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Story Notes:

Disclaimer: Alle Charaktere, Orte, Schauplätze etc. sind Eigentum der jeweiligen rechtmäßigen Besitzer. Die Originalcharaktere und Originalhandlung sind Eigentum des Autors. Der Autor ist in keiner Weise mit den Besitzern, Erschaffern oder Produzenten irgendeiner Medienkonzession verbunden. Vorsätzliche Verstöße gegen das Urheberrecht sind nicht beabsichtigt.

 




Im Auto fingerte sie am Navigationsgerät herum. Viel  fehlte nicht und sie wäre im nächsten Graben gelandet. Multitasking. Von wegen. Hätten die lieben Klassenkameraden das Treffen nicht wieder wie sonst in der Burgschänke hoch über dem Ort abhalten können? Nein, im mittleren Mittelalter musste es schon etwas gehobener sein. Man war ja schließlich wer. Wer war man eigentlich?

Sie hatten Johannisbeergelee gekocht. Endlich. Denn im Gefrierschrank schlummerten noch die Beeren des Vorjahres und hatten ziemlich lange auf ihre Verarbeitung zu Gelee gewartet. Alles klebte. Eigentlich hasste sie die Prozedur. Aber das Endprodukt war nicht zu verachten und Mutter, die sie war, hatte sie das Gefühl, wenigstens ein Minimum an Tradition weitergeben zu müssen. Oft scheiterte sie trotzdem daran. Die Traditionen hatte sie irgendwo zurückgelassen.  Als sie fertig waren, hatte sie die Küche entklebt und die Einladung hervorgekramt.

Wann war sie zum letzten Mal bei einem Treffen gewesen? Vor 10 Jahren? Als Georg noch lebte? Georg war damals schon sehr labil gewesen und hatte nur kurz vorbeigeschaut. Ein paar Jahre später war er tot, hatte sich  mit einer Überdosis Tabletten umgebracht. Sie hatte ihn immer gemocht. Er war ein sanfter Junge mit Schafblick. Der Anti-Macho, der doch gerne mal den Macho heraushängen ließ, weil er sich und den anderen seine Männlichkeit beweisen wollte. Er war an sich gescheitert.

Genau wie Paul ein paar Jahre vorher. Bei ihm war es nicht die Psyche, es war die unheilbare Krankheit gewesen.  Ausgerechnet diese beiden würden nun nicht mehr dabei sein. Auf viele andere hätte sie verzichten können und hatte auch ganz lange gezögert mit der Zusage zu diesem Treffen.

Laut Navi hatte sie noch knapp 40 km zu fahren. Die Klimaanlage nervte sie, das offene Fenster war allerdings auch keine Alternative.

Vielleicht half ihre Lieblings-CD. Das englische Hörbuch, gelesen im sonoren Bariton des britischen Schauspielers, das sie sich gerne zum Entspannen in den Player schob. Sie liebte Period - oder Regency –Romane, am liebsten im Original.

Warum tat sie sich das an? Letztes Mal hatte sie doch wahrhaftig einer ihrer ehemaligen Mitschüler gefragt, wer sie denn sei … Sie war wie früher die graue Maus, ohne bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Und die Anfahrt allein entfachte in ihr  Erinnerungen, die sie hasste. Was sollte dieses Treffen anderes bedeuten als ein Rückfall in längst vergessene und verlassene Rollenmuster? Und wie lange lebte sie schon das Leben, arbeitete sie schon in dem Beruf, den sie nur als Notbehelf ergriffen hatte?

Jetzt fuhr sie die nächste Raststätte an. Sie brauchte einen Kaffee.

Der ferienbedingte Trubel im Bistro sorgte für Ablenkung. Als sie weiterfuhr, hatte es angefangen zu regnen. Das Hörbuch setzte wieder ein und sie zwang sich zu anderen Gedanken.

Rainer hatte ihr zugeredet, zum Treffen zu fahren. „Komm, mach Dir einen netten Abend. Wann kommst Du sonst auf dieses Schloss?“ , hatte er gemeint. Das Schloss, eigentlich eine ehemalige herrschaftliche Villa, thronte hoch über der Mosel. Mit einem sternebekränzten Restaurant.

Plötzlich tat es einen heftigen Schlag und sie konnte das Lenkrad nicht halten! Etwas musste gegen den Unterboden geflogen sein. Mist. Der Wagen schleuderte. Bremsen und Gegenlenken funktionierten irgendwie und intuitiv. Die Bremsen quietschten und irgendwann kam der Wagen zum Stehen. Konnte das wahr sein? Sie stand auf der Standspur, verkehrt herum, offensichtlich gerade noch von der Leitplanke gehalten …

Wie in Trance versuchte sie die Tür aufzumachen. Super, klemmte! Der Gurt natürlich auch. Sie konnte sich irgendwie aus dem Gurt herausschälen. Und merkte, dass sie irgendwo blutete.

Sie arbeitete sich auf die Beifahrerseite und konnte dort auch die Tür öffnen. Mechanisch suchte sie ihre Handtasche, die vor die Rücksitzbank gerutscht war, erwischte Warnweste und Warndreieck.

Nachdem sie sogar noch einen Notruf abgesendet hatte, sackte sie auf der Leitplanke in sich zusammen. 

Jetzt bemerkte sie, dass ein Wagen hinter ihr angehalten hatte. Ein Mann kam auf sie zu, redete auf sie ein  wie durch einen Schleier. Sie war nicht aufnahmefähig.

Als sie aufwachte, lag sie in einem Krankenhausbett –  war das eine Halskrause um ihren Hals?  Das Nachbarbett war leer. Sie war wütend. Nicht gewohnt, die Kontrolle zu verlieren. Hier war sie offensichtlich fremdbestimmt worden.

Auf ihr Klingeln erschien eine Krankenschwester, die sogleich mit Fieberthermometer und Blutdruckgerät loslegen wollte. Es gelang ihr, sie aufzuhalten und zu fragen, wo sie hier eigentlich sei.

Da lag sie nun also im Kreiskrankenhaus. Na  prima. Es klopfte an der Tür und ein Arzt und  eine Ärztin kamen ins Zimmer um ihr zu erklären, dass sie noch einmal Glück gehabt hätte, leichte Gehirnerschütterung, Schleudertrauma, Prellungen, Platzwunde … Ihr Auto? Abgeschleppt, vermutlich in die nächste Vertragswerkstatt.

Über Nacht müsse sie zur Kontrolle im Krankenhaus bleiben. Ob jemand zu benachrichtigen sei.

Nein. Sie sollten ihr mutterfreies Wochenende genießen. Rainer wollte mit den Kindern zu seinen Eltern fahren. Die beiden hatten sich eine Angeltour gewünscht und das wollte sie ihnen jetzt nicht vermiesen. Außerdem  war Alleinsein jetzt … heilsam?

Jetzt fiel ihr ein, dass sie ja eigentlich auf dem Klassentreffen erwartet wurde. Eine einzige Freundin hatte sie sich aus ihrer Schulzeit erhalten, deren Nummer sie sogar im Handy gespeichert hatte. Sie wollte aufstehen,  fiel aber sofort schwindlig wieder zurück in ihr Kissen. Na gut. Das musste dann wohl warten.

Bevor sie weiter überlegen konnte, klopfte es erneut an der Tür. Meine Güte. Krankenhäuser. Hier ging es immer zu wie im Taubenschlag – ungemütlich, nervig … Auf ihr „Herein“ trat ein ihr unbekannter Mann ein – merkwürdigerweise ohne Arztkittel. „Hören Sie, mir geht’s gut. Ich könnte eigentlich auch gleich gehen. Aber Ihre Kollegen sind der Meinung, ich müsste erst einmal hier bleiben“ , setzte sie an.

„Oh, Entschuldigung. Das ist ein Missverständnis:  Ich bin kein Arzt.  Sie hatten die Kontrolle über Ihr Auto verloren und ich hielt hinter Ihnen an. Erinnern Sie sich vielleicht? Zum Glück ist Ihnen nichts Schlimmeres passiert!  Die Polizei sagte, da habe ein Auspuffrohr auf der Fahrbahn gelegen. Haben Sie das denn nicht gesehen?“

„Auspuffrohr? Nein.  So ein Mist. Wissen Sie vielleicht, wohin  mein Auto abgeschleppt wurde?“

„Hier gibt es eine Werkstatt.  Es sprang nicht mehr  an und hat ein paar Beulen abgekriegt; die gelben Engel haben erst mal abgeschleppt. Hier ist die Adresse der Werkstatt und die Telefonnummer.“

„Hat man Sie deswegen geschickt? Danke. Ich werde mich gleich …“

„Bleiben Sie mal lieber in Ruhe hier liegen. Ich heiße übrigens Robert. Kann ich Ihnen etwas zu trinken holen? Oder jemand für Sie benachrichtigen?“

„Würden Sie bitte mal im Schrank nachsehen, ob da zufällig meine Tasche drin steht? Eine rote, größeres Modell …“

„Ja, die habe ich da hineingestellt, Andrea…“ „Sie? Waren Sie vorhin schon hier? Und  woher wissen Sie, wie ich heiße?“

„Ich .. hab‘  Ihre Tasche eingeräumt, das Portemonnaie mit Ihrem Führerschein war rausgefallen. Ich  hoffe, das war in Ordnung. Ich wollte mich nicht aufdrängen. Dann geh‘ ich jetzt mal …“ Er drehte sich um, hielt kurz inne und ging dann zum Wandschrank: „ Nein, hier bitte: die Tasche. Alles Gute.“

„Entschuldigen Sie. War nicht so gemeint. Ja, ich könnte einen Tee oder einen Kaffee gebrauchen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich bin ziemlich müde und mein Schädel brummt.“

Er nickte kurz und verließ das Zimmer.

Na prima. Der Kontrollblick ins Portemonnaie ließ sie aufatmen: die Karten waren offensichtlich noch drin, ihr Pass, ihr Führerschein …  Was unterstellte sie diesem Mann eigentlich?

Ihr Handy blinkte. Rainer hatte ihr eine SMS geschickt und ihr viel Spaß gewünscht. Die Kinder und er waren inzwischen  beim Angeln. Vielleicht sollte sie jetzt gleich ihre Freundin Petra ansimsen, die sicher schon  auf sie wartete.

Doch bevor Sie sich auf die Tastatur konzentrieren konnte, kam Robert mit zwei Bechern Kaffee herein.

„Ich habe mal ein bisschen Milch und Zucker mitgebracht. Oder brauchen Sie Süßstoff?“, fragte er und drapierte ihren Becher auf die Nachttischklappe neben dem  Bett.

„Mit Milch ist prima. Danke!“, erwiderte sie lächelnd.

„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“, fragte er hörbar besorgt.  „Sie  kommen nicht von hier. Haben Sie Ihre Angehörigen schon verständigen können?“ „Ja. Alles klar, ich bin ja nicht schwer verletzt“, tat sie seine Sorge ab. „Ich hatte zwar heute etwas anderes vor, aber so wie es aussieht, werde ich jetzt hier mal ausschlafen dürfen …“

„Das wird so sein. Kriegen Sie denn noch Besuch?“ „Nein, nein. Die sind zu weit weg und es ist auch nicht nötig. Morgen sieht alles sicher schon wieder ganz anders aus.“

„Schön, dass Sie alles so gelassen sehen können. Darf ich denn morgen nochmal nach Ihnen sehen? Ich wohne hier, also kein Problem für mich.“

„Wenn Sie meinen … Danke für Ihre Hilfe, Robert!“, sagte sie bestimmt und streckte ihm die Hand entgegen. „Na, dann nehme ich diese Aufforderung zum Gehen mal ernst und folge brav …“ erwiderte er zwinkernd, nahm ihre Hand in beide Hände und strich mit seinem rechten Daumen über ihre Hand. Dann nahm er ihren Kaffeebecher vom Nachttisch, stand auf und ging zur Tür. Bevor er ging, drehte er sich noch einmal kurz zu ihr um.

Na so was!  Die Helfermasche!?  Irritiert fragte sie sich, ob  der Mann einfach zu allen so freundlich war oder jetzt nur zu ihr? Gut sah er nebenbei bemerkt aus:  groß, sportlich, dunkles Haar, im Nacken ein wenig gewellt, blaue Augen. Ziemlich blaue Augen. Ach, wozu darüber nachdenken …

Sie versuchte, Ihrer Schulfreundin Petra die vorhin angefangene SMS zu schreiben, aber es dauerte eine Weile: trotz Brille tanzten die Buchstaben und Zeichen vor ihren Augen. Schließlich schaffte sie es und legte sich erschöpft in ihre Kissen.

Nachts wachte sie mit pochendem Schädel auf. Die Nachtschwester gab ihr ein Schmerzmittel. Das schien dann irgendwann zu wirken, denn sie wachte erst wieder auf, als jemand in ihrem Zimmer polterte. „Oh, Entschuldigung! Ich wollte Sie nicht wecken“, hörte sie eine Männerstimme, an die sie sich dunkel erinnern konnte. „Einbrechen ist  nicht meine Stärke …“ Er versuchte, einen Blumenstrauß in eine viel zu kleine Vase zu stopfen. „Oh, wie nett! Wir können die Schwester nach einer größeren Vase fragen“ ,   schlug sie, plötzlich ganz wach, vor. „Da gab’s nur dieses Modell“, entgegnete er. „Hören Sie, Robert, es ist ganz lieb, dass Sie sich so kümmern. Ich weiß es wirklich zu schätzen …“  „… ich versteh‘ schon! Bin gleich weg. Ach, soll ich Sie vielleicht morgen zur Werkstatt bringen, damit Sie sich um die Reparatur kümmern können?“ ,   fragte er. „Oh, danke, das ist nicht nötig, ich regele das dann schon“ ,  erwiderte sie, „und danke für die Blumen!“

„Ja, dann …“, begann er und ging  zur Tür. „Alles Gute, Andrea. Auf Wiedersehen.“ „Auf Wiedersehen, Robert“,  sprach‘s und suchte geschäftig in ihrer Schublade herum.

Ein wenig penetrant, dieser Mann, dachte sie bei sich und überlegte, was sie als nächstes tun sollte: doch Rainer anrufen, damit er die Sache mit dem Auto und der Werkstatt übernehmen würde? Petra anrufen?

Sie war offensichtlich eingeschlafen, denn als sie die Augen aufmachte, war es schon fast dunkel. Oder noch? Ihr Handy blinkte. Nachrichten. Von Rainer. Von Petra. Rainer rief sie zurück und der machte ihr Vorwürfe, ihn nicht gleich benachrichtigt zu haben. Was sie sich dabei gedacht hätte? Sie redet ihm aus, zu kommen um in der Werkstatt nach dem Rechten zu sehen. Morgen war Montag. Die Kinder mussten zur Schule und da sollte doch jemand anwesend sein. Sie versprach, sich zu melden, wenn es etwas Neues gäbe.

Auf dem Nachttisch stand das Tablett mit dem Abendessen. Dieses Krankenhausessen schlug auf’s Gemüt. Zwischen Tee und abgepacktem Brotbelag klopfte es  - Petra. Sie hatten sich eigentlich schon lange nicht mehr gesehen, denn ihr Leben verlief in völlig verschiedenen Bahnen, von den Orten ganz zu schweigen. Aber ein wenig loser Kontakt per E-Mail oder Telefon hatte immer bestanden. Ja, man habe am Abend zuvor sehr gut gegessen, aber der Gesprächsfluss habe immer mal wieder gestockt …  Sie machte sich immer schon einen Spaß daraus, ein wenig zu provozieren und scheute dann auch kaum eine Schamgrenze … Das war schon immer so … Gestern hatte sie sich mit Gernot, einem Bundeswehroffizier angelegt, der von frühester Jugend an schon zielstrebig auf seine Berufung hingearbeitet hatte. Petra machte sich über so viel geradlinige Karriere gerne lustig. Sie sah sich selber immer als „die alternativ angehauchte“ – was immer sie auch darunter verstehen mochte.

Anscheinend hatte aber niemand nach ihr, Andrea, gefragt, und Petra hatte es auch nicht für nötig befunden, die ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschüler zu informieren, was Andrea auf der Hinfahrt zum Klassentreffen widerfahren war. Na, das war eigentlich nicht verwunderlich. Wie war das mit den Kindheitsmustern?

Sie verabredete sich mit Petra für den kommenden Vormittag. Zusammen wollten sie nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus zur Werkstatt fahren.

Das Handy blinkte: Rainer hatte mit der Werkstatt telefoniert und verabredet, dass Andrea für die Zeit der Reparatur mit einem Leihwagen nach Hause fahren könnte. Wie machte er das nur? An einem Sonntag?

Nach der Visite am Montagmorgen und einigen vorausgegangenen Untersuchungen durfte sie ihre Sachen zusammenpacken und zusammen mit Petra – wenigstens eine treue, wenn auch keine verwandte Seele – das Krankenhaus verlassen. In der Werkstatt gab man ihnen die Adresse einer Leihwagenfirma  im Ort, wo Andrea  erst einmal stutzte: dort empfing sie Robert, ihre Bekanntschaft aus dem Krankenhaus, oder sollte sie sagen: von der Autobahn?

Andrea versuchte, souverän  alle Formalitäten zu regeln, aber Robert … Himmel, sie hatte jetzt keinen Nerv‘  für verzwickte Gedankenspiele. Sollte doch Petra … Die unterhielt sich auch gerade mit ihm über die Vor- und Nachteile des Car-Sharings.

Als sie Robert das ausgefüllte Papier entgegenhielt, nahm er es ohne zu prüfen und legte es auf dem Schreibtisch ab. „Müsst Ihr gleich los?“, fragte er und Andrea konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie Petras verblüfften Blick im Augenwinkel sah. „Auf einen Kaffee würde ich die Damen doch noch gerne einladen.“ Petra lehnte dankend ab:  sie hatte noch Termine. Mit einem Nicken in Roberts Richtung sowie einer kurzen Umarmung für Andrea und einem „Melde Dich!“  verabschiedete sie sich. Darauf herrschte erst einmal Schweigen.

„Ja, warum nicht? Der Krankenhauskaffee war wirklich keine Offenbarung.“  „Wir nehmen meinen Wagen“, sagte er und hielt ihr die Tür auf. „Warte kurz, ich muss noch meiner Mitarbeiterin Bescheid sagen, dass ich weg bin.“  Oh, er war beim Du gelandet.

Sie saßen nun schon über eine Stunde in einem kleinen Kaffee und hatten sich wirklich angeregt unterhalten. Einige Male hatte sie sich ertappt, wie sie vor Lachen gluckste. Man konnte ihm sehr gut zuhören. Von sich hatte sie gar nicht viel geredet  und er hatte auch nichts gefragt. Dafür wusste sie inzwischen, dass er die Leihwagenfirma mit seinem Bruder führte, dass er geschieden war, keine Kinder hatte und gerne ins Theater ging. Sie wusste nicht, wann sie das letzte mal in einem Theater gesessen hatte. Nach dem Kaffee hatte sie eine Cola bestellt. Sie musste ja noch eine ganze Strecke fahren bis nach Hause. Zurück im Hof seiner Firma hatte er sie zu dem für sie bestimmten Mietwagen begleitet und ihr unvermittelt mit dem Handrücken über die linke Wange gestrichen. Nur ein Hauch. Dann war sie eingestiegen und losgefahren.

Rainer hatte seinen Wagen um die Ecke geparkt und war dann zur Autovermietung gelaufen. Der Gedanke, Andrea zu überraschen, war ihm sonntags gekommen und er freute sich schon sehr auf ihr Gesicht. Gleich nachdem die Kinder in der Schule waren, hatte er sich ins Auto gesetzt und war losgefahren.  Jetzt sah er Andrea und diesen Mann vertraut in das fremde Auto einsteigen. Bitte?

Intuitiv ging er zurück zu seinem Wagen, fuhr vor bis zur Straßenbiegung und sah das Auto, das soeben den Hof der Autovermietung verlassen hatte, noch von hinten. Er war dem Wagen gefolgt und hatte eine geschlagene Stunde in gebührendem Abstand vor dem Café gestanden. Seine Eifersucht und Wut waren in dieser Stunde in nie geahnte, nie erwartete Ausmaße gewachsen. War Andrea blind? Selbst als sie mit diesem Mann aus dem Café kam, hatte sie ihre Familienkarosse nicht bemerkt. Sie schien in einer anderen Welt zu sein, bemerkte er verbittert. Als ob er nicht schon masochistisch genug gewesen wäre, folgte er den beiden abermals , diesmal zurück zur Autovermietung. Ja, er hatte auch die Abschiedsgeste gesehen.

Er wusste selber nicht, was in ihn gefahren war, als er auf der Autobahn plötzlich beschleunigte  und den Wagen mit seiner Frau abdrängte. Sie hatte entsetzt zur Seite geblickt. Beim zweiten Mal musste sie ihn erkannt haben. Der dritte Rempler saß: Andrea kam mit ihrem Leihwagen von der Spur ab und schoss durch die Leitplanke. Danach war alles dunkel.

Der Leichnam der Frau musste von der Feuerwehr aus dem Auto befreit werden. Der Mann erlag auf dem Weg ins Krankenhaus seinen Verletzungen.

 

 




Ende
ella2208 ist Autor von 2 anderen Geschichten.



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