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Author's Chapter Notes:

 

Frohe Ostern - leider hat es dieses Mal wieder etwas länger mit einem neuen Kapitel gedauert...










 

Ohne eine Miene zu verziehen bestieg Serena Lady Vulcan am frühen Morgen die Kutsche. Von ihrem Mann gab es weder ein Lebenszeichen, noch eine Geste oder gar Worte des Abschieds. Ihre Dogge Warrior legte sich zögerlich, aber gehorsam wie immer auf den Kutschboden zu ihren Füßen.

„Ach, du bist gewiss der Letzte, der sich über die Rückkehr nach Mandrake beschwert, Warrior. Hier in London hattest du nicht genügend Auslauf und musstest ständig an die Leine. An Dorsets Küsten können wir die Landschaft frei durchstreifen und müssen auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen. Allein deswegen nehme ich die Verbannung aufs Land gern in Kauf. Fahren wir also los und lassen dieses unselige Kapitel hinter uns."

Sie rührte sich kaum, vor allem blickte sie nicht zurück, bis die größere Bebauung und somit die Stadt hinter ihr lag. Auf der Putney-Bridge überquerte das Gefährt die Themse. Das weite Land breitete sich vor der im gemäßigten Tempo fahrenden Kutsche aus. Was für den Hund das Paradies auf Erden bedeutete, war für Serena leider das absolute Gegenteil. Beim ersten Halt in einem Coaching Inn in Esher genoss das großgewachsene Tier eine erste ausgelassene Runde über matschiges Terrain, obwohl das Wetter zu wünschen übrig ließ. Weil es kalt, neblig und stürmisch war, begab Serena sich rasch ins Innere des Gasthauses. Wenn es hier, noch halbwegs im Landesinneren, schon so ungemütlich war, dann war Mandrake, unmittelbar in Küstennähe gelegen, heute ein grauer, unwirtlicher, sturmumtoster Klotz, an den zu denken ihr nichts als Verdruss bescherte.  

Auf dem weiteren Weg an die Küste war Serena versucht, nach Staverley Court abzubiegen und auch dort Station zu machen, doch unter Aufbietung etlichen Willens sah sie davon ab. Was wollte sie noch an jenem Ort? Es gehörte ihr nicht mehr und sie wäre Nicholas und Isabel ohne Frage ein Klotz am Bein, selbst wenn es nur für eine Zwischenübernachtung gewesen wäre. Sie hatte die beiden bereits zur Genüge mit ihren eigenen Unzulänglichkeiten belästigt und wollte weder deren Mitleid noch irgendwelchen Rat, der sich kaum in Taten würde umsetzen lassen. Mit verbissener Miene setzte sie daher die Reise in Richtung des ungeliebten Mandrakes fort.

Als die hohen, steinernen Türme des Schlosses bedrohlich wie Boten des Unheils vor ihr aus der Dunkelheit und dem bedrückenden Schleier von Nebel und Regen auftauchten, schauderte Serena unwillkürlich. Alles, was sie einstmals halbwegs abenteuerlich an diesem alten Familiensitz gefunden hatte, war inzwischen nicht mehr zugänglich, was den Reiz hatte verfliegen lassen. So gab es leider kaum noch geheime Türen; die, die einst unter dem Haus durch ein Höhlenlabyrinth an den Strand und zu den Verstecken der Schmuggler geführt hatten, waren zugemauert worden, andere, wie die, die vom Turmzimmer über eine enge Wendeltreppe zur privaten Bibliothek des verstorbenen Vaters von Justin führte, war gut und sicher verschlossen. Sie hatte als Hausherrin zwar Zugang zu den Schlüsseln, die von Joseph verwahrt wurden, doch was nutzte ihr das? Sie würde nur trüben Gedanken nachhängen, bedauern, dass der alte Lord Vulcan, mit dem sie sich gut verstanden hatte, tot war und schließlich sich weinend in seinem Sessel zusammenkauern. Es  brannte auch kein wärmendes Feuer mehr im großen Kamin vor seinem Schreibtisch, was den kalten, lebensfeindlichen Eindruck noch verstärkte, den Serena ohnehin von Mandrake hatte.

Mit streng zusammengekniffenen Lippen betrat Lady Vulcan das verhasste Haus. Die Dogge folgte ihr wie immer bei Fuß, ohne dass man dem Hund dies hätte befehlen müssen.

Joseph deutete in der Halle, die noch immer ein leicht mittelalterliches Flair verbreitete, eine Verbeugung an: „Willkommen zurück, Mylady. Wir haben Euer Ladyschaft erwartet,  nachdem vorhin ein berittener Bote eine entsprechende Nachricht von Lord Vulcan gebracht hat. Ich habe mir erlaubt, im Schlafzimmer Feuer zu machen und die Küche hat ein spätes Abendbrot hinaufgeschickt. Ich hoffe, es ist recht so, ansonsten würde wir natürlich noch rasch im Speisezimmer anheizen und dort servieren."

„Es ist recht, vielen Dank."

Serena klang müde und abgekämpft, sie hatte kaum noch Wünsche, wollte eigentlich nur einen Happen essen, etwas trinken und anschließend in ein warmes Bett schlüpfen. Solange dies gewährleistet war, gab es zu dieser späten Stunde nichts, was sie sonst noch hätte wünschen oder anordnen können.

Sie  betrat ihr Schlafgemach und blieb wie versteinert stehen. Ihre Sinne mussten ihr einen Streich spielen, dessen war sie gewiss.  Im Gegensatz zu ihr vollführte Warrior einen Freudentanz, er sprang aufgeregt hin und her und raste ausgelassen um die beiden Frauen im Raum herum.

„Eudora", kam es endlich schwach von Serenas Lippen.

„Ja, Miss Serena... oh, Verzeihung, Mylady, natürlich. Ich bin kaum eine Stunde vor Ihnen eingetroffen, gemeinsam mit dem Boten, der erst bei uns in Poole vorbeikam."

Serena fand langsam ihre Sprache wieder:  „Heißt das etwa, dass Lord Vulcan dich herbeordert hat?"

Die getreue Zofe nickte: „Oh ja. Er hat brieflich nach mir schicken lassen und gleich dafür gesorgt, dass ich sofort in einer Mietkutsche von Poole hierher gebracht wurde."

Es war zu viel für Serena, sie war zutiefst verwirrt, sank aufs Bett und fing an zu weinen.

Eudora schöpfte ihr einen Becher Fleischbrühe aus dem kleinen Kessel, der auf einer Warmhalte-Position am seitlichen Rand des Kaminfeuers eingehängt war.

„Es ist aber auch ein zu scheußliches Wetter für so eine lange, anstrengende Reise von London hier heraus, daher wundert mich Ihr Zustand ganz und gar nicht. Ich war auf der doch ziemlich kurzen Strecke von Poole bis Mandrake schon ganz durchgefroren und habe mich bis jetzt noch nicht recht erholt von der nassen Kälte. Trinken Sie, Mylady."

Serena griff matt nach dem warmen Getränk und hob leicht den Kopf. Ihr Gesicht war bleich und fleckig vom Weinen. Wie konnte das alles sein? Justin verbannte sie aus seinem Leben, schickte sie weg nach Mandrake, doch gleichzeitig verhalf er ihr mit Eudora zu einer Person ihres Vertrauens, jemanden, mit dem sie sich deutlich wohler fühlte, als wenn sie ganz allein geblieben wäre. Es war eine Geste der Fürsorge von Justin, ohne Zweifel.

Nachdem sie ein paar Schlucke der Brühe getrunken hatte, versiegte ihr Tränenstrom und sie fasste sich wieder ein klein wenig. Die Wärme vom Kaminfeuer und dem zu sich genommenen Getränk breitete sich langsam in Serena aus, ihre Lebensgeister kehrten allmählich zurück und die Situation sah nicht mehr völlig freudlos aus.

„Oh, Eudora, ich freue mich ungemein, dich zu sehen, vor allem, dich hier zu haben. Ich schätze, wir werden mehr als genug Zeit haben, uns über die Ereignisse der  vergangenen Wochen und Monate auszutauschen. Es ist nun schon Ende November, die Zeit der kurzen Tage und langen Nächte, der Winterstürme, die sich hier besonders heftig austoben und die man kaum anders als ans Haus gekettet überbrücken kann. Heute bin ich zu erschöpft, um eine größere Unterhaltung anzufangen, ich möchte einfach nur ins Bett und schlafen. Aber morgen, morgen können wir dann reden."

„Das verstehe ich nur zu gut. Ich helfe Ihnen beim Auskleiden und dann legen Sie sich sofort hin. Danach lasse ich den Hund noch einmal kurz raus und werde auch schlafen gehen."

„Du bist ein Engel, Eudora, wirklich."

In London starrte Lord Vulcan abwesend vor sich hin und reagierte kaum auf die Personen in seinem Umfeld.

„Justin! Was ist denn los? Du bist dran, wir warten auf deine nächste Karte."

Die Rauchschwaden der Zigarren und Zigarillos hüllten einige der Kartenspieler am Tisch in den typischen grau-blauen Dunst ein, doch alles, auch die Unterhaltungen an den Spieltischen, drang nur am Rande bis zu Lord Vulcan vor.

Er zuckte bei der direkten Ansprache von Peter Gillingham zusammen und reagierte unwirsch: „Es kann doch nicht angehen, dass ich schon wieder dran bin."

„Du bist absolut nicht bei der Sache. Alle hier fragen sich schon, was mit dir los ist. Und es ist kein Geheimnis, dass du gestern im Lansdowne Club ziemlich rücksichtslos mit Lord Pakenham und Baron Hindley umgesprungen bist. Es war nicht sehr Gentleman-like, zwei doch schon ältere Herren so unhöflich abzufertigen. Spielst du nun endlich die nächste Karte aus, wenn möglich?"

Ohne nachzudenken oder hinzusehen, zog Justin eine Karte aus dem Kartenfächer seiner linken Hand und knallte diese auf den Filzbelag des Tisches.

„Bitte!"

„Du hast verloren."

Er zog seine Stirn für einen Augenblick kraus, kramte dann seine Brieftasche  hervor und fragte lapidar: „Wie viel macht es?"

„Ach, vergiss es. Wenn du keinen Spaß am Spiel hast, überträgt sich das auf uns alle und vermiest uns den Abend. Lass das bisschen Geld stecken, es täte dir ohnehin nicht weh und wir verschmerzen die kleine Lücke in der Spielbank mit Leichtigkeit. Tu uns nur den einen Gefallen, steh auf, lass‘ uns in Ruhe weiterspielen und komm‘ erst wieder, wenn deine Laune sich deutlich gebessert hat."

Justin Lord Vulcan erhob sich gemessen, nahm sein Weinglas, geschliffen aus bestem böhmischen Kristall, mit, ließ sich von einem Lakaien nachschenken und stellte sich abseits der Spieltische an den Kaminsims. Ach, zum Teufel! Genau hier und in genau der gleichen Position, ein Weinglas in der Hand, hatte er gestanden, als Lord Wrotham im Frühjahr Sir Giles Staverley um Hab und Gut gebracht hatte. Er stellte das Glas abrupt auf einem Tischchen in seiner Nähe ab und entfloh so schnell er konnte der Szenerie.






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