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Eoin


Der Verkehr in Moskau ist wie immer. Eine gelungene Quadratur des Chaos. Wer hier Auto fährt ist entweder sehr mutig oder völlig gestört. Ich gehöre wohl in die letzte Kategorie. Bekomme eine SMS von Philipp. In Schottland sind Krankheits- und Todesfälle aufgetreten, die unsere schlimmsten Befürchtungen anscheinend wahr werden lassen. Fuck!

Ich frage mich, wo John jetzt wohl ist. Seit seiner SMS ist es gut 36 Stunden her. Er ist 100%ig nicht mehr an dem Platz, dessen Koordinaten er mir übermittelt hat. Wäre ich ein Ex-Soldat und in seiner Situation, was würde ich tun? Ist er nur halb der Fuchs, für den ich ihn halte, wird er versuchen sich zu meinem alten Safehouse durchzuschlagen. Also suche ich ihn da – sobald ich sicher bin, dass mir niemand folgt. Aber wen interessiert schon ein irischer Geistlicher. Würde ich doch nur den blöden kneifenden Kragen endlich los. Wahrscheinlich ist das das Geheimnis der Religion: Bitte lieber Gott, schenke mir eine Amtstracht, die a) bequem ist und b) nicht aussieht, als hätte ich meiner Großmutter den Morgenrock geklaut.

Ich parke mein Auto in einem kleinen Waldweg und beobachte, getarnt als Spaziergänger, von einer Anhöhe aus die Straße.

Nach zwei Stunden bin ich mir ganz sicher, dass mir niemand am Hintern klebt. Ich genieße einen wunderschönen farbenprächtigen Sonnenuntergang und laufe das letzte Stück. Jetzt kommt der spannendste Teil: Ins Haus kommen, ohne von John erschossen zu werden.


Ich verhalte mich vorsichtshalber so unauffällig wie eine Rotte Wildschweine. Kein ernstzunehmender Angreifer wird laut pfeifend durch's Gebüsch rumpeln. Noch nicht mal in Hollywood.



John


Die Sonne geht unter und wir haben unsere Verteidigung aufgebaut. Ich schiebe Wache und Lucas hat Küchendienst. Er rührt mit einer derart angewiderten Miene im Topf herum, dass ich mir ein Lachen verkneifen muss. Sein russisch ist nun mal um Meilen besser als meines und nach seiner Auskunft soll das, was in der Dose war wohl so eine Art Soljanka sein. Nun ja, es riecht wie Army Rationen und es sieht auch so aus.


Ich höre ein Geräusch in der Hecke, bringe meine Waffe in Anschlag und …

… bekomme einen Lach-Flash. Eoin müht sich im Talar durch die Dornen. Mit gerafftem Rock, zerkratzten Händen und leise fluchend versucht er den Talar der Botanik zu entreißen. Dabei verheddert er sich noch mehr, stolpert über eine Wurzel, fällt der Länge nach hin und der Stoff ergibt sich mit einem Rrrrrraaatsssssccccchhhhh. Lucas schaut mir über die Schulter und nach einem Moment der Fassungslosigkeit fängt auch er an zu lachen.

Eoin meint, wir sollen aufhören uns wie Mädchen anzustellen und ihm helfen. Was wir sicher gerne täten, wenn wir nur könnten. Endlich schafft er sich aus der Hecke und sieht aus, als sei er der heiligen Inquisition entkommen. Er betritt das Haus, völlig zerkratzt und als menschliches Nadelkissen und versucht beleidigt auszusehen. Aber auch er muss grinsen. Noch bevor wir irgendwas sagen können, kräuselt er die Nase: „Hier riecht's verbrannt, Leute.“

Lucas: „Oh mein Gott, die Suppe!“

Er verschwindet in der Küche.



Lucas


Ich schnapp mir den Löffel und rühre im Topf rum. Die mysteriösen Inhaltsstoffe der rostbraunen Suppe sind am Topfboden angebrannt. So wie das Zeug riecht und aussieht, wird es dem Geschmackserlebnis kaum schaden,

Ich bin froh, dass Eoin wieder da ist.

Ich weiß, dass er John ein Gefühl der Sicherheit gibt, weil der in ihm einen Kameraden sieht, auf den er sich verlassen kann.

Mir gibt er ein Gefühl der Sicherheit, weil ich mich ihm anvertrauen kann, er mir zuhört und mich versteht.

Sicher, auch John gibt sein Bestes, aber er war im Gefängnis nicht dabei, er hat die Vergewaltigung nicht mitbekommen.

Eoin guckt in den Topf und dann mich an: „Lucas, bist Du sicher, dass uns da nichts mehr anspringen kann?“

Ich schau ihn böse an: „Jetzt versuche ich mal meine feminine Seite als Hausmutter rauszukehren und ihr habt immer noch was zu meckern.“

Ich stemme die Hände in die Hüfte und „schmolle“.

„Du kannst so viel von Deiner femininen Seite rauskehren wie Du magst, Süßer, aber ums Kochen solltest Du einen großen Bogen machen.“

„Du hast den Mist doch eingekauft.“

„Du hättest ihn ja nicht öffnen müssen.“

„Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!“ Ich drohe mit dem Kochlöffel.

Er hebt abwehrend die Hände. „Okay, okay, Du hast die besseren Argumente. Äh, ich löse John mal vom Wache schieben ab, dann könnt ihr essen.“


Ich verteile die Suppe auf drei Teller. John und ich setzen uns an den wackeligen Holztisch.

Eoin stellt die Waffe für sich ein. Ich nehme meinen Löffel und fahre damit vorsichtig durch rostbraune Flüssigkeit. Irgendwie befürchte ich, dass der Löffel sich auflöst wie in Säure.

John hat seinen Teller schon zur Hälfte geleert.

„Wie schmeckt's denn?“

Er zuckt mit den Schultern: „Keine Ahnung. Hab bislang jeden Kontakt mit Geschmacksnerven vermieden.“

Ich probiere einen halben Löffel voll. Eoin fragt über die Schulter: „Und?“

Ich schlucke, schlucke nochmal und …



John


„Kotz mir bloß nicht auf den Teller.“

Lucas sieht mich an. „Gefängnisessen. Mit einem Abgang von Holzkohle und Nuancen von Erbrochenem. Entschuldigt mich!“

Er springt auf und verschwindet um die Ecke.

Eoin schiebt noch immer Wache, aber ich höre das Lächeln aus seiner Stimme heraus: „Ich glaube, er mochte es nicht.“

„Ist nur kein gutes Armeefutter gewöhnt.“

„Cissy.“

Lucas: „Das hab ich gehört!“


Als wir das „Dinner“ hinter uns gebracht haben, bringt uns Eoin auf den neuesten Stand.

Er hat sowohl bei Harry als auch bei Layla versucht, unsere Befürchtungen subtil anzubringen.

Ein befreundeter Wissenschaftler sucht ein Gegenmittel. Und scheinbar ist die „Krankheit“ bereits ausgebrochen.

„Ich weiß aber noch nichts Definitives, nur dass es den Symptomen nach passen könnte.“

Eoin zuckt mit den Schultern, sieht aber so beunruhigt aus, wie ich mich fühle. Das Szenario ist an sich schon schlimm, aber ich muss sofort daran denken, dass Lexi in Schottland studiert.

„Wir müssen sofort zurück!“


„Ich habe den Nachtflug gebucht. Dich unter Deinem Alias als Waffenhändler. Ich als Pfarrer.“

„Und was mache ich?“ Lucas ist wieder in den Raum gekommen und hat eine schicke kalk-grünliche Gesichtsfarbe.

Eoin wühlt aus seinem Talar einen Reisepass und gibt ihm Lucas. Der blättert ihn durch.

„Deutsch? Warum nicht irisch oder kanadisch? Hast Du 'ne Ahnung, wie gut mein deutsch ist?“

„Du sollst die Leute am Flughafen auch nicht zutexten. Halt einfach den Schnabel. Tu so, als wärst Du stumm. Was weiß ich.“







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