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Montag, 24. Dezember. Ian Dunross blickte nervös auf seine edle Armbanduhr. Er hatte noch niemals so voll Ungeduld auf ein Flugzeug gewartet wie am heutigen Tag. Der Weihnachtsvorabend. Hongkong war überladen vom Glanz der Weihnachtsbeleuchtungen, es machte den besonderen Reiz in der Vorweihnachtszeit aus, dass zu all den schreiend bunten chinesischen Leuchtreklamen dann auch noch die festliche Illumination dazukam. Ein immer wieder faszinierendes Lichtermeer.

Die letzten Wochen waren angefüllt gewesen mit enorm viel Arbeit. Par-Con hatte sich zusätzlich noch an H.K General Stores beteiligt, Paul Choy hatte die Dinge schnell unter Dach und Fach gebracht und sich damit einen guten Ruf bei Struans erarbeitet.

An der Börse stand das Noble House exzellent da, was man von einigen Konkurrenten nicht gerade behaupten konnte. Rothwell-Gornt war noch immer böse am Kämpfen.

Ein Rennen hatte der neue Jockey bereits auf Noble Star absolviert und war immerhin platziert gewesen. Einen Sieg konnte man nach so kurzer Zeit der Zusammenarbeit von dem Gespann Jockey und Pferd wahrlich noch nicht erwarten.

Orlanda hatte sich relativ gut in Kalifornien eingelebt. Sie litt allerdings immer noch an depressiven Schüben, so dass Casey und ihre Freundin Debbie sie jetzt bei einem Psychologen untergebracht hatten. Die Firmenoberen hatten nicht den leisesten Verdacht, dass Orlanda nicht Linc Bartletts rechtmäßige Witwe sein könnte und so war ihr großzügig sein Haus und sein privater Besitz auf Grund der Heiratsurkunde übereignet worden. Was Par-Con anlangte, war Casey die Erbin.

Der Tai Pan blickte versonnen auf eine Fotografie im schweren Mahagoni-Rahmen, die auf seinem privaten Schreibtisch im Haus auf dem Peak stand. Casey! Es hatte fast täglich Telefongespräche zwischen ihr und ihm gegeben. Nicht immer waren sie einer Meinung gewesen. Sie war eine amerikanische Geschäftsfrau, gewohnt, den Ton anzugeben, bis zu einer gewissen Grenze hart und ausgebufft, sehr kalkulierend in vielerlei Hinsicht, aber wenn es um ihre Beziehung zu ihm ging, dann wurde sie schnell weich und auch recht nachgiebig. Ihm selbst ging es kaum anders. Jahrzehntelanges, hartes Training hatten ihn recht gut im scharf umkämpften Haifischbecken der Hongkonger Wirtschaft überleben lassen, ihn auf die Position des Tai Pans vorbereitet und an die Spitze des Noble House geführt.

Aber nach einer gescheiterten Ehe hatte er sein Privatleben grundsätzlich überdenken müssen und war nun eher bereit, Zugeständnisse zu machen. Er wusste, mit Casey würde es – trotz aller Schwierigkeiten, die das geschäftlich für sie beide aufwerfen würde – gut gehen. Er hatte niemals zuvor jemanden so sehr geliebt, seine Jugendliebe Reizende Jade vielleicht ausgenommen, aber das war eine völlig andere Situation gewesen. Genau diese Sache hatte ihn damals gelehrt, dass das Investieren von zu viel Gefühl überaus schmerzhaft enden konnte. Deswegen hatte er sich jahrelang keine Emotionen gestattet, sie brachten seiner Erfahrung nach nur Verdruss. Erst die Begegnung mit Casey hatte ihn nach und nach von seiner bisherigen Einstellung abbringen können.

Das Weihnachtsdinner des Noble House am Vortag mit allen Geschäftspartnern und -freunden war etwas, was Casey schmunzelnd als „Festkleben an alten Zöpfen“ bezeichnet hätte, also eine traditionsreiche Veranstaltung aus den Frühtagen des Noble House. Alles, was in Hongkong Rang und Namen hatte, prügelte sich förmlich um eine solche Einladung des Tai Pan. Leider hatte es Casey nicht geschafft, bereits zu diesem Ereignis da sein zu können, was Ian Dunross sehr bedauert hatte.

Lando Mata hatte ihn gestern augenzwinkernd zur Seite genommen und vorsichtig gefragt, ob er ihm ein paar private Fragen stellen dürfte. Nachdem Lando wusste, wie empfindlich sein Freund Dunross üblicherweise auf ein derartiges Ansinnen reagierte, war er umso erstaunter, dass er ihn sehr gesprächsbereit fand. Er gab bereitwillig Auskunft darüber, wann er Casey in Hongkong erwartete und wie sie wahrscheinlich die Feiertage verbringen würden. Lando staunte nicht schlecht, als der Tai Pan sogar in seiner festlichen Ansprache Casey erwähnte und seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, dass das kommende Jahr nicht nur geschäftlich, sondern auch privat erfolgreich und harmonisch verlaufen möge. Es schien Dunross ziemlich erwischt zu haben. In die allgemeinen Weihnachtswünsche für den Tai Pan und das Noble House stimmten außerdem Tip Tok-Toh, Tsu-Yan, Paul Havergill, Richard Hamilton-Pugmire, Richard Kwang und viele andere ein, die Struans seit langem verbunden waren. Das Noble House wurde an diesem Abend außer von Dunross noch von Phillip Chen, Linbar Struan, Jacques de Ville, Dunston Barre, Claudia Chen, Paul Choy und etlichen anderen leitenden Angestellten repräsentiert.

Im Landeanflug auf Hongkong 'Kai Tak', einer der am schwierigsten anzufliegenden Airports dieser Welt

 

Lim-Chu fuhr endlich den Rolls Royce vor. Vor drei Tagen erst war das Schlafzimmer von Ian Dunross nach einer grundlegenden, kurzfristig anberaumten Renovierung fertig geworden. Er hatte es zwar nach dem Tod von Penelope schon einmal umgestalten lassen, aber das war nun auch schon mehr als acht Jahre her. Er hoffte, dass es Casey zusagen würde. Er setzte sich in den Fond des Rolls Royce, legte den üppigen Rosenstrauß neben sich auf das Polster. Die Fahrt zum Flughafen dauerte lange, es war viel los in der Millionenstadt am Tag vor dem Fest. Ian Dunross dauerte es zu lange, er war sehr ungeduldig. Am Telefon in den letzten Tagen hatte er sich kaum noch beherrschen können, so stark war sein Verlangen nach Casey, seine Sehnsucht nach ihr, ja, er konnte es ruhig so nennen, seine Begierde gewesen. Sie war ein bisschen in sich gekehrter, stiller als üblich gewesen, was sowohl er als auch sie auf den großen Stress vor ihrer Abreise schoben.

Der Firmenjet von Par-Con stand bereits auf dem Vorfeld. Er sprang mit einem Satz aus dem Rolls und jagte die Gangway hinauf. Er beachtete nicht die Stewardess, die ihn mit einem strahlenden Lächeln an der Tür begrüßte, sondern stürmte förmlich in das Flugzeuginnere. Casey stand vor ihm, lächelnd zwar, aber etwas blass und abgespannt wirkend. Er machte die letzten Schritte auf sie zu, er konnte nicht einmal lächeln, dann endlich hielt er sie in seinen Armen. Sie umklammerten sich wie zwei Ertrinkende.

Wie lange sie so da standen, konnten sie gar nicht sagen. Sie hatten sich nicht einmal geküsst, einfach nur die gegenseitige Nähe zu spüren war traumhaft. Sie trug einen sandfarbenen Hosenanzug, dazu eine hellblaue Bluse. Es war nicht kalt in Hongkong, aber mit knapp 20 Grad auch nicht mehr so warm wie noch im November.

Jetzt erst strahlte Ian und hielt ihr den Rosenstrauß hin: „Ich dachte, für den Anfang muss das reichen, ich wollte mir noch ein paar Dinge für die Bescherung morgen aufheben. Willkommen zurück in Hongkong, liebe, liebste Casey!“ Sie blickte ihm in die Augen, dann endlich presste er seine Lippen auf die ihren.

Als er sie wieder freigab, lachte sie: „Ian, ich freue mich unglaublich, und die schönen Blumen, tausend Dank. Der Flug war sehr lange, ich bin ein bisschen müde. Wo bringst du mich jetzt hin?“

Er war gerade noch beschäftigt, ihren Hals mit Küssen zu übersäen und murmelte daher von dieser Stelle aus: “In mein Haus, genau so, wie wir es besprochen haben. Wir werden dort essen, wenn es dir Recht ist.“

„Wenn ich überhaupt etwas runter bringe. Die Crew hier hat mich mehr als ordentlich versorgt. Ich war erst zweimal in deinem Haus, einmal zu dieser Party, als du mir die ganzen Ahnenbilder gezeigt hast und einmal nach dem schlimmen Unglück.“

„Ich weiß. Das werden wir ab heute ändern. Aber nun komm, es wird Zeit.“

Er nahm sie an der Hand und zog sie aus dem Flugzeug auf die Gangway. Sie gingen die Stufen hinab und stiegen in den wartenden Rolls Royce. Auf der Fahrt sprachen sie über das Weihnachtsessen von Struans und von der ebenfalls weihnachtlichen Firmenfeier bei Par-Con in den vergangenen Tagen. Casey hatte ein modernes Textverarbeitungs- und Datenübertragungscenter in Los Angeles in der Firmenzentrale eingerichtet, ebenso verfügte man über moderne Telefaxgeräte. Das würde es erheblich einfacher für sie machen, den Konzern von Hongkong aus zu dirigieren. Im Struans-Tower war für sie eigens ein eigenes Stockwerk eingerichtet worden, die Par-Con-Tcholok-Etage, wie Ian es nannte. Mit genau den gleichen technischen Einrichtungen wie in den Staaten, von denen er auch einige für Struans übernommen hatte.

Das Haus war schon von weitem auszumachen. Es war bei Dunkelheit zwar immer beleuchtet, aber nun zu Weihnachten strahlte es wie von tausend Sternen. Casey war beeindruckt: „Oh, es sieht traumhaft aus. Auch die Stadt, ich finde es sehr exotisch, diese Mischung aus westlicher Weihnachtsbeleuchtung und fernöstlicher Leuchtschrift. Wirklich fantastisch.“

Der Wagen hielt in der Auffahrt, Lim-Chu hielt die Türen auf und grinste über beide Ohren. Dunross warf ihm einen tadelnden Blick zu, das breite Lächeln des treuen Hausdieners schmälerte sich aber nur ein klein wenig. In der weitläufigen Diele sagte Ian zu Casey: „Es ist ab heute auch dein Haus. Ich schätze jedoch, du kennst nicht einmal die Hälfte davon, habe ich Recht? Möchtest du erst einen Drink und dann eine Führung, oder umgedreht?“

Sie war gerührt von seinen ersten Worten und schmiegte sich daher an ihn: „Es kann nicht mein Haus sein - noch nicht. Aber ich mag es sehr und ich mag es, dass ich bei dir sein kann. Die Führung kann warten, finde ich, ein bisschen was kenne ich außerdem schon.“

Er nickte, zog sie mit sich in die Wohnräume: „Ein Schluck Champagner zur Begrüßung?“ Er schenkte bereits ein, hielt ihr das Glas mit der perlenden Flüssigkeit hin. Sie nahm es zögernd. Er prostete ihr zu: „Auf deine Ankunft und deinen Einzug hier. Und auf die Zukunft!“

Sie lächelte verhalten, hob ihr Glas und antwortete: „Ja, auf all das.“

Dann nippte sie nur kurz daran. Er nahm einen ordentlichen Schluck, nahm auf einem der sündhaft teuren Sofas Platz und bedeutete ihr mit einer auffordernden Geste, sich neben ihn zu setzen. Sie stellte das Glas ab und kam der Aufforderung nach. Er legte den Arm um sie und drückte sie ganz leicht an sich. Sie ließ den Kopf müde auf seine Schultern sinken: „Ian, ich glaube, du solltest mir bald zeigen, wo die Schlafzimmer sich befinden.“

Er hauchte einen zarten Kuss auf ihre Schläfe: „Möchtest du nichts essen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht. Hast du denn Hunger?“

„Nun ja, ich hatte mir alles für das Dinner mit dir aufgespart.“

„Oh, na dann. Vielleicht eine Kleinigkeit?“

Er wollte gerade antworten, da klopfte Lim-Chu an ein Möbelstück. Türen gab es in diesem Teil des Hauses nicht, alles war von offener Architektur geprägt. Das Paar auf dem Sofa fuhr auseinander, als er sagte: „Tai Pan, Miss – das Essen ist serviert.“

Ian Dunross fuhr sich verlegen durch die Haare und sagte dann: „Danke, wir kommen.“ Er half Casey hoch und nahm sie dann wieder an der Hand. Auf dem Weg zum Esszimmer raunte er halblaut: „Meine Güte, meine Angestellten hier haben mich noch niemals in einer solchen Situation erlebt, mir war das eben richtig peinlich.“

„Auch nicht mit Penelope?’“

„Gott nein, was denkst du! Das wäre völlig undenkbar gewesen, zu zweit auf dem Sofa rumlümmeln und womöglich noch knutschend. Derlei Dinge haben sich, wenn überhaupt, nur hinter der geschlossenen Tür des Schlafzimmers abgespielt.“

Sie lachte: „Ian, du bist richtig süß, wenn du so Worte wie ‚Knutschen’ verwendest. Das hört sich aus deinem Mund ganz sonderbar an.“

“Sonderbar? Da gebe ich mir alle Mühe, mich nicht immer so elitär und gewählt auszudrücken und meine Liebste hier findet es sonderbar. Pah, das war das erste und das letzte Mal, Miss Tcholok.“

Sie kicherte jetzt völlig albern. Er musste mitlachen. Dann öffnete er die Tür zum Esszimmer und es verschlug ihr die Sprache. Es war alles für ein romantisches Candlelight-Dinner zu zweit hergerichtet. Der weihnachtliche Tischschmuck allein musste ein halbes Vermögen gekostet haben. Es war kein Personal anwesend, um sie wie üblicherweise zu bedienen. Er schaute sie prüfend an: „Na, immer noch müde?“

Sie nickte: „Ja schon, aber wenn ich das hier sehe, kann ich es noch ein paar Minuten aushalten, denke ich.“

Er öffnete eine Flasche edelsten Rotweins, hielt ihr ein bauchiges Kristallglas hin. Sie lehnte dankend ab: „Nein, ich hatte schon etwas Champagner, ich werde sonst sofort einschlafen, wenn ich jetzt auch noch Wein trinke. Lieber ein Glas Wasser für mich.“

Er beeilte sich, ihrem Wunsch nachzukommen.

Er führte sie nach dem Essen doch noch ein klein wenig durch das Haus, es war riesig, hatte eine Wohn- und Nutzfläche von gut 3.000 Quadratmetern, verschiedene Gärten, einen Tennisplatz und das Schwimmbad. Die Hausangestellten hatten ihre eigenen kleinen Doppelbungalows auf dem angrenzenden Gelände, vier Stück an der Zahl, also für acht Angestellte inklusive eventuell deren Familien. Das waren außer Lim-Chu noch der Koch, eine Küchenhilfe, die Putzfrau, der Gärtner, eine Wäscherin und ein weiterer Hausboy. Eine Bungalowhälfte stand leer, die eigentlich war für eine Amah vorgesehen war. Diese Position allerdings war schon seit Ewigkeiten nicht mehr besetzt.

Zuletzt stieß Ian Dunross die schwere Tür zu seinem Schlafzimmer auf. Es roch noch ein ganz klein wenig nach frischer Farbe, auch wenn sich Lim-Chu und der zweite Boy alle Mühe gegeben hatten, es bereits chinesisch einzuräuchern, damit der Renovierungsgeruch verfliegen sollte. Dunross lächelte nicht, als er sich zu Casey drehte und sagte: „Ich habe es komplett neu ausstatten lassen. Es ist vorgestern erst fertig geworden.“

Nach einer kurzen Weile der Stille fragte sie nach: „Wie hat es denn vorher ausgesehen?“

Ein luxuriöser Schlafraum, chinesisch angehaucht (nicht filmgetreu)

 

„Ich bin kein Inneneinrichtungsexperte, aber es war schon ein gutes Stück anders als jetzt. Vor allen Dingen ist die Einrichtung auch völlig neu und natürlich wurde alles von einem Feng-Shui Spezialisten abgesegnet. Vorher war es ein bisschen europäischer, würde ich sagen, nun ist es ein klein wenig chinesischer, ohne aber allzu china-lastig zu sein, was meinst du?“

„Es ist atemberaubend. Ich habe noch niemals ein so herrliches Schlafzimmer gesehen. Hast du gut darin geschlafen in den letzten zwei Nächten?“

„Ich habe überhaupt noch nicht darin geschlafen, ich hatte für die Zeit der Renovierung in einem der anderen Schlafzimmer genächtigt. Und – ich wollte erst mit dir zusammen hier Einzug halten, um ehrlich zu sein.“

Sie schaute ihn ungläubig an. Sie war völlig überwältigt. Dies, zusammen mit der langen Reise, dem hineinkatapultiert werden in diese fremde Kultur, in der sie von nun an die meiste Zeit ihres Lebens verbringen sollte und all den anderen Dingen, die sie vorher und derzeit belasteten, führte dazu, dass ihr die Tränen in die Augen traten.

Er bemerkte es und nahm sie sofort in seine Arme: „Casey, ach Casey, es ist wohl alles ein bisschen viel auf einmal, nicht wahr?“

Sie nickte, unfähig zu antworten. Er hielt sie einfach nur fest, minutenlang. Dann plötzlich hörte er sie fragen: „Ian?“

„Hmh?“

„Würde es dir was ausmachen, mich endlich zu küssen?“

Er musste aus vollem Halse lachen: „Das macht mir nicht das Geringste aus, glaub mir.“ Und er kam ihrem Wunsch sehr eifrig nach. Sie fielen beide einen Moment später atemlos auf das noch jungfräuliche Bett.

 






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