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Story Notes:

 

DISCLAIMER

Diese Geschichte ist frei erfunden und hat keinerlei Bezug zum wirklichen Leben der darin beschriebenen Personen.

Die Personen gehören sich selbst, ausser denen, die von der Autorin erfunden / geschaffen wurden.

Die von der Autorin selbst erschaffenen Charaktere und die Handlung der Geschichte sind Eigentum der Autorin.

Vorsätzliche Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte sind nicht beabsichtigt.

© Doris Schneider-Coutandin 2007




 

Müde schloss er seine Augen. Das leichte Rütteln und die typischen Geräusche während eines Fluges konnte er jedoch nicht ausblenden. Er hasste dieses Rumgehetze. Ursprünglich hatte er gar nicht vorgehabt, nach Berlin zu fliegen. Doch Chris hatte ihn letztendlich doch dazu überreden können. So kam es, dass er sich nun doch in dieser verdammten British Airways Maschine befand, die auf halbem Weg zwischen London und Berlin war.

Am liebsten hätte er seinen Frust mit einer Flasche Chardonnay weggespült, doch es sähe wohl gar nicht gut aus, wenn er in Berlin leicht schwankend und mit einer Alkoholfahne aufkreuzen würde. Also hatte er sich gottergeben zwei Kaffee von der Stewardess servieren lassen, die ihn stets mit einem wie in Stein gemeißelten Lächeln bediente.


In der British Airways Maschine


Leicht nervös fuhr er sich mit einer Hand durch die braunen Haare. Er verabscheute solche Auftritte. Und dann noch dazu in einem fremden Land. Er kannte weder Berlin, war nie zuvor dort gewesen, noch konnte er ein Wort Deutsch, außer dem üblichen „Guten Morgen“ und „Dankeschön“. Verflixt, verflixt, verflixt! Am liebsten würde er sich sofort in Berlin in eine Maschine retour nach London setzen und alles abblasen.

Umständlich sortierte er seine langen Beine, die ihm immer auf Flügen immens im Weg waren, und quetschte sich mit einem entschuldigenden Blick an seinem Sitznachbarn vorbei in den Gang. Natürlich – das Örtchen war besetzt! Das passte wie die Faust aufs Auge. Er lehnte sich träge an eine Kabinenwand, schaute uninteressiert um die Ecke in die Bordküche, wo zwei Flugbegleiterinnen nun selbst einen Kaffee tranken.

Endlich war die Toilette frei. Er hasste Flugzeugklos. Er kam hinten und vorne nicht klar damit, er war eindeutig zu groß für diese kleinen Hasenkästen. Leise vor sich hinfluchend wusch er sich die Hände und blickte in den Spiegel.

Er zog missmutig seine linke Augenbraue nach oben. Junge, Junge, wie du aussiehst! Fast als hättest du eine anstrengende Nacht im Bordell hinter dir! Die Familie hatte reichlich Tribut gefordert in letzter Zeit. Wenn er nur an die schrecklichen Bilder dachte, die die englische Presse Anfang Januar von ihm herausgebracht hatte, als die Fotografen ihn und seine Frau beim Einkaufsbummel in der Stadt erwischt hatten. Er hatte grauenvoll und ziemlich alt auf den Fotos ausgesehen. Erschöpft, ausgelaugt, völlig neben sich stehend. Was so ziemlich der Wahrheit entsprach.

Langsam tastete er sich zu seinem Platz zurück.Die Turbulenzen hatten zugenommen und alle Passagiere waren angehalten, sich nun anzuschnallen. Hatte er den Berlin-Termin tatsächlich nur angenommen, um dem anstrengenden Familienalltag mal für eine kurze Weile zu entkommen? So hatte es ihm jedenfalls seine Frau vorgestern vorgeworfen. Ungern erinnerte er sich an das Gespräch mit ihr.

„So, du fliegst nun also doch nach Berlin? Obwohl du zunächst total dagegen gewesen bist?“

„Ja, Chris hat mich so lange bearbeitet, bis ich zugesagt habe, außerdem denke ich, es ist vielleicht doch nicht schlecht, wenn ich mich dort zeige. In letzter Zeit ist es ein bisschen sehr ruhig geworden um meine Person. Öffentliche Auftritte waren rar und man gerät schnell in Vergessenheit, wenn man nicht alle Nase lang Flagge zeigt. Aber was sage ich, das weißt du ja selbst am Besten.“

„Oh, natürlich. Flagge zeigen, soso. Du hattest versprochen, an diesem Wochenende mit den beiden Großen zum Schwimmen zu gehen, und das Baby hätte ich für einen Tag zu Mum geben können. Ich brauche auch mal meine Ruhe!“

„Es tut mir echt leid, aber ich kann nicht dauernd meine Meinung ändern. Jetzt habe ich nach viel Hin und Her zugesagt, alles ist arrangier. Ich muss da jetzt einfach hin.“

„Pah, und warum haben sie nicht mich gefragt? Ich spiele in dem Film schließlich auch mit!“
„Du weißt genau, dass nur einer von uns gehen kann, auch wenn dein Ex den Großen übers Wochenende zu sich genommen hätte. Wir können nicht in Berlin mit einem Kleinkind und einem Baby auf dem Arm auftauchen, das würde uns viel zu viel vom eigentlichen Zweck der Reise ablenken.“

„Dann wäre ich eben alleine hingeflogen. Ich habe das gleiche Anrecht darauf wie du!“

„Ja sicher, hast du. Aber Chris meinte, er hätte…“

„Chris, immer nur Chris. Ich denke, du nimmst Berlin zum willkommenen Anlass, mal aus dem eingefahrenen Familienalltag herauszukommen, stimmt’s? Womöglich gefällt es dir sogar, mal wieder einen Auftritt wie diesen zu absolvieren, obwohl du normalerweise nur ungern solche Termine wahrnimmst. Aber den Eifer, den du bezüglich der Berlin-Reise an den Tag legst, lässt mich in der Tat stutzig werden!“

„Ich lege gar keinen Eifer an den Tag! Frank selbst hat mich gebeten, den Film dort zu repräsentieren und hätte er mich nicht persönlich angerufen, hätte ich den Bitten von Chris wahrscheinlich nicht nachgegeben. Ich bin auf keinen Fall scharf drauf, dort der Repräsentationsverpflichtung nachzukommen, das kannst du mir glauben.“

„Würde ich nur zu gerne, aber irgendwie kann ich das nicht!“

„Bitte, was soll die Streiterei um einen blöden Termin wie diesen? Ich fahre nach Berlin, weil ich muss, nicht weil ich da total gerne meinen Hintern ins Scheinwerferlicht halte! Außerdem hat Chris noch einen weiteren Termin für mich dort arrangiert, mit einer kleinen deutschen Produktionsfirma, die wohl schon länger auf ein Gespräch mit mir wartet. Warum auch immer, keine Ahnung, da lasse ich mich überraschen.“

„Pah, eine deutsche Produktionsfirma. Was wollen die denn mit einem britischen Schauspieler?“

„Keine Ahnung, Chris sagte jedenfalls, die Kontaktperson könne hervorragend Englisch, nun gut, das ist ja im internationalen Filmgeschäft sowieso üblich. Also – ich lasse es auf mich zukommen.“

„Ich finde es absolut Scheiße, dass du hier die große Starnummer abziehst. Ich hatte mir das Wochenende anders vorgestellt!“

„Hör mal, es reicht! Die Starnummer abzuziehen, wie du es nennst, ist absolut nicht mein Ding und das weißt du ganz genau! Ich habe keine Lust, hier weiter mit dir über derartige Nichtigkeiten zu streiten. Ich gehe jetzt packen!“

„Oh, der Herr geht packen. Wie schön! Ist dir deine Familie also nichts mehr wert?“

„Das habe ich mit keinem Wort gesagt. Nur – es ist entschieden, dass ich nach Berlin fliege und dabei bleibt es!“

Schmerzvoll verzog er das Gesicht in seiner Erinnerung an diesen Streit. Es könnte alles um einiges besser sein, wenn seine Frau manchmal nicht so – launisch wäre. Sie hatte ihm, wohl zur Strafe, weil er den Berlintrip nicht absagte, in den letzten beiden Tagen alle drei Kinder mehr als üblich aufgehalst. Sie hatte plötzlich einen Termin bei ihrem Agenten, einen Termin beim Friseur, besuchte schnell mal eine Freundin zum Lunch, und er war zu Hause zwischen Babybrei und Hausaufgabenkontrolle herumgewirbelt.

Und gekocht hatte er auch, vorgekocht für das Wochenende, damit die Familie nicht darben musste. Seine Frau war eine völlige Niete am Herd. Dosen öffnen und den Inhalt in der Mikrowelle wärmen war alles, was sie zustande brachte. Damit sie und die beiden größeren Kinder etwas Ordentliches zu sich nehmen konnten, hatte er eine lange Schlange (Freitag!) bei Sainsbury’s in Kauf genommen, viel eingekauft und den Abend vor der Abreise überwiegend zwischen Töpfen und Pfannen verbracht. Prompt hatte natürlich auch das Baby wie auf Kommando mehrmals die letzten Nächte geweint, offensichtlich mal wieder wegen Blähungen, und er war einige Male aufgestanden, um das Teefläschchen zuzubereiten.

Dementsprechend fühlte er sich nun auch. Wie aus dem Arsch gezogen! Na, wenn’s doch wahr ist… Er schaute aus dem Fenster auf ein trübes, regnerisches Berlin, das Flugzeug war im Landeanflug. Der Wetterbericht im Internet hatte ihn bereits darüber informiert, dass es unangenehm in Deutschland sein könnte. Naßkalt auf alle Fälle, regnerisch, teilweise sagte man sogar Schneefall vorher.

Schnee, das hatten sie am Donnerstag in London auch gehabt. Sage und schreibe fünf Zentimeter! Chaos pur in weiten Teilen Großbritanniens. Die Kinder hatten ihren Augen nicht getraut. Es war für sie das allererste Mal, dass sie Schnee zu sehen bekamen. Sie hatten wie verrückt draußen herumgetobt, mit dem Ergebnis, dass beide am Ende völlig durchnässt und durchgefroren gewesen waren. Engländer hatten einfach auch nicht die richtige Kleidung für solche Witterungsverhältnisse, es sei denn, man war dem Wintersport zugetan. Das traf auf seine Familie ja nun überhaupt nicht zu.
Aber die weiße Pracht war sehr schnell dahin geschmolzen, wie üblich, wenn überhaupt mal Schnee lag.
Nachdenklich zog er seinen dunkelblauen Dufflecoat aus dem Fach über den Sitzen und schlüpfte in der Enge der sich um ihn drängenden Leute hinein.

Ohne besondere Eile, aber trotzdem zielstrebig, ging er auf das Gepäckband zu. Mit einem Ruck hob er den kleinen Koffer hoch, klappte den Rollmechanismus aus und zog das Ding ratternd hinter sich her. Er brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren, zum Glück war alles zweisprachig ausgeschildert, wie bei Internationalen Flughäfen üblich. Zum ersten Mal an diesem Tag zog ein winziges Lächeln über seine Lippen, als er nämlich versuchte, die deutschen Begriffe für sich leise auszusprechen. „ßooll“ murmelte er, als das Schild „Zoll/Customs“ vor ihm auftauchte. Prompt rempelte er einen untersetzten, glatzköpfigen Mann mit einem hochbeladenen Trolley voller Koffer an, weil er sich zu sehr auf das Schilderlesen konzentriert hatte. Der Mann ließ einen deutschen Wortschwall auf ihn los, woraufhin er nur ständig „Sorry, very sorry“ von sich geben konnte. Mist! Das fing ja schon gut an mit seinem ersten Besuch in Deutschland.


Im Terminal von Berlin-Tegel


Er trat nach draußen, wo der Abholerverkehr toste. Wo war nur der Punkt, wo das Fahrzeug der Berlinale auf ihn warten würde? Er kam sich total verloren vor. Er entschied sich, jemanden zu fragen. Aber wen? Und, wichtiger noch, konnten die meisten Deutschen genügend Englisch, um ihn zu verstehen und gegebenenfalls auch Auskunft zu geben?

Junge Leute, das war eine gute Idee! Langsam ging er auf ein Pärchen zu, das im Stadtbild Londons auch häufig zu finden war: Punkfrisur, Stachelarmbänder, und zahlreiche Piercings. „Excuse me, do you know…“ weiter kam er nicht, der Typ schaute ihn an, als wäre er ein achtköpfiges Ungeheuer, das Mädchen neben ihm kaute stumm, aber intensiv weiter auf ihrem Kaugummi. „Na Alter, weeeste nich, wo de hinsollst, wa? Also für’n Euro könnt ick dir ja sag’n, wo et hier langjeht, aber weeste wat? Ick hab’ keen Bock druff!“ Damit drehte er sich rum und zog das Mädchen mit sich. Super!

Er trat den Rückzug in das Terminal an. Dort gab es sicher einen Serviceschalter, der solche Dinge wusste. Bevor er noch die automatische Tür erreichte, tippte ihm jemand auf die Schulter: „Ick gloobe, ick soll Se abhol’n. Ick bin der Fahrer der Berlinale!“ Nicht schon wieder einer, der nur Deutsch sprach! War das überhaupt Deutsch? Einzig das Wort „Berlinale“ ließ ihn Hoffnung schöpfen. Er zuckte mit den Schultern und sagte auf Englisch: „Ich kann leider kein Deutsch, ich komme aus England“.

Woraufhin ihm der junge Mann im Anzug (und nun sah er auch das Logo der Filmfestspiele als Anstecknadel an dessen Revers), mit Nachdruck den Koffer aus der Hand nahm und in blitzsauberes, aber mit deutschem Akzent versehenes Englisch wechselte: „Nur keine Aufregung, ich bringe Sie ins Hotel, mein Name ist übrigens Andreas, willkommen in Berlin!“

Aufatmend ließ er sich in die bequemen Polster der silbergrauen Mercedes-Limousine fallen. Eines konnten die Deutschen jedenfalls perfekt: Geile Autos bauen! Die Fenster im Fond waren abgedunkelt, ein dezentes Berlinale-Logo prangte auf der Seitentür, aber auch die Werbung des Sponsors Daimler-Chrysler als offizieller Bereitsteller des Fahrzeugpools, was in solchen Fällen unvermeidbar war. Man nahm kaum wahr, dass sich der Mercedes durch den Vormittagsverkehr der deutschen Hauptstadt bewegte. Wie in einer kleinen, abgeschotteten Insel war es im Innenraum. Fast kein Fahrgeräusch, kaum Außengeräusche. Herrlich! Er achtete daher kaum auf die vorbei fliegenden Häuser von Berlin.

Und das wenige was er sah, kam ihm auch nicht sehr viel anders vor als das Stadtbild von London. Ab und zu zuckte er leicht irritiert zusammen, weil er dachte, gleich müsse es einen Zusammenstoß geben, aber dann machte er sich klar, dass in Deutschland ja auf der rechten Straßenseite gefahren wurde. Ungewohnt.






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