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Author's Chapter Notes:

 

Die Situation ist verfahren und nicht einfach, weder für Kendra noch für König Richard. Was wird möglich und umsetzbar sein? Muss der trinkfeste, aber körperlich leicht gedrungene mittelalterliche Herrscher seiner Welt für immer entsagen? Würde er dadurch seinem eigenen Schicksal entgehen? Fragen über Fragen und wenig bis keine Antworten... bei allem Ernst der Lage auch ab und zu wieder mit einem Augenzwinkern versehen.

P.S. Eine Flasche Château Angludet 2011 kostet momentan etwa 30 Euro.










 

Das alte Fass ist ausgetrunken,
der Himmel steckt ein neues an.
Wie mancher ist vom Stuhl gesunken,
der nun nicht mit uns trinken kann.
Doch ihr, die ihr wie wir beim alten
mit so viel Ehren ausgehalten,
geschwind die alten Gläser her
und setzt euch zu den neuen her!

(Weingedicht, Georg Christoph Lichtenberg)

Es hilft nichts, ich schenke mir auch ein Glas Wein ein und nachdem ich einen großen Schluck des Château Angludet 2011 - zugegeben exzellent und... teuer - genommen habe, bin ich bereit für das Unausweichliche. In die Augen sehen kann ich ihm dabei nicht, also wende ich meinen zum Glas gesenkten Kopf zusätzlich ab.

„Dickon, wenn du es schaffst, zurückzukehren, wirst du als... als Held in einer Schlacht sterben."

„Oh."

Mehr sagt er nicht.

„Doch soweit muss es ja nicht kommen. Wir... ich weiß nicht einmal, wie deine Rückkehr gestaltet sein könnte. Wenn du hier bleibst...", er unterbricht mich, dieses Mal eher in sanftem Tonfall und gar nicht mehr ruppig: „Ich bin doch kein Feigling, der vor einer Konfrontation, vor einer Schlacht davonläuft. Ich weiß es zu schätzen, dass du mich davor bewahren möchtest, aber es geht nicht. Sieh, dieses Buch ist gedruckt und es weist die Daten meiner Geburt und... und meines Todes aus. Deine merkwürdige Maschine... dieses Inter... ich weiß nicht mehr, wie es heißt, zeigt das Gleiche an. Wir können Geschichte nicht ändern, nicht umschreiben. Geschichte ist Geschichte und geschehen."

Sicher sieht er mir meine Verzweiflung an, als ich den Kopf hebe und kraftlos fortfahre: „Dickon, ich weiß keinen Weg für dich zurück, ehrlich nicht."

Er lächelt - und darüber wundere ich mich total - mich von der Seite her an und antwortet: „Wolltest du vor einiger Zeit nicht kräftig mit dem Teigholz auf mich einschlagen?"

„Ich glaube nicht, dass es etwas bringt, außer heftigem Schmerz und einer riesigen Beule auf dem Kopf, unter Umständen auch Schlimmeres, nämlich eine offene, hässlich blutende Wunde."

„Wäre es den Versuch nicht wert?"

Ich staune weiterhin Bauklötze.

„Du wünschst dir wirklich deine Rückkehr, obwohl du weißt, was passieren wird?"

„Ja. Ich habe keine andere Wahl. Auch wenn ich mich in der fernen Zukunft befinde, so ist die nahe Zukunft, die mich bei meiner Rückkehr erwartet dennoch sehr viel erstrebenswerter für mich."

„Aber sie führt dich in den Tod, Dickon."

„Und das hier? Zu was führt mich das? In die schiere Verzweiflung? In den Wahnsinn? Nein, Kendra, das würde ich nicht ertragen. Ich fühle mich jetzt schon, nach nur wenigen Stunden, wie ein Kranker, wie ein Entwurzelter,  entkräftet, entheimatet, ohne jegliches Wohlgefühl. Abgesehen vom wirklich vorzüglichen Wein, doch das wäre ein nur sehr schwacher Trost."

Er ist der tapferste Mann, den ich kenne. Wie heroisch er sich seinem Schicksal stellt. Ich seufze ergriffen und schenke ihm das nächste Glas ein. Saufen kann er überdies, ein wahrer Tausendsassa!

Saufen! Ein weiterer Geistesblitz durchzuckt mich. Das wäre vielleicht eine Möglichkeit. Wenn er so betrunken ist, dass er nicht mehr viel merkt, könnte ich das Nudelholz auf seinen Schädel sausen lassen und ihn mit diesem Schlag eventuell zurückbefördern. Zumindest würde ich mich nicht ganz so schlecht fühlen, weil ich ihm wehgetan habe, egal dann, ob seine Rückführung klappt oder nicht.

Ganz langsam reift in mir ein Plan oder wenigstens etwas, das man ansatzweise so nennen könnte. Man könnte... ich denke intensiv nach.

Zuerst möchte ich, dass er glücklich ist für die noch verbleibende Zeit seines Lebens. Immer natürlich vorausgesetzt, er schafft es zurück in seine Ära. Ein Teil meines Plans sieht vor, ihm ein winziges bisschen Glück zukommen zu lassen. Ich brauche dafür ein paar Minuten, eine Viertelstunde maximal, für mich allein, am Laptop. Wie fange ich das an? Meine Gedankengänge sind so komplex, dass mir der Kopf schon schwirrt, nach und nach manifestieren sie sich zu konkreten Vorhaben.

„Dickon, ich habe ein paar Ideen im Kopf, die vielleicht gut für dich sein könnten. Gibt's du mir ein paar Minuten, um besser nachdenken zu können? Bitte? Du... du könntest dich ein wenig in den Garten setzen, es regnet nicht und das Wetter ist recht angenehm. Du kannst gern die zweite Flasche Wein mitnehmen, wenn er dir so gut schmeckt."

„In den Garten?"

„Ja", ich öffne ihm die Tür und zeige hinaus, „da."

Er späht argwöhnisch hinaus, betrachtet die überschaubare Fläche und fragt dann mit zweifelnder Miene: „Das ist ein Garten? Es sieht aus wie... wie... ich finde keinen Vergleich dazu."

„Vermutlich sehr klein verglichen mit dem, was du einen Garten oder Park nennst."

„So ist es."

Zögerlich tritt er ins Freie. Dort rücke ich ihm einen Gartenstuhl aus Alu zurecht, den er mit großen Augen begutachtet, und stelle ihm sein Glas, die Weinflasche und eine Schüssel Kartoffelchips hin.

„Ich beeile mich, aber denke dran, ich arbeite an einem Plan, der dir möglicherweise die Rückkehr in deine Welt ermöglicht. Also bitte ich um ein bisschen Geduld."

Er nickt, als er vorsichtig Platz nimmt, die lange Schwertscheide durch die Lücken in der Stuhllehne führend. Zu diesem Bild fällt mir eine weitere Frage ein.

„Dickon, weswegen gehst du eigentlich mit einem umgegürteten Schwert in den Keller des Schlosses deiner Mutter?"

Er lacht tatsächlich und mein Herz macht einen unvermuteten Sprung.

„Eine trefflich gute Frage. Sieh, es gibt zahlreiche Lumpen in meinem Königreich. Die Wachen bei Mutter hier in Berkhamsted sind dünner gesät als in meinen Palästen, und sie können ihre Augen und Ohren nicht überall haben. Es ist besser, mit einer Waffe in der Hand durch die Gewölbe des Schlosses zu gehen. Außerdem kann ich dann und wann eine Ratte damit erledigen. Sie sind elende Plagegeister."

„Und bringen die Pest. Verstehe."

Er schaut mich verblüfft an: „Die Ratten bringen die Pest? Wirklich?"

Ich nicke ernsthaft: „Ja. Eigentlich sind es nicht die Tiere selbst, sondern die Paras... die Flöhe, die sie im Fell tragen."

„Oh, das ist eine wertvolle Mitteilung. Danke dafür."

„Keine Ursache."

Bevor ich zurück in meine Küche gehe, um meine Pläne endlich in konkrete Taten umzusetzen, greift Richard gedankenverloren in die Schüssel mit den Chips und steckt sich ein paar davon in den Mund.

Erstaunt fragt er: „Kendra, was ist das? Das schmeckt sehr... würzig und fremd, aber gut."

„Frittierte Kartoffeln, im Prinzip."

„Kar... was?"

Klar, kann er nicht kennen. Ich schüttele leicht meinen Kopf, alles kann man ihm halt nicht erklären.

„Etwas, das es zu deiner Zeit noch nicht gibt, weil es aus Ländern stammt, die... die noch niemand entdeckt hat. Kolumbus wird das tun, unter anderem."

„Kolumbus? Dieser... dieser Genueser, der sich momentan am spanischen Hof aufhält?"

„Genau der."

Ich verschwinde ins Haus, bevor ich den Verstand, die Geduld und meine mühsam aufrecht erhaltene Fassung verliere.






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