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Nachdenklich sah sie zu ihm hinauf. Er wandte den Kopf und sah sie an. Sie konnte keine Regung in seinem Gesicht erkennen, er verzog keine Miene.
Sam tippte ihr auf die Schulter: „Lass uns weiter gehen. Wenn wir oben sind können wir eine Pause machen und etwas essen.“
„Bei diesem Wind?“, fragte sie besorgt.
„Weiter vorne, ein paar Stufen den Hang hinunter gibt es eine Art Unterstand. Dort können wir rasten, der Wind geht über und es ist trocken. Früher soll es wohl mal einem Eremiten gehört haben!“.

Einige Minuten später hatten sie den höchsten Punkt ihrer Wanderung erreicht. Die Aussicht nahm ihnen den Atem, sie konnten sich nicht statt sehen und sie war unendlich froh, mitgekommen zu sein.
Und tatsächlich sah von hier auf das steinerne Dach einer Art Ausguck hinab. Keine Menschenseele war zu sehen, so dass sie diesen magischen Ort ganz für sich hatten. Sam ging vor und zeigte ihnen die grob in den Felsen gehauenen Stufen. Sie waren vom Regen ausgespült und völlig.

Obwohl es die letzten Tage warm und trocken gewesen war, waren die Stufen feucht. Dave folgte Sam, danach ihr Mann und zuletzt sie selbst. Auf der zweiten Stufe rutschte sie ab und verdrehte sich erneut den Fuß. Es war kein schlimmer Schmerz, doch sie fühlte sich plötzlich schwach und schwindelig. Die Anstrengung des Vortages, die Aufregung und nun die Strapaze auf dem Wanderweg waren zu viel für sie gewesen.


Sie schrie auf und versuchte mit Hilfe der Stöcke Halt zu finden. Doch er hatte sie bereits umgedreht und fing sie auf. Der plötzliche Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen, es war der gleiche Fuß, mit dem sie am Abend zuvor an der Steinplatte umgeknickt war.

Sie klammerte sich an seine Arme und barg ihren Kopf an seiner Brust. Stöhnend hielt sie sich an ihm fest und biss die Zähne aufeinander, der Fuß schmerzte höllisch.
„Liebes?“, flüsterte er an ihrem Ohr. Mit einem Arm hielt er sie fest an sich gepresst, mit dem anderen fuhr er zart über ihren Kopf. Trotz des pulsierenden Pochens in ihrem Fuß spürte sie, wie ein warmes Gefühl sie durchflutete beim Klang seiner warmen Stimme.

Doch dann stieg Ärger in ihr auf, sie fröstelte. Ihr wurde schlagartig klar, dass dieses Missgeschick ihren kleinen Ausflug beenden würde. Denn sie konnte nicht weiter gehen, das war sicher.
„Es geht schon!“, sie stieß sich von seinem Körper ab, versuchte sich an ihm vorbei zu drängen und die restlichen Stufen hinab zu gehen. Ein schmerzhafter Stich durchfuhr ihren Fuß und sie biss sich auf die Lippen.

Sam hielt sie auf: „Komm, das hat keinen Sinn! Du setzt dich hier hin und legst den Fuß hoch! Bitte hilf deiner Frau noch mal! Dave und ich gehen zurück und holen den Wagen!“
Sam breitete ihre Jacke auf der Sitzfläche aus und half ihr sich hinzusetzen: „Setz dich! Komm! Steht nicht so rum ihr Beiden“, herrschte sie die Männer an: „Her mit Deiner Jacke Dave!“
Dann wandte sie sich an ihren Mann: „Du setzt dich hier hin und ziehst ihr den Schuh aus!“
Samantha goss etwas Wasser auf das Tuch, das sie um den Kopf getragen hatte und wickelte es um den verletzten Fuß.

„Wir kommen über den Hügel und fahren an der Kirche vorbei soweit wir mit dem Wagen kommen. Dann können wir dich einladen, okay? Dave und ich sind bald zurück!“
Als die Zwei aufgebrochen waren, lehnte sie sich seufzend an die kühle Steinplatte, die eine Art Rückenlehne bildete. Über ihnen lag eine riesige weitere Platte und zum Abgrund hin war der kleine Unterschlupf ebenfalls mit Steinen geschützt. Für die sagenhafte Aussicht hatte sie jedoch keinen Blick übrig.

„Ist es sehr schlimm?“, er legte ihren verletzten Fuß vorsichtig auf seinen Oberschenkel: „Mhm?“
Er griff nach seinem Rucksack und zog seine eigene Regenjacke hervor und reichte sie ihr. Dankbar nahm sie die Jacke entgegen und stopfte sie zwischen ihren Rücken und die kalte Steinwand. Ihr Fuß pochte und hämmerte wie verrückt. Sie konnte die unbändige Wut in ihr nicht unterdrücken: „Mist!“, platzte sie heraus.

Sie griff nach dem feuchten Tuch und inspizierte den verletzten Fuß. Die Knöchelregion war schon deutlich angeschwollen.
„Mist!“, sagte sie erneut und schlang das Tuch wieder um ihren Fuß.
„So schlimm?“, fragte er.
„Ach nein, ist schon okay!“
„Nichts ist okay! Der Fuß schwillt an wie ein Ballon, du hast Schmerzen und ärgerst dich! Sag schon!“.
„Jaaa...ich ärgere mich! Das würdest du auch, oder? Ich bringe es glatt fertig und verderbe uns alles!“
„Bitte? Was meinst du denn damit?“

“Nichts!“.
„Du bist also der Meinung, du seist absichtlich umgeknickt nur um uns den Tag zu versauen?“, er klang hämisch.
„Nein, natürlich nicht!“, widersprach sie.
„Dann erkläre es mir doch bitte! Ich verstehe dich nicht! Niemand hat angenommen, dass du dir selber Schaden zufügst, um...!“
„Aber siehst du das denn nicht?“, unterbrach sie ihn: „Ständig vermassele ich etwas und immer wenn ich glaube, dass sich zwischen dir und mir...“, sie stockte plötzlich und griff sich an die Stirn.
Er beugte sich etwas vor: „Immer wenn du glaubst...?“, er sprach leise.

Seine Hand fasste zart nach ihrem Kinn und hob ihren Kopf etwas an: „Sieh mich doch an! Was wolltest du sagen? Bitte Liebes!“
Sie blickte in seine Augen, in sein so vertrautes schönes Gesicht. Der Wind hatte mit seinen Haaren gespielt und sie unterdrückte das Verlangen ihm mit den Fingern über seinen Kopf zu streichen um die zerzausten Haare zu ordnen. Sie wollte ihn so sehr, der Schmerz in ihrer Brust war stärker als der in ihrem Fuß.

„Immer habe ich das Gefühl irgendetwas falsch zu machen. Ich bewege mich auf einem schmalen Grat, ständig in Angst, ich könnte etwas Falsches sagen oder tun. Ich finde nie die richtigen Worte, bin unsicher und wirke dadurch abweisend. Ich finde keine Freunde und selbst mit meinem Mann kann ich nicht vertraut umgehen – zumindest nicht so, wie es in einer Ehe sein sollte! Ich bin unglücklich! Es war mir früher nie klar, wie unglücklich und einsam ich war. Erst im Zusammensein mit dir wurde mir das bewusst!
Warum kann ich nicht so sein wie Andere? Wie Sam zum Beispiel? Intelligent, offen, fröhlich! Sie strahlt eine solche Lebensfreude! Ich...ach, was solls!“
Schweigend hatte er ihr zugehört. Er ließ sie nicht aus den Augen, fixierte sie mit seinem neugierigen Blick. Sie war gleichzeitig erstaunt und auch froh über diesen Wortschwall. Er hielt ihren Fuß zärtlich umfasst. Sie wagte nicht den Blick zu heben, ihr Herz schlug wie ein Hammer, seine Hände auf ihrem Bein und seine Nähe ließen sie nicht klar denken.

„Ich liebe dich!“, sagte er leise. Sie hob ruckartig den Kopf und blickte ihn an.
„Ich habe dich vom ersten Augenblick an geliebt und ich glaubte damals, du liebst mich auch. Nein, ich war sicher, dass du mich liebst! Doch dann ist irgendetwas geschehen, was ich nicht aufhalten konnte, so sehr ich mich auch bemühte.“

„Was denn?“, fragte sie unsicher.
„Ich dachte, du könntest mir das sagen!“

Sie schluckte und schaute auf das Meer hinaus. Warum fiel es ihr so schwer ihm zu erklären, wie sie sich fühlte und was sie für ihn empfand? Woher sollte sie die Worte nehmen und ihm verständlich machen, welch unsagbare Angst sie hatte ihn zu verlieren? Er liebte sie, das hatte er gesagt!
Mit großen Augen wandte sie sich ihm erneut zu und sie versank im Anblick seines schönen Gesichtes. Dieser Mund, diese Lächeln mit den leicht geöffneten Lippen, jede einzelne Sommersprosse auf seinem Gesicht.

Dieses blöde Herz wollte einfach keine Ruhe geben – es übertönte sogar den Wind und die Wellen.
„Ich glaube, ich liebe dich auch“, sagte sie leise.
Abrupt ließ er ihre Hand los und lehnte sich zurück: „Du glaubst...“, seine Stimme klang sarkastisch.
„Ich...“, sie wurde von Samanthas Lachen unterbrochen.


„So ihr Turteltäubchen, wir sind zurück...!“, beim Anblick der Beiden verstummte die junge Frau.
„Bitte, lass mich doch erklären!“, sie machte einen erneuten Versuch.
„Oh Mist, ich habe euch wohl gestört, was?“, Sam klang ganz unglücklich.
„Das macht nichts, meine Liebe. Wir sind hier fertig. Da gibt es nichts mehr zu sagen!“
„Bitte!“, flehte sie erneut, doch er antwortete nicht. Vorsichtig richtete er sich auf und stellte ihren Fuß auf den Boden. Er griff ihr unter den Arm und half ihr langsam hoch.

Sie hatte es vermasselt! Wieder einmal hatte sie alles in den Sand gesetzt. Seufzend erhob sie sich und suchte seinen Blick. Doch er sah bewusst an ihr vorbei. Tränen stiegen ihr in die Augen, so sehr sie sich auch bemühte sie zu unterdrücken. Der plötzliche, stechende Schmerz machte sie schwindelig und sie klammerte sich an seinen Arm.





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