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Seine Ungeduld nahm überhand. Aber wohin sollte er? Nach Nottingham, wo Sheriff und John sich über ihn lustig machen oder ihn gar verbannen würden? Wenn nicht noch Schlimmeres auf ihrem Plan stand…

Wo war Richard? Immer noch in der Pfalz oder schon auf dem Weg nach England? Bei seiner nächsten Visite fragte er Rousel, ob er etwas über Richards Verbleib wüsste. Rousel wusste, dass Richard gegen ein Lösegeld frei gekommen war und wirklich wieder in seine Heimat zurückgekehrt war. Robin Hood und seine Männer waren ihm bei seiner Heimkehr entgegengekommen. Nun hatte Richard das Zepter wieder in der Hand und John musste sich widerwillig fügen. Das änderte seine, Guys, Situation natürlich. Er hatte sich öffentlich gegen Richard gestellt und das gleich mehrfach. Es gab keine sichere Zukunft für ihn in England. Aber auch Frankreich war wegen Richards Verbindungen in das Heimatland seiner Mutter kein sicheres Pflaster.

Noch hatte er Zeit, zu überlegen, denn seine Verletzung beeinträchtigte ihn nach wie vor zu sehr. Er musste noch eine Weile in dieser Klosterzelle ausharren. Mittlerweile war Rousel ihm sympathisch geworden. Ihre wenn auch kurzen Gespräche während er ihn behandelte wurden zunehmend persönlicher. Guy, der sonst sehr bedacht war, persönliche Gefühle nicht nach außen zu tragen, hatte sogar über seine frühere Beziehung zu Lady Marian mit ihm gesprochen. Rousel spürte, dass dieser Engländer nicht der kaltschnäuzige Übeltäter war, als den man ihn geschildert hatte. Er versuchte, Guys innerer Zerrissenheit auf den Grund zu gehen. Der Mann war kurz davor,  sich selber einzugestehen, dass er in seinem Innern ein Zweifelnder war, gerne Opportunist, aber doch auch immer wieder seine Taten in Frage stellend. Marian war der Schlüssel.

Rousel wusste, dass sie noch in Séchault weilte. Sie war krank geworden, hatte eigentlich in Richards Tross mit nach England zurückkehren wollen.

„Liegt Euch denn immer noch etwas an der Lady?“, fragte er Guy während eines ihrer nächsten Gespräche. „Oder ist es nur der Ärger darüber, dass Ihr zurückgewiesen wurdet?“ „Nein, ich habe mich im Namen des Sheriffs von Nottingham ziemlich übel verhalten. Daran zu denken … wie ein Scheusal habe ich die Leute behandelt. Kein Wunder, dass sie mich verabscheute. Sie ist klug. Und schön. Ich kenne keine Frau, die es mit ihr aufnehmen kann. Anfangs dachte ich, ihre Abweisung sei einfach weibliche Launenhaftigkeit, die es zu überwinden gälte. Sie hat mich verwirrt, wenn sie mir dann auch öfter mal schmeichelte und ich auch den Eindruck hatte, sie würde etwas für mich empfinden.“, erwiderte Guy. „Dann letztendlich fühlte ich mich hintergangen und merkte, dass sie die Beziehung zu mir ausnutzte, um für die Outlaws zu spionieren. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie dem Sheriff zu überantworten. Aber ich brachte es nicht über mich.“

„Warum, denkt Ihr, ist sie ins Kloster gegangen? Habt Ihr ihren Schritt damals noch miterlebt?“ fragte Rousel, der sich heute merklich Zeit für das Auftragen seiner Tinkturen ließ. „Ich war zu der Zeit nicht in Nottingham. Sie hatte sich endgültig den Outlaws um Robin von Loxley angeschlossen und ich hatte meine Zelte in Loxley abbrechen müssen. Mehr weiß ich nicht.“, entgegnete Guy. „Also seid Ihr wütend und enttäuscht direkt zum Hof König Johns und habt Euch dort anheuern lassen?“,  wollte Rousel nun wissen. „Ihr stellt das ziemlich geschickt an: das nenne ich mal ein Verhör!“, warf Guy schmunzelnd ein. „Es schien mir die einzige Möglichkeit zu sein,  voranzukommen. Er hatte die Macht – mit Richard hatte ich mich während des Kreuzzuges endgültig überworfen. Da  konnte ich doch nicht einfach auf Richards Rückkehr warten. Er hätte mich gleich verhaften lassen. Und wird es vermutlich auch tun, wenn ich wieder einen Fuß auf englischen Boden setze.“ „Was wollt Ihr denn tun, wenn Ihr wieder reisefähig seid?“ „Das ist mir noch ein Rätsel. Ich habe hier Alpträume, sehe Richard, der mich auslacht, sehe Marian, die vor mir flieht … Lodernde Flammen … Ist das die Hölle, die mir bevorsteht? Was soll ich tun? Was kann ich überhaupt noch erwarten?“, stöhnte Guy, „dabei hatte ich meinem Vater vor seinem Tod gelobt, ein gutes Leben zu führen, das dem Namen eines von  Gisborne würdig ist. Wenn er wüsste … Rousel, ich habe nichts mehr, keine Familie, keinen Glauben. Ich habe alles zerstört.“

„Aber ich erkenne viel Zweifel in Euch. Und Liebe. Gott gibt niemanden auf, selbst wenn er gefehlt haben sollte. Ihr habt es in der Hand, Euch seiner Gnade anheim zu geben.“, antwortete Rousel, während er den Verband sorgfältig erneuerte. „Dass Ihr noch lebt, mag Eure zweite Chance sein. Ihr müsst sie ergreifen und aus Eurer Vergangenheit die richtigen Schlüsse ziehen.“

„Was hält Euch, Rousel, im Kloster? Ihr seid ein lebenserfahrener Mann. Hattet Ihr nie den Ehrgeiz nach Hab und Gut? Nach einem Weib? Kann man dem völlig entsagen?“, fragte Guy den Mann in seiner Mönchskutte.

„Meine Familie lebt hier in ganz einfachen Verhältnissen. Mein Vater starb früh und meine Mutter hatte ihre liebe Mühe, uns Kinder durchzubringen. Mein älterer Bruder blieb bei meiner Mutter, ich ging zu den Mönchen und bin sehr dankbar für alles, was ich hier lernen durfte. Es ist ein mein Leben und auch mein Schicksal und ich habe es von Herzen angenommen. Gott gibt mir Kraft! Das erfahre ich täglich aufs Neue.“ Dieses Plädoyer ließ Guy verstummen. Schweigend ging die Wundbehandlung diesmal zu Ende.

Hatte er wirklich noch eine Chance? Er konnte sich nicht vorstellen, wie sein Leben noch eine Wendung zum Guten nehmen sollte. Eine Rückkehr nach England konnte nur sein Ende bedeuten. Richard hatte gar keine andere Wahl nach diesen unseligen Begegnungen. Aber John war kein guter König für das Land, hatte Angst und Schrecken unter der Bevölkerung verbreitet mit seinen willkürlichen Verfolgungen und Steuererhöhungen. Die Menschen waren verarmt und verängstigt, trotzdem erntete der König ätzenden Spott für sein Königreich ohne Land, das ihm eigentlich nicht zustand. Was hatte Richard an sich, dass die Menschen ihn so verehrten und so auf seine Rückkehr gehofft hatten?

Währenddessen war Lady Marian bei den Zisterzienserinnen in Séchault, wo sie nach immer wiederkehrenden Fieberschüben langsam auf dem Weg der Besserung war.

Robin damals im Argonner Wald wiederzusehen hatte sie vollkommen überrascht. Sie musste  sich zwingen, seinen Blicken auszuweichen, denn  sie merkte, wie seine Gegenwart sie verunsicherte. War sie noch nicht über ihre weltlichen Begehren hinweg? Und welch Zufall hatte ihn, Guy of Gisborne und sie hier in Nordfrankreich in diesen Wald verschlagen?

Ihre Gedanken hatten sich im Fieber im Kreis gedreht. Das Fieber war dank der Heilkräuter der Schwestern weg, aber sie war noch ziemlich schwach. Am Morgengebet der Schwestern konnte sie noch nicht teilnehmen, aber vor Mittag reihte sie sich in den klösterlichen Alltag ein.

„Mutter Isabelle, ich möchte wieder zurück nach England. Könnt Ihr mir zu Geleit verhelfen?“Eindringlich versuchte sie, die Äbtissin für ihr Vorhaben zu gewinnen. Mutter Isabelle war bekannt für ihre Gerechtigkeit, aber auch für ihre Unnachgiebigkeit, wenn jemand von ihrer Sicht der Dinge abwich. Diese englische Nonne hatte Isabelles Meinung nach noch zu viele weltliche Verbindungen. Aber war es ihre Aufgaben dies zu ändern? „Wir werden sehen, was sich machen lässt, Schwester Marian.“, vertröstete sie Marian für’s erste. Dennoch wusste sie, dass die Engländerin ihr keine Ruhe lassen würde. Isabelle hatte gehört, dass in Lachalade ein englischer Edelmann gepflegt wurde. Sie dachte daran, Marian in seinem Gefolge mit nach England zu schicken.

Diese Pilgerreise war in den Augen der Äbtissin für eine Novizin viel zu übereilt. Demut und Zurücknahme, völlige Hingabe zum Gebet und den Aufgaben im klösterlichen Alltag hätten der ehemaligen Edelfrau besser zu Gesicht gestanden als eine Reise durch unstetes Gebiet. Es war auch ganz und gar nicht nachzuvollziehen, wie sie ihren Kopf hatte durchsetzen können und mit der Reise sogar politische Position hatte beziehen können. Das war wirklich nicht mit dem Selbstverständnis einer künftigen Nonne zu vereinbaren.

Aber wie hätte Marian ihre Persönlichkeit und ihren starken Willen in so kurzer Zeit auch ganz abschütteln können? Sie war so frei erzogen worden, wenn auch ihr  Vater sich manches Mal über die für eine Frau doch sehr selbstbewusste Art wunderte und sich selber schalt, ihr zu große Freiheiten gelassen zu haben. Weil sich ihr Selbstbewusstsein jedoch nicht in Eitelkeit und Hoffärtigkeit äußerte, sondern in der Ablehnung von Ungerechtigkeiten und Gewalt gegenüber dem gemeinen Volk, ließ er sie gewähren. Manchmal dachte er für sich, dass eine Mutter sie sicher öfter in ihre Schranken gewiesen hätte. Er hatte sie ganz sicher verwöhnt, denn je größer sie wurde,  erinnerte sie ihn schmerzlich und immer stärker an seine geliebte und jung verstorbene Frau, die ihre Tochter nicht hatte heranwachsen sehen dürfen.

Marian hatte ihre Art der Diplomatie im Lavieren zwischen den Outlaws und den Schergen des Sheriffs von Nottingham zum Einsatz gebracht mit dem Ziel, die Willkür des Sheriffs zu brechen. Sie hatte sich früh Robin of Loxley versprochen, doch dessen Leben in den mittelenglischen Wäldern wäre nichts für sie gewesen. Ihren Vater hätte sie außerdem nicht allein gelassen. Robin tauchte immer mal wieder auf und sie fühlte sich ihm immer noch sehr verbunden in ihrer Ablehnung der Herrschaft King Johns und der Hoffnung auf King Richard. Doch der Sheriff hatte in Sir Guy of Gisborne einen Gehilfen, der zwar voll und ganz den Irrsinn des Sheriffs in die Tat umsetzte, der sie aber offen umwarb. Er war nach außen schroff und gewalttätig, aber ihr gegenüber sanft und zuvorkommend. Obwohl sie sein Handeln verabscheute, sah sie auch eine andere Seite in ihm, je mehr sie ihn kennenlernte. Und dazu gab es reichlich Gelegenheit, denn sie musste oft zwischen ihrem Vater und dem Sheriff vermitteln und lernte bald, Guy dafür zu instrumentalisieren. Er bot sich förmlich dazu an und hatte ihr auch mehrfach seine Liebe gestanden, sie gebeten, seine Frau zu werden.

Schließlich hatte sie sich jedoch dermaßen in Gefahr gebracht, dass ihr nur noch das Kloster als Ausweg blieb. Ihr Vater war gestorben, ihre offene Unterstützung für die Outlaws hatte sie kurzzeitig zu Robin in die Wälder ziehen lassen. Als Gejagte des Sheriffs und eines blindwütigen Guy of Gisborne sah sie ihre Zukunft weder neben Robin, der ihrer Meinung nach nie mehr würde sesshaft sein können, noch neben einem anderen Mann. Sie wollte ihre Überzeugungen nicht einer Ehe opfern. Nun war sie also Novizin geworden, um sich der weltlichen Unterordnung, die ihr eine Ehe auferlegt hätte, zu entziehen. Sie merkte sehr wohl, dass die Schwestern die Nase rümpften und ihr mangelnde Demut vorwarfen. Trotzdem hatte man sie hier gesund gepflegt – ein Zeichen göttlicher Liebe und Hingabe, das über weltliche Kleinlichkeiten hinaus reichte. Diese Stärke im Glauben bewunderte Marian an ihren Schwestern.

Und auch die kritische Äbtissin stellte das Wohlergehen ihrer Schwester über ihre persönlichen Empfindungen.

Mithilfe ihrer Boten knüpfte Isabelle  Kontakt mit Abt Rufus  von Lachalade und erfuhr, dass der verletzte Edelmann zur Zeit noch nicht reisefähig sei. Man hatte ihr jedoch versprochen, sie von seiner vollständigen Genesung in Kenntnis zu setzen. Marian sollte  die Geduld aufbringen können, die sich für eine Nonne geziemte.

Nach weiteren 14 Tagen kam die Kunde aus Séchault, dass der Edelmann innerhalb der nächsten 3 Tage in seine Heimat aufbrechen würde. Er hatte Proviant, Pferde und Begleiter geordert. Isabelle atmete auf. Marian hatte nur mit Mühe an sich halten können, als die Äbtissin sie an ihr Gelübde und ihre Verpflichtung zu Bescheidenheit und Geduld erinnert hatte. Sie war vollständig genesen und sah keinen Grund, länger in den Ardennen zu verweilen.

„Der englische Edelmann, der in Séchault die Folgen einer Verletzung auskurierte, wird in den nächsten Tagen  zurück nach England reisen. In seinem Gefolge seid Ihr sicher. Er wird Euch Geleitschutz gewähren.“ Marian zuckte zusammen. Guy! Er war immer noch hier! Aber sie wollte zurück und so verkniff sie sich einen Kommentar. Ihre Habseligkeiten hatte sie schnell zusammengeschnürt.

 





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