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John


Ich habe mir bei einer Autovermietung unter meinem Alias „James Dean Philips“ ein unauffälliges, aber PS-starkes Auto gemietet.

Lucas und ich observieren seit Stunden die Tiefgaragenausfahrt des MI6. Welches Auto mit welchem Kennzeichen er fährt, hat Layla uns gesagt.

Aber wir beobachten trotzdem jeden Wagen, der die Garage verlässt. Es gibt nichts langweiligeres als Observationen.


Es ist 20:43 Uhr, als es soweit ist.

Ob wirklich er drin sitzt, ist in der Dunkelheit nicht erkennbar. Ich fädele mich in den Verkehr ein und folge ihm aus sicherer Entfernung.

Er fährt stadtauswärts. An einer Ampel kann ich in zweiter Fahrspur an ihm vorbeifahren. Ich bremse etwas ab, riskiere einen Blick in seinen Wagen. Es ist wirklich Millhouse. Er telefoniert und bekommt von seiner Umwelt nicht mehr viel mit. Aber die schwache Beleuchtung durch sein Handy reicht aus, um die Zielperson zu identifizieren.


Die Ampel wird grün, ich fahre los.

Nur dummerweise ist er hinter mir. Ich fahre links ran mit Warnblickanlage und wir tun so, als seien wir zwei Touristen, die den Weg suchen.

Er passiert uns, immer noch telefonierend. Es ist schwierig, ihn im Londoner Verkehr nicht völlig aus den Augen zu verlieren und ich bin erleichtert, als wir die Stadt hinter uns lassen.

Er fährt Richtung Ilford, meidet aber die Autobahn zugunsten Landstraßen. Diese sind kaum video-überwacht. Zweifellos ein Vorteil – auch für uns.

Je weiter wir uns von der Stadt entfernen, desto dünner wird der Verkehr. Das bedeutet, dass es einem halbwegs aufmerksamen Autofahrer fast zwangsweise auffallen muss, dass er verfolgt wird.

Ich bespreche mich kurz mit Lucas und wir einigen uns unsere Zurückhaltung aufzugeben.

Ich beschleunige und fahre dicht auf, gebe Lichthupe mit dem Fernlicht.

Millhouse sieht in den Rückspiegel, die Anspannung und Nervosität in seinem Gesicht ist deutlich zu sehen.

„Sieh zu, dass er nicht das Handy benutzt, sonst haben wir gleich 'ne Menge Polizei am Hals.“

Aber genau das scheint er zu versuchen. Lucas hat leicht reden. Soll ich ihm eine SMS schicken:

„Bitte Handy ausschalten“? Wohl kaum.

Entscheide mich für eine Alternative, fahre noch dichter auf und gebe mit meiner Stoßstange seiner einen sanften Schubs. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Lucas instinktiv die Beine anzieht und sich am Armaturenbrett abstützt.

Die Autovermietung wird über die Beule nicht begeistert sein und so, wie ich James Dean Philips einschätze, wird er kaum für den Schaden aufkommen. Außerdem habe ich schon immer gerne anderer Leute Auto ruiniert.


Millhouses Wagen kommt leicht ins Schleudern und er lässt das Handy fallen, um seinen Lexus auf der Straße zu halten.

Es gelingt ihm und er gibt Gas, um uns abzuschütteln. Ich gehe mit und bleibe dicht hinter ihm, drängle weiter.

Er versucht mich durch eine plötzliche Linkskurve loszuwerden. Ich bremse noch eben rechtzeitig, reiße das Steuer rum und verfehle ein Verkehrsschild um Haaresbreite. Lucas atmet hörbar ein. Ich sehe zu ihm rüber, sein Gesicht ist angespannt, mit seiner rechten Hand stützt er sich noch immer am Armaturenbrett ab.

Er fühlt meinen Blick, schaut zu mir. „Sieh auf die Straße, Mann, auf die Straße!“

Mach ich doch, was hat er nur? Millhouse hält sich rechts, will auf die Autobahn. Ich wende wieder eine vorsichtige Version des California Stops an, um ihm das Abbiegen zu vermasseln.

Es gelingt mir, er fährt mit High-Speed geradeaus weiter. Ich komme mir vor wie ein Rallye-Fahrer – und muss zugeben, dass es mir verdammt viel Spaß macht.

Lucas fragt mich, wie lange wir das noch überleben.

„Hab Dich nicht so, an irgendwas stirbst Du sowieso. Und genaugenommen bist Du schon tot.“

„Ich würde aber lieber an Altersschwäche sterben, John.“

„Rentenschmarotzer!“ Akademisches Weichei.


Die Jagd geht noch eine gute Viertelstunde weiter, dann reicht es mir. Ich will versuchen ihn auszubremsen und zum Anhalten zu zwingen.

Ich setzte zum Überholen an. Er denkt wohl, dass ich ihn von der Straße rammen will und zieht den Wagen leicht nach rechts. Die Landstraße hat keinen Standstreifen, aber einen Straßenrand für absolute Notfälle. Auf diesem hier liegt Kies.

Hohe Geschwindigkeit, Asphalt links, Kies rechts ergibt ungleichen Grip. Das Auto beginnt leicht zu schleudern, er verreißt das Lenkrad und bremst. Der Lexus beginnt sich zu drehen und überschlägt sich mehrfach.

Ich steige auf die Bremse, halte an.

Lucas und ich gehen zurück zum Unfallort. Auf der Straße liegt alles mögliche. Zigaretten, Landkarten, das Navi, Scherben, Kleinteile. Der Tank ist geborsten und aus dem Motorraum scheint Bremsflüssigkeit auszutreten. Das Gemisch läuft als kleiner Bach die Straße runter.

Wir sind am Fahrzeug selbst. Millhouse hängt im Gurt, ich will keine Gefahr eingehen und ziehe meine Waffe. „Verlassen Sie das Fahrzeug! Brigadier Millhouse, kommen Sie aus dem Fahrzeug!“

Lucas geht zum Auto und zerrt an der Tür. Sie lässt sich nicht öffnen, aber das Seitenfenster hat bereits Sprünge. Ich gehe zu ihm und schlage die Scheibe mit dem Griff meiner Pistole ein.

Millhouse blutet am Kopf und an den Händen, aber er lebt und ist bei Bewusstsein.

Ich fordere ihn noch mal auf raus zu kommen.

„Ich kann nicht. Ich bin eingeklemmt. Meine Beine.“

Dann erst scheint er mich wahrzunehmen. „Porter! Haben Sie mich verfolgt? Das wird Ihnen noch leid tun! Ich werde dafür sorgen, dass Sie den Rest Ihrer erbärmlichen Tage im Gefängnis verbringen!“

Lucas greift durch das Fenster und schnappt ihn am Kragen. „Halt die Klappe!“

Millhouse wird blass. „North! Sie sollten tot sein! Porter! Sie hatten den Befehl ihn zu liquidieren! Ihre Insubordination wird Folgen haben! Sie ...“

„Wer steckt hinter der ganzen Sache?“

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“

Lucas geht der Hut hoch. Meine Güte, ich hätte nicht gedacht, dass er so explodieren kann.

„Die Viren, die aus den russischen Labors gestohlen wurden. Die, die gerade gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden. Die, für die ich sterben sollte!“

„Lucas, lass mich das machen.“

„John, wir dürfen ihn damit nicht durchkommen lassen!“

„Er wird damit nicht durchkommen. Bitte. Ich mach das.“

Lucas wendet sich mit verärgertem Schnauben ab.

„Also Millhouse. Wer? Was hat man Ihnen geboten? Geld? Macht?“

„Sie Beide sind doch paranoid. Nichts davon ist wahr.“

„Testen Sie nicht meine Geduld.“

„Sie haben mir nichts zu sagen, Porter. Vergessen Sie nicht, wer Sie sind. Ein kleiner, unbedeutender Soldat. Entlassen von der eigenen Einheit, weil keiner mehr mit Ihnen arbeiten wollte. Ihre Frau hat Sie verlassen. Ihre Tochter will mit Ihnen nichts mehr zu tun haben. Sie sind ein Versager, Porter.

Nur durch Collinsons Mitleid haben Sie den Handlangerjob bei uns bekommen. Und Collinson musste ihretwegen sterben.“

Ich hole tief Luft und schaue was Lucas macht, damit ich dem Spinner nicht den Hals umdrehe.

Lucas hat irgendwas von der Straße aufgehoben und schiebt mit dem Fuß Scherben und ähnliches an den Rand.

Ich atme noch mal durch, ziehe meine Waffe und halte sie Millhouse an den Kopf.

„Letzte Chance, Sir, die Namen!“ Mein Stimme ist ruhig, sehr ruhig. Aber er hat wohl meine Entschlossenheit bemerkt. Er macht mir ein Angebot. Ich könne ihn doch unterstützen, dann könne er sich mir anvertrauen. Ich spanne den Hahn.

Er schluckt. „Also gut, i-ich sag Ihnen, was ich weiß.“

Tatsächlich geht es wohl darum eine neue diktatorische Regierung einzusetzen. Vorneweg der Innenminister und noch zwei andere. Aber sie werden nicht viel mehr sein als Marionetten, denn hinter allem stecken einige große Konzerne.

Durch legitimen Einsatz der Antiterrorgesetze können Teile des Internets geblockt werden, Versammlungen oder Demos verboten werden.

Kurz: Alle Macht den Konzernen.

„Mehr weiß ich wirklich nicht, ehrlich. Kann ich jetzt einen Arzt haben?“

Oh, wie gerne würde ich ihn selbst behandeln!

Ich drehe mich um, um mein Handy aus dem Leihwagen zu holen.

Lucas steht hinter mir. Er hat sich Millhouses Beichte mit angehört und fragt ihn: „Wieviel?“

„5 Millionen Pfund - für den Anfang. Das Geld steht mir zu. Meine Arbeit ist wertvoller als die jedes Politikers. Ihr könnt sie nicht mehr aufhalten. Werdet Teil davon oder geht unter.“

„Ja“, sagt Lucas mit angewiderter Stimme, „Teil davon.“ Er hebt die rechte Hand. In ihr hält er ein Sturmfeuerzeug. Er klappt mit dem Daumen den Deckel hoch und und entzündet die Flamme.

„Was soll das?!“, schreit Millhouse.

„Lucas! Nicht!!“, schreie ich.

Lucas sieht ihn immer noch an und wirft mit einer eleganten Bewegung das Feuerzeug in das Benzinflüsschen.

Er dreht sich um und geht zu unserem Wagen zurück. Ich auch.

Am Auto schauen wir zurück. Das Feuer ist die Benzinspur in beide Richtungen entlang gerast.

Anders als in Action-Filmen explodiert das Auto nicht, sondern geht mit einem zischenden-fauchenden Geräusch in Flammen auf.

„Wirst Du mich verraten?“

Ich seufze. „Was verraten?“



Harry


Ich habe gerade erfahren, dass MI6s Brigadier Millhouse bei einem Autounfall ums Leben kam. Ich gebe zu, meine Trauer hält sich in Grenzen.

Viel schlimmer ist: Die drei Agenten, die ich wegen des Virus eingesetzt hatte, sind tot.

Nicht durch den Virus, sondern treibend aus der Nordsee gefischt.

Mein Boss wurde vor 15 Minuten verhaftet. Wegen Hochverrats.

Wir haben eine Mitteilung des Innenministeriums bekommen, dass die alten Security Services aufgelöst werden und ein neuer gebildet wird.

In London wurden in den letzten 60 Minuten 72 neue Erkrankte festgestellt.

Die Zahl der Toten durch den Virus beträgt zur Zeit 1.173.

Ein Gegenmittel ist in absehbarer Zeit nicht in Sicht.

Der Premierminister hat das Inkrafttreten der Notstandsgesetze unterzeichnet.

Um eine Massenpanik zu vermeiden wurden Internet-Dienste wie z.B. You Tube gesperrt.

Das Militär wurde in Alarmbereitschaft versetzt, sollte es zu Ausschreitungen kommen.


Wir haben das Spiel verloren. Wir haben versagt. Big time.




Ende
Edin ist Autor von 3 anderen Geschichten.

Diese Geschichte ist Teil der Serie John Porter Zyklus. Die vorige Geschichte in dieser Serie ist Redemption -1-. Die nächste Geschichte in dieser Serie ist Shadows -3-.


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