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Unsicher betrachtete ich die Zeitung in meinen Händen. Eigentlich hatte ich gar keinen Artikel über diese Dopingsache schreiben wollen. Ich hatte nur die Wahrheit wissen wollen und dann privat ein bisschen herumgeforscht. An ein paar Informationen war ich leicht herangekommen, auch wenn ich es noch nicht geschafft hatte ein Gespräch mit Philipps altem Trainer zu führen.

Ich wusste nicht, wieso ich Anja, einer Kollegin, davon erzählt hatte. Ich wollte die Sache wohl einfach mit jemandem bereden und mich dabei nicht an Petra wenden, die sowieso schon dachte, dass zwischen mir und Philipp irgendetwas war.

Anja hörte sich die Geschichte an und ihre Meinung war, dass Philipp ganz eindeutig gedopt hatte und dass das die Story des Jahres sei. Ich solle Hans-Georg dazu interviewen und dann es groß in der Zeitung bringen. Das war leider nicht möglich, da ich dessen Nummer nicht hatte und ehrlich gesagt, wollte ich eine solche Sache auch nicht publik machen und Philipp in dieser Weise bloßstellen.

 

Jedoch hatte ich nicht damit gerechnet, dass Anja schon mit Günther darüber geredet hatte und nun ein Artikel her musste. Ich war wütend auf Anja, dass sie mein Vertrauen so missbraucht hatte. Doch es half alles nichts.

Ich schrieb den Artikel, die Informationen, die ich bisher gesammelt hatte, reichten zumindest für einen allgemeinen Artikel über diese unleidliche Geschichte von damals. Schon das Schreiben fiel mir schwer. Ich wollte Philipps Karriere nicht durch einen solchen Artikel zerstören. Ich war unendlich enttäuscht von ihm, dass er offensichtlich dopte oder zumindest früher gedopt hatte, und wollte ihn nie wieder sehen, aber ich wollte ihm nicht sein Leben zerstören.

Als ich dann den Artikel schwarz auf weiß sah, wusste ich, dass ich genau das getan hatte. Ich empfand Abscheu vor mir selbst. Ich würde durch diesen Artikel meine Karriere ausbauen, mir einen Namen machen, aber seine Karriere wäre vollständig zerstört.

Tränen traten in meine Augen. Ich hasste und verachtete mich unendlich. Dabei war er doch selbst daran schuld! Er dopte schließlich und nicht ich! Und vermutlich wäre die Wahrheit früher oder später auch ohne meine Hilfe ans Licht gekommen, dennoch konnte ich nicht anders als mich unendlich mies zu fühlen.

 

In der Redaktion klingelte das Telefon an diesem Freitag beständig, doch die meisten Sachen regelte Günther. Ich war ein wenig empört darüber, denn es war ja mein Artikel gewesen, der für so viel Rummel gesorgt hatte, aber irgendwie war ich auch ganz dankbar, dass ich nicht diese ganzen Anrufe entgegennehmen musste. Dann am Nachmittag stellte eine Kollegin ein Gespräch doch zu mir durch. Als ich abhob, schallte mir ein wütendes: „Was hast du dir dabei gedacht?“ entgegen.

Ich glaubte erst Philipp in der Leitung zu haben, dann aber als der Anrufer fortfuhr: „Hast du mal einen Moment daran gedacht, was du dem Philipp damit antust?“, war mir klar, dass es sich nicht um Philipp handeln konnte.

Während ein weiterer wütender Wortschwall über mich erging, erschloss sich mir nach und nach, dass ich Sebastian Schweinsteiger in der Leitung hatte.

„Hey, jetzt mach aber mal halblang!“, unterbrach ich ihn schließlich, „Ich habe doch nur die Wahrheit geschrieben. Philipp hat einmal gedopt und tut es vermutlich immer noch, also ist er selbst schuld, wenn er solche Schlagzeilen macht!“

„Du weißt nichts, du stockdummes Madl! Der Phil hat nie gedopt. Was du da geschrieben hast, ist ein Wirrwarr aus Halbwahrheiten und haltlosen Beschuldigungen. Und wegen so was kann der Philipp vielleicht nie mehr Fußball spielen. Verstehst, was das bedeutet? Verstehst du überhaupt die Tragweite dessen, was du angerichtet hast?“, machte mich Bastian nieder.

„Ich lasse mich hier nicht fertig machen!“, entgegnete ich erbost, aber auch mit einem leichten Beben in der Stimme, „ich habe recherchiert, dass es diesen Urintest wirklich gegeben hat und Philipp positiv getestet war.“

 

„Gegeben hat es diesen Test, ja, aber es gab damals eine Urinprobe zuviel und damit zwei mit der Aufschrift Philipp Lahm. Eine davon war negativ, die andere positiv. Der Trainer sonderte Philipp dann aus und ließ seinen Urin gleich noch einmal untersuchen und auch sein Blut. Es gab keine Anzeichen auf jeglichen Drogenmissbrauch. Daraufhin wurde noch einmal die ganze Mannschaft untersucht, diesmal wurden bei jedem Spieler eine Urin- und eine Blutprobe abgenommen. Und bei nur einem Spieler konnte EPO im Urin nachgewiesen werden und genau bei diesem Spieler fanden sich auch im Blut Anzeichen auf einen Missbrauch von Erythropoetin. Dieser Spieler musste dann sofort die Mannschaft verlassen, Philipp blieb, die Sache wurde zu den Akten gelegt und nun kommst du und wirbelst alles wieder auf.

Phil hatte damals schon genug mit der Sache zu kämpfen gehabt, da der Spieler, der den Verdacht auch ihn gelenkt hatte, ein guter Freund von ihm gewesen war, und es zudem lange brauchte, bis er keine dummen Fragen mehr zu diesem Test von damals beantworten musste. Nun steht er wieder da wie der Sündenbock und selbst wenn er erklärt, was damals wirklich los war, wird er erstmal gesperrt bleiben. Auch wenn sein guter Ruf wieder halbwegs wiederhergestellt ist, ein Verdacht wird immer bleiben. Vielen herzlichen Dank auch!“

 

Ich fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen und langsam nur kam die Erkenntnis, dass Hans-Georg mir eine ziemliche Lüge aufgetischt hatte. Eine Lüge, die zunächst so glaubhaft gewirkt hatte, dass ich sie sogar in die Zeitungen gebracht hatte. Mir wurde schwindelig und übel, wenn ich nur daran dachte.

„Ich... ich glaube, ich habe dann wohl eine Fehlinformation bekommen!“, stotterte ich.

„Eine Fehlinformation trifft es ziemlich genau. Mensch, hat man dir nie beigebracht, solche Sachen erstmal zu überprüfen?“, herrschte Basti mich an.

„Schon, aber mit dem damaligen Trainer konnte ich noch nicht reden und die Informationen, die man mir zugetragen hatte, deckten sich auch sonst mit den Fakten und der Artikel sollte bald raus und... tja da habe ich nicht weiter nachgeforscht...“

„Wunderbar!“, Schweinis Stimme klang zynisch an mein Ohr: „Und dem Philipp zerstörst du damit mal eben so seine Karriere. Ich bin begeistert! Wer hat dir diese Geschichte von damals eigentlich aufgetischt?“

„Ich, ich... also es war der Spieler, der aus dem Team geflogen ist.“

 

„Herrschaftszeiten!“, fluchte Bastian: „Und das hast du einfach so geglaubt?!“

Ich bejahte verschüchtert.

Ein erneutes Fluchen war die Antwort.

„Ich weiß, ich hätte es nicht einfach so ungefragt glauben sollen, aber es klang so überzeugend. Und dann stimmten auch noch alle Fakten, die Hans-Georg nannte. Und das kam mir dann eben schon sehr suspekt vor.“

„Verstehe!“, erwiderte Bastian kühl: „Und an den Philipp hast du dabei gar nicht gedacht, oder wie? Mann, ich hab doch gesehen, wie ihr geknutscht habt und dann ziehst du so etwas ab. Phil war schon ganz niedergeschlagen, dass du nicht mit ihm sprechen wolltest und nun machst du ihn auch noch öffentlich fertig.“

Ich war mittlerweile den Tränen nahe, beziehungsweise einzelne Tränen rollten mir schon über die Wangen, während ich die Schluchzer, die sich in meinem Hals gebildet hatten, mit aller Mühe unterdrückte. Ich wollte nicht vor Bastian losheulen. Meine Tränen konnte er ja nicht sehen, aber hätte ich laut geweint, hätte er das sicherlich gehört.

„Ich wollte das doch alles nicht! Ich habe diese Sache von Hans-Georg am letzten Wochenende gehört und dann etwas recherchiert. Leider habe ich einer Kollegin davon erzählt und die hat es dann prompt weitergetratscht. Als erstmal der Redaktionsleiter davon Wind bekommen hatte, musste ein Artikel dazu geschrieben werden. Ich wollte es wirklich nicht öffentlich machen, ich mag den Philipp doch eigentlich!“

„Dös kannst’ erzählen, wem’sd willst, aber ned mir!“, mit diesen Worten legte Bastian auf.

 

Ich brach in Tränen aus, als ich das Tuten in der Leitung hörte. So ein Mist! Was hatte ich nur getan? Philipps Karriere war vielleicht ruiniert und das alleine wegen mir. Und wieso hatte ich Hans-Georg, einem Fremden, mehr Glauben geschenkt als meinem Gefühl, dass Philipp so etwas nicht gemacht hätte?

Langsam wurde es mir klar: Ich hatte einen Fehler an Philipp finden wollen, weil ich mir sicher gewesen war, dass er, der große Fußballstar, doch nie etwas mit mir anfangen würde. Nach unserem Kuss war ich verwirrt gewesen, der Artikel in der Zeitung hatte mein Selbstbewusstsein noch weiter in den Keller getrieben und dann, als mir jemand von Philipps großen Fehlern erzählte, war ich bereit alles zu glauben, nur um nicht zuzugeben, dass ich mich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte.

Ich hätte mir in den Hintern treten können für soviel Dummheit, denn nun hatte ich das mit Philipp und mir ein für allemal versaut. Nach der Scheiße, die ich hier verzapft hatte, würde Philipp vermutlich nicht einmal mehr ein einziges Wort mit mir sprechen.

 

Ich meldete mich für den Rest des Tages krank und fuhr heim. Dort verfolgte ich mit klopfendem Herzen die Pressekonferenz mit Philipp. Ich sah, wie die Journalisten ihn förmlich auseinander nahmen. Ich sah, wie er den Kopf hochhielt und gleichzeitig konnte ich geradezu spüren, wie fertig er war. Wieder kamen die Tränen und ich kümmerte mich gar nicht darum, wie diese meine Wangen hinunterliefen.

„Warst du das echt?“, schallte es mir plötzlich vom Flur her entgegen. Petra war offensichtlich auch endlich von ihrem Schwimmtraining heimgekommen.

„Was meinst du?“, fragte ich zurück.

„DAS!“, Petra hielt mir die Schlagzeile von heute morgen ins Gesicht.

Ich nickte stumm und verzog mich wieder in meine Ecke vor dem Fernseher.

„Stimmt das? Und wieso schreibst du so was? Ich dachte, du magst Philipp…“

„Es stimmt nicht, das weiß ich aber erst seit heute Nachmittag. Und ja, ich mag den Philipp, ich habe Riesenmist gebaut!“, informierte ich Petra, bevor mich meine Gefühle erneut übermannten und ich wieder in Tränen ausbrach.

Nach und nach erzählte ich Petra die ganze Geschichte. Sie versuchte mich so gut es ging aufzuheitern, aber wir wussten beide, dass ich mich ziemlich in die Scheiße geritten hatte. Sie riet mir, erstmal abzuwarten und mich, wenn sich alles wieder etwas beruhigt hatte, bei Philipp zu entschuldigen. Soweit wäre ich allerdings auch noch alleine gekommen. Bei dem, was ich angerichtet hatte, half eine Entschuldigung wenig. Philipp würde mir das niemals verzeihen und ich verstand ihn vollkommen, denn ich hätte ihm mein Verhalten auch nicht verzeihen können.

 

Die nächste Woche wurde hart. Ich bekam mit Günther ganz schön Stress, als sich nach und nach herausstellte, dass mein Artikel nicht gut genug recherchiert gewesen war. Glücklicherweise konnte ich darauf hinweisen, dass ich das schon vor der Veröffentlichung angemerkt hatte. Das half mir aber auch nur insoweit, dass ich meinen Job behalten konnte. Denn nachdem ich nach dem ersten Artikel über Philipp Lahm immer mehr größere Artikel zu schreiben gehabt hatte, war ich nun wieder völlig bei kleinen Praktikantinnenarbeiten angelangt. Bald schon kannte ich mich mit der Kaffeemaschine beinahe besser aus als mit meinem Computer. Zudem plagte mich das schlechte Gewissen. Ich hatte mehrmals versucht ein Interview mit Philipp über die Presseabteilung des FC Bayern zu bekommen. Aber Philipp gab keine Interviews und zu sprechen war er auch nicht. Er sei in dieser Woche nicht in der Säbener Straße, hieß es, was wohl auch stimmte, da Jürgen Klinsmann in der Pressekonferenz am Freitag davon gesprochen hatte, dass Philipp Lahm sich erst einmal eine Auszeit nehmen würde.

 

Ich verstand das gut, nur wie sollte ich mich nun bei ihm entschuldigen. Ich hatte keine private Nummer von ihm. Schließlich schrieb ich zunächst eine Mail an seine Kontaktemailadresse für Fans und schickte dann noch einen Brief an seine Fanadresse und legte noch eine Schachtel Pralinen dazu. Ich hoffte nur, dass Philipp meine Entschuldigung auf diesem Weg auch erreichen würde. Am liebsten wäre ich persönlich in die Säbener Straße gefahren, um mich bei ihm direkt zu entschuldigen, aber erstens schien er in dieser Woche kein Training zu haben und zweitens glaubte ich nicht, dass er mich sehen wollte. Vielleicht war ein Brief wirklich das Beste, sagte ich mir und dennoch konnte ich es die ganze Woche nicht vergessen, dass ich nicht wusste, ob Philipp meine Entschuldigung schon erhalten hatte.

Am Ende der Woche hatte Petra die Faxen dicke von meinem Verhalten und beschloss, wir beide müssten uns ein Wochenende weg von München gönnen. Wir fuhren mit Petras kleinen, alten Karre nach Stuttgart. Petras Familie lebte etwas abseits von Stuttgart und wir genossen  dort im Garten die leckere Schwarzwälderkirschtorte von Petras Mama.

Aber Petra war es in dem „Kuhkaff ihrer Eltern“ wie sie es nannte zu langweilig und so scheuchte sie mich nach dem Kaffeetrinken weiter nach Stuttgart in die Innenstadt. Da würden wir uns mit ihrem Cousin treffen, bei dem wir auch übernachten könnten.

 

Als wir das Cafe betraten, wo wir uns mit Petras Großcousin verabredet hatten, kam mir plötzlich ein unangenehmer Gedanke. Hatte Petra nicht mal erzählt, dass einer ihrer Cousins Philipp kannte? Ich hoffte inständig, dass es nicht dieser war, doch da sah ich ihn schon. Philipp saß an dem Tisch mit einem anderen blonden Mann, welcher Petra nun wild zuwinkte, und starrte in sein Glas. Mein Herz pochte ob der Tatsache, dass er gleich aufschauen und mich sehen musste. Er blickte hoch, sah mich und sein Blick wurde kalt, wütend, distanziert.

Ich wollte schon wieder gehen, doch Petra hielt mich fest.

„Wusstest du das?“, zischte ich ihr stinksauer zu.

„Nein, also, dass Timo ein Freund von Philipp ist, wusste ich schon. Ich hatte auch daran gedacht, dass du ihn ja nach Philipps Nummer fragen könntest, um dich zu entschuldigen, aber ich wusste nicht, dass Philipp auch hier ist. Mit so einem Glück hatte ich nicht gerechnet.“

„Von Glück kann hier glaub ich keine Rede sein!“, stellte ich leise fest, so dass uns die beiden Fußballer nicht hören konnten.

„Kennt ihr euch?“, fragte Timo nun, an mich und Philipp gewandt, weil er Philipps Erstaunen über mein Kommen und auch meine Reaktion beobachtet hatte.

„Leider“, spie Philipp aus, „das ist diese Reporterin, von der ich dir erzählt hatte!“

Ich schluckte, als ich sah, wie Timo mich erst verblüfft und dann ungehalten musterte. Dieser Trip nach Stuttgart war offensichtlich eine ganz blöde Idee gewesen.






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