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Am dritten Tag nach ihrem übereilten Aufbruch von Burg Trifels begegneten sie einem Mönch, der einen Leiterwagen hinter sich herzog. „Wohin des Wegs, ihr Männer? Habt Erbarmen mit einem armen Einsiedler, der sich ganz der Wohlfahrt der Mitmenschen anheim gegeben hat!“
„Pah, sagt bloß, Ihr spielt hier den Robin Hood unter den Mönchen? Wer hätte das gedacht?“, erwiderte Sir Guy voller Spott.
„Nicht schlecht, mein Lieber!“, sagte der Mönch, pfiff zweimal und sogleich stand ein halbes Dutzend mit Pfeil und Bogen bewaffneter Schergen um Sir Guy und seine Männer herum. „Zeigt, dass Ihr kämpfen könnt! Los! “, brüllte Guy und entfesselte so einen ungleichen Kampf. Peter war völlig kampfunerfahren und stürzte als Erster vom Pferd, das sich sofort aus dem Staub machte. John und Robert mühten sich wacker. Angus und Sir Guy selber droschen voller Wut auf ihre Widersacher ein, die jedoch immer einen Tick schneller und behender zu sein schienen.
„Gebt Ihr auf?“, fragte Robin, der „Mönch“. „Niemals!“, brüllte Guy - doch sein Pferd wurde von einem Pfeil getroffen und mit ihm sank auch Sir Guy zu Boden.
„Wie zur Hölle kommt Ihr hierher?“, fragte er wutentbrannt. Robin entgegnete spöttisch: „Meine guten Verbindungen zum Klerus haben sich bezahlt gemacht. Wie Ihr vielleicht wisst, ist Lady Marian einem Orden beigetreten. Dieser pflegt enge Verbindungen zu den Nonnen der Benediktiner im Kloster Ramsen. Wir haben sie und ihre Mitschwestern auf eine Pilgerreise auf dem Jakobsweg begleitet. Sie weilen bei den Schwestern in Ramsen und über Kaplan Notker erreichte auch die Ramsener die Kunde des unerwarteten englischen Besuches auf dem Trifels. Wer konnte das schon sein? Der Sheriff von Nottingham selber begibt sich nicht in solch unstetes Gelände! Wir wissen, dass Ihr versucht habt, König Richard zu vergiften. Es ist Euch jedoch nicht gelungen! Die Mönche aus Eußerthal verfügen über reiche Erfahrungen mit Heilpflanzen und es ist ihnen geglückt, Richard ein Elixier zu verabreichen, das die tödliche Wirkung des Schierlingssaftes verhindert. Es geht ihm schlecht, aber er wird überleben! Tja, Sir Guy, der Weg war umsonst!“
Sir Guy holte blindwütig zu einem Schwerthieb aus. In dem Moment wurde er von zwei spitzen Wurfgeschossen an Schulter und Kopf getroffen und ging zu Boden.
Ein fahler Lichtschein fiel durch ein kleines Fenster in den Raum. Er lag auf dem Rücken und spürte einen festen Verband um seinen Brustkorb und die rechte Schulter. Beim Versuch, sich aufzurichten, durchdrang ihn ein stechender Schmerz in der verwickelten Schulter. Plötzlich konnte er sich wieder an den Kampf im Wald erinnern, aber wo war er hier? Er müsste längst wieder in Nottingham sein! Er versuchte, die Beine vor die Liege zu platzieren, ohne den Oberkörper aufzurichten. Über die linke, unverbundene Seite gelang es ihm, sich aufzurichten. Neben seinem Bett stand eine Flasche mit einer Tinktur, auf einem Stuhl lagen Leintücher.
Er stand langsam auf, doch in dem Moment hörte er Stimmen vor der Tür und dann trat ein Mönch ein. „Oh. Er ist aufgewacht! Das ist gut! Aber bleibt bitte auf Eurer Liege. Ihr solltet Euch nicht überanstrengen!“ „Wer seid Ihr?“ fragte Guy. „Ich bin Bruder Rousel und hier für die Versorgung der Kranken zuständig. Wie ich sehe, geht es Euch besser?“ „Scheint so. Wo bin ich hier?“fragte Guy mit rauer Stimme. „Ihr seid in Lachalade im Argonner Wald. Eure Freunde haben Euch hergebracht, damit wir uns um Eure Verletzung kümmern können.“, antwortete der Mönch. „Welche Freunde? Der scheinheilige Mönch? Zum Teufel ….“, entfuhr es Guy. „Seid nicht so harsch zu den Menschen, die Euch Gutes tun! Unsere Schwester Marian hat sich für Euch eingesetzt. Sie hat auf ihrem Pilgerweg zurück in Euer Heimatland ihre Schwestern in der Abbaye von Séchault besucht und traf auf ihrem Weg auf die Männer, die Euch im Wald aufgelesen hatten.““Aufgelesen? Wer hat mich aufgelesen? Ich wurde niedergestreckt von diesem elenden Robin Hood und seinen Zwergen! Wo sind meine Männer? Ich kann nicht hier bleiben! Man wartet auf mich in meiner Heimat!“, rief Guy. „Ich bin mir sicher, dass Ihr hier besser aufgehoben seid! Wie man hört, hattet ihr einen ganz und gar unchristlichen Auftrag, den Ihr Gott sei es gedankt nicht habt umsetzen können. Das wird man in Eurer Heimat nicht mit Wohlwollen quittiert haben! Ein wenig Demut stünde Euch gut zu Gesichte.“, sprach der Mönch und machte sich daran, von der Tinktur auf ein Leintuch zu träufeln. „Setzt oder legt Euch, ich muss Euren Verband wechseln.“ So saß Sir Guy nun in einem französischen Kloster und ließ sich schweigend von einem Mönch verarzten. Als Rousel fertig war, wies er den Patienten an, möglichst liegen zu bleiben, da die Wunde noch nicht ganz verheilt sei.
Man brachte ihm Mahlzeiten in die kleine Zelle und dreimal am Tag kam entweder Rousel selber oder sein Adlatus, um seine Wunde zu versorgen. In den Nächten wurde er immer wieder von dem gleichen Traum verfolgt: Richard stand ihm gegenüber begleitet von Hood, der König aufgesattelt auf einem wahrhaft königlichen Pferd, und rief ihm zu: ‚Was bist Du für ein Narr! Dich hat die Gier nach Macht und Ruhm geblendet! Marian wirst Du nie für Dich gewinnen!“ Zwischen ihm selber und Richard tat sich ein riesiges Loch in der Erde auf; daraus züngelten Flammen, die ihn bedrohten und rückwärts fliehen ließen. Aber die Flammen verfolgten ihn, so weit er auch zurückwich. Meistens wachte er an dieser Stelle des Traumes schweißgebadet auf. Tags war er zerschlagen und missmutig. Rousel wechselte nach wie vor regelmäßig die Binden, denn die Wunde wollte an einer Stelle einfach nicht zuheilen. Der Mönch merkte seinem Patienten die Unruhe und Seelenqual an und bot ihm an, ihm die Beichte abzunehmen, auf dass er Buße tun könne. So weit war Guy noch nicht. Noch überwog der Hass auf seine Widersacher, auch wenn es immer wieder Momente gab, wo er sich fragte, für wen er die Schuld nur immer wieder auf sich nahm, warum er zum Handlanger des Bösen werden konnte