Er fragte sich, warum im deutschen TV dauernd ein total nerviger Klingelton gesendet wurde. Störte das die Zuschauer denn nicht?
Entsetzt schlug er die Augen auf und merkte, dass es sein Telefon war, das da schrillte. Großer Gott, war er etwa doch eingeschlafen? Etwas benommen nahm er den Hörer ab: „Ja?“
Der Concierge meldete sich: „Hier unten wartet eine Verabredung von Ihnen, ist das richtig?“
Oh Shit verfluchter, er hatte den Termin verpennt! Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es eine Viertelstunde über der Zeit war. Sein Mund war total trocken, er musste sich räuspern, bevor er antworten konnte: „Ja, ja, das ist richtig. Ich war eigentlich in der Hotelhalle verabredet, aber ich… ähm, ich bin leider anderweitig aufgehalten worden.“
„Wie lange brauchen Sie, um herunter zu kommen, Sir?“
Er blickte an sich herab, bis auf den Slip war er völlig nackt, außerdem bestimmt völlig verwuschelt und ganz und gar nicht präsentabel. Jedenfalls nicht genügend, um sich in der Hotelhalle einer Luxusherberge den neugierigen Blicken von hunderten von Leuten auszusetzen. Er überlegte keine Sekunde länger und sprach ins Telefon: „Nein, lassen Sie den Besucher nach oben zu mir kommen, das wäre mir wesentlich lieber. Geben Sie meine Zimmernummer bekannt und schicken Sie den Herrn dann nach oben. Danke.“
Der Concierge blieb einen Moment ruhig, wollte offensichtlich noch etwas anmerken, sagte dann aber mit Haltung: „Selbstverständlich, ich werde das alles sogleich veranlassen, danke Sir!“ Damit war das Gespräch beendet.
Er sprang mit einem Riesensatz aus dem Bett, kramte seine Jeans aus dem Koffer, ein T-Shirt folgte der Hose, er zerrte es sich über den Kopf, dann noch ein Hemd. Er konnte gerade noch seine Brille aufsetzen und die wichtigsten Knöpfe schließen, als es bereits an der Tür klopfte. Keine Zeit mehr für Frisurstyling, er konnte den Gast nicht noch länger warten lassen. Ein kurzer, flüchtiger Blick auf die Unterlagen von Chris offenbarte ihm einen für seine Begriffe typisch deutschen Männernamen. Okay, er war bereit. Mit Schwung öffnete er die Tür und erstarrte augenblicklich. Sein erster Reflex war, die Tür sofort wieder zu schließen und nie mehr wieder zu öffnen. Aber den konnte er gerade noch so unterdrücken. Ungekämmt und verwuschelt wie er war, stand er mit schreckensweit aufgerissenen Augen vor einer Frau!
Diese ließ keinerlei Reaktion erkennen, weder lächelte sie, noch sah sie sonderlich schockiert aus. Sie war mindestens zwei Köpfe kleiner als er, deutlich älter, er schätzte, dass etwa zehn Jahre dazwischen liegen müssten. Das Bemerkenswerteste jedoch waren ihre sehr langen, feuerroten Haare, die von einem platinblonden Pony umrahmt wurden. Und sie trug eine Brille, ebenso wie er. Die Sekunden verrannen, das Schweigen begann langsam peinlich zu werden.
Stotternd setzte er an: „Ähm… ich... also, ich hatte eigentlich einen Mann erwartet.“ Blöder Satz, aber besser als nichts.
Die Frau musterte ihn noch immer stumm, dann zog sich einer ihrer Mundwinkel ansatzweise zu einem Lächeln hoch und sie gab schlagfertig zurück: „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie einer von der Sorte sind!“
Er war total perplex, im ersten Moment war er zu keiner Reaktion fähig. Dann aber holte ihn sein britischer Humor gnadenlos ein, er konnte das Lachen einfach nicht mehr unterdrücken. Er lachte lauthals los, bedeutete ihr zwischen zwei Glucksern mit einer Geste, ins Zimmer einzutreten.
Während er die Tür schloss, fing er sich wieder ein klein wenig und war endlich fähig, zu sprechen: „Sie müssen entschuldigen, und zwar eine ganze Menge, fürchte ich. Erstens, dass ich Sie beinahe versetzt habe, dass ich Sie habe warten lassen. Zweitens, dass ich mich offensichtlich total uninformiert auf den Termin eingelassen habe, alles was mir mitgeteilt wurde, steht auf diesem Blatt hier. Drittens, Sie verzeihen sicher, dass ich so sehr gelacht habe eben, aber Ihr Konter war einfach zu köstlich. Sie sind anscheinend sehr schlagfertig, Kompliment. Und viertens muss ich mich für meinen ungebührlichen Aufzug entschuldigen, wenn ich geahnt hätte, dass eine Dame der ominöse Besucher ist, hätte ich mich nicht so nachlässig präsentiert. Aber ich hatte so viel zu tun, dass ich nicht mehr dazu kam, mich etwas ordentlicher herzurichten.“
Ihr Blick wanderte viel sagend über das zerknüllte Kopfkissen und das zerwühlte Bett zurück zu ihm. „Aha, für mich sieht es so aus, als hätten sie einfach nur verschlafen. Wie schön, dass die Berliner Luft Sie so gut schlafen lässt.“
Er seufzte. Sie war nicht auf den Kopf gefallen, ganz und gar nicht. „Ja, ich bin unbeabsichtigt einfach eingeschlafen und dann nicht rechtzeitig aufgewacht. Es tut mir leid.“
„Nicht doch, da gibt es nichts, was Ihnen leid zu tun hätte. Um zu den anderen Punkten Ihrer umfangreichen Entschuldigung zu kommen: Erstens – haben wir gerade eben abgehandelt. Zweitens, die Information, die Sie hatten, war nicht falsch. Jedoch habe ich die Firma zusammen mit meinen Mann und die Korrespondenz lief über seine Mailadresse und da kannten Sie wohl nur seinen Namen. Es gibt also eine ganz logische Erklärung dafür. Drittens, für spontanes, von Herzen kommendes Lachen sollte man sich niemals entschuldigen müssen, daran kann nichts verkehrt sein. Und viertens, ich finde, Sie sehen hinreißend in Ihrem ungebührlichen Aufzug aus, wenn ich das so sagen darf. Ein richtiger Wuschellook.“
Er spürte zu seinem großen Erstaunen, wie er leicht rosa anlief. Sehr ungewöhnlich! Er betrachtete sein Gegenüber etwas genauer. Sie war sehr klein, höchstens 5ft4, und sie war nicht mehr ganz schlank, hatte einige nicht zu verleugnende Pölsterchen, die aber ganz und gar nicht störend wirkten, wie er fand. Graue Augen blickten ihn durch zwei Brillengläser an. Es kam ihm eine spontane Idee.
Normalerweise war dies völlig gegen seine Art, aber hier fand er plötzlich gar nichts dabei. Er beugte sich leicht nach vorne und fragte: „Haben Sie heute Abend denn schon etwas vor?“
Sie runzelte etwas die Stirn und schüttelte dann leicht den Kopf: „Nein, eigentlich nicht. Weswegen fragen Sie?“
„Zuerst sollte ich vielleicht Ihren Namen wissen, dann redet es sich leichter, was meinen Sie?“
Sie lachte, nickte dann und nannte ihren Namen. Zum Glück war dieser für ihn sehr einfach auszusprechen, nach seinem Dafürhalten hatte er nicht einmal etwas Deutsches, er war auch in England recht geläufig. “Wunderbar, also ich bin heute Abend zum Dinner eingeladen und ich hatte zunächst überhaupt keine Lust, dorthin zu gehen. Inzwischen freunde ich mich ein wenig mit dem Gedanken an, jedoch möchte ich keinesfalls alleine den Löwen zum Fraß vorgeworfen werden. Würden Sie mich begleiten?“
Sie schien nachzudenken. Dann kam ihre Antwort. „Danke für das nette Angebot, aber ich denke, eher nicht.“
Er war über die Maßen erstaunt. „Nennen Sie mir auch den Grund? Bitte!“ Er setzte einen fast unwiderstehlichen, flehentlichen Blick auf.
„Gerne, es ist ganz einfach: Ich bin auf ein derartiges Ereignis nicht vorbereitet und habe keine entsprechende Kleidung dabei.“
Ein kurzer Blick seinerseits auf die Uhr, dann kam ihm eine weitere Idee: „Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich hatte vor, mir einen neuen Haarschnitt verpassen zu lassen, traute mich aber nicht zu einem deutschen Friseur zu gehen, wegen der Sprachschwierigkeiten. Wenn Sie für mich nun dort dolmetschen würden, könnten wir Ihnen anschließend ein passendes Outfit kaufen gehen. Was meinen Sie? Noch käme es zeitlich ganz gut hin und unterhalten können wir uns auch unterwegs.“
Sie schaute ihn mit immer größer werdenden Augen an: „Ja, das wäre eine Möglichkeit, aber... ich kenne mich in Berlin auch nicht aus. Ich weiß weder, wo man einen anständigen Friseur findet, noch wo sich hier die großen Kaufhäuser angesiedelt haben. Oder doch – in Ku’damm-Nähe vermute ich mal. Und da müssten wir mit der U-Bahn hinfahren.“
Er wiederholte das neue deutsche Wort, das er in ihrem Satz vernommen hatte: „Kuudam, was ist das?“
„Eine sehr bekannte Straße hier in Berlin, eigentlich Kurfürstendamm, wenn man es genau nimmt.“
Das war ihm nun doch zu zungenbrecherisch, er unterließ es daher, den offiziellen Straßennamen zu wiederholen. Dafür kam er auf das ursprüngliche Thema zurück: „Ich erkundige mich an der Rezeption, ob man uns einen guten Friseur empfehlen kann, okay? Können wir dann? Sonst wird es knapp mit der Zeit.“
Sie nickte ergeben und strebte der Tür zu. Er nahm seinen Dufflecoat von der Garderobe und als er ihn anzog, stellte er fest, dass sie ein fast identisches Kleidungsstück trug. So ein Zufall!
Es ging alles viel glatter und einfacher, als gedacht. Der Concierge eröffnete ihm, dass für einen Schauspieler zur Berlinale nur der Promi-Salon von Starcoiffeur Walz in Frage kommen würde. Schon hing er am Telefon und er schaffte es, einen Termin auszumachen. Während der Berlinale waren die Berliner Trendfriseure ohnehin auf kurzfristigen Starbesuch eingerichtet. Doch der Concierge gab sich noch nicht zufrieden und führte sogleich ein weiteres Telefonat: „Andreas? Schön, dass ich Sie erreiche. Ihr Gast braucht Sie und den Wagen… ja, schnellstmöglich. Vielen Dank.“
Zu seinem Gast gewandt sagte er dann auf Englisch: „Ihr Chauffeur ist in fünf Minuten da und fährt sie zu den gewünschten Orten. Friseur Walz erwartet Sie in einer halben Stunde, das müsste sicher reichen für den Transfer dorthin, auch bei hoher Verkehrsdichte.“
Verblüfft über den wirklich exzellenten Service blickte er seine Begleiterin an. Er nickte anerkennend. Sie hatten noch keine drei Sätze über die genialen Arrangements des Hotelportiers miteinander gewechselt, als auch schon ein gut gelaunter Fahrer die Lobby betrat. „Wie ich höre, möchten Sie eine kleine Berlintour? Wo soll es denn hingehen?“
Doch statt seines britischen Gastes ergriff eine kleine, rothaarige Frau das Wort, und sie sprach ihn auf Deutsch an: „Guten Abend, die Fahrt soll zum Salon von Herrn Walz gehen, und dann noch kurz zum Shopping.“
Andreas blickte zuerst leicht irritiert von der Frau zu seinem Gast und wieder zurück. Dann nickte er zustimmend und sagte auf Englisch: „Alles klar. Aber wenn ich noch anmerken darf, und das ist keineswegs respektlos gemeint, das ist ja sehr schnell gegangen mit der Damenbegleitung, alle Achtung! So, bitte einsteigen, wir fahren zum Ku’damm!“
Europacenter und Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche
Es lag alles so nah beisammen, dass der Fahrer nur bis zur Uhlandstrasse fahren musste. Dort war der Salon einem weiteren Berliner Luxushotel angegliedert. Man nahm den angekündigten Kunden sehr zuvorkommend in Empfang und er stellte fest, dass alle so gut Englisch sprachen, das es einer Dolmetscherin gar nicht bedurft hätte. Mit einem völlig neuen Gefühl auf dem Kopf verließ er eine dreiviertel Stunde später den Salon und beide gingen quer über den Kurfürstendamm auf ein bekanntes Berliner Kaufhaus zu.
„Ist das ein guter Laden? Das ist hoffentlich nicht so etwas wie Woolworth, oder?“ Fragend sah er sie an.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Woolworth gibt es hier nicht, das sind alles ziemlich noble Läden. Wir können uns hier ruhig mal umschauen.“
Aber er war mäkelig, nichts von dem, was sie vorschlug, fand seinen Beifall. Bei der fünften Anprobe hatte sie es satt. „Wenn Sie wirklich meinen, dass das alles nichts taugt, sollten wir noch ein Stück weitergehen und das berühmteste und nobelste Berliner Kaufhaus aufsuchen.“ Zustimmend trabte er hinter ihr her. Das nächste Haus hatte eine große Auswahl an Designerklamotten. Doch seine Begleiterin wollte nichts von diesem Fummelkram und wenn er ehrlich war, passte es auch nicht zu ihr.
Das ganze Kaufhaus und vor allen Dingen der Fresstempel in der oberen Etage erinnerten ihn ganz stark an Harrods in London. Obwohl – er musste zugeben, die Feinkostabteilung war hier wahrscheinlich noch eine Spur exquisiter.
Sie querten wieder die Strasse, strebten dem Europacenter zu. Dort gab es eine Menge Boutiquen, das war vielleicht eher was. Im Erdgeschoss fanden sie endlich etwas Passendes, ein dezentes, schwarzes Kleid mit raffinierten kupfernen Applikationen von Kookai. Und es passte zu ihr und unterstrich ihren Typ. Die Verkäuferin war total begeistert und meinte zu ihr, dass dem gemeinsamen Abend mit ihrem werten Gatten ja nun nichts mehr im Wege stehen würde. Sie übersetzte diesen Satz der Verkäuferin wohlweislich nicht, ließ ihn stillschweigend unter den Tisch fallen.
Wasseruhr im Europacenter
Mit einer noblen Tüte bepackt gingen sie an den schönen Brunnen vorbei Richtung Gedächtniskirche. Dort war mit Andreas der Treffpunkt ausgemacht. Lässig lehnte dieser am Kotflügel des Mercedes, winkte ihnen bereits von weitem zu. „Ein klein wenig Beeilung, wenn ich bitten darf, sonst schaffen Sie es nicht mehr, sich rechtzeitig zum Dinner fertig zu machen!“ Der Mercedes fuhr deutlich über der erlaubten Geschwindigkeit zum Potsdamer Platz zurück.
Während des Friseurbesuchs und der kleinen Shoppingtour hatte Andreas einen weiteren Auftrag ausgeführt, er war am Hotel der Dame vorbeigefahren und hatte dort, mit ihrem Schlüssel natürlich, ein paar Utensilien, vor allen Dingen Toilettenartikel, mitgebracht.
Sie starrten sich beide an. Was nun? Er musste dringend unter die Dusche, soviel war klar. Auch wenn die Zeit erneut knapp wurde. Sie machten sich aus, wie das alles nun vonstatten gehen sollte.
„Während ich in der Dusche bin, könnten Sie sich hier im Zimmer umziehen und den großen Spiegel zum Schminken benutzen.“
„Ja, könnte ich, aber woher weiß ich, wie lange ich Zeit habe, hier halbnackt herum zu springen, bis Sie aus der Dusche wieder zurückkommen?“
Er lachte trocken: „Ha, der war gut. Reichen Ihnen fünf Minuten?“
„Machen Sie Witze?“
„Also gut, fünfzehn Minuten, länger kann ich mich nicht im Bad rum treiben, tut mir leid!“
„Abgemacht. Und gehen Sie sicher, dass Sie alles mit ins Bad nehmen, was Sie brauchen, nicht dass ich Ihnen noch etwas hinterher tragen muss.“
Er musste wieder lachen: „Okay.“
Er hatte sich schon seit langem nicht mehr so wohl gefühlt. Der ganze Ärger der letzten Tage, sein Unwohlsein über die Berlin-Reise, seine Missmutigkeit vom Flug hierher, alles war verflogen. Er pfiff fröhlich vor sich hin, als er die Badezimmertür hinter sich schloss. Doch eine Sekunde später stand er wieder im Raum, mit einem unterdrückten Fluch auf den Lippen.
„Was ist? Doch etwas vergessen?“
Er nickte, war etwas blass um die Nase. „So könnte man es auch nennen. Ich habe vergessen, meine Frau wie versprochen anzurufen.“ Der Satz stand schwer im Raum, als wäre es eine große Bürde.
Niedergeschlagen ließ er sich mit hängenden Schultern und hängendem Kopf auf die Bettkante sinken. Sie umrundete das Bett mit dem für sie typischen, leicht humpelnden Gang. Vor ihm ging sie in die Hocke, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Ihre warmen Hände ergriffen seine: „Ich verstehe. Und nun ist die Zeit zu knapp für ein längeres Gespräch. Wir werden sonst niemals rechtzeitig fertig. Kannst du ihr nicht ausnahmsweise eine SMS schicken, nur damit sie überhaupt ein Zeichen von dir hat?“
Es war eine Sache des Vertrauens, was bereits in den Gesprächen, die sie beide zuvor während der Autofahrten durch Berlin über ein mögliches gemeinsames Projekt geführt hatten, das sich nur mit vollstem beiderseitigen Vertrauen würde aufbauen lassen, Thema gewesen war. Er war jedoch sehr zögerlich was solche Dinge anlangte.
Aber nun - da es das Siezen und Duzen in dieser Form im englischen Sprachgebrauch nicht gab - nun war der Moment des vertraulicheren Umgangs miteinander gekommen und es war, trotzdem dass weiterhin natürlich „you“ gesagt wurde, deutlich zu spüren, dass diese Anrede nun eine anderen Ebene erreicht hatte.
Er hob den Kopf ein Stück und seine eisblauen Augen hinter seinen Brillengläsern trafen auf ihre graublauen Augen hinter ihren Brillengläsern. Er kniff die Lippen zusammen und nickte: „Ja, das scheint mir die einzige praktikable Möglichkeit. Ich muss mir einen genialen Text für diese Nachricht einfallen lassen, sonst brauche ich morgen erst gar nicht mehr nach Hause zu kommen.“ Er stand zögernd vom Bett auf und streckte sich. Aus der Tasche des Dufflecoat nahm er sein Telefon und schaltete es an. Als das Display aufleuchtete, verzog er den Mund: „Sechs Anrufe in Abwesenheit, und alle von ihr“. Ohne ein weiteres Wort verschwand er ins Badezimmer und eine Minute später hörte sie die Dusche rauschen.
Eine gute Viertelstunde später klingelte das Hoteltelefon. Er öffnete die Badezimmertür, zog eine Wolke von sensationell guten Düften hinter sich her und nahm den Hörer ab. „Hallo? Oh, danke, wir kommen so schnell es geht, leider haben wir uns ein klein wenig verspätet. Er soll auf meine Zimmerrechnung einen Kaffee oder so trinken, richten Sie ihm das bitte aus. Vielen Dank.“ Er drehte sich um, machte den obersten Hemdknopf zu und griff nach einer Krawatte.
„Andreas wartet bereits unten. Wir sollten uns beeilen.“
Mit ein paar Schritten war sie bei ihm und nahm ihm die Krawatte aus der Hand. „Ja, und auch deswegen keine Krawatte. Ein offenes Hemd ist viel besser und spart Zeit.“
Er schaute sie ratlos an: „Aber ich hatte heute Mittag schon einen offenen Kragen... ich dachte, für das Dinner wäre es ratsam…“
„Sei locker, du bestimmst den Dresscode, nicht diese Büroheinis der Produktionsgesellschaften. Du bist derjenige, welcher!“
„Das sind meine Brötchengeber im weitesten Sinne. Wenn diese Büroheinis mich nicht in ihren Filmen haben wollen, kann ich bald bei McDonalds in der Küche arbeiten.“ Er lachte trocken auf, knöpfte aber zwei Knöpfe seines Hemdes wieder auf und legte die Krawatte auf den Stuhl zurück.
Jetzt, mit dem neuen Haarschnitt, der nicht raspelkurz war, sondern die Länge nur in eine ordentliche und pflegeleichte Form gebracht hatte, dem Anzug, dem blauen Hemd ohne Krawatte, sah er plötzlich wie der Star aus, den man von einschlägigen Fotos her kannte. Groß, schlank (mit kleinen Einschränkungen), eine wahrlich beeindruckende Erscheinung. Und – in einer Sache war der Profi jetzt eindeutig zu erkennen: Er wusste, wann er sich gut zu verkaufen hatte. Dieser Zeitpunkt war nun wohl gekommen. Jeder Zoll wie ein Abbild aus dem Hochglanzmagazin.
Er schenkte ihr ein kleines Lächeln: „Meine Güte, das Kleid sieht fantastisch an dir aus, welch ein Glück, dass wir diesen Laden schließlich noch gefunden haben. Wir sollten Andreas nicht länger warten lassen, was meinst du?“ Ihr jedoch schien es die Sprache komplett verschlagen zu haben. Kaum zu glauben, dass dieser Mann eine gute Viertelstunde zuvor noch wie ein Häufchen Elend auf dem Bett gehockt hatte.
Er ließ ihr galant den Vortritt beim Hinausgehen aus dem Zimmer.