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Guys Hengst griff weit aus. Diese ganzen Ländereien waren jetzt Gisborne-Eigentum und wenn Alfred of Bramby, dessen Wälder hier an die seinen grenzten, weiterhin so unvorsichtig war, dann würde sich Guys Reichtum weiter vergrößern. Während sich bei den meisten Familien angelsächsische und normannische Elemente längst vermischt hatten, hielt Bramby immer noch die alten angelsächsischen Traditionen fest und pflegte, wenn möglich, keinen Umgang mit Familien normannischer Abstammung, nicht gerade sehr klug in der heutigen Zeit. Der Sheriff hatte schon mehr als einmal eine Bemerkung über den störrischen Bramby gemacht, der nicht den nötigen Respekt zeige. Vaysey würde nur zu glücklich sein ein Exempel statuieren zu können und Bramby von seinem Land zu verjagen, wenn dieser ihm die Möglichkeit böte. Guy würde sich nicht beklagen; er konnte nie genug Land besitzen. Flüchtig kam ein kleines blondes Mädchen mit hellen Augen in seinen Sinn, aber dies war nicht seine Sache, jeder musste sehen, wo er blieb. 

Der kleine See hier in der Nähe wurde seit jeher von den Locksleys und den Brambys gemeinsam genutzt und damit jetzt auch von dem neuen Herrn, Guy of Gisborne. Guy saß ab; er würde sein Pferd tränken, bevor er sich auf den Rückweg machte. Während er sich, sein Pferd am Zügel, den Weg durch das hohe Gras und die Büsche bahnte, die den Weg auf den kleinen See verdeckten, drangen seltsame Laute an sein Ohr. Das war kein Tier, das war… Er sah eine Masse weizenblonden langen Haares; zusammengekauert auf dem Boden saß ein Mädchen und schluchzte herzzerreißend. Ein Ast unter Guys Fuß knackte und zerbrach und das Mädchen wandte sich abrupt um und sprang auf: Hyld! Er hatte sie lange nicht gesehen, vielleicht ein halbes Jahr. Ihre Augen waren rot und geschwollen, ihr Gesicht nass von Tränen; sie blieb wie angewurzelt stehen, als sie Guy erkannte.

„Was ist, Kleines?“ fragte Guy. Dieses Mädchen hatte ihn immer gerührt, vielleicht, weil er sich immer vorgestellt hatte, dass seine kleine Schwester Josiane so aussähe, wenn sie noch lebte. 

„Was geht es Euch an?“ schrie Hyld fast hysterisch. „Lasst mich, geht!“

Guy erstarrte. Nie hatte er das Mädchen so gesehen. Sie hatte sich seltsamerweise immer gefreut ihn zu sehen, auch wenn die Anlässe, zu denen er nach Bramby kam, kein Anlass zu Freude waren und ihr Vater ihn zum Teufel wünschte. Er kannte Hyld übermütig, er kannte sie schelmisch, er kannte sie ernst, wenn sie mit ihren grünen Augen tadelnd an ihm hoch geschaut hatte, als ob sie etwas anderes, besseres von ihm erwartete. Was hatte diese Tränen und diesen Ausbruch verursacht? Hyld sah ihn gar nicht mehr an, sondern ließ sich wieder auf den Boden sinken. „Ich will ihn nicht heiraten, er ist mir widerlich, ich will den Mann lieben können, den ich heirate,“ schluchzte sie. Heiraten? Die kleine Hyld sollte heiraten?

Doch als sein Blick über sie glitt, wurde Guy klar, dass sie so klein gar nicht mehr war; sie musste jetzt etwa vierzehn sein. Damit war sie heiratsfähig und offensichtlich hatte ihr Vater einen Mann für sie ausgesucht. Das war der Lauf der Welt. Was sollte er sagen?

“Warum geht Ihr nicht?“ schrie Hyld. „Es kann Euch doch gleichgültig sein.“ Dann rannte sie davon; Guy starrte ihr eine Weile nach und tränkte dann sein Pferd, das ungeduldig schnaubte. Nachdenklich ritt Guy zurück; er war glücklich, er liebte Marian und sie erwiderte diese Liebe. 

~~~ 

Hyld wusch sich ihr Gesicht mit kaltem Wasser und richtete ihr Haar. Schon bei der Ankunft Williams of Sealby und seines Vaters war sie erschrocken. Die Sealbys waren reich und Angelsachsen von reinstem Geblüt, was ihrem Vater wichtig war, aber…Das war der Mann, den sie heiraten sollte? Dieser abschätzende Blick, als ob er sich auf dem Pferdemarkt befände. Nach einer schicklichen Pause hatte Hyld sich mit Pflichten entschuldigt, während die Männer es sich in der großen Halle bequem machten. Sie war an ihren Lieblingsplatz an dem kleinen See geflohen. Wie oft hatte sie dort schon im Gras gelegen und geträumt, geträumt von der großen Liebe, wo ein Mann sie so anschauen würde wie Sir Guy seine Braut. Warum war ausgerechnet er jetzt vorbeigekommen? Seine Gegenwart hatte ihr so drastisch vor Augen geführt, wie ihre Zukunft sein würde, lieblos und freudlos. 

Als Hyld sich auf ihren Platz setzte, fühlte sie wieder Williams Blicke über sich gleiten. Sie wurde rot und senkte den Blick und als sie wieder aufschaute, spielte ein spöttisches Lächeln um seine Lippen. Er begann mit seinem Vater zu flüstern, der neben ihm saß und beide fingen an zu lachen, während Williams Finger sich um eine große Rehkeule schlossen und er gierig großes Fetzen Fleisch abbiss. Hylds Widerwillen wuchs und sie glaubte fast sich übergeben zu müssen…diese Mähne verfilzten roten Haares, dieser Mund  mit den wulstigen Lippen, die schon jetzt gelben Zähne, wenn sie sich vorstellte, dass er sie berührte…sie wandte ihren Blick erneut ab und schaute in die Augen ihres Vater; nur mit Mühe unterdrückte sie die Tränen und zog sich so bald es möglich war zurück.

Als sie außer Sichtweite war, wandte sich Godric of Sealby an Hylds Vater. „Das ist also Eure Tochter, die mein William heiraten soll? Ein bisschen mager, die Kleine. Sealby braucht Erben, viele gesunde Jungen. Nun ja, vielleicht…“

„Vielleicht sollten wir noch einmal über die Mitgift reden,“ fiel William ein.

Alfred of Bramby betrachtete den jungen Mann, der vor ihm saß und mit dem Messer die Fleischreste aus seinen Zähnen pulte. „Nein,“ sagte er langsam. „Ich glaube nicht, dass wir noch einmal über die Mitgift sprechen sollten.“ 

Am nächsten Tag ritten die Sealys ab und ihre Namen wurden nie wieder erwähnt. Hyld wusste nicht, wie ihr Vater eine Fehde vermieden hatte, denn die Verlobung war so gut wie sicher gewesen, aber ihre Mutter hatte lächelnd gesagt, dass der Vater ein richtiger Fuchs sei und sie sich keine Gedanken machen müsste. Wie viele Väter hätten sich Gedanken darüber gemacht, ob ihre Tochter glücklich würde. Hyld wusste, dass ihr Vater ihr keinen größeren Liebesbeweise geben konnte als in dem Moment, als er ihr am nächsten Tag in der Halle in die Augen geblickt  und gesagt hatte, dass es keine Verlobung geben werde. Sie würde ihm zeigen wie dankbar sie ihm war. Mit Feuereifer stürzte sie sich in ihre Pflichten und nahm ihrer Mutter neben einem Teil der Verwaltung der Ländereien auch die Behandlungen der Kranken mit Heilkräutern ab.

Vorerst war von Heirat keine Rede mehr, auch wenn Hyld klar war, dass dies nur ein Aufschub war. Sie hoffte nur, dass es dann jemand sein würde, den sie lieben lernen konnte.  

 






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