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Story Notes:

 

DISCLAIMER

Diese Geschichte ist frei erfunden und hat keinerlei Bezug zum wirklichen Leben der darin beschriebenen Personen.

Die Personen gehören sich selbst, ausser denen, die von der Autorin erfunden / geschaffen wurden.

Die von der Autorin selbst erschaffenen Charaktere und die Handlung der Geschichte sind Eigentum der Autorin.

Vorsätzliche Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte sind nicht beabsichtigt.

© Doris Schneider-Coutandin 2007

 




 

Er blickte aufseufzend in den bleigrauen Himmel und nahm die regendichte Wachsjacke vom Haken, um sie sich überzuwerfen, bevor er das Cottage verließ. Zwei Jahre lang hatte er jeweils mehrere Monate in Ungarn verbracht, dort gearbeitet, eine Serie gedreht. Jedes Mal war er fast umgekommen in der Gluthitze Budapests. Ganz zu schweigen von den Moskitos, die es wirklich auf ihn abgesehen hatten. Tausend Stiche waren wohl noch eine Untertreibung. In Myriaden hatten sie auf ihn eingestochen.

Die Windböe, die um die Ecke des Hauses fegte, ließ ihn frösteln. Und das mitten im August! Der Temperaturunterschied zu Ungarn musste wohl fünfundzwanzig Grad oder mehr betragen. Die vierzig Grad, die man dort zeitweise im Schatten hatte messen können, gab es hier nie. Und heute hatte es allenfalls zehn Grad oder weniger. Er blickte auf, ließ seine lichtblauen Augen über die weitläufige Landschaft schweifen. Berggipfel, Heide, Bachläufe. Highlands eben.

Er hatte definitiv diese Auszeit gebraucht. Und er hatte sich absichtlich nach Schottland verzogen.
Der Nieselregen kam nun direkt von vorne, sein Gesicht war schon nass davon. Es war ungewohnt, machte ihm aber nichts aus. Irgendwie genoss er das schlechte Wetter sogar.

Wie würde es mit seinem Leben weitergehen? Er hatte dringend das Gefühl gehabt, in aller Ruhe über diese Frage nachdenken zu müssen. An einem möglichst abgelegenen Ort. Er hatte einen Koffer gepackt, sich in den Zug gesetzt und war schließlich hier gelandet. Das Cottage hatte man ihm im Ort, weiter unten am Glen, vermittelt. Es war recht einfach eingerichtet, hatte aber alles, was er benötigte. Die Vermieterin hatte ihm sogar ein Mountainbike geliehen, damit er nicht den langen Weg zum Dorf laufen musste, um beispielsweise Besorgungen zu machen. Es machte Spaß, mit diesem Rad über die unebenen Wege zu brettern und sich ein wenig körperlich auszutoben wenn man dann irgendwann wieder bergauf radeln musste. Die Lebensmittel transportierte er in einem Rucksack mit nach oben.

Außerdem hatte er nicht widerstehen können, eine Flasche exzellenten Whiskys in der örtlichen Destille zu erstehen. Eigentlich war er kein großer Whiskytrinker, aber der Tropfen war wirklich ausgezeichnet.
Der Blick vom Cottage über die Highlands war traumhaft schön. Bei gutem Wetter konnte man hier Sonnenuntergänge erleben, die ihresgleichen wahrscheinlich suchten. Nur – das Wetter war bislang kaum gut gewesen. Seit er hier war, war Dauerregen angesagt. Es hatte nur einen schönen Tag gegeben, gleich bei seiner Ankunft. Dann waren Wolken aufgezogen und die Schlechtwetterfront hielt sich hartnäckig hier oben.

In London hatte man mit Unverständnis auf sein Ansinnen, einige Zeit in Schottland verbringen zu wollen, reagiert: Was, in die Einöde fährst du? Und ganz allein? Hast du einen Knall?
Aber er hatte sich von seinem Plan nicht abbringen lassen. Irgendwie war ihm die Metropole mit ihrem rasenden Puls plötzlich mächtig auf den Zeiger gegangen. Er hatte nur noch raus gewollt. Vor allen Dingen hatte er einmal einige wenige Tage ohne Terminkalender und – ganz wichtig – ohne Handy und Laptop leben wollen. Er war sogar neugierig gewesen, ob dies überhaupt möglich war. Und daher hatte er mit voller Absicht diese modernen Kommunikationsgeräte in der Stadt gelassen.

Er blieb stehen und atmete tief die würzige, feuchte Luft ein. Mensch, das tat gut! Den dritten Tag war er nun hier. Das Cottage verfügte zwar über Strom, hatte aber keinen Fernseher. Ein altes Kofferradio war wohl da, aber er hatte noch nicht ein Mal das Bedürfnis verspürt, Nachrichten zu hören oder Musik laufen zu lassen. Abends hatte er es sich am Kamin mit einem Buch bequem gemacht und wenn er partout etwas von der Außenwelt hören wollte, konnte er sich im Ort eine Zeitung kaufen.

Den ersten Nachmittag hatte er fast ausschließlich damit verbracht, Feuerholz zu spalten. Die ungewöhnliche Betätigung hatte ihm zwar gut getan, aber es waren doch ungewohnte Bewegungsabläufe und der harte körperliche Einsatz hatte ihm einen ordentlichen Muskelkater beschert. Als er am Morgen danach hatte aufstehen wollen, war das nur unter erheblichem Aufwand und mit einigem Gestöhne möglich gewesen.
Aber eine Tour mit dem Rad bergauf und bergab hatte dies dann irgendwie wieder ausgeglichen.

Bei Regen war es nicht so angenehm mit dem Rad, daher war er nun lieber zu Fuß nach draußen gegangen. Ins Ort musste er nicht, er hatte noch genügend Vorrat an Lebensmitteln und Getränken. Er hatte also kein bestimmtes Ziel für seinen Fußmarsch und stapfte einfach drauf los. Er kam gedanklich wieder zu dem Punkt, an welchem er am Vorabend vor dem Kaminfeuer aufgehört hatte nachzudenken, weil er rechtschaffen müde gewesen und mit schweren Augenlidern (nun ja, er hatte den Whisky probiert!) ins Bett gesunken war.

Er war nun siebenunddreißig Jahre alt, um genau zu sein, würde er am morgigen Tag diese Zahl erreichen. Seine Familie hatte ihn ebenfalls nur ungläubig angestarrt, als er hatte verlauten lassen, dass er seinen Geburtstag alleine in Schottland zu verbringen gedachte. Zwar war er nicht immer zu Hause gewesen an seinem Wiegenfest, oftmals hatte er diesen Tag an einem Filmset verbracht, doch immer hatte es eine Feier gegeben. Ob mit Familie oder Kollegen, es war stets eine mehr oder weniger große Party im Gange gewesen.

Er war bekannt, er war beliebt. Er hatte eine unglaublich große und aktive Fangemeinde um sich geschart. Für die er sein Leben lang dankbar war. Aber – ihm fehlte etwas. Und um über dieses „Etwas“ nachzudenken war er hier. Und die ersten Gedanken, die er sich darüber gemacht hatte, waren ihm fast unheimlich vorgekommen.
Es hatte ihn nämlich die Erkenntnis durchzuckt, dass er trotz aller Beliebtheit, trotz Familie und Freunden, einsam war. Nicht wegen der Einöde, in der er sich momentan in Schottland befand. Nein, bei der Arbeit, in der Stadt, im privaten Leben. Es war ihm komisch vorgekommen, da er doch fast ständig von vielen Leuten umringt war. Die ihm durchaus auch viel bedeuteten. Wie seine Eltern zum Beispiel. Oder einige seiner Kollegen, mit denen ihn eine gute und dauerhafte Freundschaft verband. Seine unzähligen Fanorganisationen nicht zu vergessen, die treu und fest zu ihm standen.

Er verstand sich selbst nicht mehr. War er undankbar? Das Leben hatte es doch wahrlich gut mit ihm gemeint, oder? Er war zwar er kein Megastar, aber doch so berühmt, dass es mitunter schon ein bisschen zu viel des Guten wurde. Nicht, dass er sich darüber beschwert hätte, nein, er wusste schließlich, was er seinem Publikum schuldig war.
Er hatte keine Geldsorgen, wenn er ein neues Auto hätte haben wollen, hätte er es sich ohne weiteres kaufen können. Aber es nagte in letzter Zeit vermehrt ein Gefühl der Unzufriedenheit an ihm. Das machte ihm zu schaffen, denn so etwas kannte er sonst gar nicht von sich.

Und je mehr er sich den Kopf darüber zerbrach, desto weniger kam er zu einem brauchbaren Ergebnis.
Deshalb hatte er beschlossen, einfach nicht mehr so viel zu grübeln, die Gegend, den Aufenthalt hier richtig zu genießen und frisch und ausgeruht wieder zurückzukehren.

Er schritt zügig aus und hatte den Bergkamm endlich erreicht. Der Wind pfiff und der Nieselregen erreichte dadurch die Intensität von feinen Nadelstichen in seinem Gesicht. Er drehte sich um, damit ihn dies nicht so beeinträchtigte und ließ seinen Blick einen Moment lang schweifen. Viel sah man nicht, die Wolken hingen tief und der Wind trieb sie in schweren grauen Fetzen zwischen den Gipfeln entlang. Die Szenerie hatte fast etwas Gespenstisches.

Er sog wiederum die klare Luft ein und machte kehrt. Der Wind wurde heftiger und böiger, einmal musste er sogar an einem Baumstamm Halt suchen, damit er nicht umgeblasen wurde. Als das Cottage in der Ferne zu sehen war, war er regelrecht froh. Durchgefroren war er auch und die Kleidung war feucht und klamm an allen möglichen und unmöglichen Stellen.

Als er den letzten Anstieg absolviert hatte und die Hütte erneut in Sicht kam, stutzte er. Unter dem kleinen Vordach an der Tür stand eine Person!
Er beschleunigte seine Schritte und sah beim Näherkommen, dass es sich um eine Frau handelte. Genaueres war erst einmal nicht auszumachen, da nun auch die Dämmerung bereits hereinbrach.

Als er die Stufen vor dem Haus hochging, sprach er sie an: „Meine Güte, was machen Sie denn bei dem Mistwetter hier? Haben Sie sich verlaufen?“
Die Frau hob den Kopf, der unter einer weiten Kapuze verborgen war und blickte ihn mit großen bernsteinfarbenen Augen an: „Puh, wenn Sie jetzt nicht gekommen wären, wäre ich wahrscheinlich erfroren.“
Er lächelte und schloss die Haustür auf: „Na, dann kommen Sie mal ganz schnell rein. Ich mache sofort Feuer im Kamin. Übrigens – so schnell erfriert man nicht. Es ist schließlich Sommer.“
„Das habe ich auch gedacht“, antwortete die Unbekannte, während sie ihm in den engen Flur folgte, „aber so mieses Wetter hatte ich hier noch nie.“

Er hatte sich gerade seiner Jacke entledigt und fragte nach: „Sie sind also öfter hier?“
Sie nickte und machte wieder einen Schritt auf die Ausgangstür zu: „Bevor ich es vergesse“, sie trat kurz nach draußen und holte ein in Zeitungspapier gewickeltes Päckchen nicht unerheblichen Ausmaßes herein, „sonst weicht das Papier auf und die wilden Tiere machen sich heute Nacht über das Ganze her.“
Er blickte leicht irritiert auf das eingewickelte Gut: „Was ist das?“
Sie lächelte, während sie sich die Jacke auszog: „Raten Sie mal!“

Er zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung. Aber wenn Sie sagen, dass wilde Tiere es als essbar ansehen, würde ich sagen, es muss etwas Essbares sein.“
„Schlaumeier“, antwortete sie schlagfertig.
Sie war ihm inzwischen in die Stube gefolgt, wo er sich am Kamin zu schaffen machte.
In Windeseile hatte er das Feuer entfacht und der Schein der Flammen erhellte den im Halbdunkel liegenden Raum.
Er drehte den Lichtschalter an und sah seinen Gast zum ersten Mal richtig an.

Eine Frau von etwa dreißig Jahren, bekleidet mit Gummistiefeln, einer alten Cordhose und einem grob gestrickten Pullover, stand vor ihm. Ihre braunen Haare waren kraus von der Feuchtigkeit. Sie hielt noch immer das längliche Päckchen auf beiden Händen vor sich hingestreckt, fast als wäre es Meißner Porzellan.

Das Feuer fing an, eine behagliche Wärme zu verbreiten. Draußen heulte der Wind ums Hauseck.
Er machte einen Schritt auf die Frau zu und stellte sich vor: „Also, ich bin Richard. Ich verbringe ein paar Tage Urlaub hier.“
Er wollte ihre Hand ergreifen und schütteln, aber das sperrige Etwas auf ihren Armen war im Weg und fing überdies an, rechts und links aus dem Zeitungspapier zu tropfen, das langsam aufweichte.

„Gut. Was ist da drinnen?“ Seine Frage klang härter als beabsichtigt.
Sie antwortete mit einer Gegenfrage, ohne auf seine Vorstellung zu reagieren: „Gibt es hier eine Küche?“
Er dachte allen Ernstes für einen Moment, er habe es mit einer Verrückten zu tun, aber er antwortete ruhig: „Na ja, eine Küche ist es nicht gerade, aber eine Kochecke. Genügt das?“
Sie nickte abermals und folgte ihm durch den Raum. Er bog um eine Ecke und deutete auf die spartanisch ausgestattete Küchenzeile: Ein Gasherd, ein Spülstein, ein wackeliger Tisch, ein altersschwaches Schränkchen.

Sie legte das Paket auf dem Tisch ab, wischte sich die Hände ohne viel Aufhebens an ihrer Cordhose ab und reichte ihm ihre rechte: „Angenehm, Siobhan.“
Er zog die Nase kraus. Was war das für ein Geruch? Es war ihm erst aufgefallen, als sie ihm ihre Hand gegeben hatte. Er streckte voller Ahnung seinen Arm aus und wickelte das Zeitungspapier auf.
Ein Lachs! Und was für ein Prachtexemplar! Daher roch hier alles so… so – fischig.

Fast hätte er angefangen zu lachen, doch er beherrschte sich. Stattdessen fragte er: „Haben Sie den selbst gefangen?“
Und als sie beiläufig nickte, fügte er hinzu: „Respekt!“

Der Regen wurde stärker und prasselte gegen die Fensterscheiben. Eines war klar: Heute würde man das Cottage nicht mehr verlassen können. Er stellte sich darauf ein, die Frau, die sich ihm als Siobhan vorgestellt hatte, für diese Nacht beherbergen zu müssen. Inzwischen war es vollkommen dunkel geworden.

„Sie werden wohl hier bleiben müssen“. Er deutete auf die regennassen Fensterscheiben. Sie nickte abermals und zog kurzerhand, wie zum Signal, ihre Gummistiefel aus.
„Hast du ein paar dicke Socken für mich?“ Ganz selbstverständlich war sie zum ‚Du’ übergegangen.
Er schluckte nervös: „Ähm, ja klar, ich suche Ihnen… dir welche.“ Damit nahm er regelrecht Reißaus.

Als er nur zwei Minuten später zurückkehrte, traute er seinen Augen nicht: Sie war gerade fröhlich pfeifend dabei, den Fisch auszunehmen. Er war gewiss nicht zimperlich, aber der Anblick des ganzen Blutes, der Innereien und Fischgedärme drehte ihm regelrecht den Magen um. Leicht hilflos hielt er ihr ein paar Norwegersocken hin.

„Was… was machst du da?“
„Sieht man das nicht? Ich bereite den Fisch zu.“
„Wozu?“
Keine Antwort. Sie nahm ihm die Socken aus der Hand, ohne sich die Hände abzuwischen, und streifte sie sich sogleich über die Füße. Dann hantierte sie wieder mit einem scharfen Messer und schuppte den Lachs ab. Die silbernen Schüppchen flogen wie kleine Funken durch den Raum, um in hohem Bogen exakt im Spülstein zu landen.

Noch verblüffter war er, als sie ihre nächste Frage stellte: „Hast du Whisky im Haus?“
Er nickte verdattert: „Ja, wozu…“.
Sie ließ ihn gar nicht erst ausreden: „Gut, brauche ich. Am besten gleich.“
Er schoss wortlos davon, um die Whiskyflasche zu holen.

Im Wohnraum lehnte er sich an den Kaminsims und atmete einmal tief durch. Bei Gott, was war das denn für Eine? Sie fing einen fetten Lachs, stiefelte bei Wind und Wetter alleine in den Highlands herum und hatte eine Art und einen Ton drauf wie ein altgedienter Kavallerieoffizier. Und nun war sie bei ihm im Cottage, kochte (!) und konnte wegen des Sturms nicht weiter. Er schloss für eine Sekunde die Augen, dann fiel sein Blick auf die Whiskyflasche und er beeilte sich, diese in die Küche zu schaffen.

Sie hatte den Fisch inzwischen fachmännisch für die Röhre fertig gemacht. Sie zündete das Gas im Ofen an, träufelte etwas Whisky in das Fischinnere, bevor sie den Lachs mit geübter Geste zuklappte und mit dem Blech in den Herd schob.
„Lass den Whisky hier, den brauche ich nachher noch.“
Er nickte stumm und blieb unsicher an der Ecke stehen.
Sie beachtete ihn eine ganze Weile nicht, während sie die Fischabfälle sorgfältig in das Zeitungspapier wickelte. Dann eine weitere Frage: „Was soll es zum Fisch geben?“

Er war zu keiner normalen Reaktion fähig: „Wie?“
Sie stemmte die Hände in die Hüften: „Als Beilage? Was hast du im Haus?“
Er fing tatsächlich an, zu stottern: „Ähm, ähm… weiß nicht… muss ich nachsehen.“
Sie warf ihm einen Blick zu, als würde sie ihn für geistig minderbemittelt halten: „Dann tu das.“
Er wühlte im Flur in der Holzkiste mit den Vorräten. Ein Päckchen Reis kam zum Vorschein. Puh, Glück!

Mit einem triumphierenden Lächeln kehrte er zu Siobhan in die Küche zurück. Sie nahm ihm ohne Kommentar den Reis ab und machte sich an die weiteren Vorbereitungen. Er kam sich wie ein Idiot vor.
„Wenn das Essen fertig ist, rufe ich dich. Gibt es hier Musik?“
Die Sache wurde ihm immer suspekter: „Ein kleines Radio, ja.“
„Mach’ es an und suche einen gescheiten Sender, wenn’s geht.“

Das Radio rauschte und es klang Popmusik durch das Cottage.
„Bist du wahnsinnig? Gibt es keine ordentliche Musik?“
„Sag’ mir, was in deinen Ohren ordentliche Musik ist!“
„Mozart?“
Langsam fand er seine Sprache wieder, außerdem machte ihm die Konversation zunehmend Spaß: „Ah, ich werde mich bemühen, einen entsprechenden Sender zu finden.“

Endlich kam etwas Klassisches über den Äther. Ein Cellokonzert! Von Bach, aber der da spielte, war eindeutig Pablo Casals, der berühmte katalanische Cellist.
Er setzte gerade zum Sprechen an: „Es ist zwar nicht Mozart, aber…“ doch sie funkte sofort dazwischen: „... dafür ist es Bach, und zwar die vierte Suite Es-Dur für Solo-Violoncello. Meisterhaft dargeboten von Pau Casals. Er ist gerade bei der Sarabande.“
Richard fuhr sich nervös durch die Haare und ließ sich überrascht in den Sessel fallen. Sein Gast war ihm fast unheimlich.

Nachdem Casals sich noch durch die Gigue gespielt hatte, war das Cellokonzert zu Ende. Der Sprecher sagte ein Stück von Tschaikowski an. Es roch inzwischen unglaublich gut nach gebratenem Fisch, Richard merkte nun erst, wie hungrig er eigentlich war.
Er nahm sein Buch zur Hand und fand es plötzlich das Normalste der Welt, hier im sturmumtosten Cottage am Feuer zu sitzen, gute Musik zu hören, ein tolles Buch zu lesen, in Vorfreude auf ein köstliches Abendessen, mit einem guten Tropfen Wein… herrje, Wein! Er schnellte hoch und kramte abermals in der Kiste im Flur. Mit einer Flasche Grauburgunder in der Hand kehrte er in den Wohnraum zurück. Er entkorkte die Flasche und schnupperte daran. Lecker!

Gerade als er im Begriff war, sich ein Glas einzuschenken, kam Siobhan lautlos, da auf Socken, hinzu. Beinahe hätte er vor Schreck das Glas fallengelassen. Es war ohnehin nur ein Whiskyglas, Weingläser konnte man in diesem Cottage nicht erwarten, aber trotzdem wäre es hin gewesen.
„Schenkst du mir auch ein Glas ein? Der Fisch dauert noch ein Weilchen.“
Seine Hand zitterte leicht, als er ihr das gefüllte Glas reichte.

Eine knappe halbe Stunde später staunte er abermals nicht schlecht. Sie holte den Fisch aus dem Backofen und flambierte ihn großzügig mit Whisky. Einfach so, als wäre man in einem exklusiven Sterne-Restaurant. Dann wurde aufgetischt. Sie hatte den Reis mit einem Glas Erbsen vermischt und aus dem Bratensaft, Weißwein, einem Hauch Whisky und Mehl, das sie im Schrank gefunden hatte, eine Soße gezaubert. Niemals zuvor hatte er einen vorzüglicheren Lachs gegessen.

Er war tief beeindruckt. Nicht nur von ihren Kochkünsten. Die Unterhaltung lief plötzlich wie von selbst, sie lachten beide viel und entdeckten mehr als nur eine Gemeinsamkeit. Sie war schön, natürlich, gebildet und irgendwie völlig anders als die meisten Frauen.

Die Weinflasche war leer. Golden schimmernd stand die Whiskyflasche vor ihnen. Sie hatten sie beide noch nicht angerührt, abgesehen von dem, was an den Fisch und die Soße gekommen war. Doch nun schenkte er ihr ein. Sie nippte an der aromatischen Flüssigkeit, blickte Richard an und sagte schlicht: „Du trägst mich doch ins Bett, oder?“

Er lächelte und nickte. Dann räusperte er sich kurz, zog Siobhan an seine Brust und senkte seine warmen Lippen auf ihre. Die Uhr schlug Mitternacht, sein Geburtstag! War seine Suche zu Ende? Er wusste es nicht, aber er hoffte es. Inständig!




Ende
doris anglophil ist Autor von 80 anderen Geschichten.

Diese Geschichte ist Teil der Serie Challenge 2 - Thema Urlaub. Die vorige Geschichte in dieser Serie ist Die Insel. Die nächste Geschichte in dieser Serie ist Traum oder Wirklichkeit? .


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