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Verbissen zählte Justin Lord Vulcan die Zahlenkolonnen im Schein eines fünfarmigen Leuchters zusammen. Nicht dass er das Geld nicht mehr gehabt hätte, nein, er hatte es gut angelegt und sogar schon leichte Zugewinne verbucht, aber im Grunde seines Herzens wollte er nicht, dass er zur Auszahlung an Serena kommen würde. Vielleicht war es ein wenig überzogen von ihm gewesen, ihr gleich mit Scheidung zu drohen, nur weil... weil sie sich ihm dieses eine Mal verweigerte.

Er hatte sie diesbezüglich in den wenigen Tagen und Wochen seit der Eheschließung recht bereitwillig gefunden, auch wenn ihr der Schrecken über die ersten Erfahrungen ein klein wenig zugesetzt hatte. Justin hatte durchaus Vergnügen daran gefunden, für sie den Lehrmeister in Sachen Liebe zu geben und aus dem unschuldigen Landmädchen - soweit es die knappe Zeit zugelassen hatte - eine hingebungsvolle Ehefrau und Geliebte zu machen. Ach, verflucht, er wollte nicht daran erinnert werden! Für dieses unerfahrene Gör hatte er sogar seine Geliebte La Flamme, eine rassige rothaarige Schönheit, die ihn sehr viel Geld gekostet, ihm aber auch sehr gute Dienste im Boudoir erwiesen und von der er so manchen Kniff Frauen betreffend gelernt hatte, wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen. Für La Flamme war es kein Beinbruch gewesen, sie hatte sich sofort Justins Freund John Burley zugewandt und auch Justin war die Trennung mit Aussicht auf seine bevorstehende Ehe nicht sonderlich schwergefallen. Doch in diesem Augenblick wünschte er sich eine temperamentvolle, heißblütige Bettgenossin, die das Gegenmittel zu seinen schmerzenden Lenden bereitstellen würde. Serena hatte ja klipp und klar erklärt, dass sie dafür nicht in Frage kommen würde.

Als er steifbeinig und mit verschlossenem Gesichtsausdruck beim Dinner erschien, wahrte er wenigstens die Höflichkeit und begrüßte diesmal freundlich die Bower-Staverleys.

„Nicholas, es freut mich sehr, Sie zu sehen. Sie verzeihen bitte, dass ich Sie vorhin nicht gleich begrüßt habe, ich war einfach zu sehr in Gedanken, was unverzeihlich war. Isabel,  Sie sehen hinreißend aus."

„Danke. Wir waren schon in Sorge, dass etwas nicht in Ordnung sein würde."

„Nein... nein, alles bestens, wirklich."

Doch der Blick, den er Serena zuwarf, sprach eine andere Sprache. Er missbilligte ihr tiefes Dekolleté am Kleid, das sie seiner Meinung nach nur deswegen angezogen hatte, um ihn anzuheizen und dann die angefachte Glut sich selbst zu überlassen. Sie machte das mit voller Absicht, dessen war sich Lord Vulcan sicher.

Ein Abendessen zu viert war eine intime Sache, doch aufgrund der Verstimmung zwischen Lord und Lady Vulcan verlief die Konversation bei Tisch nur schleppend. Justin beteiligte sich allenfalls gelegentlich, und wenn dann recht einsilbig, an der Unterhaltung.

Erst als man sich in den Salon begab, wo Tee und Kaffee gereicht wurden, und Justin den Arm von Isabel losließ, hatte er Gelegenheit, Serena, die ihrerseits von Nicholas begleitet wurde, ein paar private Worte zuzuraunen: „Das Geld ist natürlich unangetastet. Ich konnte den Wert sogar ein wenig mehren. Du musst dir also keine Sorgen machen, ich könnte es verprasst und womöglich für eine kostspielige Geliebte ausgegeben haben."

„Gut. Aber wenn du glaubst, mich mit Worten verletzen zu können, dann hast du dich getäuscht."

„Noch etwas: Du solltest deine weiblichen Reize nicht so ungeniert zur Schau stellen. Ein mehr hochgeschlossenes Kleid wäre nicht verkehrt."

„Das stört dich? Aus welchem Grund?"

Am liebsten hätte er ihr ins Gesicht geschrien, dass sie damit seine männlichen Reaktionen herausforderte, doch das war natürlich nicht möglich.

Also zog er eine säuerliche Grimasse und antwortete: „Weil ich es unschicklich und unpassend für ein Dinner in so kleinem Kreis finde. Wenn wir im Theater wären und danach in Gesellschaft soupiert hätten, wäre dagegen nichts einzuwenden."

„Dann hätte halb London mir in den Ausschnitt gestarrt und das wäre dann nicht unschicklich gewesen? Wirklich merkwürdig, Justin."

„Das... das ist so üblich. Da alle Damen dann so gekleidet sind, fällt es nicht auf und niemand sieht darin einen Anr... eine Ungebührlichkeit."

„Verstehe. Da weiß ich ja, auf was ich zu achten habe, wenn wir die Saison in London verbringen."

Justin glaubte, nicht recht gehört zu haben. Serena wollte nach London? Das war ihm völlig neu. Plötzlich setzten sich vor seinem geistigen Auge einige Steinchen zu einem Mosaikbild zusammen. Aber er war nicht darauf vorbereitet, ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt mit ihr darüber zu diskutieren. Er griff sich an die Stirn, weil sein Kopf zu schmerzen anfing.

„Bitte, darüber sollten wir ein andermal sprechen. Ich würde gern zu Bett gehen, weil ich erschöpft und müde bin und mein Schädel mich martert."

„Ein andermal? Dann wirst du dich also nicht scheiden lassen?"

Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte ihn mit dieser Frage zum Schmunzeln gebracht.

Doch er war nicht gewillt, zu nachgiebig zu sein, weswegen er nur kurz meinte: „Zumindest nicht gleich morgen. Und nun gute Nacht."

Er verließ den Raum gleich nachdem er auch Nicholas und Isabel eine gute Nacht gewünscht hatte.

Statt zu schlafen, wälzte sich Lord Vulcan unruhig im Bett hin und her. Es war eine Tortur zu wissen, dass seine Frau nicht weit von ihm lag, aber leider nicht in seinen Armen, sondern in einem anderen Zimmer.

Weswegen wollte Serena unbedingt nach London? Sie wollte ihn bestimmt kontrollieren, aufpassen, dass er ihr Geld nicht verspielte oder gar Schlimmeres damit anstellte. Er verzog das Gesicht wohl zum hundertsten Mal an diesem Tag zu einer unwilligen Grimasse. Es war verständlich, dass es unschön für sie sein musste, den Vergnügungen einer Saison in London fernzubleiben, aber es geschah doch nur zu ihrem Besten. Das musste sie doch einsehen! Er wollte sie sicher auf Mandrake wissen,  beschützt, behütet und vor allen Gefahren, die in London auf eine schöne, junge und unerfahrene Lady wie sie warteten,  abgeschirmt. Er würde - und das stand für ihn so fest wie das Amen in der Kirche - jeden zum Duell fordern, der Serena auch nur andeutungsweise Galanterien zukommen lassen würde. Allein der Gedanke, dass solch ausgemachten Schurken vom Kaliber eines Wrotham auch nur das Wort an Serena richten, sie mit gierigen Blicken durchbohren oder mit wurstigen Fingern ihre Hand aufnehmen und ihre wulstigen Lippen grobschlächtig darauf pressen würden, ließ Justins Blut vor Eifersucht überkochen. Nein, nur über seine Leiche würde er Serena mit nach London nehmen! Abgesehen von den Dingen, vor denen er sie bewahren wollte, wäre es  viel zu ablenkend und verführerisch für ihn, sie ständig in seiner Nähe zu haben. Er würde seine Geschäfte und Verpflichtungen sträflich vernachlässigen, weil er seinem Verlangen nach ihr ständig nachgeben würde, was dann ja um ein Vielfaches einfacher wäre. In Nullkommanichts wäre er die perfekte Zielscheibe für Spott und Hohn und somit der Knüller der Saison! Oh, nein!

Mehr als einmal in der Nacht zündete Serena die Kerze auf ihrem Nachttisch an, begab sich mit dem Leuchter in der Hand zur Zimmertür und wollte diese öffnen, doch sie ließ jedes Mal in letzter Sekunde Vernunft walten und ging wieder zu Bett. Sie hatte ohnehin kaum eine Chance, sich mit ihrer Bitte bei Justin Gehör zu verschaffen, sobald sie jedoch schwanger sein würde, war auch noch diese winzig kleine Chance vertan. Sie musste standhaft bleiben, selbst wenn sie Justins Umarmung, seine liebevollen Aufmerksamkeiten, seine brennenden Küsse immens vermisste. Da dieses Gefühl, bedingt durch die oftmalige Abwesenheit ihres Gatten von Mandrake, aber nicht neu für sie war, fiel sie glücklicherweise nach einer Weile in den erhofften Schlummer.

Zum Frühstück war es Lord und Lady Vulcan erst einmal nicht vergönnt, ein paar private Worte miteinander zu wechseln, weil man es gemeinsam mit dem anderen Ehepaar einnahm. Obwohl Justin um Höflichkeit bemüht war, sah man ihm an, dass er angespannt war und offensichtlich keine gute Nacht verbracht hatte.

Als das belanglose Geplappere von Isabel kein Ende nahm, sich die Konversation nur um Mode, den Prinzregenten und den Hofklatsch drehte, wurde es Lord Vulcan zu viel.

Er riss sich die Serviette vom Schoß und knallte diese hart aufs Tischtuch: „Bitte! Ich möchte, bevor ich die Weiterreise nach London antrete, wenigstens fünf Minuten in aller Ruhe mit meiner Frau reden können und hoffe, es ist nicht zu viel verlangt!"

Nicholas wollte schlichten, schätzte die Lage jedoch falsch ein: „Habt ihr beiden euch heute Nacht gegenseitig angeschwiegen, so dass ihr jetzt alle Unterhaltungen nachholen müsst?"

Serena blickte betroffen zu Boden und Justin funkelte sein männliches Gegenüber böse an.

Die scharfsinnige Isabel traf hingegen den Nagel auf den Kopf: „Wenn du mich fragst, liebster Nick, konnten die beiden sich weder anschweigen noch miteinander reden, weil sie gar nicht im gleichen Zimmer genächtigt haben."

Man hätte nun eine Stecknadel fallen hören können.

Dann hauchte Nicholas ein verlegenes „Oh", gefolgt von einem verächtlichen Schnauben Justins. Innerhalb weniger Sekunden löste sich die sichtlich betreten wirkende kleine Gruppe auf.

Serena und Justin verblieben im Morgenzimmer. Für eine Weile hörte man wiederum kein Geräusch, außer dem Schlagen einer Uhr in einem angrenzenden Raum, das bewusst machte, dass es zehn Uhr war. Justin holte mechanisch seine Taschenuhr hervor, besah sich diese prüfend, stellte die Zeiger nach, zog das Uhrwerk auf und steckte den Chronografen wieder in seine Westentasche.

Mit undurchsichtiger Miene stand er auf.

„Ich muss bald los."

Serena nickte dazu, sagte aber nichts. Ihre Kehle war wie zugeschnürt und all die Worte, die sie bittend an ihren Gatten hatte richten wollen, kamen nicht hervor.






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