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Lord Vulcan spürte, wie die zunächst halbwegs angenehme Atmosphäre einer Eiseskälte Platz machte, die er sich überhaupt nicht erklären konnte. Sich vergewissernd schaute er zum Fenster, um zu prüfen, ob dieses auch richtig geschlossen war. Da es daran offensichtlich nicht liegen konnte, dass ihn plötzlich fröstelte, nahm er eine abwartende, fast abwehrende Haltung ein. Mit vor der Brust verschränkten Armen saß er auf einem Mahagonistuhl, der mit altrosa Chintz -  einem Überbleibsel der Herrschaft seiner Mutter - bezogen war, zog finster seine Augenbrauen zusammen und schwieg.

Doch statt zu antworten, nahm Serena das silberne Glöckchen vom Tisch und läutete nach Charles.

Als dieser wenige Sekunden später dienstbeflissen eintrat, wies sie ihn mit einem freundlichen Lächeln an: „Ich denke, Sie können abräumen, danke."

„Sehr wohl, Mylady."

Lord Vulcan rollte mit den Augen. Ach, so war das! Er hatte anscheinend in seinem eigenen Haus nichts mehr zu melden. Er war zu nachgiebig und gutmütig, hier wurde es ihm erneut deutlich vor Augen geführt.

Entschlossen erhob sich Justin und reckte sich zu seiner ganzen Größe auf, dann baute er sich in eben dieser imposanten Haltung vor seiner Frau auf: „Morgen reist du ab. Mein letztes Wort. Und nun wirst du mich wohl entschuldigen, meine geschäftlichen Termine warten nicht. Da du den Tag wider Erwarten hier in London verbringen wirst, informiere ich dich natürlich über meinen geplanten Tagesablauf, damit du darüber im Bilde bist. Allerdings kann ich so kurzfristig nur geringfügige Änderungen am Plan vornehmen: Also, ich statte nun John Burley einen Besuch ab, wir werden dann gemeinsam im Club den Lunch nehmen, am Nachmittag ist eine Sitzung des House of Lords, danach muss ich zur Anprobe beim Schneider sein - wobei mir einfällt, dass es für dich eine gute Gelegenheit sein dürfte, dir etwas Festliches fürs Weihnachtsfest auf Mandrake schneidern zu lassen - anschließend komme ich auf eine Tasse Tee und ein Bad hierher zurück, ziehe mich für den Abend um und bin dann zu einem Konzert beim Earl of Jersey geladen. Falls du die passende Garderobe vorzuweisen hast, kannst du mich gerne dorthin begleiten. Wie fändest du das?"

Auch Serena stand nun auf, sie war so klein und zierlich, dass sie Justin lediglich bis zur Brust reichte, doch wenn sie auf Gegenwehr geschaltet war, wirkte sie anders, fast als wäre sie ein gutes Stück gewachsen.

„Danke. Ich glaube, ich komme ohne Konzert aus."

„Ganz wie du denkst. Dann sehen wir uns wohl zum Tee."

„Anzunehmen."

„Was ist mit der Schneiderin? Soll ich einen Laufburschen bitten, vorbeizulaufen und dich anzukündigen?"

„Kann ich das nicht selbst in die Hand nehmen?"

„Sicher. Ich wollte es dir nur anbieten."

Die Sätze der beiden wurden immer knapper und der Ton immer ungehaltener.

Justin deutete eine Verbeugung an, was gleichbedeutend damit war, dass er sich verabschieden wollte. Während er noch überlegte, was besser wäre: ihr entweder die Hand zu küssen oder - vielleicht angebrachter - ihr einen Kuss auf Stirn oder Wange zu hauchen, hatte Serena Zeit, sich für eine derartige Geste zu wappnen. Mit gekräuselter Stirn wich sie dem einen Schritt auf sie zumachenden Justin zur Seite aus und kehrte ihm dann halb den Rücken zu. Er schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Zorn stieg in ihm auf und so bellte er aufs Äußerste ungehalten beim Hinausgehen: „Ach, bevor ich es vergesse: du wirst kommende Nacht in mein Schlafgemach umsiedeln, wie es sich für eine Ehefrau gehört!"

Bedauerlicherweise ließ er die Tür so eilig ins Schloss fallen, dass er Serenas Kommentar nicht mehr hörte: „Wohl kaum. Es ist wegen gewisser Vorgänge meines Körpers derzeit weder für dich noch für mich wünschenswert."

Natürlich schob sie ihr körperliches Befinden nur als Notlüge vor, denn tatsächlich blutete sie nicht. Sie war weder gewillt, am nächsten Tag London zu verlassen, noch ihrem Gatten auf ein Fingerschnippen hin zu Willen zu sein, jedenfalls nicht, wenn er so wenig liebevoll mit ihr umsprang wie in letzter Zeit. Und - es galt noch immer, eine Schwangerschaft tunlichst zu vermeiden.

Das Einzige, was Serena an Wünschen ihres Ehemanns umzusetzen gedachte, war ein Besuch bei der Schneiderin. Sie ließ sich daher in Begleitung des Hausmädchens - natürlich hatte seine Lordschaft das Personal angewiesen, Lady Vulcan nicht unbegleitet ausgehen zu lassen - gleich nach dem Lunch hin kutschieren und verbrachte zwei recht angenehme Stunden, weil sie zwischen all den Stoffen, Federn, Bändern, Knöpfen und Verzierungen ihre Probleme mit Justin verdrängen konnte.

Erst als sie in der Kutsche retour zum Belgrave Square saß, holten diese Dinge sie wieder ein. Serena war kein berechnendes Wesen, das widerstrebte ihr sogar, aber dieses Mal musste sie ihre eigene Persönlichkeit verleugnen, um ihr Ziel zu erreichen: sie wollte keinesfalls nach Mandrake zurück! Dafür war ihr nahezu jedes Mittel recht, auch Täuschen und Lügen. Zu tief hatte sie sich bereits in diese Lage hineinmanövriert und nun galt es alles auch durchzuhalten.

Ihr blieb kaum Zeit, sich nach ihrer Rückkehr für den Tee umzuziehen, als auch schon Justin mit dem Zweispänner vorfuhr. Er legte im Vestibül des Hauses nur Handschuhe, Zylinder und Kutschmantel ab und begab sich sofort in den Salon. Bei seinem Eintritt erhob sich Serena und blickte ihm halb erwartungsvoll, halb unruhig entgegen.

Er musterte sie und stellte lakonisch fest: „Ein neues Kleid?"

„Ja. Sehr erfreulich, dass es dir auffällt."

„Du unterschätzt mich, natürlich fällt es mir auf. Gibt es sonst Neues von deinem offensichtlichen Besuch bei der Schneiderin zu berichten?"

„Nicht viel, außer dass die Rechnung dich vielleicht wird zusammenzucken lassen."

Er reagierte ziemlich gelassen: „Das stand zu vermuten."

Da Charles in diesem Augenblick den Tee brachte, verstummte die Unterhaltung und man widmete sich fürs Erste dem Teetrinken. Nachdem Justin zwei Tassen getrunken und ein Stück Mandelkuchen gegessen hatte, stand er auf.

„Mein Bad ist sicher schon gerichtet. Entschuldige mich, bitte."

Serena wollte gerade nach dem Butler läuten, um das Teegeschirr wegräumen zu lassen, als Justin, nur in Hose und Hemd bekleidet, erneut erschient, dieses Mal war er aber reichlich aufgebracht: „Ich habe gerade bemerkt, dass du mitnichten deine Sachen in mein Schlafzimmer hast bringen lassen. Was ist los?"

„Oh, du hast es heute früh wohl nicht mehr gehört... es... es geht nicht."

„Es geht nicht? Was geht nicht? Könntest du dich bitte etwas klarer ausdrücken, Serena?"

Die Lüge musste nun sein, auch wenn Justin in absolut informeller Kleidung, mit halb geöffnetem Hemd, einen sehr anregenden Eindruck machte, also befeuchtete Serena ihre Lippen und erwiderte mit gesenktem Kopf: „Ich fühle mich nicht danach."

Lord Vulcan verstand  nicht auf Anhieb, um was es ging und hieb mit der Faust auf die  hölzerne Türverkleidung, was Serena zusammenfahren ließ.

„Großer Gott! Frauen und ihre Launen und Befindlichkeiten. Wegen ein bisschen Kopfweh oder ähnlichem...", doch auf einmal dämmerte ihm, was vor sich ging, er hatte genügend Erfahrungen mit Frauen gesammelt, vor allem mit seiner vormaligen Geliebten La Flamme, um nun den Grund für Serenas Sträuben zu erahnen.

Er kniff die Lippen zusammen und nickte.

„Verstehe. Dann werde ich rasch zu meinem Bad zurückkehren, das Wasser wird hoffentlich noch leidlich warm sein", er wollte schon auf dem Absatz kehrt machen, überlegte es  sich aber noch einmal anders und fügte noch an, „wobei es bedauerlich ist, dass es dir unmöglich ist, mir beim Baden Gesellschaft zu leisten."

Serena lief feuerrot an, sagte aber nichts mehr und atmete hörbar aus, als Justin gegangen war.






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