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Am nächsten Morgen fühlte ich mich gut und voller Kraft, die Niederlage war schon beinahe wieder vergessen. Ich war sicher, dass es mit mir und Franziska etwas werden konnte, und als ich die Zeitung aufschlug und ihren Artikel las, musste ich schmunzeln.

„Es wäre wohl gut gewesen, hätte Philipp diese Frau schon gefunden, denn die Niederlage des letzten Abends wird wohl kaum spurlos an dem neuen Kapitän des FC Bayern München vorbeigegangen sein. Doch die Saison ist noch lang und auch ein bodenständiges Madl für unseren Philipp, von Freunden liebevoll Fips genannt, wird sich doch hoffentlich finden lassen. Jedenfalls wünscht die Redaktion des Münchener Tageblattes ihm das!“

Hatte Franziska das so geschrieben? Ich konnte es nicht wirklich glauben, sie war dazu zu sehr um Professionalität bemüht, obwohl - vielleicht waren da ja ein paar Gefühle, die sie für mich hegte, mit ihr durchgegangen.

Jedenfalls wirkte der Artikel wie ein Spiegel für das, was mit uns passiert war: Wir hatten uns beruflich getroffen und dann noch öfter durch Zufall und nun hatten wir uns gestern geküsst und ich glaubte, dass es nicht bei diesem einen Kuss bleiben würde.

 

Ich holte mein Handy heraus. Ich wollte Franziska anrufen, mit ihr reden, ihr zu ihrem Artikel gratulieren, ein offizielles Date ausmachen, doch da fiel mir auf: Ich hatte ihre Nummer gar nicht!

Einen Augenblick war ich wie vor den Kopf geschlagen, doch dann fiel mir ein, dass ich sie ja auch bei der Zeitung am Montag anrufen könnte. Die Telefonnummer der Redaktion des Münchener Tageblattes herauszufinden war sicher nicht schwer und dann musste ich mich nur noch nach Franziska durchfragen, alles eigentlich ganz einfach.

Ich freute mich jetzt schon auf unser Gespräch und konnte es kaum abwarten, wieder ihre Stimme zu hören. Ich stellte mir vor, wie sie leicht schüchtern, aber dennoch erfreut auf meinen Anruf reagierte und ein breites Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.

 

Montag rief ich nach der Trainingseinheit am Vormittag beim Münchener Tageblatt an, ich nannte nicht meinen vollen Namen, sagte nur, dass ich Philipp hieße und Franziska sprechen wollte. Schließlich wollte ich nicht, dass gleich Fragen gestellt wurden an Franziskas Arbeitsplatz. Darauf konnten wir echt gut verzichten. Doch Franziska sei im Moment nicht da, erklärte mir die Sekretärin, nachdem sie in der Redaktion nachgefragt hatte.

Ein wenig enttäuscht widmete ich mich der Teambesprechung. Auch am Nachmittag erreichte ich sie nicht. Immer wenn ich versuchte, hieß es, sie sei nicht da.

Ich verschob unser Gespräch auf den nächsten Tag mit der Hoffnung dann mehr Erfolg zu haben. Vermutlich war sie einfach beschäftigt und wirklich den ganzen Tag unterwegs. Als Journalistin war das ja nicht gerade unwahrscheinlich.

 

Am nächsten Morgen rief ich deshalb extra früh in der Redaktion an.

„Sie ist noch nicht da, aber ich kann ihr gerne Ihre Telefonnummer aufschreiben!“, bot die Sekretärin an. Einen Moment war ich versucht, sie der Sekretärin zu geben, doch dann ließ ich es. Es war zu riskant meine private Handynummer einfach herauszugeben.

„Ach, nicht nötig, ich denke, ich werde es einfach später noch mal probieren. Wann wird Franziska denn in der Redaktion sein?“, erwiderte ich.

„Das weiß ich nicht“, entgegnete die Sekretärin, sie wirkte genervt, „meist kommt sie so um zwischen halb zehn und halb elf, aber ich glaube auch gar nicht, dass sie Sie sprechen will.“

„Was?“, fragte ich schockiert.

„Na ja, gestern hat sie gesagt, ich solle sagen, dass sie nicht hier sei. Sie will nicht mit Ihnen reden und ehrlich gesagt habe ich auch Besseres zu tun als hier die Vermittlerin in einem privaten Zwist zu spielen. Klären Sie, was Sie mit ihr klären wollen, doch am besten privat.“

 

Ich hatte das Gefühl, das eine eiskalte Hand nach mir griff. Franziska wollte nicht mit mir sprechen, aber wieso? Welchen Grund gab es dafür?

Wir hatten uns doch Freitag noch geküsst und da hatte sie keineswegs so gewirkt, als sei es ihr unangenehm gewesen. Ich verstand nicht, was nun los war.

„Gut, ich verstehe“, presste ich heraus, „Sagen Sie ihr doch bitte, dass ich mit ihr reden will, was immer auch gewesen ist, was sie gegen mich eingenommen hat. Und sagen Sie ihr noch, dass sie ja weiß, wo sie mich findet. Vielen Dank!“

Mit diesen Worten legte ich auf. Immer noch perplex starrte ich auf das Handy in meiner Hand. Alles wirkte so unwirklich. Was war denn bloß mit Franziska los? Und wie sollte ich das klären können, wenn sie sich weigerte mit mir zu reden?

An diesem und am nächsten Tag wartete ich, dass Franziska vielleicht in der Säbener Straße auftauchen würde, aber nichts geschah. Langsam kam mir die Erkenntnis, dass Franziska mich vielleicht nur benutzt hatte. Alles war nur für eine gute Story gewesen. Vielleicht sollte unser Kuss ja auch eigentlich von irgendeinem Paparazzi fotografiert werden und dann groß in der Zeitung erscheinen.

Jedenfalls konnte ich mir nicht mehr vorstellen, dass unser Kuss Franziska etwas bedeutet hatte. Es nagte an mir, doch ich ließ die ganze Sache möglichst nicht an mich heran und konzentrierte mich aufs Training. Ich hatte nicht geahnt, dass es noch schlimmer kommen würde.

 

Am Freitag schlug ich die Zeitung auf und mich traf beinahe der Schlag. Da war ein Artikel über mich mit der Überschrift: „Was ist los mit Philipp Lahm?“

Das war nun nicht verwunderlich, dass die Zeitungen darüber schrieben, wenn man mal eine schlechtere Leistung in einem der Spiele erbrachte. Doch als ich den Artikel überflog, verschluckte ich mich beinahe an meinem Brötchen.

„Aber die Vergangenheit des Münchener Außenverteidigers Philipp Lahm, der als fairer und teambewusster Spieler gilt, ist nicht so blütenweiß wie man gerne glauben möchte. Vor vielen Jahren, als er noch in der Jugendmannschaft des FC Bayern München spielte, war Philipp Lahm einmal schon den Verdacht geraten zu dopen. Tatsächlich wurde Lahm in dieser Zeit positiv auf Erythropoetin getestet, jedoch wurde betreffender Test nachher als fehlerhaft erklärt“, las ich entsetzt. Es folgte ein Bericht über die damaligen Ereignisse.

Mir wurde richtig schlecht, als ich das Ende des Artikels las: „Das wirft Fragen auf, ob damals nicht jemand ein Auge zugedrückt hat. Schließlich galt Lahm zu jener Zeit schon als talentierter Amateurfußballer. Mittlerweile hat Lahm einen Stammplatz in einer deutschen Topmannschaft und ebenso in der Nationalmannschaft, aber die schwächer werdende Spielleistung des Nationalspielers wirft die Frage auf, ob Philipp Lahm wirklich durch Können oder eventuell auch durch Doping so weit gekommen ist und nun vor dem Absturz steht. Das stellt auch die Frage, ob die Dopingkontrollen im Bereich des Fußballs nicht auch wie im Bereich des Radrennsportes verschärft werden sollten.“

 

Schockiert starrte ich in die Zeitung. Das konnte doch nicht wahr sein. Wer hatte diesen Artikel geschrieben? Und woher wusste betreffender Journalist von der damaligen Geschichte?

Bei genauem Hinsehen konnte zwar leicht bewiesen werden, dass damals bei dem Dopingtest alles mit rechten Dingen zugegangen. In Wirklichkeit war ein Dopingtest durchgeführt worden, bei dem es wundersamer Weise zwei Proben gegeben hatte, die der Aufschrift nach mir zugeordnet werden konnten, dabei hatte ich nur eine abgegeben. Eine von diesen beiden war positiv gewesen. Ich wurde kurzzeitig vom Training ausgeschlossen und es wurde ein erneuter Urin- und diesmal auch Bluttest bei mir und auch in der restlichen Mannschaft durchgeführt. Hierbei kam heraus, dass bei einem der Spieler EPO im Urin nachgewiesen wurde und auch seine Blutwerte auf einen Missbrauch des Mittels schließen ließen, ich allerdings sauber war.

Dennoch war es nicht gut, dass diese Sache nun wieder ans Licht kam, denn der Verdacht, dass diese Sache damals nicht mit rechten Dingen zugegangen war, würde in den Köpfen vieler Menschen bestehen bleiben.

 

Ich war gebrandmarkt als Doper, dabei war ich mit diesem Zeug nie in Kontakt gekommen, aber wen interessierte das, wenn so was erstmal in der Klatschpresse bekannt geworden war?

Wütend suchte ich nach dem Namen des Schmutzfinken, der diesen Artikel verbrochen. Ich wollte nicht glauben, was ich da las. Das konnte, das durfte nicht wahr sein, doch es war eindeutig Franziskas Name, der mir beinahe ins Auge sprang.

Plötzlich war mir ganz anders zumute. Ich schob meinen Teller von mir weg und legte den Kopf auf dem Tisch ab. So ein Mist, so ein verdammter Mist! Wieso nur hatte ich dieser Schlampe jemals vertraut? Sie war wie alle Journalisten, nein, sie war sogar noch schlimmer.

Verzweifelt knallte ich meinen Kopf gegen die Tischplatte, laut fluchend. Ich war so ein verdammter Idiot gewesen.

Ich hätte mir wohl selbst eine Gehirnerschütterung zugefügt, hätte nicht in diesem Augenblick mein Telefon geklingelt. Es war Melanie, die den Artikel auch gelesen hatte. Kurz darauf riefen meine Eltern an.

 

Ich kam viel zu spät in der Säbener Straße an. Dort war auch schon die Hölle los. Ich kämpfte mich durch Massen an Reportern, die mein Statement zu den Vorwürfen hören wollten. Ich weigerte mich irgendeinen Kommentar abzugeben.

Klinsmann fing mich gleich ab zu einer Sondersitzung. Ich erklärte, was es mit den Vorwürfen von damals auf sich hatte und führte auch Basti als Zeugen auf, der damals zusammen mit mir in der A-Mannschaft gespielt hatte. Jürgen Klinsmann glaubte mir alles, was ich zu meiner Verteidigung vorbrachte, dennoch wurde für den Abend eine spontane Pressekonferenz einberaumt und ich wurde bis auf weiteres vom Training und den kommenden Spielen ausgeschlossen. Unter diesem Druck solle ich nicht spielen und mir besser mal eine Pause gönnen, ein wenig Abstand von allem suchen, meinte Klinsmann. Vielleicht hatte er auch Recht. Dennoch kam ich mir vor wie ein Verbrecher, dessen Tat nicht bewiesen werden konnte, dem jedoch auch keiner seine Unschuld glaubte.

 

Die Pressekonferenz lief erstaunlich gut, dafür dass ich regelrecht in die Mangel genommen wurde, da Klinsmann und der Rest des Trainerteams sich schützend vor mich stellten. Auch schien ich die richtigen Worte zu finden, die damalige Situation zu erklären ohne in unglaubhaften Unschuldsbeteuerungen zu verfallen. Trotzdem zitterten mir während der ganzen Zeit die Knie und ich hätte diese ganze unangenehme Prozedur nicht durchgehalten, hätte ich Franziska unter diesen Reportern erkannt. Doch sie war nicht da, was mich verwunderte, da sie es ja gewesen war, die diese ganze Sache ins Rollen gebracht hatte.

Nach der Pressekonferenz fuhr ich direkt zu meinen Eltern. Ich wollte nun nicht alleine sein, hatte aber auch nicht den Nerv mich von Ottl, Schweini oder Poldi aufmuntern zu lassen. Die ganze Mannschaft schien plötzlich beteuern zu müssen, dass sie mir glaubten und dass wir doch noch was zusammen machen sollten, doch ich wollte nicht.

 

Einzig Micha bekam mich einen Moment länger zu fassen. Er war einer dieser Typen, die man nicht abwimmeln konnte so wie Poldi, Schweini, Michi, Ottl und Janssen. Wenn Michael Ballack etwas mit dir zu bereden hatte, dann konntest du dem nicht entgehen, das wusste ich schon seit langem.

„Du weißt, wir stehen hier alle zu dir! Und du hast Mut bewiesen dich der geifernden Menge zu stellen. Nun gönn dir etwas Ruhe, schalte ab, fahr vielleicht weg, entspann dich! Aber lass dich nicht unterkriege und entfremde dich nicht von der Mannschaft! Hier stehen alle hinter dir und du weißt, du kannst immer mit mir reden. Vielleicht habe ich mal einen guten Rat für dich parat!“

„Danke Micha!“, ich wollte schnell an ihm vorbeikommen.

„Noch was: Basti und Lukas haben irgendwas gesagt, was mich stutzig gemacht hat beim Training: Sag mal, kennst du diese Reporterin, die den Artikel verzapft hat?“

Mir stockte der Atem, ich konnte nichts erwidern. Tränen bildeten sich in meinen Augen. Ich fühlte mich mit einem Mal wieder völlig überrannt.

„Bitte Micha, lass uns nicht davon reden. Ich muss jetzt heim!“, bat ich erstickt.

„Ich will nur wissen, ob es irgendeinen privaten Grund gibt für so einen Artikel?“, Michas Augen bohrten sich in meine.

„Keinen, den ich kenne. Ich… ich hätte nie gedacht, dass sie so etwas macht. Ich dachte, sie mag mich!“

Mit diesen Worten rannte ich zu meinem Wagen. Ich hätte Michas mitfühlenden Blick nicht ertragen können.

 

Das Wochenende blieb ich bei meinen Eltern, bei denen das Telefon nicht mehr stillstand, da alle Journalisten ein Interview mit den Eltern des missratenen Fußballersohn haben wollten. Schon am nächsten Tag stöpselten wir rigoros das Telefon aus, wir wollten alle unsere Ruhe haben. Es war nicht leicht unser Auswärtsspiel am nächsten Tag im Fernsehen zu sehen. Ich hätte mitfahren und das Spiel von der Tribüne aus sehen können, doch das wollte ich nicht. Der Gedanke dort dann wieder von Journalisten belagert zu werden, war mehr als ich ertragen konnte.

Die nächste Woche schleppte ich mich so durch, ich war ausgeschlossen vom Training und Mannschaftsbesprechungen und hatte nichts zu tun. Aus Frust machte ich Großputz, aber selbst das half wenig. Ich hatte zuviel Zeit und zu viele Dinge, über die ich nachdenken musste. Immer wieder kamen meine Gedanken auf Franziska zurück. Was war nur geschehen? Hasste sie mich so sehr, dass sie mich in der Öffentlichkeit niedermachen musste?

Ich verstand das alles nicht. Ich verstand nur eins, dass ich unendlich sauer auf sie war und dennoch immer noch hoffte, dass alles sich irgendwie noch klären ließe.

Eigentlich hätte ich Nachforschungen anstellen sollen, woher Franziska ihre Informationen hatte, aber ich hatte einerseits vom Trainer gesagt bekommen, mich aus dieser Sache nach der Pressekonferenz herauszuhalten und nichts auf eigene Faust zu unternehmen, und andererseits war ich einfach auch zu erschlagen von dem allem, um da selbst groß etwas zu unternehmen. Im Augenblick wollte ich einfach nur noch meine Ruhe haben und einfach nicht mehr daran denken. Wenn es doch zumindest nicht Franziska gewesen wäre, die diesen Artikel verfasst hatte.






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