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So Vertrauen-erweckend und fürsorglich die Anwesenheit und Ansprache ihrer Kammerfrau Eudora auch für Serena war, sie fühlte sich Tag für Tag schlechter. Beide Frauen schoben es zunächst auf das kalte, trübe Wetter und auf den Serena nicht loslassenden Gedanken, dass sie eine verlassene Ehefrau war, deren Ehe entgegen aller landläufigen Vorstellungen ein extrem kurzes Vergnügen gewesen war.

Als Serene nach knapp einer Woche auf Mandrake aber kaum noch etwas essen mochte, fing Eudora an, sich ernsthaft Sorgen um sie zu machen. Da konnte irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugehen. Und es war, soweit sie es einzuschätzen vermochte, nicht die Art von Lady Vulcan, sich völlig gehenzulassen. Als ihr Vater vor einigen Monaten Selbstmord begangen hatte, war sie ja auch nicht mutlos in sich zusammengesackt und hatte unverzagt allem, was sich da vor ihr entfaltet hatte, entgegengesehen. Für Eudora war klar, dass sie ein paar Dingen noch weiter auf den Grund gehen musste.

„Die Köchin lässt fragen, wie der Speisenplan für die kommenden drei Tage aussehen soll. Sie möchte nämlich dementsprechend Fleisch bestellen und nach dem Gemüse schauen, das verarbeitet werden soll. Es ist einiges eingekellert, vor allem Kartoffeln, Wurzelgemüse und alles Mögliche an Kohlarten."

„Ich kann mich kaum dazu aufraffen, etwas zu essen, wie soll ich dann erst komplette Menüs zusammenstellen? Kann Mrs. Neath das nicht ohne meine Hilfe? Sie muss auch nichts Großartiges auf den Speisenplan setzen, weil ich es ohnehin so gut wie nicht anrühren werde. Es ist dann umso ärgerlicher, wenn man das mühsam Gekochte wegwerfen muss. Und Gäste haben wir auch keine, wozu also die ganze Arbeit? Sie soll einfach das kochen, was ohne Aufwand zuzubereiten und vorrätig ist. Wenn Fleisch hinzugekauft werden muss, dann hat sie dafür meine generelle Zustimmung, sofern es keine übertrieben teuren Stücke sind, wie man sie beispielsweise für Festtagsbraten hernehmen würde. Der Haushalt ist klein, überschaubar und bescheiden, sie kocht annähernd das Gleiche für alle hier, egal, ob es sich um dich und mich oder um den kläglichen Rest geht; wir sind alles in allem nicht einmal zehn Personen auf Mandrake."

„Sie müssen besser essen, Mylady. Sie haben bestimmt einiges an Gewicht verloren seit London. Und was ist, wenn Lord Vulcan überraschend ankommen würde? Setzen wir ihm auch eine dünne Fleischbrühe, ein paar gekochte Kartoffeln und gedünstete Pastinaken vor?"

„Wenn er denn unangekündigt käme, was natürlich nicht der Fall sein wird - aber ja."

„Er würde denken, uns wäre das Geld knapp."

„Unsinn."

Eudora seufzte laut.

„Also gut, ich instruiere Mrs. Neath entsprechend. Gefallen wird ihr dieser Schmalhans-Küchenmeister-Kurs jedoch nicht. Sie hat sich die letzten Tage bereits darüber beklagt, dass die Esskultur auf Mandrake einen nie dagewesenen Tiefpunkt erreicht hätte. Und wir bestehen beide darauf, dass Sie mehr zu sich nehmen, sonst lasse ich spätestens übermorgen nach dem Arzt schicken. Es geht nicht, dass Sie uns hier vom Fleisch fallen und wir stehen untätig dabei und lassen es geschehen."

„Du übertreibst maßlos, Eudora."

„Ich meine es ernst. Noch einen weiteren Tag ohne Essen und ich werde handeln."

„Ich esse ja. Nur eben nicht sehr viel. Ich habe einfach keinen Appetit."

Die treue Zofe witterte eine gute Gelegenheit für ihre nächste Frage: „Erbrechen Sie denn manchmal?"

Die Antwort fiel zwar nicht ganz zu ihrer Zufriedenheit aus, bot aber dennoch einen kleinen weiteren Anhaltspunkt: „Nein. Aber ich fühle mich elend und ertrage meist nicht einmal den Anblick von Speisen."

Das reichte Eudora vorerst, sie nickte Serena zu und begab sich in die Küche, um der Köchin die wenig erbauliche Mitteilung zu machen.

Nicholas Bower-Staverley runzelte aufs Nachdenklichste seine Stirn: „Wie soll ich das alles verstehen? Als ich dich und Serena vor wenigen Tagen das letzte Mal sah, schienst du mehr als bereit und willig, dich ihr ein wenig mehr zu  öffnen und auf ihre Belange und Wünsche, die sie dir - zugegebenermaßen - nicht mitgeteilt hat,  eingehen zu wollen. Ich dachte, alles renkt sich nach einem kleinen, reinigenden Unwetter zwischen euch wieder ein. Und nun höre ich von dir, dass sie nach Mandrake zurückgekehrt ist? Unfreiwillig, wie ich annehme?"

Justin ließ unwirsch die Zeitung sinken, hinter der er sich, in einem Plüschsessel im Club sitzend, verschanzt hatte und schaute seinen Freund und Cousin entnervt an.

„Sie ist recht bereitwillig abgereist, das kannst du mir glauben."

„Weißt du, was ich glaube? Dass du ihr und dir selbst gehörig etwas vormachst! Von mir aus. Aber mir sagst du auf der Stelle, was eigentlich los ist, verdammt nochmal!"

„Scht, senke bitte deine Stimme, Nick. Ich möchte mich auch in Zukunft noch hier im Club als respektables Mitglied sehen lassen können. Und ich hatte weiß Gott genügend mehr oder weniger heftige Szenen - vor allem häuslicher Art - in letzter Zeit, also erspare mir jedes weitere Getue deinerseits."

„Wieso sollte ich dir etwas ersparen, wo du auch nicht damit sparst, anderen möglichst nichts zu ersparen?"

„Gott, redest du geschraubt. Das ist doch gar nicht deine Art, Nicholas."

„Ich scheine momentan gezwungen zu sein, so manche Arten anzunehmen, die bislang nicht zu meinen gehörten. Justin, so rede endlich! Was um Himmels willen ist denn geschehen?"

Lord Vulcan faltete seine Zeitung akribisch zusammen, wobei er sich zur inneren Ruhe zwang. Er legte das Druckwerk auf den Tisch neben sich und beugte sich zu Nicholas vor.

„Wenn du's unbedingt wissen willst: Ich habe die Ehe zwischen Serena und mir für gescheitert erklärt und eine räumliche Trennung für das Beste gehalten. So gehen wir uns weder gegenseitig auf die Nerven, noch müssen wir vor anderen eine Fassade aufrechterhalten, die mehr als bröckelig ist."

„Aha... hast du. Aufgrund welcher Erkenntnisse, wenn ich das noch fragen darf?"

„Aus vielen Gründen und Erkenntnissen heraus."

„Sehr aufschlussreich."

„Nick, merkst du denn nicht, dass ich darüber nicht reden möchte?"

„Du bist ein elend sturer Hund und ein wirklich eiskalter Mensch. Vielleicht ist Serena ohne dich wahrlich besser dran."

„Ja, vielleicht."

Nicholas Bower-Staverley erhob sich, doch bevor er sich anschickte, den Club und damit Lord Vulcan zu verlassen, musste er noch ein paar Dinge loswerden.

„Es wird dich vermutlich nicht rühren, doch ich bin weiterhin davon überzeugt, dass Serena dich liebt. Ob es dermaßen schwerwiegende Gründe für eine Separation gibt, kann ich nicht beurteilen, doch um meine persönliche Meinung zu äußern, möchte ich dazu anmerken, dass Serena niemals jemandem absichtlich wehtun oder eine Person willentlich hintergehen würde. Möglicherweise hilft dir diese Einschätzung von mir dabei, deine Entscheidung nochmals zu überdenken. Und noch eines: ich bin ganz sicher kein Experte in Liebesangelegenheiten, weit gefehlt, aber ich hege überdies die Vermutung, dass auch du sie noch liebst. Geh‘ in dich, Justin, bitte!"

Sein Gegenüber schüttelte seinen Kopf mit den glatten, schwarz-braunen Haaren.

„Frauen sind nicht meine Welt. Ich werde sie wohl nie verstehen. Meine Mutter hat zweifelsohne gründliche Arbeit geleistet, das Misstrauen ist und bleibt in mir bis ans Ende meiner Tage. Zu heiraten war ein großer Fehler."

„So ein Unsinn! Es ist sogar deine Pflicht. Auch weil die Linie der Vulcans fortgeführt werden muss, du brauchst Nachkommenschaft."

„Dafür muss man nicht zwingend verheiratet sein."

„Justin, ich bin entsetzt! Das ist moralisch verwerfliches Gedankengut. Gott setzt die uns Ehe als höchstes Gut ein, als die einzig wahre Instanz für die Gründung einer Familie und die Weiterführung eines Erbes. Was kann es außerdem besseres geben, als dass diese geheiligte Ehe aus Liebe geschlossen wird? Wie angenehm und erfreulich für beide Ehepartner. Und du wirfst das alles einfach so weg und denkst allen Ernstes darüber nach, notfalls einen Bastard in die Welt zu setzen? Pfui, schäm‘ dich, Justin. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag. Good-bye!"

Sein Freund und angeheirateter Cousin rauschte aus dem Club und hinterließ einen Lord Vulcan, der sich sehr unwohl in seiner Haut fühlte, auch wenn er dies niemals zugegeben hätte. Nicht vor Dritten und vor allem nicht vor sich selbst. In seinem Hirn arbeitete es fieberhaft und er überlegte allen Ernstes, ob er nicht doch die Scheidung in die Wege leiten sollte, um ein für allemal Ruhe vor dem leidigen Thema zu haben. 






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