- Schriftgröße +



________________________________________________________________________________________________________


Geraldine öffnete die Tür, zog Harry geschwind herein und warf sich an seine Brust: „Oh Harry!“ Sie barg den Kopf in seiner Jacke, ihre Stimme klang wie ein Krächzen. Noch vor zwei Stunden hatte Harry eine total glückliche Geraldine hier zurück gelassen. Mit Eifer und nervöser Vorfreude hatte sie sich in die Hochzeitsvorbe- reitungen stürzen wollen. Harry hatte sich elegant aus der Affäre gezogen, ihr einen Kuss aufgedrückt und war in den Pub verschwunden.

Nun konnte sie kaum ein Wort sagen und als sie sich endlich von ihm löste, sah er in ihrem Gesicht maßlose Enttäuschung. Harry wunderte sich, was in dieser kurzen Zeit wohl geschehen sein mochte. Im Wohnzimmer verteilt standen mehrere Kisten, auf dem Tisch lagen noch die diversen Hochzeitsmagazine die Geraldine ihm unter die Nase gehalten hatte, bevor er gegangen war.

„Und ich hatte mir alles so schön vorgestellt!“ jammerte sie. Ihre Schultern hingen herunter und sie schlurfte müde durch das Zimmer. Sie hatte Harry an der Hand mit sich geführt und hielt ihn auch dann noch fest, als sie sich auf das Sofa setzte. Harry ließ sich neben ihr nieder und wartete geduldig, was seine Verlobte ihm mitzuteilen hatte.

Bevor er gegangen war, hatte er an Geraldines Computer das Internet durchforstet. Während dessen war seine Verlobte unruhig durch das Wohnzimmer getigert und hatte sich die Hände gerieben. Dann hatte sie zwei Gläser Wein geholt, ihm eines davon auf den Schreibtisch gestellt und ihn mit ernster Miene plötzlich gefragt: „Harry, ich habe mir etwas überlegt. Wie wäre es, wenn alle die uns etwas zur Hochzeit schenken wollen, stattdessen Geld für einen guten Zweck spenden. Was sagst du dazu?“

Harry hatte kaum glauben können, was er da gehört hatte. Energisch hatte er sich Gerry zugewandt und diese Idee sofort verworfen. Über Jahre hinweg hatte sie sich schließlich um Andere gekümmert, privat wie auch beruflich. Jetzt sollte sie dieses Ereignis voll genießen können, und ja, auch Geschenke standen ihr zu! Beinahe taumelnd vor Freude, hatte sie ihm zugestimmt und in derselben Sekunde einen Zettel hervor gekramt, auf dem sie verschiedene Läden und Geschäfte vermerkt hatte. Hier sollten Freunde, Verwandte und auch die Einwohner Dibleys die Möglichkeit haben, Geschenke für das Paar auszusuchen.

Es hatte Harry nicht wirklich gewundert, dass unter diesen ganzen ausgesuchten Läden sich inmitten anderer kurioser Vorschläge, auch„Blockbuster Video“ oder Toys ‚r’ us befanden. Nur Geraldine konnte auf solche Ideen kommen, doch er hatte da schnellstens einen Riegel vorgeschoben. Begeistert war sie darüber nicht, hatte sie doch Angst, außer Bibeln und einem Dildo nichts Brauchbares geschenkt zu bekommen. Harry hatte sich jedoch nicht erweichen lassen, er war standhaft geblieben.

Sie war so süß in ihrem Eifer gewesen. Die Planung einer Hochzeit – ihrer Hochzeit – ein Traum war für sie in Erfüllung gegangen. Wer konnte ihr verdenken, dass sie total euphorisch war und auf die kuriosesten Einfälle kam. Ein ganzer Stapel einschlägiger Magazine musste als Ratgeber und Ideenschmiede herhalten, denn Geraldine Granger wollte das ganze Programm ... all inclusive!

Er hatte auf dem Stuhl gesessen und diese wunderschöne Frau in ihrer Begeisterung beobachtet. Sie war so aufgeregt gewesen, das Gesicht gerötet hatte sie hektisch geatmet, als sie ihm nacheinander die Titel der Zeitschriften vorgelesen hatte. Er war so glücklich bei ihrem Anblick gewesen, er hätte ihr stundenlang zusehen können.

Doch jetzt saß hier ein Häufchen Elend und kuschelte sich vertrauensselig an ihn. Mit seiner Hand hob er ihr Kinn und blickte sie an: „Liebes! Willst du mir nicht erzählen, was geschehen ist?“ fragte er zärtlich. Er küsste ihre Lippen und sie seufzte ergeben. „Harry! Ich bin so unglücklich! Alle meine schönen Pläne sind dahin!“
Noch konnte er nicht nachvollziehen, worum es im Einzelnen ging. Dass es die Hochzeit betraf, war ihm jedoch mittlerweile klar!
„Sie wollen die Hochzeit für mich ausrichten!“ klagte sie.

Eine Pause entstand. Wer in aller Welt wollte die Hochzeit ausrichten, fragte sich jetzt auch Harry. Er befürchtete das Schlimmste und als Geraldine weiter sprach, wurden diese Befürchtungen sogar wahr
„Na, der Gemeinderat. Alle eben! Einschließlich Alice!“ Sie schluckte heftig und räusperte sich. „Was hätte ich denn tun sollen? Ich konnte einfach nicht nein sagen.“

„Du hast zugestimmt? Geraldine! Aber du wolltest doch die Planung selbst übernehmen, das hattest du dir doch so sehr gewünscht!“ Harry verstand die Welt nicht mehr.

„Ich weiß! Das ist es ja eben. Ich fasse es einfach nicht. Sie kamen versammelt hier an, ich bat sie auch noch alle herein. Hätte ich doch die Tür nicht geöffnet. Na, ich dachte, sie wollten uns nochmals gratulieren oder so was. In meinem ganzen Leben hätte ich mir nicht vorstellen können, mit welchen Plänen sie hier anrücken!“ Sie verzog das Gesicht, neigte sich wieder Harry zu und lehnte den Kopf an seine Schulter.

„Was soll ich denn jetzt machen, was sollen wir jetzt machen? Dich betrifft es letztendlich auch! Das gibt doch eine Katastrophe höchsten Ausmaßes! Das wird der Hammer des Jahrhunderts – und das ausgerechnet zu unserer Hochzeit. Harry! Bitte halt mich fest und küss mich, sonst bekomme ich einen Schreikrampf!“

Das ließ sich Harry nicht zweimal sagen. Er verschloss ihren Mund mit seinen warmen Lippen und hoffte inständig, ihr so etwas Trost geben zu können. Sie erwiderte seinen Kuss leidenschaftlich und hielt sein Gesicht in ihren Händen.
Kurze Zeit später löste sie sich von ihm und sah in seine blauen Augen: „Mein Traum – du bist mein Traum! Alles sollte perfekt werden – für dich und für mich. Die perfekte Hochzeit. So lange Jahre habe ich darauf warten müssen und in einigen Minuten war alles vorbei. Aber das Wichtigste bleibt mir!“

„Und was ist das, mein Schatz?“
„Das bist du, Geliebter! Wenn du das mit mir durchstehst, dann packe ich das auch. Selbst ein Hochzeitskleid von Alice werde ich verkraften. Ich werde am Altar stehen, in was auch immer gekleidet, und werde wahrhaft die glücklichste Frau auf Erden sein..., weil du bei mir bist!“
Er nahm sie nun wortlos an der Hand und führte sie nach oben ins Schlafzimmer. Sie ging nur zu bereitwillig mit.


Harry trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Jetzt befürchtete auch er ein Desaster. Wieselschnell flitzte Jack an den Kleiderständern vorbei, auf denen die unterschiedlichsten Anzüge hingen. Seine flinken Finger glitten über die Kombinationen, befühlten das jeweilige Material, schätzten Größe und Farbe ein und er schnupperte sogar an ihnen. Harry stand mehr oder weniger sprachlos daneben und hoffte inständig, dass Jack ihm hier auch eine wirkliche Hilfe war.

Natürlich hatte er das Angebot seines Freundes angenommen, ihm bei der Auswahl eines adäquaten Hochzeits-Outfits zu helfen. Wer konnte dazu schon nein sagen. Schließlich hatte Harry keinerlei Erfahrungen in Sachen Hochzeit. Er konnte sich nicht einmal erinnern, jemals bei einer eingeladen gewesen zu sein. In seinem Kopf war lediglich das schöne Bild eines traditionellen Anzuges, in dunkler Farbe gehalten, klassisch geschnitten mit einem weißen Hemd und einer Krawatte. Das war alles. Doch das war Jack nicht genug.

Schnell hatte er Harry klargemacht, was heutzutage angesagt war. Allerdings war Harry sich nicht sicher, ob das, was bei Jack angesagt war, auch tatsächlich das Nonplusultra in Hochzeitsdingen war. Langsam aber sicher machte sich in ihm das Gefühl breit, dass er vielleicht als Pfau vor dem Altar stehen würde. Oh Gott! Vor seinem geistigen Auge sah er schon die schmunzelnde Hochzeitsgesellschaft vor sich und Geraldine, die ihn mit entsetztem Gesicht ansehen würde. Das könnte er ihr nicht antun. Jack musste gestoppt werden!

Am Ende dieser Einkaufstortur war er so müde, als wäre er einen Marathon gelaufen. Jack hatte ihn mindestens hundert Mal in die Umkleidekabine gejagt. Der junge Verkäufer, der durchaus etwas von seinem Handwerk verstand, hatte ihnen einen Anzug nach dem anderen gebracht. Zunächst hatte Harry noch protestiert, doch schon bald hatte er aufgegeben.
Gegen Jacks Euphorie war kein Kraut gewachsen, eine Abwehr war unmöglich. So hatte er sich nach und nach der Übermacht ergeben. Ein eigens aufgestellter Kleiderständer war unter dem Gewicht der heran gekarrten Kleidungsstücke fast geborsten. Die Stange hin verdächtig durch und Harry hatte nur darauf gewartet, dass er zusammenbrach. Der junge Mann jedoch, der eine Engelsgeduld mit den beiden Kunden bewiesen hatte, hatte den Ständer im letzten Moment immer wieder geleert, so lange Jack mit neuen Hochzeitsanzügen aufgewartet hatte.

In Dibley angekommen, hatte er sich todmüde auf sein Sofa fallen lassen. Letztendlich hatte in Jacks Augen nur ein Anzug standgehalten. Ein einziger unter Hunderten. Ein hellgrauer Anzug, kombiniert mit einem weißen Hemd und einer weißen Krawatte, in dem sich Harry ein ganz kleines bisschen wie ein Pfau vorkam. Er hätte wirklich auf einen konservativen, dunklen, geschmackvollen Anzug bestehen sollen. Aber wer konnte bei Jack schon nein sagen?

Trotz aller Anstrengungen des Tages, machte er noch einen Spaziergang durch den Ort mit ihr, denn sie musste gleich zu ihrer Überraschungsparty erscheinen. Er würde sie dann vor der Tür von David Hortons Haus abliefern und sich selbst nach London begeben, wo er mit Jack, Chris und Rosie für diesen Abend verabredet war. Sein Junggesellenabschied im engsten Kreis. Er wusste nicht, ob er sich lieber etwas Spektakuläreres dafür gewünscht hatte. Vielleicht war es aber ganz gut so wie es war. Geraldine hatte ebenfalls keine Ahnung, was sie erwartete. Sie hatte weder dem Gemeinderat, noch Alice irgendetwas entlocken können.

Hand in Hand schlenderten sie also durch das abendliche Dorf.
„Harry? Was, glaubst du, ist die größte Katastrophe unserer Welt im 21. Jahrhundert?“ Sie atmete tief durch und fuhr fort: „Ist es die globale Erwärmung, der internationale Terrorismus... oder... unsere Hochzeit am Samstag?“ Mit verkniffenem Gesicht wartete sie auf Harrys Antwort.
„Ich denke es ist.. unsere Hochzeit am Samstag!“
„Genau Harry! Unsere Hochzeit!“

Er hielt an, drehte sie zu sich um und sah ihr fest in die Augen: „Schau mal, warum bist du nicht so tapfer und sagst ihnen, dass du deine Meinung geändert hast und alles selbst organisieren willst?“
„Völlig unmöglich!“ antwortete sie und schnaufte laut.
„Schatz, es muss sein und zwar heute noch!“ Er sah sie ermutigend an.
Geraldine atmete tief durch und blickte zu ihm auf: „Alles klar! Ich sag’s ihnen, bevor ich gehe. Ich atme tief durch ... und raus damit!“
Harry nickte und ein zärtlicher Ausdruck erschien auf seinem Gesicht: „Sehr gut!“

In ihrem Gesicht verblieb ein zweifelnder Ausdruck: „Gute Entscheidung!“ Sie sprach sich selbst Mut zu. „Wie wär’s mit einem kleinen Küsschen... zum Mut machen?“
Harry neigte sanft den Kopf und flüsterte mit leiser Stimme: „Das ist eine gute Idee.“ Sein Mund fand den ihren und bei der Berührung ihrer warmen, weichen Lippen durchfuhr ihn ein wunderbares Gefühl. Sie suchte Halt bei ihm und er nahm sie fest in die Arme.

Die nach und nach an ihnen vorbeikommenden Ratsmitglieder nahmen sie kaum wahr.





Bitte gib den unten angezeigten Sicherheitscode ein: