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Sonntag, 2. Dezember. Um 7.30 Uhr klingelte der Wecker am Bett von Ian Dunross. Lediglich eine halbe Stunde später als an den anderen Wochentagen, mit eiserner Disziplin wie immer, stand er auf. Aber er gönnte sich sonntags ein etwas üppigeres Frühstück, das er sowieso gleich im Pool wieder abtrainieren würde, und er las ausgiebig Zeitung. Gegen neun Uhr tauchte er in das marmorgefasste, ovale Becken ein. Er schwamm Runde um Runde. Zuerst Brustschwimmen. Er wendete gekonnt, fast professionell. Dann einige Runden im Delphinstil. Es war vielleicht stilistisch nicht ganz einwandfrei, sah aber sehr kraftvoll und geschmeidig aus. Dann wechselte er in die ruhigere Rückenlage. So absolvierte er stets die meisten Runden. Zum Schluss gab er sich selbst eine Zugabe in Form des Kraulens.

Ein luxuriöser Pool ghört natürlich zum Haus des 'Tai Pan' (nicht filmgetreu!)

 

Meist führte er private Telefongespräche am Sonntagvormittag. Dinge, die unter der Woche zu kurz kamen, entfernte Bekannte und Freunde aus aller Herren Länder, er vergaß seine Verpflichtungen so gut wie nie. Der Lunch wurde – sofern der Tai Pan sich im Haus befand – traditionsgemäß mit allen Hausangestellten gemeinsam eingenommen. Dabei nahm er stets interessiert und höflich Anteil an der Konversation und deren bei dieser Gelegenheit meist geäußerten Beschwerden (selten) und Problemen (ab und zu). Der überwiegende Teil des Personals war chinesischer Herkunft, außerdem Malaien und Filipinos. Kurz nach 13 Uhr läutete das Telefon. Ian Dunross nahm eine Tasse Tee mit und empfing das Gespräch in seinem Arbeitszimmer.

Ebenso wie ein repräsentatives Speisezimmer (nicht filmgetreu!)

 

„Diesmal bin ich wieder dran mit anrufen.“

„Casey, ich freue mich. Die Telefongesellschaften werden uns am Jahresende mit Präsenten und Prämien überschütten, wir tragen wohl erheblich zu deren Umsatzsteigerung bei.“

„Hmh, glaube ich auch. Was machst du an einem Sonntag alleine in Hongkong?“

„Oh, ich bin nicht alleine!“

„Nicht? Wer ist bei dir? Ist sie hübsch?“

Er lachte auf: „Oh ja, die meisten Asiatinnen sind hübsch, aber wehe wenn sie älter werden. Sie halten sich nicht so lange frisch wie wir Langnasen. Und bei mir im Haus wimmelt es nur so von Damen asiatischer Herkunft. Nein, im Ernst, sonntags ist immer Lunch mit dem Personal angesagt und das ist eine Tradition, die…“

Sie unterbrach ihn: „…die schon seit Dirk Struans Zeiten so aufrechterhalten wird und du stehst natürlich getreulich zu dieser traditionsreichen Verpflichtung. Typisch Ian.“

„Nicht ganz, es ist eine Tradition, die die Hexe Struan eingeführt hat, und ja, ich halte mich daran, und zwar gerne. Sofern es mir terminlich möglich ist, versteht sich.“

„Und das war heute der Fall?“

„Ja, das war es.“

„Und was hast du sonst gemacht?“

„Möchtest du das wirklich wissen?“

„Klar doch.“

„Ich bin geschwommen, dann habe ich telefoniert, dann war der Lunch:“

„Wie schön zu hören, dass mein… mein Freund schwimmen geht, während ich mich hier zu Tode schufte.“

„Das klingt merkwürdig.“

„Was? Dass ich mich zu Tode schufte?“

„Nein, dass du erst nicht genau wusstest, welchen Titel du mir verleihen solltest und dann das Wort ‚Freund’ verwendet hast.“

„Was hätte ich sonst sagen sollen? Es stimmt doch, oder?“

„Ja, es stimmt, aber trotzdem hört es sich in meinen Ohren so an, als wären wir gerade erst aus der Highschool entlassen worden.“

„Kann es gerne mit einem anderen Wort probieren. Gefällt dir vielleicht ‚Liebhaber’ besser?“

„Casey, bitte!“

„Dann mach’ du einen Vorschlag!“

„Zukünftiger Ehemann? Verlobter?“

„Oh nein. Wir sind noch nicht verlobt, ich habe weder deinen Antrag angenommen noch habe ich den Beweis deines Eheversprechens in Form eines dicken Brillantrings vorliegen.“

Jetzt musste er wider Willen lachen: „Soll ich dir einen fetten Brilli schicken? Apropos schicken: Hast du das Bild von dir losgeschickt?“

„Ja, es müsste dich in der kommenden Woche erreichen. Und was den Ring anlangt: Untersteh’ dich und schicke mir dergleichen! Ich nehme ihn nur an, wenn du ihn mir persönlich an den Finger steckst. Wenn überhaupt….“

„Casey, wir müssen darüber reden, wie wir die Firmen leiten können, wenn… wenn du für längere Zeit in Hongkong bleiben wirst. Wer wird sich dann um Par-Con kümmern?“

„Ich habe einige sehr fähige Vize-Präsidenten, das müsste gehen. Leider kannst du mir ja nicht deinen universell einsetzbaren Feuerwehrmann Linbar schicken, er wird sich wohl langsam darauf vorbereiten müssen, einmal Struans zu übernehmen. Er wird doch dein Nachfolger, oder?“

„Das ist noch nicht sicher. Linbar ist nur eine Option.“

„Und welche anderen Optionen hast du?“

Er zögerte. Er war nicht sicher, ob es der rechte Zeitpunkt war, diese Frage anzusprechen. Und zudem wiederum am Telefon.

„Ian? Ich hatte dir eine Frage gestellt.“

„Ich weiß, aber die Antwort ist nicht so einfach. Bis vor einigen Tagen war Linbar der Nachfolge ziemlich nahe, doch nun – sind andere Konstellationen eingetreten.“

“Andere Konstellationen? Welche?“

„Du bist in mein Leben getreten.“

Was hat das mit Linbar zu tun?“

“Ziemlich viel, du benutzt doch sonst auch immer dein schlaues Köpfchen, also….“

„Tut mir leid, ich komme glaube ich nicht drauf.“

„Ich habe dir einen Heiratsantrag gemacht, ich möchte, dass wir unser weiteres Leben gemeinsam verbringen und… und irgendwie gehört da für mich auch… also für mich gehören auch Kinder dazu.“ Er hielt instinktiv die Luft an.

Scheinbar nicht grundlos, denn sie legte los: „Ian, bist du verrückt? Willst du mich als Zuchtstute für eine neue Generation von Tai Pans einsetzen? Das kann nicht dein Ernst sein. Du glaubst doch nicht, dass ich unter diesen Umständen auch nur für eine Sekunde in Erwägung ziehe, deinen Antrag anzunehmen? So haben wir nicht gewettet!“

„Casey, bitte, hör mir zu! Ich habe es nicht so gemeint! Nicht so! Casey, sei bitte mal ehrlich zu dir selbst! Wenn du im Zusammenhang mit Liebe, Heirat und Ehe noch nie auch nur einmal an Kinder gedacht hast, dann nehme ich alles zurück. Hast du das? Hast du das Thema Kinder immer davon ausgeklammert? Antworte ehrlich!“

Sie holte hörbar tief Luft: „Wer hätte nicht irgendwann einmal Liebe, Ehe und Kinder in einem Atemzug genannt. Das sind doch schon fast Stereotypen.“

„Okay. Und kannst du Stein und Bein schwören, dass dir der Gedanke noch nie gekommen ist in Bezug auf uns beide?“

„Noch nie.“

„Schwör’ es!“

„Ian, was soll das?“

„Aha! Du kannst es nicht schwören, weil du sehr wohl daran gedacht hast. Aber du hast dir sicher den Gedanken ganz schnell wieder verboten, stimmt’s?“

„Also gut. Ja, du hast Recht. Genauso hat es sich verhalten. Wir haben so viele andere Dinge um die Ohren, Riesenkonzerne, denen wir vorstehen, eine Beziehung, die ganz am Anfang steht und sich erst entwickeln muss, ungeklärte Orts- und Wohnverhältnisse, da kann man unmöglich auch noch an Nachwuchs denken. Das verbietet sich wahrscheinlich sowieso bei unseren aufwändigen Jobs.“

„Denkst du wirklich so darüber?“

„Ian, ich denke völlig rational und realistisch. So wie du normalerweise auch.“

„Wollen wir das Thema vertagen?“

„Nein, wir diskutieren es jetzt aus!“

„Dann sage ich nur noch eines dazu: Ich liebe dich. Ich möchte, dass wir für immer zusammenbleiben. Heiraten, ja. Und – es muss nicht gleich sein, irgendwann auch ein Kind. Das ist, was ich mir wünsche. Ich füge sogar noch hinzu: Sehnlichst! Ich habe mich in meinem ganzen bisherigen Leben noch niemandem soweit geöffnet wie dir. Zunächst ist mir das enorm schwer gefallen, aber es ist wie mit den meisten Dingen, sobald man eine gewisse Übung darin hat, ist alles halb so schlimm. Solltest du, wenn sich unsere Beziehung, eventuell unsere Ehe einmal entwickelt hat, immer noch absolut gegen ein Kind sein, werde ich das selbstverständlich akzeptieren. Es gehören zu einer solchen Entscheidung und Verantwortung immer zwei dazu. Ich würde dich auch niemals übergehen, und ich denke, das weißt du auch.“

Es herrschte ein kurzer Moment des Schweigens. Dann antwortete Casey und es klang ein bisschen, als wäre sie dem Weinen nahe: „Oh Ian, entschuldige bitte. Ich… ich war einfach völlig überrumpelt, ich wollte deine Gefühle natürlich nicht in Frage stellen. Ich bin so froh, dass du dich überhaupt in diese Richtung äußerst und weiß das sehr zu schätzen. Wollen wir darüber ausführlich reden, wenn ich wieder da bin? Und ich möchte, dass du weißt, dass ich sehr wohl bei dem Gedanken an dich auch schon einmal, ganz kurz zumindest, an ein gemeinsames Kind gedacht habe. Ich war nur, als es passierte, so erschrocken darüber, wie sehr mir dieser Gedanke gefallen hat, dass ich ihn sofort gewaltsam verdrängte. Und ich gestattete mir nie wieder, ihn erneut zu denken. Bis heute. Bis du dieses Thema angesprochen hast. Mein Gott Ian, ich vermisse dich so sehr!“

„Casey, Liebste, du fehlst mir auch. Und ich bin froh, dass wir nicht völlig kontrovers zu diesem Thema stehen. Ja, lass es uns bereden, wenn wir uns wieder sehen.“

„Du hast mich Liebste genannt. Das klingt schön, es gefällt mir. Wie soll ich dich nennen?“

„Da musst du dir schon spontan etwas einfallen lassen.“

„Darling Tai Pan?“

"Nur Darling wäre mir lieber.“

„Also gut. Ich genieße diese Telefongespräche mit dir sehr. Auch wenn sie manchmal ein wenig unharmonisch verlaufen. Sie ersetzen aber nicht das persönliche Aufeinandertreffen, es bleibt eine unerfüllte Sehnsucht nach dir, nach deinem… Körper.“

„Großer Gott Casey, du kannst nicht ermessen, was deine Worte in mir auslösen!“

„Was denn Darling?“ Sie lachte leise in die Sprechmuschel.

„Du bringst mich ganz schön durcheinander, mir scheint, mein Hormonhaushalt spielt gerade ein bisschen verrückt.“

Sie lachte abermals, jetzt lauter: „Äußert sich das irgendwie?“

Und ob! Ich gerate ganz schön ins Schwitzen und das nicht wegen der Temperatur hier, du weißt, mein Haus ist klimatisiert.“

„Körperliche Anzeichen?“

„Oh nein, das werde ich dir bestimmt nicht verraten!“

„Darling, bitte!“

„Auf gar keinen Fall!“

„Okay, dann frage ich eben: Hast du eine Erektion?“

„Casey, so etwas fragt man nicht!“

„Ach nein? Ich werde mich doch nach dem Gemütszustand meines Freundes erkundigen dürfen.“

Nach dem Gemütszustand schon, aber nicht nach dem, was sein Körper dazu sagt.“

„Was sagt er denn nun?“

„Gibst du nie auf?“

Nie!“

„Dachte ich mir. Und ich soll jetzt klein beigeben und es dir sagen?“

„Bitte!“

„Auf deine Verantwortung! Verflixt noch mal, natürlich habe ich eine Erektion und zwar eine, die sich gewaschen hat. Zu dumm, dass du nicht hier sein kannst.“

„Du wirst ohne mich zurechtkommen müssen. Was ich sehr bedauere, denn ich hätte sehr gerne den ‚Schaden’ bei dir behoben.“

„Liebste, Schluss jetzt damit! Ich muss sonst gleich die kalte Dusche aufsuchen.“

„Du warst doch schon schwimmen heute.“

„Eben. Deswegen wechsele ich jetzt rasch das Thema. Orlanda war gestern bei mir und hat sich verabschiedet, sie dürfte jetzt irgendwo über dem blauen Pazifik schweben. Wer wird sie nachher abholen?“

"Das mache ich selbst, alles andere würde einen schlechten Eindruck machen. Wie war ihre Verfassung?“

„Einigermassen, würde ich sagen. Sie ist allerdings in Tränen ausgebrochen, als ich ihr die Urkunde überantwortete.“

„Die Arme. Verständlich, oder?“

„Ja, absolut. Hoffentlich kommt sie in Kalifornien klar.“

„Das wird schon, da bin ich mir sicher.“

„Casey?“

„Ja?“

„Wirst du es schaffen, Weihnachten mit mir in Hongkong zu verbringen? Es liegt mir sehr viel daran.“

„Ich weiß. Ich hoffe, dass ich bis dahin einen Großteil der anliegenden Geschäfte erledigt habe. Aber ich komme auf alle Fälle an Weihnachten, nur ob ich dann schon für länger bleiben kann, kann ich leider noch nicht versprechen.“

„Ich freue mich sehr darauf. Weihnachten hier ist etwas ganz besonderes. Du wirst es mögen.“

„Wahrscheinlich gibt es wieder eine ganze Menge überlieferter Struan’scher Traditionen, stimmt’s?“

„Lass dich überraschen.“

„Ich freue mich auch darauf. Ian, es ist spät hier, ich muss zu Bett. Morgen kommt Orlanda und ich muss für alles, was damit zusammenhängt ausgeschlafen und fit sein.“

„Natürlich, dann wünsche ich dir eine gute Nacht. Träum was Schönes, ja?“

„Ja. Und ich wünsche dir noch einen angenehmen Sonntag in Hongkong. Hoffentlich wird dir nicht langweilig.“

„Keine Sorge, das wird nicht der Fall sein. Schlaf gut.“

„Danke. Ian?

„Hmh?“

„Ich liebe dich!“

„Und ich liebe dich! Bye!

 






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