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Author's Chapter Notes:

 

Der Kulturschock war vorauszusehen und er kommt!










 

Liebe Nachbarn, mit Vergunst!
Eine Hex‘, durch Zauberkunst,
Kann sich in ein Tier verwandeln,
Um die Menschen zu misshandeln.
Eure Katz‘ ist meine Frau;
Ich erkenne sie genau
Am Geruch, am Glanz der Augen,
Spinnen, Schnurren, Pfötchensaugen...«
Der Nachbar und die Nachbarin,
Sie riefen: »Jürgen, nimm sie hin!«
Der Hofhund bellt: »Wau! Wau!«
Die Katze schreit: »Miau!«

(Die Hexe, Heinrich Heine)

Großartig! Fantastisch! Hervorragend! Ich sinke innerlich zu einem Häufchen Elend zusammen, krame aber während erwähnten Zusammensinkens hektisch in meinem Gedächtnis nach meinen rudimentär vorhandenen Kenntnissen des Mittelenglischen. Für einen Irren hat er eine recht gewählte Ausdrucksweise, außerdem lässt er sich durch halbwegs gastfreundliches Entgegenkommen meinerseits - die Strategie nämlich, die ich als Erfolg-bringend vermutet hatte - anscheinend nicht von seinem eingeschlagenen Pfad abbringen. Nun, dann eben auf die harte Tour: ich drehe mich abrupt um und haste ins Schlafzimmer, wo ich mein Handy greife.

Damit ausgestattet trete ich dem Komiker in meiner Küche wieder entgegen, der mich ob meiner blitzschnellen Reaktion verblüfft bis verunsichert ansieht, und halte ihm das Smartphone triumphierend vors Gesicht: „Ich rufe nun die Polizei."

Als ich mit einem Finger übers Display streiche und dieses folgerichtig hell aufleuchtet, bedingt sein markerschütternder Ruf „Hexenwerk", dass ich zu Tode erschrecke und das Handy fallenlasse, welches auf den Fliesen der Küche prompt und unwiederbringlich in seine Bestandteile zerspringt. Dieser Idiot! Das wird er mir teuer bezahlen! Ich bin nah dran, in Tränen auszubrechen, möchte mir aber vor diesem... diesem Individuum nicht die Blöße geben und reiße mich daher zusammen. Natürlich wird mir nun auch klar, dass ich ohne Handy meinem Gegenüber ziemlich schutzlos ausgeliefert sein werde. Das ist... bedauerlich, nein... ärgerlich, nein... saublöd. Eigentlich aber ist es... unglaublich gefährlich.

Auf der Unterlippe kauend stelle ich mich halb trotzig, halb verunsichert in meine niegel-nagelneue, hyper-moderne Küchenzeile und knipse den elektrischen Wasserkocher an. Eine Tasse Tee hat noch keinem geschadet, einem Engländer, und sei er noch so durchgeknallt, schon dreimal nicht. Der nächste überlaute Schrei des unheimlichen Besuchers folgt - hätte ich es ahnen sollen? - auf dem Fuß. Okay, das Handy ist ihm suspekt, der Wasserkocher auch, meine Erscheinung sowieso... was in aller Welt hat der Typ nur?

Ich machen einen Beschwichtigungsversuch, spreche absichtlich dezidiert langsam: „Ich... ich möchte nur Tee aufgießen, kein Grund zu Beunruhigung."

Und dann kommt die erste halbwegs normale Antwort, die gleichzeitig auch Frage ist: „Tee?"

„Ja, genau. Sie trinken doch Tee, oder?"

„Tee? Ich.. bin... nicht... krank. Habt... Ihr... Wein? Oder... Dünnbier?"

Wein? Dünnbier? Nicht krank? Ich denke aber schon - vermutlich ein Alki! Na bravo! Ein Alkoholiker, womöglich auf der Suche nach Fusel, deswegen drang er in mein Haus ein! Immerhin haben sich meine Ohren und mein Gehirn nun schon ein bisschen auf sein im Schneckentempo vorgetragenes Mittelenglisch eingestellt.  Meine wenigen Weinflaschen sind noch irgendwo verpackt, allein der Teufel weiß wo. Außerdem bin ich keine Biertrinkerin, aber vielleicht habe ich noch eine Flasche von dem Pack übrig, das ich den Küchenausstattern anlässlich des Aufbaus der schicken Einbauküche hingestellt hatte. Mit Vorsicht öffne ich den Kühlschrank, mache mich auf einen langgezogenen Schrei des Unbekannten gefasst, doch als ich nach der letzten verbliebenen Flasche mit Bier greife und sie ihm hinstelle, geschieht - nichts. Unfassbar!

Stattdessen kommt eine Frage, laaangsaaam, wie immer: „Was ist das?"

Er deutet zweifelnden Blicks mit seiner freien Hand auf die Bierflasche.

„Bier, natürlich."

Ich widerstehe der Versuchung, mich ratlos am Kopf zu kratzen. Aber ich glaube, ich weiß, auf was er hinaus möchte, aus der Pulle trink er wohl nicht. Also drehe ich seufzend die Flasche auf, hole ein Glas aus dem Schrank und schenke ein. Dann stelle ich das gefüllte Glas vor meinen merkwürdigen Gast.

„Glas?" fragt er, als wäre dies ein Weltwunder.

„Ja, Glas."

Es ist ohnehin schon befremdlich, dass ein Unbekannten morgens um halb sieben in meiner Küche nach einem Bier verlangt, dass er aber das Glas verschmäht, in welchem ihm das Bier angeboten wird, grenzt an... an Verschrobenheit, eindeutig. Doch ein Verrückter!

Mit Bedacht, nahezu übervorsichtig, als hätte er Angst, das zerbrechliche Trinkgefäß kaputt zu machen, setzt der Fremde das Glas an seine Lippen und trinkt - ex! Wow!

Doch dass er daraufhin angewidert das Gesicht verzieht, war so nicht vorherzusehen.

Mit einer geschmeidigen, aber dennoch zackigen Bewegung hält er mir abermals das Schwert an die Kehle, das er in den vergangenen fünf Minuten gesenkt gehalten hatte und schreit mich mit rauer Stimme an: „Gift! Du Hexe!"

Die Nummer wieder, super. Es scheint hoffnungslos zu sein.

Ich mache mir zum ersten Mal die Mühe, seine Erscheinung genauer zu betrachten. Nun, betrachtet habe ich ihn sicherlich zuvor bereits, denn Schwert und Kleidung hatte ich ja schon erfasst, aber mich noch nicht bewusst mit alldem auseinandergesetzt.

Er ist nicht sehr groß, aber schlank, um nicht zu sagen dünn. Seine Kleidung, und das sehe ich nun erst richtig, ist alles andere als die, wie man sie sich bei einem Alkoholiker oder Irren vorstellt, sie ist nämlich erlesen, wirklich edel. Samt, sauber abgesteppt, eingefasst mit Brokatborten, ein Ledergürtel mit fein ziselierter Schnalle, vermutlich Silber. Das Schwert - und ich danke meiner Kenntnis des Mittelalters! - ist eine wundervolle Waffe, fein schimmernder, glatt polierter Stahl, frisch abgezogen und sauber geölt, wie mir scheint. Die Schuhe... Lederstiefel, aber solche, wie ich sie noch nie zuvor auf einem Mittelalter-Lager sah. Ähnlich zwar, jedoch ganz anders. Sie scheinen extrem gut zu passen und sind offenbar aus herrlichstem, ungemein teurem Leder gearbeitet. Etwas Neid macht sich in mir breit.

Verdammt, welchem gut gemachten Historienfilm ist er denn nun davongelaufen? Das alles versuche ich mit Macht innerhalb weniger Sekunden abzuschätzen und zu verinnerlichen, möglichst noch bevor die - wie auch immer geartete - nächste Katastrophe über mich hereinbricht. Warum fragt er mich nichts? Warum frage ich ihn nicht, wo er herkommt? Rätsel über Rätsel.

Also, Angriff ist die beste Verteidigung: „Das ist kein Gift, das ist Bier!"

Mein Blick versucht sich in Festigkeit meiner Stimme anzupassen, doch der Zweifel bleibt, ob dies auch gelungen ist,

„Bier? Niemals, denn es ist so eisig wie Schnee und so bitter wie Galle."

Ähm. ja, das hat Bier aus dem Kühlschrank, der möglicherweise noch nicht richtig, nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach zu kalt, eingestellt ist,  so an sich.

Ich verkneife mir aber die leicht patzige Antwort und bemühe mich um einen netten Plauderton, um ihn weiter auszuhorchen: „Doch, das können Sie mir ruhig glauben. Übrigens, Ihre R's sind so rollend, Sie kommen sicher aus Schottland, nicht wahr?"

Sein Blick funkelt mich nun wütend an. Oh je - großer Fehler, Mist!

„Madame sprechen fürwahr zu schnell und zu vorlaut."

Waaaaas? Madame? Hat der einen an der Waffel? Und wie geschraubt sein komisches Zeitlupen-Mittel-was-auch-immer-Englisch klingt. Madame sprechen fürwahr... pffff.

Und dann setzt er wahrhaftig noch einen drauf: „Weiterhin scheinen Madame mir nicht passend gekleidet. Was soll das darstellen?"

Er deutet mit der Schwertspitze auf mein - zugegeben - ziemlich legeres Outfit. Gott sei Dank zeigt die stählerne Klinge dadurch nicht mehr länger auf meine Kehle, uff!

„Entschuldigung, ich war doch recht überrascht von... von der Anwesenheit eines unbekannten Mannes in meinem Haus und konnte in der Eile nichts... nichts...", ich breche ab, weil ich die passenden Worte nicht finde.

„Bitte langsamer reden, ich kann nicht folgen."

Das ist doch die Höhe! Aus welchem unzivilisierten Hinterland kommt der komische Kauz denn?

Einlenkend entschließe ich mich, das mir sich nicht recht erschließende Spielchen fürs Erste mitzuspielen und schraube meine Sprechgeschwindigkeit extrem weit nach unten, wobei ich mir wie in einem Sprechseminar für Schauspiel-Schüler vorkomme: „Gern. Ich bitte darum, mich umkleiden zu dürfen."

Zu meiner Überraschung senkt er das Schwert komplett und zeigt den Anflug eines wohlwollenden Lächelns, als er erwidert: „Sehr viel besser. Es sei gewährt."

Ich wende mich betont langsam - Langsamkeit ist wohl das erklärte Tagesmotto - zum Gehen, obwohl ich viel lieber rennen, flüchten möchte, als wäre der Leibhaftige persönlich hinter mir her, doch ich reiße mich am Riemen. Als ich den Flur erreicht habe und nur noch wenige Schritte vom Schlafzimmer entfernt bin, höre ich ihn behäbig, aber laut sagen: „Und es ist sehr eng in diesem Gemäuer, um nicht zu sagen winzig."

Tief ausatmend lasse ich mich auf mein Bett fallen. Gefährlich scheint er mir nicht zu sein. Unberechenbar schon eher. Wie aus einer Zeitkapsel gekommen. Ich richte mich mit einem Ruck auf. Wäre das nicht eine Erklärung? Quatsch! Ich rufe mich selbst zur Ordnung. Das wäre ja vollkommener Blödsinn und ganz sicher nichts weiter als ein wirrer Traum.  





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