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Samstag, 1. Dezember. Er stand nicht minder miserabel gelaunt um sieben Uhr auf, obwohl Samstag war. Er rechnete schnell nach – es war vier Uhr nachmittags am Vortag in Kalifornien. Er riss das Telefon von der Konsole und wählte die Büronummer Caseys. Eine Stimme, die nicht die von Casey war, meldete sich, offensichtlich die Sekretärin:

„Par-Con Industries, Büro der Präsidentin, guten Tag!“

„Guten Tag, hier Ian Dunross für Casey Tcholok.“

Oh, tut mir sehr leid, Mr. Dunross, aber die Präsidentin ist in einer Konferenz zurzeit.“

Er fühlte, wie Wut in ihm hochstieg, er versuchte, sich zu beherrschen: „Hören Sie, es ist ziemlich dringend. Bitte versuchen Sie, Miss Tcholok zu erreichen, ja?“

„Kann sie Sie zurückrufen, sobald sie frei ist?“

„Miss, ich wünsche jetzt mit Miss Tcholok zu sprechen, nicht nachher irgendwann, also bitte…“

„Ich werde sehen, was ich machen kann, einen Moment bitte.“

Na also, dachte sich Ian Dunross, man musste nur den Tai Pan überall ein wenig herauskehren. Er wartete. Dann hörte er ein wenig atemlos Caseys Stimme: „Hallo?“

„Casey, bin ich froh, dich erreicht zu haben. Es war ein wenig schwierig.“

„Ian, ist etwas passiert, weil du mich aus einer Besprechung holen lässt? Ist was mit Orlanda?“

„Nein, nein, alles in Ordnung. Ich habe nur sehr schlecht geschlafen und habe den abrupten Abschied gestern Abend wohl nicht so recht verdaut.“

„Du lässt mich aus einer Konferenz rufen, weil du dich schlecht fühlst wegen der Dinge, die du nicht zu mir gesagt hast gestern?“

„Gewissermaßen ja. Ich würde es gerne wieder wettmachen, nachholen. Deswegen mein Anruf.“

„Ian, das ist nicht dein Ernst. Ich glaube, ich muss mich erst einmal hinsetzen. Also, ich höre, aber leider muss ich darauf bestehen, dass du dich kurz fasst. Ich muss gleich wieder zurück in die Besprechung.“

„Herrgott, so kann ich das nicht. Du könntest ruhig etwas romantischer reagieren, ich gehöre nicht zu deinem Stab, der nun im Konferenzzimmer sitzt und auf deine Rückkehr wartet.“

„Da siehst du mal, wie es mir immer mit dir geht. Du bist meist so nüchtern wie eine ganze Kiste Sprite und so sachlich wie eine neue Aktien-Emission.“

„Vielen Dank, das ermutigt mich sehr.“

„Ian, wir sollten die Zeit besser nutzen, als uns zu streiten, findest du nicht?“

„Wohl wahr. Bitte Casey, vergiss für einen Moment deine Konferenz. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass dies nicht einfach ist. Mir geht es kaum anders. Stell dir einfach vor, du wärst jetzt hier bei mir. Es ist hier früher Morgen, zehn nach sieben. Okay?“

„Okay!“

„Ich stelle gerade fest, dass du noch nie hier in meinem Haus übernachtet hast. Die restliche Nacht und der Morgen nach dem Unglück zählen nicht, da hast du nur auf dem Sofa gesessen und entweder still vor dich hingeweint oder angestrengt nachgedacht. Alles war im Ausnahmezustand. Ich möchte, dass du nicht mehr im Hotel übernachtest, wenn du das nächste Mal herkommst. So schön das Peninsula auch ist. Ich möchte dich hier auf dem Peak haben. Möchtest du das auch?“

„Ja, ja, ich denke schon.“

„Wie sehr möchtest du das?“

„Sehr, sehr gerne. Wirklich sehr, sehr gerne.“

„Ich auch. Casey, ich denke…, ich glaube…, nein, ich weiß…, ach alles Quatsch, ich bin ein Trottel. Ich brauche einfach deine Nähe, dieses Telefon und tausende von Meilen zwischen uns machen mich wahnsinnig. Ich kann dir nicht durch diese blöde Leitung, die zudem dauernd noch rauscht, sagen dass ich dich liebe, ich kann dich nicht via Telefon fragen, ob du mich heiraten möchtest.“ Er war selbst erschrocken über seinen Gefühlsausbruch, aber nun war es endlich raus, wenn auch anders als ursprünglich beabsichtigt.

Er hörte sie atmen, aber sie sagte nichts. Er musste nachhaken: „Casey?“

Dann endlich antwortete sie, halb lachend, halb weinend: „Ich hatte schon gedacht, du bringst es niemals heraus. Aber so wie du es eben gesagt hast, ist es typisch für dich. Typisch Ian, typisch Tai Pan. Du verpackst es in einen mittleren Taifun. Kannst du es noch einmal losgelöst von den rauschenden Leitungen und den blöden Telefonen sagen? Bitte!“

Er zweifelte: „Casey ich weiß nicht, wäre es nicht besser, ich würde das alles erst loswerden, wenn du wieder da bist?“

„Ian, bitte, ich muss gleich wieder arbeiten!“

Es fiel ihm schwer, so auf Kommando auch noch, doch er wusste, er hatte es einmal geschafft, so würde er die nächste Hürde auch nehmen: „Casey, ich kann dir eines versichern: Ich liebe dich und ich möchte, dass wir heiraten.“

„Ich wäre allein mit der Liebeserklärung für alle Zeiten zufrieden gewesen, ich hätte nie für möglich gehalten, dass du einen Heiratsantrag gleich noch hinterher schiebst. Muss ich gleich antworten? Oder gibst du mir ein wenig Bedenkzeit?“

“Keine Bedenkzeit, was Punkt eins anlangt, bei Punkt zwei will ich mal nicht so sein und hole mir die – hoffentlich positive – Antwort später ab.“

Jetzt war es an ihr, Luft zu holen: „Gut. Ian Struan Dunross, ich danke dir für deine so wunderbar spontane Liebeserklärung. Mein Herz schlägt bis zum Hals, so aufgeregt bin ich, fast wie ein Schulmädchen. Ich kann jetzt nachvollziehen, wie du dich gefühlt hast, es ist in der Tat nicht einfach, wenn man nur durch eine Überseeleitung miteinander verbunden ist. Aber genau das ist der springende Punkt. Hauptsache, man ist überhaupt verbunden. Und so ging es mir vom ersten Augenblick an, als ich dich persönlich kennen lernte. Ich war sofort hin und weg. Wie ich bereits gestern zu dir sagte, bist du einfach wunderbar. Und natürlich liebe ich dich auch! Sehr sogar. Und wenn ich nun noch ein paar Minuten weiter mit dir hier rede, vergesse ich meine Konferenz und gerate in Gefahr, auch gleich noch deinem Antrag zuzustimmen. Ich würde am liebsten sofort Ja sagen, aber ich glaube, damit ist keinem von uns gedient, diese Dinge müssen wohlüberlegt sein. Aber die Chancen stehen gut, dass meine Antwort wirklich Ja lautet. Wirst du mich noch einmal fragen, wenn ich wieder in Hongkong bin?“

„Hmh, du meinst so richtig offiziell, mit Ring in der Schatulle und Kniefall?“

„Das wäre natürlich traumhaft. Bekommst du das hin?“

Er lachte jetzt: „Keine Ahnung, ich müsste vielleicht dafür üben.“

“Gut, dann tu das, du hast noch sechsundzwanzig Tage dafür Zeit.“

„Fünfundzwanzig, hier ist bereits der 1. Dezember! Und Samstag, ich muss also nicht ins Büro heute.“

„Du Glücklicher. Du… Ian - ich bin froh, dass du es gesagt hast.“

„Ich auch.“

„Zurück zur Arbeit. Auf bald.“

„Ja, auf bald.“ Er legte auf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Dann stand er endgültig auf und ging unter die Dusche.

Der edle Vollbluthengst 'Noble Star" wird endlich wieder auf dem Happy Valley Racecourse Hongkongs bewegt

Es hatte ihn gestern auf der Rennbahn irgendwie inspiriert, den Pferden bei der Arbeit zuzusehen. So fuhr er nach dem Frühstück den selten benutzten Range Rover aus der Garage und machte sich mit diesem Wagen auf den Weg zu den Stallungen. Dort schaute er Tom Leung eine Weile zu, dieser schien bereits viel besser als am Vortag mit dem edlen Vollbluthengst Noble Star zurechtzukommen. Dann hängte er einen Pferdetransporter an den Geländewagen und ließ den Hannoveraner-Wallach Principal verladen. Dieser machte wie üblich ein paar Mätzchen beim Aufladen, als jedoch Ian dazu trat und einmal kurz beruhigend auf das Pferd einredete, ging er endlich brav auf den Hänger.

Mit dem Pferd und allem Zubehör fuhr er dann in Richtung chinesische Grenze. Die dicht besiedelten Stadtgebiete verschwanden allmählich. Als die Gegend ländlicher wurde, viele Chinesen mit einem Strohhut auf dem Kopf ihre Felder bestellten, hielt er an und zog sich die Reitstiefel über seine Jodhpur-Hose. Er klappte den Hänger auf und führte den Wallach runter. Nachdem dieser gesattelt und getrenst war, schwang er sich elegant auf den Rücken des Pferdes und ritt los. So wie heute war er schon ewig nicht mehr ausgeritten. Seine Pferde hatten normalerweise auch ohne ihn genug Bewegung, die Vollblüter im Rennbetrieb sowieso, aber auch die anderen Reitpferde wurden täglich von qualifiziertem Personal betreut und geritten.

Hannoveraner-Wallach 'Principal' endlich im Hänger!

Eine Stunde später verlud er den Wallach wieder. Ian Dunross fühlte sich jetzt richtig wohl. Der Ausritt in der klaren Luft hatte ihm total gut getan. Er nahm sich vor, dies von nun an wieder öfter zu tun. Er hatte immer Sport getrieben am Wochenende. Früher hatte er sogar ab und zu mal Polo gespielt, aber das war ihm einfach zu zeitaufwändig geworden. So war es in den letzten Jahren überwiegend Joggen und Golfen gewesen, seltener das Reiten. Und er schwamm meist viele Runden sonntags in seinem Pool auf dem Peak. Es machte sich bezahlt, einen guten körperlichen Ausgleich zur Büroarbeit zu haben. Für seine neununddreißig Jahre war er erstaunlich fit, kaum ein Gramm Fett zu viel, eine gut proportionierte Muskelmasse, nicht zu viel und nicht zu wenig. Er hatte stets eine charismatische Wirkung auf Dritte, wurde als attraktiv, gut aussehend, charmant, ja sogar teilweise als sexy bezeichnet.

Nachdem das Pferd wieder im Stall untergebracht war, zog er sich dort um, führte ein kurzes Telefongespräch und fuhr schnell ins Büro. Dort wartete Orlanda Ramos bereits auf ihn. Sie sah wesentlich besser als vor drei Tagen aus, wenngleich sie noch immer ziemlich bedrückt wirkte.

Er kam mit einem herzlichen Lächeln auf sie zu: „Orlanda, so gefallen Sie mir schon erheblich besser. Wie geht es Ihnen?“

“Nicht mehr ganz so entkräftet wie zu Anfang der Woche, aber sonderlich gut geht es mir immer noch nicht.“

„Das ist wohl verständlich. Nehmen Sie Platz.“ Er deutete auf die Sitzecke in seinem geräumigen Büro.

Sie kam der Aufforderung nach und setzte sich auf das Ledersofa: „Danke, Tai Pan. Ich kann Ihnen gar nicht genug danken für all das, was sie und ihr Büro und auch Casey für mich getan haben. Ich habe bereits gepackt, morgen früh geht mein Flug, gleich am Montag wird die Beisetzung sein.“

„Ich weiß. Ich wünsche Ihnen, dass Sie Kalifornien bald zu schätzen wissen und einen komplett neuen Anfang dort wagen können. Sie haben es wahrlich verdient. Und natürlich händige ich Ihnen nun die Urkunde aus.“

Er erhob sich, ging durch das Zimmer und öffnete den Safe in der Nähe seines Schreibtisches. Er zog den Umschlag mit den Papieren heraus, kam zurück zur Sitzgruppe und schob ihn über den Glastisch zu Orlanda hinüber. „Bitte.“

Sie nahm ihn an sich, zog die Urkunde aus dem Umschlag, schaute das Schriftstück mit großen Augen an und fing hemmungslos zu weinen an. Ian sah verunsichert auf die schöne Frau. Dann stand er aus seinem Sessel auf, ging um den Tisch herum und nahm sie wortlos in den Arm. Er tröstete sie: „Sch, sch, ist ja gut. Bitte nicht weinen. Morgen fängt ein neues, ein anderes Leben an. Und ich denke schon, dass Linc immer ein Teil Ihres Lebens sein wird.“

Sie blickte mit verquollenen Augen zu ihm auf: „So, wie Casey ein Teil Ihres Lebens ist?“

Er lächelte verhalten. Alle schienen es zu wissen, nur er war derjenige, der am längsten gebraucht hatte, um es zu kapieren: „Ja, genau so.“

Jetzt lächelte auch Orlanda: „Man hat es Ihnen angesehen, Tai Pan. Irgendwie.“

Er schüttelte den Kopf, ließ sie langsam los: „Ich hoffe, ich habe mich nicht zu sehr zum Narren gemacht.“

„Nein! Nicht zum Narren! Sie doch nicht! Es wurde Zeit für Sie, das Leben außerhalb des Noble House wieder wahrzunehmen und die Liebe kennen zu lernen. Die wahre Liebe.“

„Joss.“

„Ja, Joss. Tai Pan, ich werde mich nun verabschieden. Ich wünsche Ihnen für das Noble House weiterhin viel Erfolg, aber vor allem für Sie und Casey eine wunderschöne, gemeinsame Zukunft. Und tausend Dank für alles – Ian!“

Sie stand auf, klemmte den Umschlag unter den Arm, küsste ihn zart auf die Wange und ging ohne ein weiteres Wort zur Bürotür hinaus.

 






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