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Guy holte Marian vom Haus ihre Vaters ab; sie hatte eingewilligt ihn zum Fest des Sheriffs zu begleiten. Dies war eines der ersten offiziellen Auftritte als seine Verlobte. Ein Diener öffnete die Tür und Guy trat ein. Wie wunderschön sie war! Das dunkle Haar war hochgesteckt und an ihrem Kleid trug sie die Brosche, die er ihr geschenkt hatte, das einzige Erbstück von Wert, dass er besaß. Sie war errötet, als er ihr gesagt hatte, dass diese Brosche einmal seiner Mutter gehört hatte. Guy lächelte Marian an und legte ihr sanft den Umhang um. Diese Frau würde ihm gehören, sobald König Richard aus dem Heiligen Land zurückgekehrt war. Er verstand ihr Zögern nicht; warum konnte sie nicht sofort seine Frau werden? Er liebte sie mit einer Leidenschaft, die er selbst nicht verstehen konnte und die niemand bei diesem düsteren Mann vermutet hätte. Als er begonnen hatte sie zu umwerben, waren es noch andere Beweggründe gewesen, von denen sie nichts wusste, von denen niemand etwas wusste.  

Ein Hass auf alles, was Locksley hieß, brannte in Guys Seele und der Grund für diesen Hass reichte mehr als zehn Jahre zurück, doch für Guy war es, als wäre es gestern gewesen. Julian of Gisborne und Walter of Locksley waren gute Freunde. In ihrer Zeit als Knappen waren sie Freunde geworden und als Locksley seinen Freund bat ihm eine größere Summe Geldes zu leihen, weil in mehreren aufeinander folgenden Jahren Unwetter die Ernte zerschlagen und Blitz einen Teil der Burg in Brand gesetzt hatte, zögerte Julian nicht, auch wenn es für ihn nicht einfach war diesen Betrag aufzubringen.  Guy war ein fröhlicher Junge von elf Jahren und für jeden Schabernack zu haben. Er war nicht sehr groß für sein Alter, aber recht wendig, auch wenn sein Vater ihm immer vorwarf, dass er die Kampfeskunst nicht ernst genug nähme. „Später,“ hatte Guy immer gelacht. Zwei Jahre später zog Julian of Gisborne mit König Richard ins Heilige Land und kehrte nicht mehr zurück. Mit dreizehn Jahren musste Guy das Erbe seines Vaters antreten, an der Schwelle zum Mannsein, inzwischen recht hochgeschossen, aber noch nicht voll ausgebildet und nicht mit genügend Autorität ausgestattet, um marodierende Horden, die durch die Gegend streiften, abwehren zu können. Jeanne of Gisborne würde Ritter in Dienst nehmen müssen, bis Guy selbst alt genug war. Sie schickte einen Boten zu Walter of Locksley und bat um Rückzahlung des Darlehens, doch der Bote kehrte unverrichteter Dinge zurück – Walter of Locksley konnte sich nicht daran erinnern, dass Julian ihm Geld geliehen hatte. Julian hatte es für selbstverständlich gehalten, dass er seinem Freund Geld lieh und ebenso selbstverständlich auf dessen Ehre vertraut; Jeanne of Gisborne hatte nicht den geringsten Beweis für den Betrug. Woher sollte sie jetzt das Geld nehmen um die Ritter zu entlohnen? Guy sah die Verzweiflung seiner Mutter und musste mit ansehen, wie einige der Ritter, die sie in Sold hatte, die Burg verließen. Die Stallungen von Gisborne waren voll mit edlen Pferden und dies weckte Begehrlichkeiten. Diese schönen Tiere sollten den Gisbornes zum Verhängnis werden. 

Guy war noch vor Tagesanbruch und nur von dem Knecht Arthur begleitet, zur Jagd aufgebrochen. Seine Mutter würde stolz auf ihn sein; er hatte einen kapitalen Hirsch erlegt. Noch voller Freude wandte er sein Pferd in Richtung Heimat, als er am Horizont Rauch aufsteigen sah. Gisborne, Gisborne stand in Flammen! Er ließ Arthur bei dem Hirsch und hetzte sein Pferd, wie von Furien gejagt, heim. Nie würde Guy den Anblick der rauchenden Trümmer vergessen, seine Schreie des Entsetzens, als er über die Leichen der Knechte und einiger Ritter im Burghof stieg, die Tränen und den Schmerz, als er die seltsam verrenkte Gestalt seiner Mutter vor dem Eingang auf dem Boten liegen sah, noch im Tod wie schützend ihre Arme über das kleine Mädchen gebreitet, das die Mörder und Plünderer ebenfalls nicht verschont hatten. Guys kleine Schwester Josiane war nur drei Jahre alt geworden, ein zierliches Geschöpf mit hellgrünen Augen und blonden Haaren. Im Morgengrauen war die Burg überfallen worden, die Bewohner erschlagen, die Pferde davon geführt, alles geplündert und dann die Gebäude in Brand gesteckt.  

Guy stand wie erstarrt und sank dann auf seine Knie. Er bettete den Kopf seiner toten Mutter in seinen Schoß, während die Tränen seine Wangen hinunterliefen. Nachdem er und Arthur Jeanne und Josiane of Gisborne begraben hatten, stand Guy reglos am Grab. Dies alles war die Schuld von Walter of Locksley. Durch seinen Betrug war die Burg schutzlos geworden, durch seinen Betrug waren Guys Mutter und Schwester erschlagen worden. Guy würde sie rächen. Wie, wusste er noch nicht, er war ein mittelloser junger Adeliger, der nichts mehr außer seinem Pferd und einigen Waffen besaß. Dies und die Brosche, die seine Mutter immer an ihrem Kleid getragen hatte, ein Hochzeitsgeschenk seines Vaters, waren alles, was er mitnahm. Jeanne of Gisborne hatte einen Bruder und zu diesem machte sich Guy auf, auch wenn er sich keine Illusionen darüber machte, wie er empfangen würde. Seine Mutter hatte immer gesagt, André besitze kein Herz. Dies war auch die Erfahrung, die Guy machen musste; der Onkel nahm ihn nur mürrisch auf. Doch Guy war insgeheim froh, dass der Onkel keine Liebe für ihn hatte. Dies machte es ihm umso leichter alle seine Kraft und Gefühle in die Rache zu stecken, die er an den Locksleys üben würde.

Niemand sah Guy je Tränen vergießen, auch dann nicht, wenn er schwer verwundet war, aber es erinnerte sich auch niemand daran, dass er jemals gelacht hätte. Selbst wenn der Name Gisborne irgendjemandem bekannt gewesen wäre, so hätte niemand in dem hochgewachsenen, ernsten jungen Ritter, der zehn Jahre später in die Dienste des Sheriffs von Nottingham trat, den Jungen wieder erkannt, der er früher einmal gewesen war. Die Rache an Walter of Locksley war ihm weggenommen worden; dieser war bereits tot und sein Sohn war im Krieg mit König Richard, aber Guy hatte Zeit, er würde warten.

Zu Zeiten des Sheriffs Edward von Knighton verhielt Guy sich möglichst unauffälliger, doch nachdem Sheriff Vaysey an die Macht gekommen war, begann sich das Blatt auch für Guy zu senden und schon bald, begann er sich dem Sheriff sehr nützlich zu mache. Für seine Rache würde Guy alles tun. Dann hatte er erfahren, dass Marian of Knighton vor dem Kreuzzug mit Robin of Locksley verlobt gewesen war, dass die Verlobung zwar gelöst worden, dass Marian aber Robins große Liebe gewesen war. Wäre es nicht ein Wink des Schicksals, wenn er, Guy of Gisborne, Locksleys ehemalige Verlobte heiraten würde? Doch was als strategischer Schachzug und als Teil seines Racheplanes gedacht gewesen war, wurde schon bald etwas völlig anderes: Guy hatte nicht damit gerechnet, dass die Liebe ihn wie ein Blitz treffen würde.  




To be continued
Marianne ist Autor von 4 anderen Geschichten.



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