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Author's Chapter Notes:

 

Das war's dann auch rund um den Valentinstag 2013... letztes Kapitel! Ich hoffe, das Lesen hat Spaß gemacht und ein bisschen romantisches Feeling aufkommen lassen. Mehrere Bilder und zwei Videos über Sark oder Sercq im Forum!










 

Ganz seefest war er offensichtlich nicht. Der Atlantik war durch heftige Winde aufgewühlt und trotz Sonnenscheins noch immer eine bleigraue Masse mit Wellen, die sich hoch auftürmten und recht bedrohlich wirkten. Nun ja, seine Beziehung zu Sybil de Carteret hatte in den Wirren eines Sturms begonnen, was war da nun auf der Überfahrt von Guernsey auf die Insel Sark auch anderes zu erwarten. Es war und blieb anscheinend eine recht stürmische Angelegenheit, sowohl tatsächlich, als auch im übertragenen Sinn.

 

Er überlegte sich in seiner unsäglichen Übelkeit gerade ernsthaft, sich über die Reling zu hängen und die Fische zu füttern, als ein unsanftes Rumpeln ihm anzeigte, dass die Fähre anscheinend das Anlegemanöver einleitete. Leicht torkelnd strebte er dem Ausgang, der Gangway zu und er war niemals zuvor so erleichtert gewesen, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Er hörte einen freudigen Aufschrei vom Pier her und kaum eine Sekunde später hing Sybil an seinem Hals.

„Wie schön, dass du endlich da bist. Wie war die Reise?“

„Bis Guernsey im Flugzeug  gut. Nur auf diesem vermaledeiten Boot…“, er hielt inne und verdrehte die Augen himmelwärts.

„Oh, ich sehe schon, du bist noch ganz grün im Gesicht. Ja, die Überfahrt ist nichts für Landratten. Da muss man wirklich tüchtig seefest sein. Komm mit zum Auto.“

 

Sybil zog Matthew an der Hand hinter sich her zu einem wartenden Bentley, der nicht nur wegen des Chauffeurs, der Standarte und des Sonderkennzeichens nicht zu übersehen war, sondern auch weil er das einzige Auto überhaupt war. Man ging entweder zu Fuß oder fuhr mit dem Fahrrad. Lediglich für die landwirtschaftliche Nutzung tuckerten ein paar Traktoren auf Sark herum. Matthew war leicht peinlich berührt. Seine Inselprinzessin – nun ja, was wollte man machen.

„Maman und Papa können es kaum erwarten, dich endlich kennenzulernen. Insbesondere Maman, aber wem erzähle ich das.“

Er verzog das Gesicht zu einer unverbindlichen Grimasse, er fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, dass Sybils Mutter ein Fan von ihm war. Wie sollte er Sybil das klarmachen, ohne ihr oder ihrer Mutter zu nahe zu treten? Schwierig, ein regelrechtes Dilemma. Sollte er es ansprechen oder nicht? Er war sich unsicher.

 

Ehrlich währt am längsten, also holte er tief Luft und schnitt das Thema an: „Ich bin ein ganz normaler Mensch. Nicht anders als jeder andere hier oder sonst wo auf der Welt. Bitte reitet nicht ständig auf… auf meinem Beruf herum oder macht daraus eine Staatsaffäre. Mir zittern ohnehin schon die Knie vor Aufregung, ganz ehrlich. Ich bin nur Matthew, fertig.“

„Na, du tust ja gerade so, als wären meine Eltern die spanische Inquisition.“

„Weiß man’s?“

„Oh, werd‘ nicht frech, mein Lieber. Papa steckt dich sonst gleich ins Inselgefängnis.“

„Ich hab’s geahnt, Feudalismus pur! So etwas habt ihr hier?“

„Ja, und es passt genau eine Person hinein!“

„Dann ist die Zelle sicher viel zu klein für mich großen Kerl.“

„Wenn du dich da mal nicht täuschst, Matthew. So, hier sind wir - voilà: die Seigneurerie!“

Sie hatten in gemächlicher Fahrt nicht einmal fünf Minuten vom Bootsanleger bis zum Ziel gebraucht. Dafür den Staats-Bentley zu nutzen, war fast schon eine Ungeheuerlichkeit.

 

Er kam sich wie in einem schlechten Period-Drama vor, denn vor dem schönen Gebäude aus grauem Stein, typisch für die Kanalinseln und die Bretagne, hatte sich wahrlich ein Begrüßungskomitee versammelt. Ihm wurde erneut flau im Magen.

Der Chauffeur riss sogleich, was vollkommen ins Bild passte, dienstbeflissen die Tür zum Wagenfond auf und ließ den Gast und Mademoiselle Sybil aussteigen.

„Sybil, sag, dass das nicht wahr ist“, raunte Matthew ihr zu, doch sie hauchte ihm nur ein Küsschen auf die Wange und entstieg munter dem Wagen.

Jedes Paradieren auf dem roten Teppich bei einer Filmpremiere war nichts gegen das, was er gerade fühlte.

Tief Luft holend sortierte er seine langen Beine und stieg ebenfalls aus.

 

Zum Glück blieb so etwas wie enthusiastischer Applaus aus und so ließ er sich von Sybil mitziehen und setzte zunächst ein gewinnendes Lächeln auf. Showtime! Doch genau das war das Problem! Er wollte ehrlich sein, er wollte er selbst sein und nicht der berühmte Schauspieler. Als er es merkte, war es schon fast zu spät.

Gerade noch rechtzeitig ließ er Sybils Hand los und hörte sich selbst sagen: „Entschuldigt bitte, das ist jetzt sicher sehr unhöflich und bricht mir womöglich das Genick, aber ich bin kein Staatsgast. So ein Aufhebens zu machen ist mir peinlich und mir wäre es am liebsten, irgendwo gemütlich zum Hintereingang in die Küche hineinzuspazieren.“

Sybil sah ihn an, als wäre er zu einem Monster mutiert, er hatte gerade ihre Seifenblase zum Platzen gebracht, ihre schöne Inszenierung ruiniert und ganz gewiss auch ihre Mutter beleidigt.

 

Er erwartete auf der Stelle so etwas wie einen Blitz-Urteilsspruch des Seigneurs de Sercq, Sybils Vater, der donnernd verkünden würde: „Der Kerl wird eingekerkert bis das nächste Boot nach Guernsey ablegt und dann deportiert. Er darf im Leben keinen Fuß mehr auf diese Insel setzen!“

Doch das genaue Gegenteil trat ein, denn ein milde lächelnder älterer Herr brach in schallendes Gelächter aus und meinte glucksend: „Ich habe meinen Damen gesagt, dass sie maßlos übertreiben. Sybil, Josy, nun hört ihr es selbst. Ihr habt ihn verschreckt und ich kann es ihm nicht verdenken. Kommen Sie, Matthew, wir beide schleichen uns zum Hintereingang ins Haus, genau wie Sie gewünscht haben. Und von Ihrer Gesichtsfarbe her zu schließen, haben Sie die Überfahrt nicht gut vertragen, weswegen Sie – bevor es Tee und Dinner und sonstigen Firlefanz gibt – erst einmal einen großen Schluck meines besten französischen Cognacs trinken sollten. Hilft garantiert. Meine Damen, au revoir.“

Er legte eine Hand auf Matthews Schulterblatt, zog ihn kurzerhand aus dem Geschehen heraus und dirigierte ihn ums Haus herum.

 

Der Abend und das gesamte Osterwochenende verliefen weitaus gemütlicher und unkomplizierter, als zunächst vermutet. Wäre der bisweilen stürmische, über alles hinweg donnernde Wind nicht gewesen, hätte Matthew Sark als richtige Wohlfühl-Oase betrachtet. Aber da seine Beziehung zu Sybil – und zu Sark natürlich – mit einem Sturm, einem Orkan begonnen hatte, vervollständigte dies nur den Gesamteindruck. Wobei er sein bisheriges, recht voreingenommenes Bild von Sark ohnehin leicht korrigiert hatte. Auch da hielt das 21. Jahrhundert nun doch massiv Einzug, und alte Zöpfe, alte Rechts- und Staatsformen wurden nach und nach abgeschnitten, beziehungsweise abgeschafft. Mit dem Seigneur de Sercq kam er jedenfalls, entgegen jeglicher vorheriger Annahme, annähernd so gut klar wie mit seinem eigenen Vater.

 

Als er nach dem Bank-Holiday von Sark vorläufig Abschied nahm, tat er das recht schweren Herzens; vor allem, weil ihm vor der bevorstehenden Überfahrt nach Guernsey grauste. Nein, vor allem natürlich, weil er sich von liebgewonnenen Menschen verabschieden musste.

Josephine de Carteret, von allen stets nur Josy genannt, reckte sich, um den großgewachsenen Mann vor ihr mütterlich zu küssen.

„Großer Gott, wenn mir das vor ein paar Wochen jemand erzählt hätte, dass du in mein Haus geschneit kommst. Und noch dazu um Klassen besser kochst, als ich und alle Küchenchefs auf den Inseln zusammengenommen - Wahnsinn. Es hat mich sehr gefreut, dass du zu uns gekommen bist.“

„Und mich hat es sehr gefreut, dass ich eingeladen war. Danke, Josy.“

„Ich hoffe, wir haben nun öfter das Vergnügen.“

„Unbedingt, aber das nächste Mal versuche ich, mit einem Helikopter herzukommen.“

„Wenn dir da nicht mal genauso schlecht drin wird wie auf dem Boot!“

 

Alle lachten herzlich.

„Nein, ernsthaft, Josy und Jean, es wäre schön, Euch – natürlich gemeinsam mit Sybil – demnächst in London zu sehen. Vorausgesetzt ich überlebe das Übersetzen bei diesem rauen Seegang nach Guernsey und kann dann nach London weiterfliegen.“

 

Diesmal liefen Sybil und Matthew zum Hafen hinunter, es war ein Fußmarsch von knapp zwanzig Minuten, was den beiden ein bisschen Zeit füreinander ließ. Der beißende Wind zerrte zwar an Kleidung und Haaren, doch da es zum Glück nicht regnete, war es erträglich.

Erst gingen sie schweigend Hand in Hand bis zum Dorf, dann brach er das Schweigen: „Ich freue mich aufs Wochenende, wenn du dann auch nach London kommst. Danach wird es schwieriger für uns beide, weil ich lange Zeit in Irland zu Dreharbeiten sein werde. Aber ich versuche, so oft wie möglich an einigen Wochenenden zurück nach London zu kommen.“

„Das wäre schön.“

„Und du versuchst, rüber nach Dublin zu kommen, wenn möglich, ja?“

„Natürlich.“

„Gut.“

„Wirklich eine stürmische Beziehung zwischen uns, ruhiger Seegang ist was anderes, würde ich sagen.“

„Stimmt.“

„Hast du echt Schiss vor der Überfahrt?“

Er sagte nichts, nickte aber mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, der zum Steinerweichen war.

Sybil musste sich ein Lachen verkneifen. Stattdessen reckte auch sie sich, ähnlich wie es ihre Mutter getan hatte, und küsste ihn, allerdings alles andere als mütterlich.

„Dann denk einfach daran, wenn dir schlecht werden sollte. Und kau den Kaugummi, den du in der Tasche hast, ja?“

Er nickte abermals.

 

Am Bootsanleger zog er lediglich ihre Hand ganz langsam an seine Lippen, küsste diese und ließ dann bedächtig los.

„Bis bald.“

„Ruf mich gleich von Guernsey aus an und sag mir, wie es dir ergangen ist. Und dann aus London natürlich auch.“

„Selbstverständlich.“

„Bye-bye, mein großer Bär.“

„Bye-bye, meine liebste Inselprinzessin.“

 

Wohin ihn diese Beziehung führen würde, war noch nicht abzusehen. Man war letztendlich nicht mehr als ein Blatt im Wind - den Naturgewalten, den Stürmen des Lebens vollkommen ausgesetzt. Aber er hoffte, dass Sybil und er einigermaßen würden Kurs halten können. Eine Inselprinzessin war schließlich eine ganz besondere Eroberung.




Ende
doris anglophil ist Autor von 80 anderen Geschichten.



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