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Als sein Butler ihm eine Karaffe Wasser brachte und ihn beim Auskleiden behilflich sein wollte, fragte er ihn mit schwerer Zunge: „Wo... wo ist Mylady?"

„Ihre Ladyschaft trinkt eine Tasse heiße Schokolade im Salon am Kaminfeuer. Soll ich ihr etwas ausrichten, Mylord?"

Müde schüttelte Justin den Kopf, doch ein schmales Lächeln zog über seine Lippen. Ja, Serena liebte heiße Schokolade.

Bevor er sich endgültig niederlegte, fielen ihm zwei weitere Dinge ein: „Charles, wie hat die Küche denn diesem Wunsch von Lady Vulcan entsprechen können? Sie ist doch ohne Vorankündigung eingetroffen, oder? Und wo... wo wird sie schlafen?"

„Es ist alles geregelt, Mylord. Aufgrund der überraschenden Ankunft von Lady Vulcan und des etwas - Sie verzeihen, Sir - fragwürdigen Zustand Eurer Lordschaft hielten wir es für das Beste, Ihre Ladyschaft im gleichen Zimmer unterzubringen, in dem sie bereits bei ihrem ersten Aufenthalt hier genächtigt hat. Sie wissen schon, als Sie noch nicht mit ihr verheiratet waren. Und immer Kakao vorrätig zu haben, ist ein Verdienst der Köchin, die meint, man müsse stets auch für unvorhergesehene Fälle gerüstet sein. Sie wusste ebenfalls vom damaligen Aufenthalt Ihrer Ladyschaft um deren Vorliebe für heiße Schokolade. Wir haben sie seitdem immer im Haus."

Justin murmelte noch „Danke, es beruhigt mich zu wissen, dass wenigstens dieser Haushalt ordentlich funktioniert", dann war er eingeschlafen.

Am Morgen stöhnte er auf, als ihm bewusst wurde, wie er auf seine Frau gewirkt haben musste. Er war ein dämlicher Vollidiot! Aber was half‘s - er musste ihr gegenüber treten und eine vermutlich unangenehme Unterhaltung mit ihr führen. So legte er viel Wert auf ein angemessenes Erscheinungsbild und Garderobe, bevor er sich endlich zum Frühstück begab.

Auf dem kurzen Weg dorthin legte er sich alle möglichen Argumente zurecht, die in der bevorstehenden Konversation eine Rolle spielen konnten. Doch zunächst verschlug ihm der Anblick Serenas für ein paar Sekunden völlig die Sprache. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass sie ihn anstrahlte, vom Stuhl aufsprang, ihm ihre Hand entgegenstreckte und dabei mit leichter Sorge in der Stimme  anmerkte: „Guten Morgen, Justin. Es geht dir wohl recht gut, was mich sehr erleichtert."

Beinahe automatisch hob er ihre zierliche Hand an und drückte einen Kuss darauf, wobei er murmelte: „Danke, ja, es  geht mir gut. Und auch ich wünsche einen guten Morgen."

Nachdem er sich vom Frühstück bedient und Butler Charles ihm frischen Tee serviert hatte, waren seine Lebensgeister soweit wieder hergestellt, dass er strenger mit seiner Frau ins Gericht gehen konnte. Leicht fiel es ihm nicht, nun eine missbilligende Miene aufzusetzen und sie zu tadeln, doch er hatte keine andere Wahl.

„Bitte, es ist ganz und gar nicht gut, dass du einfach so hier in London aufgetaucht bist. Ich hatte ausdrücklich erwähnt, dass Mandrake Castle der richtige Aufenthaltsort für dich ist und dich dorthin zurück geschickt. Du solltest dich gleich morgen auf den Weg zurück machen."

Sie machte keinerlei Anstalten zu protestieren, was er eigentlich so erwartet hatte. Stattdessen senkte sie demütig ihren Kopf und nickte, was Justin sichtlich irritierte.

„Natürlich, ganz wie du wünschst. Nur eines: Würdest du mir bitte sagen, aus welchem Grund du mich fern von London haben möchtest? Gönnst du mir keine der unzähligen Vergnügungen, die während der Saison geboten werden? Theaterstücke und Opern, Besuche bei Freunden und Bekannten, Gesellschaften und Bälle?"

Justin war beruhigt. Wenn es nur das war, was sie wissen wollte - nichts leichter als das.

„Es ist nicht der richtige Ort für ein Mädchen... entschuldige, für eine Frau wie dich. Es wimmelt hier nur so von zwielichtigen Gestalten, die darauf warten, jemanden übel mitzuspielen. Und ich spreche da nicht allein von Dieben und noch schlimmerem Gesindel. Es gibt in London solche skrupellosen Schurken wie Wrotham wie Sand am Meer. Glaub mir, Serena, nur auf Mandrake kann ich für deine Sicherheit wirklich garantieren."

Serena zwang sich dazu, ruhig zu bleiben und atmete tief durch. Sie wollte nicht streiten, zumindest nicht um jeden Preis.

„Ausgerechnet dort, wo sowohl deine Mutter als auch Wrotham versucht haben, mich zu entführen, zu entehren und mich zu zwangsverheiraten, soll ich sicher sein? Wo geheime Gänge aus dem Haus in Schmugglerhöhlen in den Klippen führen? Das klingt in meinen Ohren wahrhaftig alles andere als ungefährlich. Außerdem bist du weit weg und könntest nicht eingreifen, sollte jemals etwas vorfallen. Hier aber wäre ich in deiner Nähe und du könntest persönlich darum kümmern, dass mir nichts zustößt."

„Serena, ich kann hier in London nicht ständig und in jeder Sekunde an deiner Seite sein. Ich habe zu arbeiten. Nein, ich muss auf Mandrake bestehen. Die meisten Geheimgänge wurden nach Mutters Tod zugemauert und die Küstenwache hat Order, verstärkt zu patrouillieren, um eventuelle Schmuggler gleich dingfest zu machen. Dort droht dir wirklich keinerlei Gefahr. Außerdem lass dir gesagt sein, dass Opern grässlich langweilig sind, man bei Gesellschaften, wie sie bei Almack's gegeben werden, vor schlechter Luft und stickiger Hitze kaum richtig atmen kann, und nach dem fünften Elf-Uhr-Besuch bei Bekannten einem die Sache beginnt ziemlich lästig zu werden, weil man die gleiche Unterhaltung wieder und immer wieder, ohne Übertreibung gesprochen unzählige Male, führen muss."

„Ist das alles? Es sind schwache Argumente, wie ich finde. Ich bin gerne bereit, grässliche Opern, stickige Luft und sich wiederholende Unterhaltungen zu ertragen. Man muss es einfach einmal erlebt haben und das gedenke ich nun zu tun. Ich bleibe... es sei denn, du führst ein wirklich unschlagbares Argument ins Feld, dem man sich einfach beugen muss."

Justins Gesichtsmuskeln zuckten, weil er sich beherrschen musste, um nicht vollends die Geduld zu verlieren.

„Dir ist deine eigene Sicherheit offensichtlich nicht Argument genug, Serena. Und das nach allem, was dir bereits widerfahren ist, was du in unserer Verlobungszeit erleben musstest - da kann ich deinen Widerstand gegen diese wirklich vernünftige Entscheidung leider nicht nachvollziehen."

Etwas leiser fügte er an: „Ich dachte bislang, es käme dir gelegen, dass du ein weitgehend unabhängiges, freies Leben auf Mandrake führen kannst. Ohne... ohne ständig von mir, deinem Ehemann, kontrolliert, eingeengt und in deiner Unabhängigkeit beschnitten zu werden. Ich war der Meinung, dass du derlei Dinge als wertvoll erachtest, als erstrebenswertes Gut. So habe ich dich zumindest kennengelernt und eingeschätzt. Ein zierliches Persönchen mit einem recht eigenen Köpfchen."

Es nahm Serena damit beinahe den Wind aus den Segeln, weil er im Prinzip mit dem allem gar nicht so falsch lag und er ihr genaugenommen Freiheiten eingeräumt hatte, die sie nicht zu schätzen gewusst oder auch teils falsch interpretiert hatte. Was er aber nicht bedacht hatte, war der Umstand, dass sie sich zwar weitgehend unabhängig,  aber einsam dort fühlte und ganz und gar nicht wie eine verheiratete Frau. Überdies war da noch die Ungewissheit, ob Justin sie nicht auch aus Eigennutz fern von sich hielt, weil er ebenso frei, unabhängig und ohne Ehefrau als Klotz am Bein die Verlockungen Londons genießen wollte. Es war wesentlich wahrscheinlicher, dass dies der eigentliche Beweggrund für das vehemente Eintreten Lord Vulcans für ihren Verbleib auf Mandrake war. Er sollte sie gefälligst nicht für dumm verkaufen! Vollzogen - und das erklärte seine unregelmäßigen, spontanen Stippvisiten auf Mandrake - hatte er die Ehe vermutlich nur aus einem plausiblen Grund: er brauchte einen legitimen Erben!






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