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Author's Chapter Notes:
Harry wird von der Vergangenheit eingeholt ... und friert !








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Er tauchte aus der Wanne auf und strich sich das Wasser aus dem Gesicht, hatte er richtig gehört? Das Telefon klingelte. Nicht zu fassen, wer rief ihn denn jetzt noch an?
Er schwang sich behände aus der Wanne, schnappte sich ein Handtuch, rutschte über die Fliesen und machte sich auf die Suche nach dem Telefon. Es klingelte wieder und das Geräusch kam aus dem Schlafzimmer. Er rubbelte sich auf dem Weg über die Haare, der Rest musste warten. Das Telefon lag auf dem Bett, er ließ sich darauf plumpsen und griff nach dem Hörer.

„Hallo?“
Keine Antwort.
„Hallo, wer ist da? Ich hoffe, Sie haben einen guten Grund mich um diese Uhrzeit aus der Wanne zu scheuchen und tropfnass durch die Wohnung zu jagen!“
„Na, das ist ja mal eine nette Vorstellung. Tropfnass und nackt läufst du durch die Wohnung, mit deinem knackigen Po? Ich sehe das gerade bildlich vor mir!“
Justine! Harry erschauerte, und das lag nicht an seiner feuchten Haut. Er fühlte sich beobachtet und griff instinktiv nach dem Handtuch, um sich halbwegs zu bedecken.
„Jas! Hat es dir die Sprache verschlagen? Oder erkennst du mich nicht?“
Harry lehnte sich zurück auf das Bett und bedeckte seine Augen mit der Hand. Ihre Stimme hätte er überall erkannt, daran konnte auch die vielen Jahre seit der Trennung nichts ändern.
„Hallo, Justine!“
„Oh Jas, tut das gut, deine Stimme zu hören! Aber ist das alles? Ich erhole mich gerade von der Vorstellung deines vollendeten Körpers – nackt! Und du kriegst nur ein ‚Hallo’ heraus?“
Harry schluckte, selbst nach all den Jahren hatte sie immer noch diese Wirkung auf ihn. Das wollte er nicht akzeptieren! Betont locker antwortete er: „Tja Justine, ich wundere mich nur, wer es wagt zu dieser nachtschlafenden Zeit hier anzurufen?“
„Oh, Schatz, bei uns ist es helllichter Tag und ich musste unbedingt mit dir reden. Bitte sei nicht böse,“ sagte sie bittend.

Er konnte es nicht fassen, jetzt hatte sie doch tatsächlich den Nerv und meldete sich beim ihm.
„Du ... willst mit mir reden? Das ist ja interessant, Justine! Es war mir wirklich nicht bewusst, dass ich als Zuhörer noch gefragt bin.“ Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. Harry wollte sich nicht von diesem flauen Gefühl, das ihn ergriff, überwältigen lassen. Sie sollte sagen, was sie zu sagen hatte und Schluss!
„Jas, Jas, was ist nur mit dir los? Warum bist du so abweisend? Ich wollte einfach deine Stimme hören, weißt du, .... ich hab’ echt eine miese Zeit ....“
„Ach, sag bloß? Warum soll es dir denn besser gehen als mir? Miese Zeiten ...., ja, die hatte ich auch.“
Sollte sie doch dahin gehen, wo der Pfeffer wächst!
„Sag’, bist du mir etwa noch böse? Das ist doch schon so lange her. Ich dachte, du hättest mir längst vergeben?“

„Na, du bist lustig. Was hätte ich schon zu vergeben? Dass du abgehauen bist? Dass du dich nie wieder gemeldet hast? Dass ich deiner ... lieben Freundin Lucy helfen sollte, deine Wohnung auszuräumen? Dass ich hier deinen ganzen Krempel entsorgen konnte? Nein, sieht nicht so aus, als ob ich dir etwas zu vergeben habe!“

Jassy, so kenne ich dich gar nicht!“
„Lass das blöde Jassy, ich heiße Harry, verstehst du? Harry! Ich war immer Harry, nichts anderes. Auch wenn du so gerne wolltest, dass ich jemand anderer sein sollte. Aber das war ich nicht und das bin ich nicht! Und wenn du jetzt nichts mehr zu sagen hast ... ich friere, ich bin müde und ich habe keinen Bock mehr, mit dir zu telefonieren. Du hattest immer schon die Angewohnheit, anderen ein Gespräch aufzudrängen, auch wenn sie überhaupt keine Lust hatten, dir zuzuhören!“ Die letzten Worte kamen wie eine wütende Flut aus seinem Mund! Er drehte sich auf den Bauch und wollte eben den Hörer weglegen, als ein Schluchzen an sein Ohr drang.

„Harry“, sagte sie mit bebender Stimme. „Harry, Lieber. Ich bin geschieden, mein Mann hat mich sitzen lassen. Er hat mich wegen einer Jüngeren verlassen. Ich weiß nicht, was ich machen soll, Jas .... äh, Harry?“
„Das tut mir unendlich leid“, entgegnete er spitz. „Doch das interessiert mich nicht die Bohne, liebe Justine. Ich will nicht gehässig erscheinen, doch du hast es verdient. Sorry, aber vielleicht lernst du ja etwas daraus. Ich habe damals etwas gelernt – lass dich nie wieder mit Justine ein! Und das werde ich auch nicht. Such’ dir jemand anderen zum Ausheulen, bei mir bist du an der falschen Adresse! Gute Nacht, Justine!“

Er drückte auf den Knopf und knallte den Hörer auf die Matratze. Harry drehte sich wieder auf den Rücken, warf das feuchte Handtuch aus dem Bett, kroch unter die Decke und kuschelte sich darin ein. Er rieb seine Füße aneinander, er fror noch immer.

Eine tolle Überraschung, dafür war Justine immer schon gut gewesen! Was hatte sie nur geritten, sich ausgerechnet bei ihm zu melden? Nach all den Jahren des Schweigens. Er wollte nicht gemein sein, doch insgeheim freute sich Harry, dass sie diese herbe Enttäuschung erleben musste. Vielleicht konnte sie jetzt ansatzweise nachfühlen, wie es ihm ergangen war.

Nein, keine Illusionen, Harry. Justine war einfach zu selbstsüchtig, das war ihm klar geworden. Das Leid und die Mutlosigkeit anderer, konnte sie nicht nachempfinden. Sie war kein mitfühlender Mensch.

Lange und breite Gespräche hatte er deswegen mit Rosie geführt, sie hatte ihn damals aufgefangen, so gut es ihr möglich gewesen war. Seine Version von "Justine hat Harry verlassen" war die, dass ihr bei der Beisetzung der Mutter in Kanada ein alter Freund über den Weg gelaufen war, bei dem sie sich dann unheimlich ausgeheult hatte, der eben vor Ort war, um ihr Trost und Zuspruch, und dann auch schon bald einiges mehr, zukommen zu lassen. Dem hatte sie sich dann aus Kummer an den Hals geworfen. Schlimm genug für ihn, Harry.

Rosie hingegen hatte noch eine andere Version parat, eine weitaus schockierende! Ihrer Meinung nach war Justine schon seit jeher verheiratet gewesen. Harry war nur ihr heißer Bettwärmer in London gewesen, mehr nicht. Und als es an konkrete Hochzeitsvorbereitungen ging, suchte sie nach einer Möglichkeit, den Rückzug anzutreten. Harry war nicht anwesend gewesen, als der angebliche Anruf über den Tod der Mutter Justine erreichte.


Rosie war daher felsenfest der Ansicht, sie hätte ihm das alles nur vorgespielt, sie hätte kein einziges Mal auch nur im Entferntesten daran gedacht, ihn zu heiraten. Sie hatte nämlich einmal versucht, von Justine zu erfahren in welchem Brautmodengeschäft sie ihr Kleid geordert hätte und Justine hatte sich nur in vagen Andeutungen ergangen.


Harry seufzte laut und schnappte sich die Fernbedienung des TV-Gerätes. Er musste etwas anderes sehen, etwas Ablenkung haben, damit er das elende Telefonat vergessen konnte. Er zappte sich durch diverse Kanäle, immer verdriesslicher werdend, weil nichts Gescheites gesendet wurde.

Dann plötzlich stutzte er, schaltete wieder einen Kanal zurück: In der Tat, das war doch dieser Macfadyen, oder? Er schaute nun deutlich interessierter in die Flimmerkiste. Klar, jetzt lüftete sich der Schleier bei ihm. Der Typ spielte da diesen MI-5 Agenten Tom Quinn. Und, ach schau an, neben ihm seine Frau, die Doppelgängerin von Rosie! Na ja, zugegeben, in diesem Stück sah sie ihr nicht ganz so ähnlich, die Haare nicht so blond, nicht so lang, die Figur etwas gesetzter, er merkte nun doch einige Unterschiede. Harry brachte es sogar fertig, die ganze Episode zu Ende zu schauen, ohne noch einmal an Justine zu denken. Zur Hölle mit ihr!

Sein Körper war nun endlich aufgewärmt. Er winkelte die Knie an, zog die Decke bis zur Kinnspitze hoch und freute sich, dass er bald in einem anderen Bett, in einem anderen Haus, in einem anderen Ort schlafen würde. Es war Zeit London zu verlassen.






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