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Verflixt und zugenäht! Augenscheinlich führte seine Frau ein zu lockeres Regiment, vermutlich ließ sie den Dienstboten viel zu viel durchgehen.

Lord Vulcan räusperte sich und rief dann mit lauter, sonorer Stimme, die durch die hohen Burgmauern verstärkt wurde und somit widerhallte: „Anthony! Joseph! Was ist denn das für ein Gebaren?"

Als auf sein Rufen noch immer niemand erschien, schüttelte er fassungslos den Kopf, nahm die Stute am Zügel und führte sie höchstpersönlich in Richtung der Stallungen. Unmittelbar bevor er einen Torbogen passierte, um vom Ehrenhof in den Wirtschaftshof zu gelangen, stoppte ihn das Erscheinen Josephs auf der Treppe vorm Hauptportal.

„Du liebe Güte, Mylord! Ich dachte, ich hätte wirre Fantasien, als ich meinte, eure Stimme zu hören und tat es beinahe als Hirngespinst ab. Zum Glück ging ich dann doch hier heraus, um mich zu vergewissern.  Euer Lordschaft werden das Haus in leichter Unruhe finden, denn es war keine gute Nacht, die wir alle hier verbracht haben. Es ist eine glückliche Fügung, dass ihr so plötzlich erschienen seid, so kann ich mir den Boten nach London sparen, den ich just in diesen Minuten loszuschicken gedachte."

„Boten? Unruhige Nacht? Ich vermute, es hat große Sturmschäden gegeben?"

„Das nicht unbedingt. Es ist viel mehr...", er unterbrach sich und blickte seinen Herrn fragend an, bevor er, das Thema wechselnd, fortfuhr: „Wie konntet Ihr es überhaupt durch das widrige Wetter bis nach Mandrake schaffen? Ihr müsst wie der Teufel geritten sein."

„So in etwa", räumte Justin etwas milder gestimmt ein, dann fragte er: „Also, was ist denn vorgefallen, wenn's, wie Sie sagen, keine gravierenden Sturmschäden sind? Und aus welchem Grund ist Tony nicht da?"

Joseph wand sich unbehaglich und blickte betroffen zu Boden: „Es ist... also, Tony fährt den Doktor mit einem Gespann zurück nach Kimmeridge."

„Den Doktor? Um Himmels willen, ist denn jemand krank? Oder verletzt, wegen des Orkans?"

„Ja, leider. Zwar nicht verletzt, aber doch... in keinem gesundheitlich guten Zustand, Mylord. Und wir sollten hineingehen, wie Euer Lordschaft sicher bemerkt haben, ziehen erneut Unheil-verkündende Wolken auf, die schwache Wintersonne ist schon wieder verschwunden und der Wind frischt abermals gehörig auf. Ihr hattet in der Tat großes Glück, dass ihr ein Teilstück Eures Wegs halbwegs trocken und sonnig zurücklegen konntet."

Beide Männer bewegten sich in Richtung Eingang, erklommen die Treppe und gingen schließlich ins Haus.

Auf dem Weg hinein unterhielt sich Justin weiter mit dem Butler: „Wie man's nimmt. Ich bin unterwegs extrem nass geworden und habe erbärmlich gefroren. Die Sonne hat mich nur in der letzten halben Stunde kurz begleitet, der Rest war ein einziger Kampf gegen die Naturgewalten. Und nun möchte ich wissen, wer hier auf Mandrake krank ist. Ich hoffe nicht, dass es sich um meine Gattin handelt."

Der Butler blieb ihm die Auskunft schuldig, was dem Hausherrn aber Antwort genug war. Abrupt blieb er stehen und fasste sich unwillkürlich an die Kehle.

„Joseph, was um Himmels Willen ist passiert? Was ist mit Lady Vulcan geschehen?"
„Vielleicht lassen Euer Lordschaft sich das besser von Eudora erklären. Ich bin wohl weniger gut geeignet, diese Informationen weiterzugeben."

Ehe er sich's versah, hatte Joseph einen durchnässten Mantel, einen klammen Wollschal und einen Dreispitz in der Hand - letzter war so ramponiert, dass er wohl nicht mehr zu retten sein würde, vor allem die Flaumfedern eines Marabus an der Krempe, einstmals rein-weiß, nun schmutzig-grau, gaben ein Bild des Jammers ab - und Lord Vulcan lief hastig die Innentreppe hoch, zwei bis drei Stufen auf einmal nehmend.

Vor der Zimmertür zum großen Schlafzimmer blieb er stehen und atmete kurz durch. Es brachte nichts, nun den Kopf zu  verlieren und übereilt zu reagieren und so zwang er sich zu ein wenig innerer Ruhe. Als er fühlte, dass sein Herzschlag sich ein wenig beruhigt hatte, hob er die Hand und klopfte an.

Als niemand antwortete, drehte er den Türknopf und spähte vorsichtig in den Raum. Justin sah, dass Eudora mit hängendem Kopf in einem Lehnstuhl am Kamin saß, anscheinend war sie eingeschlafen. Er öffnete die Tür vollständig und trat ein.

Serena lag ebenfalls schlafend in den Kissen des großen Bettes und sah leichenblass aus. Bei ihrem Anblick fuhr Lord Vulcan ein arger Schreck in die Glieder.

Leise ging er zum Stuhl und rüttelte sanft an der Schulter der Kammerfrau.

„Eudora, ich bin's, Lord Vulcan. Was ist hier los?"

Sieh schreckte hoch und hielt sich vor Überraschung die Hand vor den Mund. Du liebe Zeit, sie musste träumen!

Justin erriet ihre Gedanken, umfasste aufmunternd die Schulter an der er soeben gerüttelt hatte und raunte: „Ich bin's wirklich, keine Angst, fassen Sie sich."

„Oh, Mylord! Ein Segen, dass Ihr da seid. Wie... wie  habt Ihr das jetzt schon wissen können?"

„Ich weiß noch gar nichts, der Zufall hat mich hergeführt. Oder mein untrüglicher Instinkt,  wenn man so will."

„Verstehe. Dann ist es ein umso größerer Segen, wahrlich."

„Zur Sache, Eudora, bitte."

„Natürlich, verzeiht. Serena, also Lady Vulcan, wurde gestern am späten Abend stark unterkühlt draußen gefunden."

„Wie konnte das bei einem solch üblen Wetter passieren?"

„Genau wissen wir es auch nicht, sie sprang recht unvermittelt aus unserer kleinen Runde auf, offensichtlich weil sie den Hund noch einmal nach draußen lassen wollte und als sie nach einiger Zeit nicht zurückkehrte, gingen wir sie suchen. Sie lag nicht weit vom Haus, glücklicherweise, und wohl auch nicht sehr lange."

„Den Hund? Das kann doch jeder andere auch erledigen. Warrior folgt annähernd jedem hier auf Mandrake. Serena musste das nicht selbst tun, wenigstens nicht bei diesen Orkanböen draußen."

„Sie wollte wohl selbst ein wenig Luft schöpfen, so unser Eindruck."

Justins Brauen zogen sich auf seiner Stirn zusammen und sein Blick wurde finster.

„Ich bin wirklich sehr ungehalten, Eudora! Wie haben Sie alle das nur zulassen können! Ein wenig Luft schöpfen! Unfassbar! Weiter bitte!"

„Sehr wohl, Mylord. Wir haben sie ins Bett gebracht und natürlich gewärmt, während Joseph persönlich nach Kimmeridge gelaufen ist, um den Arzt zu holen. Aber das dauerte entsprechend lange, wegen des schlechten Wetters. Dr. Whithorn kam auch nur sehr unwillig mit, was durchaus verständlich ist. Wirklich vonnöten war seine Anwesenheit letztendlich auch nicht, doch das stellte sich zu unserer großen Erleichterung erst heraus, nachdem er Mylady in der Nacht untersucht hatte."

„Das klingt nicht mehr ganz so beunruhigend. Was also fehlt ihr?"

„Unterkühlung, die aber schon zufriedenstellend abgeklungen sein dürfte, wir haben sie mehr als gut warmgehalten.

„Ich merke es, es ist ungewöhnlich mollig hier, meine nasse Kleidung dampft ja schon fast aus. Bitte fahren Sie fort."

„ Ja. Außerdem ist sie ein klein wenig geschwächt durch Übernervosität und... leichte Unterernährung. Sie konnte und mochte kaum etwas essen seit ihrer Rückkehr aus London."

„Eudora, und das haben Sie alles gebilligt? Sie hätten Serena zum Essen zwingen müssen! Wozu sonst habe ich Sie nach Mandrake bestellt, wenn nicht aus dem Grund, für Serena gut zu sorgen?"

„Bei allem gebotenen Respekt, Mylord, doch das sehe ich überwiegend als Eure Aufgabe als Ehemann an", sie zögerte einen Moment angesichts seiner sich erneut verfinsternden Miene, fuhr dann aber tapfer fort, „möglicherweise... ist da noch etwas."

„Noch etwas? Eudora, ich finde, das alles reicht durchaus, um mich in große Sorge zu versetzen. Also, bitte, was noch?"






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