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Author's Chapter Notes:

 

Wie angekündigt, geht es heute mit Kapitel 2 weiter. Wir bekommen es hier zum ersten Mal mit schottischem Whisky zu tun, der damals gerade in seinen Anfängen steckte und den man entweder gälisch uisge beatha oder eben übersetzt Aqua Vitae (Eau de Vie, Lebenswasser, wie Brände heute noch in etlichen Ländern betitelt werden) nannte. Nimmt man das gälische Wort, verkürzt es und spricht es etwas schnodderig aus, hat man - voilà - Whisky! 
Außerdem geht es um einen solar genannten Raum, der sich im privaten Teil einer solchen mittelalterlichen Anlage befand, quasi der private Salon oder das heutige Wohnzimmer. Was die etwas unterkühlte Atmosphäre zwischen dem Duke of Gloucester und seiner Schwiegermutter, der Dowager Countess of Warwick, betrifft, so habe ich diese zu erläutern versucht, es ist aber kein historischer Roman, bei welchem man mehr ins Detail gehen könnte, sondern eine weihnachtliche Kurzgeschichte.
Alle erwähnten Orte sind übrigens real existierend, wenngleich hier oft mit dem damals gültigen Namen versehen, auch das schon aus Kapitel 1 bekannte Gollinglith.










 

Geborgenheit, eine feste Burg
und wir inmitten, sicher, warm;
das ist es, weshalb Jesus,
der dies uns schenken möchte, kam.

(Geborgenheit, eine feste Burg, Arne Baier)

Während Franics und Anne über die Treppe und den Rittersaal nach draußen eilten, erteilte die Duchess im Vorübergehen einer Magd Befehle: „Bertha, du kannst deinem Mann sagen, dass er nun das heiße Wasser fürs Bad bringen soll. Vielleicht auch diesen Brand von der schottischen Grenze, Aqua Vitae, einmal zum Trinken und einmal als Zusatz fürs Badewasser, das wärmt, habe ich mir sagen lassen. Francis, ich meine natürlich Lord Lovell, wird es bestätigen, obwohl er dieses Aqua Vitae wohl mehr trinkt denn darinnen badet. Und reiche mir meinen Umhang, schnell bitte!"

Sie bekam einen schweren Filzumhang gereicht, den sie sich im Gehen überwarf, während Francis Lovell sich in ebensolcher Hast ein grob gestricktes Tuch um Hals und Kopf schlang. Als die beiden nach draußen traten, stülpte er Anne eine Mütze aus Fuchsfell über, denn das dünne Tuch, das ihr Haar bedeckte, bot kaum Schutz gegen den massiven Schneefall.

„Dem Himmel sei Dank, Richard, dass du da bist."

Dieser kam ihnen schon ohne sein Ross entgegen, das er kurz zuvor einem Stallburschen überlassen hatte.

„Ich fühle mich wie ein Eiszapfen."

„Du schaust mehr nach einem Schneemann aus, wenn ich ehrlich bin. Willkommen zu Hause, Dickon", begrüßte ihn Francis und ließ eine kameradschaftliche Umarmung folgen, bei der ein Teil des Schnees, der den Ankömmling bedeckte, abfiel und zu Boden rieselte.

Richard wandte sich seiner Frau zu, ergriff ihre Hände, küsste diese nacheinander und hauchte auch einen eisigen Willkommenskuss auf ihre Stirn.

„Es tut gut, zu Hause zu sein. Ich nehme an, ihr habt ein Bad für mich richten lassen?"

„Natürlich. Ein heißes Bad, eine warme Mahlzeit...",

„... und Aqua Vitae", ergänzte Francis mit schelmischem Grinsen.

„Danke, doch nun schnell ins Haus, meine Lieben."

Sie nahmen nun zu dritt den gleichen Weg zurück, durch die große Halle, die als Rittersaal diente, die Stiege hinauf in die privaten Gemächer, die mehr Intimität und Komfort verbreiteten als die vielseitig genutzten Säle im unteren Teil des Palas.

„Wie geht es Edward?"

„Gut, er schläft schon."

„Kann ich ihn sehen?"

„Jetzt gleich?"

„Nach einem ersten wärmenden Schluck des schottischen Brands, warum nicht?"

„Dann rasch."

Richard nippte an dem ihm gereichten Zinnbecher mit dem auf Gälisch auch uisge beatha genannten Destillat aus vermalztem Getreide.

Er verzog kurz das Gesicht, weil der Brand scharf durch seine Kehle rann, doch dann begann sich sofort ein wohliges Gefühl in seinen Eingeweiden breit zu machen.

„Die Schotten können nicht viel, aber das hier gereicht ihnen zum Lob, wirklich."

Während Francis den Weg in den solar genannten Raum nahm, der der Familie und engsten Freunden vorbehalten war und in dem sich - im Gegensatz zur großen Halle - so gut wie kein öffentliches Leben abspielte, gingen Anne und Richard weiter zu den Schlafgemächern. Dort schlummerte der fünf Monate alte Edward in seiner Wiege, bei der zwei Frauen saßen, die eine drall und jung, offensichtlich die Amme des Kleinen, die andere hager und älter - die Dowager Countess of Warwick, Mutter von Duchess Anne.

„Meine verehrte Lady Mutter, wie schön Euch an der Wiege Eures Enkels zu sehen."

„Guten Abend, my Lord Gloucester. Wo sollte ich auch sonst sein, da ich in Eurem Haus ein wahrlich einsames Dasein friste, nachdem Ihr mich für tot habt erklären lassen, um an die großen Warwick- und Beauchamps-Ländereien zu gelangen."

„Madame, das geschah aus sehr genauen Überlegungen heraus, wie ich Euch schon oft versicherte, und niemals zu Eurem Nachteil."

„Ja, es ist das wohl geringste Übel unter denen, die mich heimsuchten. Bei Eurem Bruder George wäre ich wohl nicht nur für tot erklärt, sondern sicherlich auch wahrhaftig und eigenhändig von ihm umgebracht worden. Ich bin Euch also in gewisser Weise sogar noch zu Dank verpflichtet."

„Ihr habt keinen Grund, so verbittert zu reden, Madame."

„Womöglich habt Ihr recht, my Lord, und doch fühle ich mich irgendwie unwillkommen und lediglich geduldet."

„Ihr redet Unfug, glaubt mir. Wir sind Euch sehr zugetan und spürt Ihr das nicht, so ist es Euer Fehler ganz allein. Doch lassen wir das nun, ich möchte nicht am Tag des Heiligen Nikolaus, Schutzpatron der Seeleute, der Eheleute, der Kinder und Überbringer von unerwarteten Geschenken, mit Euch in Streit geraten. Stattdessen halte ich es lieber mit Sankt Nikolaus und schenke etwas."

Er wandte sein Gesicht Anne zu, das sich dabei deutlich aufhellte, und fuhr fort: „Das ist auch der Grund, weswegen ich unbedingt noch heute nach Middleham zurückkehren wollte, denn ich habe in sceap town (= Skipton) ein paar Kleinigkeiten erstanden, die ich euch nachher, sobald ich mich im heißen Bad aufgewärmt habe, gern überreichen möchte. Edward bekommt sein Geschenk natürlich gleich, auch wenn er schon schläft wie ein Engelchen."

Richard zog aus einer ledernen Tasche, die er am Sattel mitgeführt hatte, ein Lammfell allererster Güte heraus und packte es in die Wiege seines Sohnes.

„Damit er es immer warm diesen Winter hat. sceap town ist schließlich berühmt für seine herrlichen Schafherden. Und nun das Bad!"

Im warmen Wasser liegend, dem ein Becher des gebrannten Aqua Vitae zugefügt war, weswegen Richards durchgefrorener Körper sehr schnell an Wärme gewann,  betrieb er Konversation mit Anne, die in der Nähe saß und diese stille Zweisamkeit sehr genoss, denn der Duke of Gloucester hatte seinen Leibdiener nach den ersten Handreichungen entlassen und lag nun mit zurückgelehntem Oberkörper und triefend-nassen Haaren, die bereits gewaschen waren, in dem hölzernen Zuber.

„Ich finde diese Ruhe hier in Middleham, in Yorkshire einfach wundervoll. Edward bittet uns in einem Brief, die Weihnachtstage mit ihm und der höfischen Gesellschaft im Palast von Westminster zu verbringen, aber das liegt mir einfach nicht, es sei denn, du, liebe Anne, möchtest unbedingt an den Hof seiner königlichen Gnaden, meines Bruders."

„Ich? Um Himmels willen, was wollte ich da? Wir haben den kleinen Edward, nicht einmal ein halbes Jahr alt, und ich werde den Teufel tun und ihn durch Eis und Schnee nach London zu bringen, nur um irgendwelchen Mummenschanz zu treiben."

„Würdest du nicht gern George und Isabel zu den Festtagen sehen wollen?"

„Das schon, vor allem Isi, aber allein deswegen unternehme ich die Reise wahrlich nicht. Sollte sie mich sehen wollen, kann sie gern nach Middleham kommen oder wir statten ihnen nach den Frösten einen Besuch auf Warwick Castle ab."

„Vergiss nicht, dass die kleine Meg im August erst geboren wurde, also noch jünger als unser Edward ist. Aber es scheint ihnen nichts auszumachen, mit dem Kindlein nach London zu reisen."

„Es ist auch nicht so weit wie von hier aus. Außerdem ist George in der Hinsicht ziemlich rücksichtslos, wie du weißt."

Richard seufzte und ließ eine Hand durchs Wasser gleiten, was ein paar kleine Wellen erzeugte.

„Ja, er ist gierig nach Macht, Anerkennung und irdischen Gütern. Er bekommt seinen beschissenen Hals - verzeih den starken Ausdruck, bitte - nicht voll genug und ich fürchte, diese maßlose Gier wird ihn eines Tages um Kopf und Kragen bringen."

„Aber du schätzt ihn doch, oder?"

„Als meinen Bruder, ja, aber als Duke of Clarence, als Sohn des Hauses York, als hohen Lord, und als Familienvater nicht so sehr. Ich bedaure sagen zu müssen, dass mir Edward nähersteht."

„Obwohl du mit George darüber übereinstimmst, dass Edward sich von der Familie seiner Gemahlin auf der Nase herumtanzen lässt?"

„George denkt das nicht nur, er spricht es auch offen aus, was ich für einen Fehler halte. Edward hat ihm einmal schon den Verrat verziehen, ob er es hingegen ein zweites oder gar drittes Mal tut, wage ich zu bezweifeln. Er hat viel Geduld, aber wehe, wenn diese Geduld erschöpft ist. Dann kennt mein königlicher Bruder keine Gnade, auch seinem eigenen Blut gegenüber nicht. Er kann dann sehr plötzlich, beinahe wie aus heiterem Himmel, sehr hart und unnachgiebig werden. Es könnte äußerst unangenehme Folgen haben, wenn George sich nicht zurücknimmt. Ich hoffe also für ihn und für uns alle, dass er sich mehr auf seine familiären Pflichten besinnt und nunmehr seine schmierigen Finger von Intrigen und Verrat lässt."

„Dein Wort in Gottes Ohr, Richard. Also ist es beschlossen, dass wir den Winter hier in Yorkshire verbringen?"

„Oh ja. Ich liebe dieses Land und ich glaube, das Land liebt auch mich. Ich fühle mich hier frei und unter meines Gleichen."

Anne schmunzelte wissend.

„Verstehe. Hast du wieder mit den Schäfern von sceap town an einem Tisch gesessen,  mit ihnen gemeinsam gegessen und getrunken und dich von ihnen - recht unziemlich - mit deinem Kosenamen anreden lassen?"

Richard zuckte mit den Schultern, als ob er dies als Bagatelle abtun wollte.

„Mit ihnen und auch mit Bauer Albin of Gollinglith, dem ich vor zwei Stunden einen kurzen Besuch abgestattet habe. Ich möchte nicht, dass sie vor mir auf die Knie fallen, ihre einfache Herkunft verleugnen und ihre Zunge verdrehen, weil sie ständig ‚Euer Gnaden‘ stammeln müssen. Das ist wirklich Unfug."

„Ich finde es rührend, dass du so denkst, aber ich glaube auch, dass du - bei aller Liebe für die einfachen Leute hier - falsch liegst, wenn du versuchst, alle Unterschiede zwischen ihnen und dir mit einer Geste wegzuwischen und aufzuweichen. Die Unterschiede sind da, Dickon, auch wenn du sie noch so sehr zu verdrängen suchst."

Mit einem weiteren Seufzer erhob sich Richard aus dem Wasser und schlang ein leinenes Tuch um sich, das neben dem Badezuber bereit lag.

„Ja, auch das weiß ich. Aber manchmal wünschte ich, dem wäre nicht so."

Er schlüpfte in ein paar einfache Beinlinge, ein frisches Hemd, darüber zog er ein Doublet aus taubengrauem Samt, schloss die Schnallen desselbigen und stieg in seine Schuhe.

„Ich möchte dir, deiner Mutter und Francis noch ein Nikolausgeschenk machen, wollen wir hinüber zu ihnen gehen?"

Anne lachte und schüttelte leicht ihren Kopf.

„Eigentlich wäre es mir lieber, wir könnten gleich hier bleiben, doch ich schätze, das Zubettgehen wird noch ein Weilchen warten müssen."

„Das, meine liebe Anne, schätze ich auch. Aber wir holen es nach, denn ich wünsche mir kaum etwas so sehr wie ein Geschwisterchen für unseren Ned."

Er reichte ihr seine Hand, die sie freudig, wenn auch mit hochroten Wangen wegen der letzten zwischen ihnen gesprochenen Sätze, ergriff und so verließen sie die Intimität des Schlafgemachs und gingen über die Flure der großen Burg hinüber zum solar, wo sie bereits erwartet wurden.






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