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Author's Chapter Notes:

 

Ja, es gibt heute im Englischen keinen Unterschied mehr zwischen der Höflichkeits- und der Vertraulichkeitsform. You ist you. Früher jedoch machte man schon Unterschiede, und hier würde es vor allem um die Worte "thou" oder "thy" gehen (Ihr oder Euer), wobei auch da "Your Grace" (Euer Gnaden) eine Abweichung ist. Der Satz, um den es in diesem Kapitel vor allem geht, lautet "„Oh ja, wir hatten zwar nicht viele, aber doch einige Frauen auf dem Thron seit deiner Zeit." und würde ich es auf Englisch sagen, wäre das bekanntlich "Oh yes, we haven't had that many, but few women on the throne since your times." Heutige Form mit "you(r)". Höflichkeitsform wäre früher gewesen "Oh yes, we haven't had that many, but few women on the throne since thy times." Es hat also seine Berechtigung, dass der Herr bei diesem Satz eine gewisse Reaktion zeigt. 










 

Wie Könige die schließlich nur noch schreiten

fast ohne Ziel, nur um von Zeit zu Zeit

sich den Verneigenden auf beiden Seiten

zu zeigen in des Mantels Einsamkeit -  

so steigt, allein zwischen den Balustraden,

die sich verneigen schon seit Anbeginn,

die Treppe: langsam und von Gottes Gnaden

und auf den Himmel zu und nirgends hin;  

als ob sie allen Folgenden befahl

zurückzubleiben, - so dass sie nicht wagen

von ferne nachzugehen; nicht einmal

die schwere Schleppe durfte einer tragen.

(Versailles, Rainer Maria Rilke) 

Er denkt einen Augenblick nach und meint schließlich: „Es wäre respektlos, ganz gewiss. Da... da wir uns aber in einer ungewöhnlichen Situation befinden und niemand sonst zugegen ist, wir demnach ohne Zeugen sprechen, könnte ich es Euch erlauben."

„Könntet oder werdet Ihr es erlauben?"

Er zögert merklich, bevor er nachgibt und nickt.

„Es sei Euch erlaubt."

„Danke. Es erleichtert mir die Unterhaltung erheblich. Ich habe mich zwar mittlerweile an Eure langsame, altmodische Sprechweise gewöhnt, doch eine weniger formelle Anrede macht es für mich leichter."

„Kendra, wer ist nun - in der Zeit, in der wir uns gerade befinden - König von England?"

Ich muss schmunzeln, denn wenn ich ihm beispielsweise sagen würde, dass es gar keine Monarchie mehr gibt, wie in so vielen anderen europäischen Ländern, würde er sicher mit Gott hadern. Da es aber glücklicherweise im Vereinigten Königreich soweit nicht kam, bleibt ihm dieser Schock erspart.

„Elizabeth die Zweite."

Er reißt erstaunt die Augen auf.

„Eine Frau?"

„Oh ja, wir hatten zwar nicht viele, aber doch einige Frauen auf dem Thron seit deiner Zeit."

Er zuckt ob der informellen Form des persönlichen Fürworts merkbar zusammen, beißt sich kurz auf die Lippen,  zwingt sich dann aber zu einem Lächeln.

„Äußerst bemerkenswert."

„Finde ich auch. Richard", wieder zuckt er, doch ich fahre ungerührt fort, „es würde mich interessieren, ob es jemanden gibt oder gab, den du sehr gern mochtest, vielleicht auch sehr liebst oder geliebt hast."

Seine Augen verdunkeln sich und seine Stirn runzelt sich zusammen.

„Meine Frau. Dass sie starb fügte mir tiefen Schmerz zu."

„Es tut mir aufrichtig leid. Sonst noch wer?"

„Meine Kinder, allen voran mein Sohn Edward. Er ist auch von mir gegangen."

„Ein schrecklicher Verlust."

Er nickt düster.

„Ja, sein Tod hat meine ganze Welt verfinstert. Die meisten, die ich liebte, sind tot. Mein Vater, meine Brüder, gute Freunde. Entweder erlagen sie unheilbaren Krankheiten oder fielen im Krieg. Meine Mutter lebt noch, immerhin. Ich liebe sie natürlich, auch wenn sie manchmal ein bisschen halsstarrig ist. Und mein Freund Francis steht mir noch immer treu zur Seite. Einer der wenigen, die nicht dem Verrat anheimfielen."

„Das ist doch sehr tröstlich, denke ich. Gibt es keine neue Frau in deinem Leben?"

War ja klar, dass ich als Frau so etwas fragen würde. Aber meine Neugier möchte befriedigt werden.

Er schüttelt den Kopf, die dunklen Wellen seiner halblangen Haare fliegen dabei herum.

„Nein."

„Das ist schade und irgendwie traurig."

Ich habe das Thema schon abgehakt, als er leise, kaum hörbar hinzusetzt: „Ich liebe aber meine Nichte Elizabeth, die älteste Tochter meines Bruders Edward, über die Maßen. Nur... es stehen sehr viele Hindernisse zwischen uns und ich habe mir verboten, an sie als etwas anderes als meine nahe Verwandte zu denken. Sie ist sehr hübsch und liebenswert und...", seine Stimme bricht und er vollendet den Satz nicht.

Seine Traurigkeit ist fast greifbar und berührt mich sehr. Dem hehren Ritter und tapferen Feldherrn haftet etwas unglaublich Melancholisches an, eine verdeckte Schicht seiner Persönlichkeit kommt zum Vorschein, die einen betroffen macht.

„Ich kann sie nicht heiraten, auch wenn ich das mehr als alles andere möchte. Ich muss jemand anderen wählen, und das bald, denn ich bin ohne einen Erben."

„Verzeih, wenn ich dir zu nahe trete, aber derzeit müssen wir erst nach einer Möglichkeit zu deiner Rückkehr suchen, denn ohne Zeitreise zurück wird es weder eine Hochzeit noch einen Erben für dich geben."

Ich sage ihm nicht, dass weder das eine noch das andere für ihn im Jahr 1485 stattfinden wird, denn so viel aus seiner Geschichte kenne ich immerhin. Vom unsäglichen Rest natürlich ganz zu schweigen...

Die Kernfrage, die mich vorrangig beschäftigt ist, ob ich dem Schicksal ein Schnippchen schlagen kann indem ich ihn hierbehalte, ob ihm dann das alles, was ihn an Schlimmem erwartet erspart bleiben würde. Es ist schwer, dies abzuwägen. Vor allem frage ich mich, ob er einverstanden wäre zu bleiben, wenn er wüsste, was im Fall der - wie auch immer eingeleiteten - Rückkehr auf ihn zukommt. Wäre es einen Versuch wert, ihm die knallharte Wahrheit ins Gesicht zu sagen? Alles in mir sträubt sich dagegen, ich brächte es wohl nicht übers Herz. Andererseits... die Vorstellung, dies zu tun hat durchaus auch etwas Faszinierendes.

Gut, ich befinde mich zwar im Jahr 2015, aber einen DeLorean mit Flux-Kompensator besitze ich leider nicht und ich kenne auch keinen, der dergleichen oder ein ähnliches Zeitreise-fähiges Fahrzeug besäße. Bleibt nur noch, das zu tun, was heutzutage alle tun, wenn sie nicht mehr weiter wissen: ein Abstecher ins Internet, Tante Google fragen. Mein Handy ist hinüber, deswegen muss ich meinen Laptop holen. Bevor ich das mache, muss ich Richard darauf vorbereiten, damit er nicht einen weiteren Schreikrampf bekommt, wenn die Kiste angeworfen wird.

„Ähm, ich hole nun etwas, das dich vermutlich sehr verwundern wird. Bitte nicht aufregen, ja?"

„Noch mehr Höllenmaschinen?"

„So in etwa. Größer als das Te... Telefon, das kaputt ist, aber vollkommen ungefährlich."

„Sagst du."

„Sage ich. Keine Angst."

Während ich mich entferne, sitzt Richard stocksteif auf seinem Barhocker und stiert Löcher in die Luft. Ein bemitleidenswerter Anblick, ich muss es zugeben. Er kommt mir wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen vor und er hat verdammte Angst, das ist nun deutlich zu sehen.

Nach weniger als dreißig Sekunden komme ich mit meinem schwarzen Laptop wieder und klappe ihn auf. Ich spüre Richards argwöhnische Blicke. Neugierig ist er dennoch.

„Was macht man damit?"

„Es... es ersetzt eine Bibliothek, gewissermaßen. Man kann Dinge, Informationen vor allem, nachschlagen."

„Wie ein Buch?"

„Wie ein Buch, aber umfassender. Es wird weltweites Wissen ausgetauscht."

„Äußerst irritierend."

„Für dich sicherlich. Für mich Normalität."

„Grässlich."

Sein Blick fällt auf die Tastatur und er deutet darauf.

„Sind das Buchstaben?"

Ich nicke.

„Buchstaben, Zahlen, sonstige Zeichen. Anstatt sie mit Tinte auf Papier zu schreiben, drückt man drauf und schon erscheint der jeweilige Buchstabe auf dem Bildsch... auf der Anzeige. So...", ich zeige es ihm und er weicht entsetzt zurück.

„Das kann ich kaum lesen, die Buchstaben sind sehr klein und... entsprechen nicht der Weise, wie ich sie schreibe."

„Sie haben keine Schnörkel und Verzierungen, falls du das meinst. Hier ist ein großes ‚R‘, siehst du?"

Nun nickt er.

„Das kann ich erkennen. Nicht schön."

„Nein, schön vielleicht nicht, aber zweckmäßig."

„Welche Informationen suchst du in... in diesem Apparatus?"

Ich verkneife mir ein Schmunzeln und sage: „Hinweise auf Zeitreisen. Aber das Meiste dürfte Schwachsinn sein und das herauszufiltern, was uns weiterhelfen würde, ein Ding der Unmöglichkeit."

„Weswegen unterziehst du dich trotzdem der Prozedur?"

Ach, wie ich sein geschraubtes Englisch inzwischen mag!

„Weil ich auf einen Zufallstreffer hoffe."

„Zeitverschwendung, deucht es mich."

Er hat wahrscheinlich recht.

„Hör‘ mal, Richard", er unterbricht mich und sagt freundlich: „Bitte, da wir schon bei einer sehr familiären Anrede sind, wäre mir ‚Dickon‘ wesentlich lieber."

„Dickon? Ernsthaft?"

Er nickt abermals und ich begreife, welche Ehre er mir damit erweist. Da ich sowieso gerade aufstehen wollte, verbinde ich das mit einem kleinen Knicks und setze neu an: „Also, Dickon, ich danke sehr für das Vertrauen und die Ehre. Ich... ich werde mal schnell ins Bad gehen, du weißt... der Ruf der Natur, und bin in wenigen Minuten wieder da. Gut?"

Das dritte Nicken. Ich entferne mich.






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