Kongress in Frankfurt in drei Tagen vor.

Denkbar ungünstiger Zeitpunkt, so direkt nach der EM, aber in Hessen sind bereits Ferien und ich verstehe den Wunsch der Leute nach Erledigung, damit man einen Haken an die Sache machen und sich in den wohlverdienten Urlaub begeben kann.

Also wappne ich mich innerlich für Frage- und Antwort-Spielchen, die so sicher kommen werden, wie das Amen in der Kirche.

Freitag, 4. Juli 2008. Airport-Hotel Frankfurt. 13.00 Uhr.

Wann bin ich heute Morgen aufgestanden? Was habe ich eigentlich für ein Leben? Ich muss wahnsinnig sein, echt.

Als mein Chef mich vor dem gesamten Kongress lobt, habe ich jedoch mehr als den Anflug eines Lächelns auf den Lippen. Ist der Schmerz nun tatsächlich dem Stolz über das Erreichte gewichen?

Ich rede, erzähle, kommentiere. Mache ich die ganze Woche schon. Jeder stürmt auf mich ein: Sag schon, wie war’s (wirklich natürlich, bitte die Wahrheit und nichts als die reine Wahrheit!). Was passiert nun im Tor? Hallo, was soll denn da passieren? Nichts, vorerst.

Ich habe schon die irrwitzigsten Stories gelesen, was ich angeblich alles gesagt, von mir gegeben haben soll. Manchmal zum Lachen, manchmal zum Kopfschütteln.

Nicht, dass ich mich unwohl fühle auf dem Kongress, auch das ist Teil meiner Arbeit und ich denke, ich habe in den letzten vier Jahren mehr Zeit am Konferenztisch als auf dem Trainingsplatz verbracht, aber man blickt halt schon wieder in die Fernsehkameras und man steht wieder Rede und Antwort auf Fragen, die man bereits im Vorfeld zu neunzig Prozent vorhersagen kann.

Ich träume davon, einmal drei Tage am Stück total unbehelligt zu bleiben, also abgesehen von einer Urlaubswoche, die man weit weg vom Schuss verbringt, beispielsweise.

Einfach nur ruhig im Sessel sitzen, ein Buch lesen, einen Espresso trinken, eine Zigarette rauchen, ohne dass man alle fünf Minuten aufspringen muss, weil das Telefon klingelt oder man mit Mails zugeworfen wird.

Warum geht das nicht? Aaah, ich habe einen Scheiß-Job, echt! Wenn mir das alles nicht so am Herzen liegen würde, hätte ich schon längst aufgegeben.

So stehe ich nun also in Frankfurt, weil hier der oberste Firmensitz meines Brötchengebers ist, und atme die Luft ein, die – wie ich finde – eine ganz besonders ungewöhnliche Mischung ist. Hier in unmittelbarer Nähe des Flughafens, wo man die an- und abfliegenden Jets ständig brausen hört, wenn man vor die Tür des schallisolierten Hotels geht, ist sie kerosingeschwängert und doch komischerweise rein und klar, weil man sich im herrlichen Stadtwald befindet. In diesem Gürtel liegt auch – gar nicht mehr weit von hier – die DFB-Zentrale. Direkt gegenüber vom Stadion, aber so idyllisch versteckt im Grünen, ein fast schon zauberhafter Ort.

Ich komme immer gerne hierher.

Fünf Tage sind vergangen seit Wien. Und noch so viel mehr Stationen hatte diese EM. Man startet meistens von hier aus, von Frankfurt. Es ist am praktischsten. Der Flughafen halt.

Mallorca, dann zurück nach Deutschland, Kaiserslautern, dann in die Schweiz, Ascona.

Klagenfurt, Ascona, Basel, Ascona und dann Wien und Berlin.

Und nun gerade wieder Frankfurt. Der Kreis schließt sich. Und – wir sind Vize-Europameister. Eigentlich ein Scheißwort, wie ich finde! Es hört sich in meinen Ohren ein bisschen billig an.

Also arbeiten wir dran, es beim nächsten Mal (noch) besser zu machen. Auf zu einer neuen Reise ins Abenteuerland. Lassen wir uns wieder emotional durchschütteln. Nicht weil es so schön ist, sondern weil es dazu gehört. Und schön ist es irgendwie doch auch. Oder?

 

 




Ende
doris anglophil ist Autor von 80 anderen Geschichten.



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