- Schriftgröße +
Author's Chapter Notes:

 

Zwei Bilder, die MM als Hareton Earnshaw aus "Wuthering Heights" zeigen, wurden im RA-Forum unter diesem Kapitel eingestellt.

* Ours = franz. für "Bär" (im nachfolgenden Kapitel)










 

Als ein Handy sich melodisch meldete, riss es beide aus der zärtlichen Situation, in der sie sich gerade befunden hatten.

Er hielt es leicht ungehalten an sein Ohr und meldete sich: „Hallo?“

Es war der Pannendienst, der nun die Fälle vom vergangenen Abend und der Nacht langsam abarbeitete.

„Es eilt nicht sonderlich in diesem Fall. Aber danke, dass sie sich gemeldet haben. Es handelt sich um den Wagen von Miss… ähm“, er geriet ins Rudern, weil er Sybils Nachname nicht kannte.

Hilfreich ergänzte sie: „Carteret. Sybil de Carteret.“

David stöhnte innerlich auf: Auch noch eine ‚von und zu‘!

Er sprach weiter ins Telefon: „Miss Sybil de Carteret. Nein, keine Französin, sie hat einen sercqischen Pass. Was das ist? Sie stammt von der Kanalinsel Sark! Mein Name?“

Er zuckte erschrocken zusammen und legte seine Stirn mitsamt den Augenbrauen in Falten, was ihm ein leicht finsteres Aussehen gab. Was sollte er jetzt sagen? Aber war dem Pannendienst nicht völlig egal, wie sein richtiger Name lautete?

Er überlegte fieberhaft, bevor er antwortete: „David Ma… Masters.“

Sybil dachte ebenfalls nach. Einen Schauspieler mit Namen David Masters kannte sie nicht. Nie gehört. Er musste ein wahrlich kleines, unbedeutendes Lichtchen im Showbusiness sein, was sich wiederum mit dem schicken Auto, dem luxuriösen Cottage, den teuren, bestens selektierten Lebensmitteln und dem Handy allerneuester Bauart und Technik nicht ganz vereinbaren ließ. Und ‚Masters‘ klang gar nicht britisch, viel mehr äußerst amerikanisch. Ob das eventuell ein Künstlername war, um auch in den USA Fuß fassen zu können? Sie nahm sich vor, ihn danach zu fragen. Wenn man miteinander schlief, konnte man doch ruhig einmal eine solche Frage stellen, oder?

Dass sie, abgesehen von ein paar albernen Teenager-Filmchen, in die sie ihre Freundinnen geschleppt hatten, nur wenig Ahnung von derzeit hoch im Kurs stehenden britischen Darstellern hatte, gab sie vor sich selbst nicht zu und vor David schon gleich dreimal nicht.

Sie hatte viel Zeit im Ausland verbracht, war in Frankreich und in der Schweiz zur Schule gegangen, außerdem hatte sie einige Zeit in Singapur bei Freunden verbracht, die sie in der Schweiz kennengelernt hatte. Deswegen hatte sie den ersten großen Serienhit des Mannes ihr gegenüber im Fernsehen und vieles, was darauf gefolgt war, völlig verpasst. Ihr Freund Bernard hatte sich mehr Sportsendungen angesehen und ab und zu mal einen Actionfilm mit ihr gemeinsam auf DVD angeschaut.

Das Internet nutzte sie überwiegend, um mit ihren zahlreichen Freunden aus aller Welt in Kontakt zu bleiben. Aber für Film und Fernsehen hatte sie kein wirklich großes Interesse. Nur zu Hause auf Sark sah sie sich manchmal mit ihrer Mutter eines der großen Period-Dramen an, für die die Briten berühmt waren. Das letzte, an das sie sich erinnern konnte, war ‚North and South‘ gewesen, was ihre Mutter entzückend gefunden hatte. Davor hatte sie, irgendwann in den Ferien einmal, eine Verfilmung des düsteren Stoffes ‚Wuthering Heights‘ gesehen und lediglich am langhaarigen, blauäugigen Hareton ein klein wenig Gefallen gefunden. Doch zu der Zeit war sie noch ein wirklicher Teenager gewesen, dem manche US-Serie wesentlich lieber als heimische TV-Kost gewesen war. Jetzt, wo sie darüber reflektierte, fiel ihr auf, dass dieser Typ, der den Hareton gespielt hatte, und David die gleichen blauen Augen hatten. Sie waren sich irgendwie recht ähnlich, befand sie nun belustigt. Vielleicht ein Bruder von David.

„Könnten wir schnell zu meinem Auto fahren und im Hellen nachsehen, ob ich ein paar Kleidungsstücke von mir daraus bergen kann? Bitte?“

David fand die Idee weniger gut: „Ich halte es für zu gefährlich. Nicht dass uns noch ein Baum erwischt und die Sache weit weniger glimpflich abläuft. Du hast echt irres Glück gestern gehabt und ich denke, das solltest du nicht herausfordern. Wir bleiben wo wir sind.“

Sybil wollte ihm gerade Paroli bieten und versuchen, ihn weiter weichzuklopfen, als plötzlich das Licht aufflammte. Wahrscheinlich war der Schalter der Lampe noch eingeschaltet gewesen. Der Strom war wieder da!

Er sah es mit Genugtuung: „Super! Ich räume den Kühlschrank wieder ein und schaue, ob die Heizung von selbst wieder anspringt. Dann entscheiden wir, was wir heute kochen wollen.“

Er holte die Lebensmittel ins Haus zurück und sein Haar wurde vom kurzen Aufenthalt an der böigen Luft völlig zerzaust.

Sybil strich sie ihm wieder glatt, nahm ihm den Korb ab und sagte: „Also gut, vielleicht legt sich der Sturm später und wir können am Nachmittag raus. Ich räume das Zeug in den Kühlschrank und du schaust nach der Heizungsanlage. Hast du eigentlich einen Bruder?“

Die Frage brachte ihn aus dem Konzept, auch wenn er versuchte, ihr keine große Bedeutung beizumessen. So nickte er nur bejahend.

„Ah, und nun sag bloß, der ist auch Schauspieler?“

„Ist er nicht.“

„Nicht? Ich hätte nämlich schwören mögen, dass einer, der dir ziemlich ähnlich sieht, vor etlichen Jahren mal den Hareton Earnshaw in einer Klassiker-Verfilmung gespielt hat. Den Kerl fand ich damals echt niedlich.“

Bumm! Er fühlte sich, als hätte ihm jemand ein Brett auf dem Kopf zertrümmert. Scheiße! Sollte er Farbe bekennen oder weiterhin die Wahrheit verschleiern? Er trat ohne Antwort die rasche Flucht zum Heizungsraum an.

Sollte aus dem Wochenende eventuell eine Fortführung der Beziehung zu Sybil resultieren, müsste er ihr ohnehin sagen, wer er war. Ein schmales Lächeln zog über seine angestrengt zusammengekniffenen Lippen, während er das Heizsystem genauer begutachtete. Vielleicht wüsste sie nicht einmal dann, wen sie vor sich hatte. Es war so unrealistisch nicht, es konnte ihn schließlich nicht jeder Mensch auf dieser Welt kennen. Auch nicht jeder Brite, oder – in Sybils Fall -  jede den Briten zugewandte Person. Es würde ihn auch gehörig in Angst und Schrecken versetzen, wäre sein Bekanntheitsgrad noch höher.

Er drückte auf einen Knopf, den er als Reset-Button identifizierte, und in der gleichen Sekunde sprang die Heizung schnurrend an. Befriedigt über diesen Erfolg wandte er sich wieder der jungen Dame aus Sark zu und beschloss, das Katz-und-Maus-Spiel noch ein bisschen weiter auszureizen.

„Ich erinnere mich an diesen Hareton. Der soll mir ähnlich sehen? Blödsinn! Und warst du damals nicht viel zu jung für diese schwere Kost?“

„Maman mag solche Verfilmungen. Sie versucht immer, mich auch zum Schauen zu verleiten, meist kann ich ihr aber entkommen. Da hat es nicht funktioniert, was dann ja auch so übel nicht war. Bei ‚North and South‘ hat sie gar keine Einwände gelten lassen und bei ‚Little Dorrit‘ bin ich nur entkommen, weil ich da gerade frisch mit Bernard zusammen gewesen bin.“

Er schloss erleichtert die Augen und atmete fest aus. Gott sei Dank für diesen Bernard! Er hatte Sybil davon abgehalten, sich mit ihrer Mutter vor die Glotze zu setzen und ihn als männlichen Hauptdarsteller in ‚Little Dorrit‘ zu sehen. Wäre das der Fall gewesen, hätte dieses Abenteuer mit Sybil vermutlich einen völlig anderen Ausgang genommen.

„Verstehe. Soll eh nicht so gut gewesen sein, habe ich gehört.“

Er versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben, wartete aber gespannt auf Sybils Reaktion.

„Kann ich ja nicht beurteilen. Maman fand es super und schwärmte mir immer am Telefon was vor. Alle Darsteller wären toll besetzt, insbesondere die Hauptrollen.“

„Aha.“

„Sie schwatzte mir fast das Ohr ab vor Begeisterung und wollte mich ständig überreden, es mir doch noch anzusehen.“

„Hat sie Namen genannt?“

Seine Neugier plagte ihn und er hatte sich diese Frage nicht verkneifen können.

„Ich erinnere mich nicht mehr. Warum fragst du? Kennst du welche, die da mitgespielt haben?“

„Kann sein. Ich… ich müsste Namen hören.“

„Boah, warte, vielleicht fällt mir was ein, wenn ich nachdenke. Oder gib mir bitte einfach mal dein Handy, dann schaue ich schnell im Internet nach.“

Das konnte nun verdammt eng werden, daher wich er ihr aus: „Ähm… der Akku ist leer.“

„Du hast vor kurzem noch ganz normal damit telefoniert. Dann häng es ans Ladegerät, Strom ist doch wieder da.“

„Ja, mach ich gleich.“

Damit Sybil keinen Verdacht schöpfte, klemmte er sein iPhone ans Ladegerät, auch wenn dies gar nicht nötig war. Dann hatte sich sein Puls soweit beruhigt, dass er sich Gedanken ums Kochen an diesem Tag machen konnte.

Er durchforstete die Lebensmittel und stellte im Geiste bereits einen schmackhaften Lunch und ein erlesenes Dinner zusammen.

„Cornish Pasties zum Mittag?“ rief er in Sybils Richtung.

„Gerne. Ich nehme an, dass auch diese in keinster Weise vorgefertigt sind und du sogar den Pastetenteig selbst herstellst.“

„Du nimmst korrekt an. Ich werde aber eine Veränderung vornehmen, wenn es dir  recht ist: Anstatt Rinderhack möchte ich gerne Lammhack verwenden.“

„Genehmigt. Brauchst du Hilfe?“

„Wenn du das Lammfleisch durch den Wolf drehen möchtest.“

„Was? Nicht einmal das Hack hast du fertig gekauft?“
„Sybil, ich hätte es dann nicht lange aufheben können. Es hat vor allem praktische, hygienische Gründe. Ab und zu, wenn es sich anbietet, kaufe ich natürlich das Hack auch schon gewolft.“

„Natürlich“, echote sie leicht spöttisch.

Während er die ersten Zutaten zusammensuchte und sich zurechtlegte, unterbreitete er ihr den Vorschlag fürs Dinner: „Und für den Abend dachte ich an Lachscarpaccio mit Rucola und Parmesan, dann Hähnchenbrustfilets gefüllt mit einer Champignon-Farce, dazu eine Safransauce und Reis, und da wäre noch immer die Crème Bavaroise, die es gestern leider nicht mehr gegeben hat.“

Sybil stöhnte: „Du willst mich mästen!“

Er lachte: „Ja, damit ich dich besser fressen kann. Wie der Wolf im Rotkäppchen.“

„Aber gemästet hat die böse Hexe den Hänsel in Hänsel und Gretel.“

„Sehe ich mehr wie eine Hexe oder doch eher wie ein Wolf aus?“

„Wolf. Definitiv! Oder… lass mich überlegen, war da nicht mal auch ein Märchen, in dem ein Bär vorkam?“

„Schneeweißchen und Rosenrot.“

„Ja, daran erinnerst du mich: An einen großen, kuscheligen, eher gutmütigen Bären.“

„Der große, kuschelige, eher gutmütige Bär wird gleich ärgerlich zu knurren anfangen, wenn das Weibchen, mit dem er derzeit seine schützende Höhle teilt, nicht bald antanzt und ihm beim Zubereiten des Mittagessens hilft. Du sollst das Lammfleisch durch den Wolf drehen, Mademoiselle de Carteret!“

„Mist! Hätte ich fast vergessen. Bin schon da, Monsieur le Ours*.“

Als sie sich in der Küche blicken ließ, wo er ihr bereits das Lammfleisch entgegenhielt, meinte er noch: „Nur zur Information: Den Lachs habe ich mir bereits hauchdünn aufschneiden lassen. Den muss also niemand von uns technisch bearbeiten, bevor er als Carpaccio endet.“

Sie spuckte noch ein ersticktes „Nein, wirklich“ aus, bevor sie einen mehrminütigen Lachanfall bekam, in den er bald mit einstimmte, weil ihr johlendes Gelächter gar zu ansteckend war.

 

 






Bitte gib den unten angezeigten Sicherheitscode ein: