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Mittwoch, 28. November. Am nächsten Morgen stand er um sieben Uhr auf, wie immer. Das Frühstück nahm er in der Suite ein, dann checkte er aus. Hinter dem Steuer des Mercedes verschwand er Richtung Hafen.

 

Im Dschunkenhafen von Aberdeen

 

Dort setzte er mit einer Dschunke über und suchte einen zahnlosen Chinesen auf. Nach etlichem Feilschen und längeren Wortwechseln waren sie sich dann endlich einig geworden. Die Dschunke fuhr zurück zum Anleger, Ian Dunross zündete den Motor des Mercedes und fuhr ins Büro.

Claudia sagte wohlweislich nichts, als sie ihren Chef im gleichen Anzug wie am Vortag herein kommen sah: „Guten Morgen Tai Pan. Ich hoffe, dass Miss Tcholok Sie noch erreicht hat heute Nacht. Sie war doch ein wenig beunruhigt, als sie Sie zunächst nicht erreichen konnte. Ansonsten liegt nicht viel an, nur dass Mr. Hamilton-Pugmire gegen 11 Uhr eintreffen wird. Werden Sie in der Börse erwartet heute?“

Ian Dunross nickte: „Ja, da werde ich hinfahren, sobald die Verträge mit H.K. General Stores unterzeichnet sind. Und danke, dass Sie Miss Tcholok die Telefonnummer gegeben haben, sie hat mich dann gleich angerufen. Dann möchte ich Sie bitten, mir Phillip Chen her zu bestellen, es ist aber nichts Dringliches. Es wäre nur schön, wenn er heute noch Zeit für mich hätte. Bis nachher dann.“ Die Bürotür fiel hinter ihm ins Schloß.

Der Deal mit H.K. General Stores ging ganz glatt über die Bühne. Direkt nach dem Lunch fuhr Ian Dunross zur Börse. Ein sichtlich angeschlagener Quillan Gornt stand im Eingangsbereich und verließ sofort das Gebäude, als er Ian Dunross erblickte. Und sobald dieser im Innenraum sichtbar wurde, brandete unter den Maklern verhaltener Applaus auf. Ian Dunross nickte den Börsianern freundlich zu. Der Handel im Parkett war bereits in vollem Gange und die Struans-Aktie stand auf 32,50. Im Gesicht des Tai Pan machte sich ein winziges Lächeln breit. Das Noble House war eben das Noble House. Seit mehr als 150 Jahren.

Am späten Nachmittag erschien Phillip Chen. „Tai Pan, Sie haben mich rufen lassen? Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

Ian Dunross ging einige Schritte auf seinen früheren Komprador zu: „Phillip, ich hoffe, Sie haben ein wenig ausspannen können, auch wenn man in Hongkong sicher nur selten dazu kommt, besonders bei den vielen Ereignissen der letzten Tage. Phillip, ich habe heute Morgen eine Urkunde angefordert, allerdings nichts Offizielles, aber ich denke, Sie sollten darüber informiert sein, da Sie manche geheimnisvollen Wege und Quellen eventuell noch besser kennen als ich. Diese Urkunde wird – natürlich – eine Fälschung sein. Es handelt sich dabei um eine Heiratsurkunde, die besagt, dass Lincoln Bartlett und Orlanda Ramos verheiratet waren. Als Trauzeugen werden Miss Tcholok und ich angegeben sein. Casey, also Miss Tcholok, möchte Orlanda mit dieser Urkunde in den USA eine neue, sorgenfreie Existenz ermöglichen. Da die Urkunde eventuell aber einer Überprüfung durch die Firmenanwälte von Par-Con standhalten muss, sollten wir auf alle Fälle auf Nummer Sicher gehen. Deswegen meine Frage, ob Sie noch einen Tipp für mich diesbezüglich haben.“

Phillip Chen sah sein Gegenüber leicht unsicher an: „Sie wissen aber schon, dass dies die Grenze der Legalität überschreitet, Tai Pan?“

„Natürlich weiß ich das! Aber anders ist das Problem ja wohl kaum zu lösen, oder?“

Phillip Chen nickte zögerlich: „Ich denke, dass Sie sicher den richtigen Weg bereits eingeschlagen haben. Aber ich kenne jemanden, der echte Stempel des Gouverneurs besorgen könnte und auch eine richtige Heiratsurkunde als Vorlage. Da weder Mr. Bartlett noch Miss Ramos Hongkong-Bürger sind, sondern Ausländer hier, darf man natürlich keine chinesische Urkunde verwenden.“

Ian Dunross runzelte ein wenig die Stirn, dann sagte er: „Danke Phillip, das ist im Prinzip genau das, was ich von Ihnen erhofft hatte. Ich bin nur noch nicht ganz von dem Umstand überzeugt, dass vorgetäuscht werden muss, die Eheschließung sei vom Gouverneur persönlich genehmigt oder gar durchgeführt worden. Da sehe ich die Schwachstelle des Ganzen. Was, wenn jemand von Par-Con das beim Gouverneur überprüft? Das Risiko können wir nicht eingehen“

„Die amerikanische Botschaft scheidet somit auch aus. Und wenn die portugiesische Botschaft (Anm.: Orlanda Ramos ist Halbportugiesin) die ausstellende Behörde war? Meinen Sie, dass Par-Con das auch überprüfen lassen würde?“

„Scheint die einzige Möglichkeit, die uns noch bleibt. Ja, ich denke, darauf werde ich die Urkunde basieren lassen. Danke.“

Auch das Telefongespräch mit Lando Mata verlief zufrieden stellend. Lando hatte ihn, wie vereinbart, am Mittag angerufen, aber erst war Ian zum Lunch gewesen und dann an der Börse. Also fand das Gespräch erst am Nachmittag statt. Lando war einverstanden, Paul Choy an die Spitze des Syndikats zu bestellen. Allerdings wollte er dies zunächst auf die Dauer eines Jahres befristen. Danach sollte neu verhandelt werden. Ian Dunross musste zwischendrin Rücksprache mit Paul Choy halten, der aber mit den Konditionen Matas einverstanden war. Damit hatte sich auch dieser Fall erledigt, die Münze war vollkommen ausgelöst. Sobald er den Hörer aufgelegt hatte, griff Ian zur Familienbibel, wo sich in einem besonderen Teil die Münzhälften befanden und schrieb zu der von Paul Choy überreichten dazu: Paul Choy, alle Forderungen vollständig erfüllt, Hongkong, 28.November 1988, gez. Ian Struan Dunross.

Bevor Ian Dunross vom Büro nach Hause fuhr, machte er einen kurzen Umweg über das Intercontinental Hotel, in welchem Quillan Gornt nach dem Unglück Orlanda untergebracht hatte. Er klopfte leise an ihre Zimmertür. Er war sichtlich erschrocken, als ihm eine zusammengesunkene, völlig ungeschminkte Orlanda die Tür öffnete. Ihre strahlende Schönheit von einst schien völlig erloschen. „Tai Pan, danke, dass Sie mich besuchen kommen.“

„Hallo Orlanda. Wie geht es Ihnen?“

Sie zuckte achtlos mit den Schultern: „Wie Sie wahrscheinlich sehen, nicht sonderlich gut. Ich habe dieses Zimmer seit der schrecklichen Nacht nicht mehr verlassen, ich kann mich einfach zu nichts aufraffen.“ Sie fing leise zu weinen an.

Er nahm seinen Arm um ihre Schulter: „Nicht doch. Ich kann gut verstehen, dass Sie sich so furchtbar fühlen. Aber Sie müssen jetzt nach vorne schauen, das ist ganz wichtig. Ich habe Nachricht von Casey. Ich soll Ihnen vor allem liebe Grüße von ihr ausrichten. Sie ist gut in Kalifornien angekommen und… ähm… die sterblichen Überreste von Linc natürlich auch. Nein, nicht weinen Orlanda, bitte. Hören Sie, Casey hatte eine ganz wundervolle Idee, die ich nur unterstützen kann, deswegen seien Sie uns nicht böse, dass wir die entsprechenden Maßnahmen bereits in die Wege geleitet haben, ohne Sie vorher darüber zu informieren. Casey hat den Par-Con Vizepräsidenten bei der Landung in Los Angeles erzählt, dass Linc und Sie, Orlanda, kurz entschlossen hier geheiratet hätten. Nun bin ich dabei, eine entsprechende Urkunde zu besorgen, auf chinesische Art, wie Sie sich denken können. Sie gelten also ab sofort als Linc Bartletts Witwe. Glauben Sie mir, es hört sich zwar ziemlich konstruiert an, ich weiß, aber es ist nur zu Ihrem Vorteil. Sie haben dadurch die Möglichkeit, nach Los Angeles zu reisen, können dort auf Lebenszeit in Lincs Haus wohnen und sich in aller Ruhe nach einem geeigneten Job umsehen. Bitte, bevor Sie dies alles in einem ersten unüberlegten Impuls ablehnen, denken Sie erst einmal ein oder zwei Tage darüber nach. Versprechen Sie mir das, Orlanda?“

Sie nickte unter Tränen: „Ja, Tai Pan, es ist wirklich rührend, dass Sie alle um mich bemüht sind, aber… ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann.“

„Unsinn, Orlanda. Ich bin überzeugt, dass Ihnen dort ganz neue Wege offen stehen, Sie sollten diese Chance unbedingt wahrnehmen.“

Orlanda sank müde auf das Bett: „Danke, Tai Pan. Ich bin Ihnen und Casey sehr dankbar. Ich werde darüber nachdenken. Geben Sir mir nur noch ein klein wenig Zeit, in mir ist alles noch so furchtbar durcheinander.“

„Selbstverständlich Orlanda. Wann darf ich Sie wieder besuchen?“

Sie versuchte sich in einem zittrigen Lächeln: „Ich rufe Sie an, ja?“

„Gut. Erholen Sie sich ein wenig. Auf bald.“ Damit verließ er Orlanda Ramos.

Der Mercedes 560 SEC des Tai Pan

Nachlässig warf Ian Dunross die Mercedes-Schlüssel auf das Tablett in der Halle. Er zerrte seine Krawatte unter dem Kragen heraus und öffnete die oberen Hemdknöpfe. In den weiträumigen Wohnräumen angekommen, nahm er ein Bild im Silberrahmen von einer Kommode und schaute es an: Penelope. Eine englische Rose. Blasshäutig, leicht sommersprossig, was sie immer ein wenig geärgert hatte, weil sie gerne einen makellosen Teint gehabt hätte. Die Augen von einem ebenfalls ganz blassen, wässrigen Blau. Sie blickten glanzlos auf dem Bild. Ihre Haare, hellbraun, natürlich stets nach der letzten Mode geschnitten und dauergewellt, was absolut in gewesen war vor ungefähr zehn Jahren. Auf gewisse Art war sie schön gewesen, ja. Aber nicht attraktiv, nicht aufregend, nicht geheimnisvoll, nicht gewitzt, nicht sinnlich, nicht leidenschaftlich. Nicht wie Casey. Er stellte das Bild wieder an seinen Platz zurück. Er würde Casey beim nächsten Telefonat bitten, ihm ein Bild von ihr zu schicken. Damit er sie wenigstens ab und zu ansehen konnte. Groß, sehr schlank, mit wundervollen Beinen. Die halblangen blonden Haare, ein wenig dünn zwar, aber zumindest nicht künstlich durch eine Dauerwelle aufgebauscht, etwas, was ihm seit Penelopes Zeiten irgendwie noch immer zuwider war. Die großen, blauen Augen, die ihn so zweifelnd angeschaut hatten bei ihrem ersten Zusammentreffen im Aufzug. Die ihn feurig angeblickt hatten, als sie die Nacht gemeinsam in Macao verbracht hatten.

Mit einem Seufzer ließ er sich auf eines der cremeweißen Designersofas sinken. Eine einzige Nacht. Es war ihm mittlerweile viel zu wenig. Er musste sich eingestehen, dass er Casey vermisste. Auch körperlich, ja, aber nicht nur das, ihr Lachen, ihre Geschäftstüchtigkeit, ihre schnelle Auffassungsgabe, ihre Spontaneität, all das faszinierte ihn an ihr. Ian Dunross ließ seinen Kopf hinten auf die Rückenlehne des Sofas sinken und schloss die Augen. Großer Gott, ja er war verliebt!

 






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