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Nach dem Frühstück am nächsten Morgen, wunderte sie sich selbst, was sie dazu gebracht hatte, Ja zu sagen. Sam hatte den Vorschlag gemacht, eine kleine Wanderung über dem Küstenpfad zu machen.
„Och bitte...kommt mit, ihr Zwei. Morgen kommen unsere Eltern und dann haben wir eh keine Zeit mehr, etwas Gemeinsames zu unternehmen!“, hatte sie gebettelt.
Sie hatte so lieb aus ihren dunklen, runden Augen geblickt, dass alle zustimmen mussten. Danach hatte sie wie ein Kind in die Hände geklatscht und war nicht mehr zu bremsen gewesen.

Nachdenklich lächelnd hatte sie Sam angesehen und sich gefragt, warum manche Menschen so ein einnehmendes Wesen hatten und andere, wie sie selbst, sich so schwer taten. Sie wünschte sich, dass ein kleines bisschen dieser Eigenschaft auf sie abfärben würde.

Zurück in ihrem Zimmer dachte sie an die zurückliegende Nacht und die kurze Zeit der intimen Zweisamkeit zwischen ihr und ihm. Sie schaute zu ihm hinüber. War das nicht vielleicht ein weiterer Fortschritt? Das Segeln, dieser letzte Abend?
Pfeifend packte er Kamera und Fernglas in seinen Rucksack. Es war nicht zu übersehen, dass er sich auf die bevorstehende Wanderung freute. Er trug robuste Trekkinghosen, ein bequemes Hemd und hatte sich Regenjacke und feste Wanderschuhe bereit gelegt.

Ganz kurz musste sie an seine festen Oberschenkel denken, die in der Hose steckten. Unten schauten die nackten Füße heraus, sie liebte den Anblick seiner Zehen.
„Was kicherst du?“, fragte er plötzlich.
Es war ihr nicht bewusst gewesen, dass sie gelacht hatte: „Nichts! Ich freue mich wieder rauszukommen!“

Sie reichte ihm die Sonnenschutzcreme: „Die dürfen wir nicht vergessen!“, sagte sie mahnend.
Er nahm ihre Hand und zig sie zu sich: „Komm mal her!“
Folgsam trat sie näher und schaute ihn fragend an, als er ihr Gesicht aufmerksam musterte.
„Ist nicht mehr so rot wie gestern. Aber wir müssen aufpassen, heute knallt die Sonne wieder heftig, und da oben auf dem...“, er griff zur der Tube und presste sich einen Klecks auf die Handfläche, “...Coastpath ist es fast genauso windig wie auf dem Meer!“

Vorsichtig begann er nun die Creme auf ihrem Gesicht zu verteilen: „Halt still!“
„Jaa...!“
„Und sprich nicht!“, mahnte er.
Sie nickte und hielt still. Das stellte sich als nicht so einfach heraus, denn seine Fingerspitzen kreisten sanft über ihre Haut und ließen keine Stelle aus. Sogar ihre Ohren bedachte er mit Sonnencreme. Und plötzlich überfiel sie die Erinnerung an den Morgen. Sie war aufgewacht und hatte mit ihrem Rücken an seinem Bauch gelegen. Seinen Arm hatte er um sie geschlungen und lag schwer auf ihrer Brust und bei jedem Atemzug hatte sich seine Brust fest an ihren Rücken gedrückt. Sie hatte sich wie in Trance gefühlt und hatte es unendlich genossen, ihm so nahe zu sein.

Warum konnte es nicht immer so sein? Warum fürchtete sie sich davor, dass er ihr noch näher kam? Er hatte ihr nie wehgetan, sie nie bedrängt, sie nie zu etwas gezwungen. Und wollte sie nicht auch, dass er sie liebte – auch körperlich liebte?

„Träumst du?“, seine Stimme klang amüsiert.
„Nein! Da ist keine Stelle mehr in meinem Gesicht, die noch nicht eingecremt wurde!“
„Stimmt! Aber deinen Nacken dürfen wir nicht vergessen!“
Er drehte sie um und machte sich an die Arbeit. Sie zog die Schultern hoch und überließ sich entspannt seinen Händen.

Die vier jungen Leute brachen, bepackt mit Rucksäcken, Trekkingstöcken und genügend Proviant auf. Sie fanden den Einstieg in den Coastpath recht schnell und erklommen die ersten Klippen, die sich hoch über das Meer erhoben. Je höher sie stiegen, desto grandioser wurde der Ausblick. Der Wind frischte mit jedem Höhenmeter mehr und mehr auf. Bald schnauften alle und sie verminderten das Tempo des Anstiegs. Sam trieb sie immer wieder an und versprach eine noch beeindruckendere Aussicht von ganz oben.

Die beiden Frauen fielen etwas zurück. Sie hielten die Augen auf den Boden gerichtet um keinen Stolperstein auf dem letzten schwierigen Stück zu übersehen.
Die Stöcke in ihrer Hand gaben ihr Halt auf diesem abschüssigen Boden. Sam blieb kurz stehen und reichte ihr ein Tuch, das sie sich um den Kopf binden konnte. Der Wind wehte so heftig, dass ihre Haare um ihr Haupt flogen und ihr teilweise die Sicht nahmen und dankbar band sie das Tuch fest. Sie blickte auf und sah ihn mit Dave ein Stück von ihnen entfernt stehen, sein Blick war auf den Horizont gerichtet. Wieder bewunderte sie sein wundervolles Haar. Egal welche Länge es hatte, es war immer perfekt, und sie liebte die Fülle und die Farbe jeden Tag mehr.

„Er sieht toll aus, nicht?“
Sie erschrak und fühlte sich ertappt: „Du meinst Dave?“
„Nein! Ich meine nicht Dave, was denkst du denn? Ich meine deinen Mann! Er sieht gut aus und du weißt es! Deshalb kannst du deine Augen nicht von ihm wenden!“
„Ach was!“, verlegen senkte sie den Blick und schüttelte den Kopf.
„Gott, du bist so leicht zu durchschauen!“
„Bin ich das?“
„Japp, das bist du und im Moment möchtest du mir die Gurgel rumdrehen!“
Sie lachte bei Sams Bemerkung laut auf: „Mach, dass du weiter kommst. Die Männer sind schon ein ganzes Stück voraus!“

„Lass sie ziehen. Wir können uns ein bisschen unterhalten. Ganz vertraulich...komm!“, meinte Sam leise.

Sie errötete und konnte Sam nicht in die Augen sehen: „Ach, ich weiß nicht,“ sie stockte: „Ich habe schon darüber nachgedacht, aber...!“.
„Was aber? Ich meine, ich will mich ja nicht einmischen, aber es berührt mich! Euer Verhältnis, wie ihr miteinander umgeht! Mensch, man merkt doch, dass ihr euch mögt!“
Sie sagte nichts.
„Wieso habt ihr denn sonst geheiratet? Da muss doch was gewesen sein zwischen euch. Und nun diese Entfremdung!“
„Wir haben uns gar nicht entfremdet! Gestern Abend zum Beispiel, da...“, sie verstummte.
„Ja? Was war gestern Abend?“.
Nun schwiegen beide. Nach einer Weile drehte Sam sich um und stieg den Pfad weiter hinauf. Dave und ihr Mann waren mittlerweile nicht mehr zu sehen.

„Okay, ich verstehe“, rief Sam über ihre Schulter zurück: „Du willst nicht darüber sprechen. Echt, ich verstehe das!“
„Nein, tust Du nicht! Du kannst dir nicht im Entfernsten vorstellen, wie schwer mir das fällt darüber zu reden. Ich habe noch nie mit jemandem darüber geredet! Ist dir eigentlich klar, was es bedeutet mit einem Mann verheiratet zu sein, der so ist wie er? Nein? Kannst du nicht. Meine Güte Sam...“
Der Pfad war breiter geworden und presste sich nicht mehr an die Steilen Felsen. Sie trat neben Samantha und sah sie direkt an.
„Ich lernte an diesem Abend einen Mann kennen, der so ungezwungen, so selbstbewusst und offen war. Ich habe noch nie einen Mann wie ihn getroffen! Da stand er und blickte mich an...mit diesem Blick. Den hatte ich schon gespürt, bevor ich ihn sah! Und da tat sich was!“, sie tippte sich mit dem Finger auf die Brust: „So etwas hatte ich noch nie empfunden und ich war total perplex...“, sprudelte es aus ihr heraus.

„Das alleine war schon ein Wunder! Und dann verliebte sich dieser Mann in mich, zumindest behauptete er das und ich konnte mich nicht mehr wehren. Da war nichts, was ich entgegen setzen konnte und ich wollte es ja auch gar nicht!“
„War denn da nie ein anderer gewesen? Ein anderer Mann...?“, fragte Sam unsicher.
„Männer? Es gibt jede Menge Männer in meinem Leben! Mein ehemaliger Vormund, ein entfernter Onkel, ein Treuhänder, ein Berater, mehrere Assistenten und die Vorstandsmitglieder und und und...!“
„So meinte ich das nicht.“ Sam schnaufte.

„Ich weiß, wie du das meinst. Da gab es einige wenige. Aber das war doch keine Liebe, nur ein bisschen Sex. Das war’s. Und nun war dieser Mann...ein wahrer Schatz. Ich konnte einerseits mein Glück nicht fassen, andererseits überwältigte er mich mit Haut und Haaren. Ich erlitt einen Kontrollverlust auf der ganzen Linie – das war ja nicht mehr ich, der sich ihm hingeben wollte. Ich verlangte so sehr nach ihm, dass mir davon angst und bang wurde!“

Sie schrie gegen den Wind an: „Ich hatte noch nie jemanden so nah an mich rangelassen! Niemanden! Immer war da der Konzern, die Mitarbeiter, der Rat, die Finanzen, die riesige Verantwortung, die ich trug...und dann kam er. Er sah nur mich und er ist so stark!“
Sie rieb sich mit der Hand über die Augen und atmete tief ein.

„Ich glaub’ ich weiß, was du meinst! Ihn konnte schon früher nichts erschüttern. Schon als Teenager wusste er genau, was er wollte! Total von sich überzeugt, zog er das auch durch, da nagten niemals Zweifel an ihm!“.

„Ja! Und er hat mich total aus dem Gleichgewicht gebracht und ich dachte es sei Liebe! Doch das Eine konnte ich ihm nicht geben, ich konnte einfach nicht!“
„Ist es denn keine Liebe?“
„Wie kann es denn Liebe sein, wenn ich nicht mal mit ihm schlafen kann? Da ist eine Blockade in mir und ich weiß nicht, wie ich die lösen soll. Nicht, dass wir es nicht versucht hätten. Aber in meinem Kopf machte es Klick und mein Hirn schaltete sich ein!“, sie seufzte und schaute Sam hilflos an.

Ihr Mann und Dave waren nun wieder zu sehen. Sie waren auf dem Plateau stehen geblieben und genossen die Aussicht.
Bei diesem Anblick schloss sie die Augen: „Oh Gott. Das war so furchtbar. Ich wollte alles mit ihm teilen, doch es ging nicht. Sollte er mir gar die Kontrolle über meinen Körper nehmen? Er hatte mir doch schon den Boden unter den Füßen weg gezogen...alles was je wichtig für mich war, worauf sich mein Leben aufbaute! Plötzlich stellte ich alles in Frage. Ich weiß, das klingt blöd!“

„Tut es nicht!“, widersprach Samantha laut: „Diese Leidenschaft für das Leben! Er überschwemmt einfach alles, ich weiß, was du meinst! Er lebt das alles aus...im Theater wie im privaten Leben und vielleicht dachte er, dass es für dich genauso wichtig ist. Aber deine Leidenschaft ist eine andere, diese Firma ist ein Teil von dir, mit dem er nichts zu tun hat. Doch ohne diesen Teil wärest du nicht die geworden, in die er sich verliebt hat!“

„Aber er interessiert sich überhaupt nicht dafür!“, klagte sie.
„Hat er das je gesagt?“, fragte Sam.
Nachdenklich runzelte sie die Stirn: „Na ja, nicht so direkt...eigentlich gar nicht. Aber das spürt man doch. Er spricht nie mit mir darüber und wenn, dann klingt es immer verächtlich!“
„Hast du ihm denn je die Möglichkeit gegeben, dich und dein Leben richtig kennen zu lernen? Hast du ihm denn je über deine Gefühle und deine Ängste erzählt?“





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