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Story Notes:

 

DISCLAIMER

Diese Geschichte ist frei erfunden und hat keinerlei Bezug zum wirklichen Leben der darin beschriebenen Personen.

Die Personen gehören sich selbst, ausser denen, die von der Autorin erfunden / geschaffen wurden.

Die von der Autorin selbst erschaffenen Charaktere und die Handlung der Geschichte sind Eigentum der Autorin.

Vorsätzliche Verstöße gegen die Persönlichkeitsrechte sind nicht beabsichtigt.

© Doris Schneider-Coutandin 2011

 

Author's Chapter Notes:

 

Es ist etwas für all die Neugierigen, die schon immer mal wissen wollten, was auf Sandringham zu Weihnachten wirklich passiert. Die Beschreibungen der Abläufe und die eingeflochtenen Anekdoten sind nicht fiktiv, sie sind wahr und beruhen auf einiger Recherche-Arbeit und auf Berichten aus zuverlässigen Quellen. Alles Weitere ist jedoch pure Fiktion... natürlich!










 

Sie verließen ihr Cottage auf der Halbinsel Anglesey wohl wissend, dass sie erst im neuen Jahr dorthin wieder zurückkehren würden. Erst einmal auf nach London, dort warteten ein paar vorweihnachtliche Verpflichtungen und auch Einkaufstouren, die Cousins, Cousinen und auch schon teils deren Nachkommenschaft mussten schließlich irgendwie beschenkt werden. Während man es als Mann bezüglich seiner Garderobe recht einfach hatte, musste man als Frau ein paar zusätzliche Stopps bei der Einkauferei einlegen, um standesgemäß und zu allen Anlässen angemessen gekleidet zu sein.

Von London aus würde man dann am 23. Dezember nach Norfolk aufbrechen, natürlich war das Ziel Sandringham House, wo die königliche Familie seit Urzeiten schon das Weihnachtsfest im Familienkreis verbrachte.

Mit Sandringham waren für ihn wertvolle, aber auch schmerzliche Erinnerungen verknüpft. Seine Mutter hatte dort sowohl gelacht als auch gelitten. Ersteres selten, letzteres sehr häufig. Ihre Ess- und Persönlichkeitsstörungen waren stets an diesen Tagen ganz besonders stark hervorgetreten, weil sie sich wie unter ständiger Beobachtung, verfolgt von den Adleraugen der Schwiegermutter und anderer Mitglieder der Familie gefühlt hatte. Fast immer hatte sie gedacht, sie würde etwas falsch machen, erneut ins Fettnäpfchen treten und dafür wieder einen Rüffel kassieren, was ihr schon alljährlich im Vorfeld des Weihnachtsfestes Panik verursacht hatte.

Er selbst war zu klein und zu sehr mit den schöneren Dingen des Lebens, wie den Weihnachtsgeschenken, beschäftigt gewesen, um wirklich ermessen zu können, was damals vor sich gegangen war. Er hatte nur gemerkt, dass etwas nicht stimmte, aber was es letztendlich war, hatte er zunächst als kleiner Knirps nicht ausmachen können.

Und als er dann gewusst hatte, was es war, war es ohnehin zu spät gewesen. Die Ehe seiner Eltern hatte da bereits in Scherben gelegen; von der Unrast seiner Mutter nach der Trennung gar nicht zu sprechen.

Und nun war er doch gespannt, wie es in diesem Jahr sein würde. Letztes Jahr hatte er Dienst geschoben, während seine Frau, damals noch seine Verlobte, die Festtage ein letztes Mal komplett bei ihren Eltern verbracht hatte. Es war dies also das erste gemeinsame Weihnachten als Ehepaar und im Kreis der königlichen Familie. Er war neugierig darauf, wie seine Frau alles aufnehmen würde. Für ihn war es an sich ein gewohnter Ablauf:

Zur Teestunde fand man sich gemeinsam ein. Danach beging man den frühen Heiligen Abend in schöner deutscher Tradition – oh ja, ganz im Gegensatz zu der Mehrheit der restlichen Briten – und traf sich am Weihnachtsbaum im großen Salon, der zweistöckig und mit einer dreiseitig umlaufenden Galerie im ersten Stock versehen war, um die Geschenke zu deponieren. Dies ging nach einem exakt ausgeklügelten System mit Kärtchen auf den dafür vorgesehenen langen Tischen vor sich. Der Baum selbst stammte immer von den Ländereien Sandringhams, war an die sechs Meter hoch und wurde unter anderem von seiner Großmutter persönlich geschmückt. Zwar stieg sie nicht auf die Leiter, diese Aufgabe überließ sie jemand anderem aus der Familie, aber sie hatte eindeutig das Kommando beim Schmücken.

Dann wurden auf eine kurze Ansprache seiner Großmutter hin die Geschenke ausgepackt und geöffnet, was doch meist zu einiger Heiterkeit bei den Anwesenden führte, je nachdem, was sich so alles in den Päckchen befand.

Danach bekam man ein bisschen Zeit, um sich auf die Zimmer zurückzuziehen und fürs Dinner umzukleiden. Es war zwar eine Familienangelegenheit, zumeist ohne fremde Gäste, dennoch wurde Wert auf korrekte Kleidung gelegt, denn es handelte sich beim Christmas Eve Dinner um ein so genanntes „Black Tie Event“. Es war also klar, dass die Herren im Smoking zu erscheinen hatten und die Damen Abendkleidung tragen würden.

Vor dem Dinner wurden natürlich erst Cocktails serviert, auch dies geschah im großen Salon vor dem Weihnachtsbaum. Außer seinen Großeltern und seinem Vater, die trockenen Martini bevorzugten, tranken alle anderen Gin Tonic, die Kinder natürlich ausgenommen.

Die Glocke zum Dinner wurde um 20.30 Uhr geläutet. Dann ging man hinüber in das große Speisezimmer – in Sandringham gab es auch ein kleines Speisezimmer – wo groß und festlich eingedeckt war. Auch die Blumen auf der Tafel wurden in den hauseigenen Gewächshäusern gezogen. 

Im Schein der Kandelaber wurde dann gegessen. Es gab zumeist in kleineren Variationen eine Vorspeise, oftmals bestehend aus Norfolk Shrimps, zu der Weißwein getrunken wurde, dann ein Fleischgericht, sehr oft Lamm oder heimisches, selbstgeschossenes Wild, zu welchem natürlich Rotwein gereicht wurde und dann eine Tarte Tartin oder ein anderes süßes Soufflee, dazu ein Glas Champagner.

Natürlich wurde auch gescherzt und gelacht, er wunderte sich oft, dass die breite Öffentlichkeit ihnen ein solches Benehmen überwiegend absprach, weswegen eigentlich? Man war schließlich doch auch eine ganz normale Familie. 

Es hatte wohl Zeiten gegeben, da war ihnen nicht immer zum Lachen und Scherzen zumute gewesen, er konnte sich an einige Weihnachten erinnern, die in der Stimmung deutlich gedrückter gewesen war, vor allem an das Fest im Jahr 1992, als einen Monat vor dem Heiligen Abend Windsor Castle hell in Flammen gestanden hatte, als die Scheidung seiner Tante rechtskräftig geworden war, als sich der ältere Bruder seines Vaters von seiner Frau getrennt hatte und als sich das gleiche, unheilvolle Schicksal in der Ehe seiner Eltern anbahnte. Ein Jahr, das seine Großmutter in ihrer damaligen Ansprache als „Annus Horribilis“ bezeichnet hatte. Kaum besser waren die Weihnachtsfeste in den Jahren 1996, nach der Scheidung seiner Eltern und 1997, nach dem Unfalltod seiner Mutter, gewesen.

Er dachte mit Unbehagen an diese Zeiten zurück, die Gedanken daran verursachten ihm ein schmerzhaftes Ziehen in der Magengegend. Auf jeder Bühne im West End ging es weitaus weniger dramatisch zu als diese Anlässe es jeweils mit sich gebracht hatten.

Sein Großvater verstand sich bestens darauf, Kalauer von sich zu geben, mehr als die Hälfte davon natürlich alte Zöpfe, die jeder in der Familie schon an die hundertmal gehört hatte, dennoch brachte er alle stets aufs Neue zum Lachen.

Und seine Großmutter bildete keine Ausnahme. Er konnte sich an ein Weihnachtsdinner erinnern, als sie nach dem Essen aufgestanden war und die Tafel aufgehoben hatte, was natürlich einen diensteifrigen Lakaien pflichtgemäß dazu verursacht hatte, den Stuhl hinter ihr wegzuziehen. Dann aber war ihr von einem ihrer Söhne eine Frage gestellt worden, woraufhin sie sich nochmals kurz hatte hinsetzen wollen – nur dass eben kein Stuhl mehr da gewesen war. Sie war wirklich zu Boden geplumpst, war darüber aber ganz und gar nicht ungehalten gewesen, sondern hatte sich vor Lachen gekringelt, was dermaßen auf alle anderen abgefärbt hatte, dass sie sich minutenlang die Bäuche wegen des anhaltenden Gelächters gehalten hatten.

Die Hunde durften am Heiligen Abend noch einmal zwischen 22 und 23 Uhr durch den Garten toben, während man im Haus noch einem letzen Glas Brandy oder Portwein zusprach. Danach zog sich eigentlich jeder langsam  auf sein Zimmer zurück.

Am Weihnachtsmorgen fand jeder einen mit Obst und Süßem gut gefüllten Strumpf auf seinem Zimmer vor und ein traditionelles englisches Frühstück wurde serviert. Er hatte noch Erinnerung daran, dass seine Großtante und seine Urgroßmutter sich dies lieber am Bett hatten servieren lassen. Doch auch diese beiden weilten nun nicht mehr unter den Lebenden, Tochter sowie Mutter verstarben innerhalb eines Zeitraumes von nur sechs Wochen Anfang des Jahres 2002, was ein erneuter Schock für die Familie gewesen war.

Nach dem Frühstück am Weihnachtsmorgen also ging es hinüber in die Kirche St. Maria Magdalena, wo man geschlossen dem Gottesdienst beiwohnte. Daran schloss sich ein Bad in der wartenden Menge an, aus der einzelne Personen Weihnachtswünsche an ihren Souverän richteten und ebensolche natürlich auch zurückerhielten.

Das zog sich immer ein gutes Weilchen hin, da die Bevölkerung möglichst viele der königlichen Familie begrüßen und jeden von ihnen mindestens einmal kurz zu Gesicht bekommen wollte.

Zurück im Haus wurde dann gegen 13 Uhr das Weihnachtsessen serviert. Ganz herkömmlich, wie es wohl an diesem Tag bei vielen Briten so üblich war: Gefüllter Truthahn, Gemüse, Kartoffeln, Soßen, flambierter Christmas Pudding. Anschließend versammelte man sich am Kaminfeuer im großen Salon und schaute sich gemeinsam um 15 Uhr die Weihnachtsansprache seiner Großmutter an.

Nach dem Tee war man von allen weiteren Verpflichtungen befreit und durfte tun und lassen, was einem beliebt. Manche reisten dann wieder ab, meist um den Rest des Abends und den Boxing-Day bei weiterer Verwandtschaft zu verbringen. Manche blieben, um am nächsten Tag noch der traditionellen Jagd auf das liebe Federvieh auf Sandringham beizuwohnen.

Er hatte lange, lange Zeit nur diese Art das Weihnachtsfest zu begehen gekannt. Erst als er in Schottland zum Studium geweilt hatte und dann seine heutigen Schwiegereltern kennengelernt hatte, waren ihm andere Varianten des Festes bewusst geworden. Bei seiner Frau zu Hause konnte man ungeniert den ganzen Tag lang in Kuschelsocken und Bademantel herumlaufen und um den geschmückten Baum herumsitzen, es störte niemanden. Das zu erleben war für ihn eine Mixtur aus reinem Wohlbehagen und riesigem Erstaunen gewesen und es hatte zur Folge, dass er sich das nun manchmal wünschte. Einfach auf nichts und niemanden achten müssen – wenn er und seine Frau erst einmal die eigene Stadtwohnung im Kensington Palast bezogen haben würden, könnte man es sich dort ähnlich gemütlich machen. Die Wahrscheinlichkeit war jedoch nicht sehr groß – die Weihnachtsfeste waren für ihn ein für allemal vorgeplant und mit wenigen Abweichungen so durchstrukturiert, wie er es von Anbeginn seines Lebens an gewohnt war. Es würde kaum ein Entrinnen geben, es war Teil seines vorbestimmten Lebens.

Bedauernd hing er noch einen Moment lang seinen Gedanken nach, dann stieg er in die vor dem Cottage wartende Limousine, in der seine Frau bereits Platz genommen hatte. Als er in die Polster zurücksank, schenkte er ihr eines seiner unwiderstehlichen Lächeln, das ihn seiner Mutter so unglaublich ähnlich machte und sagte dann froh gelaunt: „Bereit für das Unausweichliche?“

Sie erwiderte sein Strahlen, nickte und antwortete: „Ich freue mich sehr darauf. Ein für mich ganz besonderes Weihnachtsfest.“

„Für mich auch, so komisch dir das auch vorkommen muss.“

„Ach, wo du das schon fast dreißigmal so erlebt hast?“

„Aber noch kein einziges Mal mit dir gemeinsam.“

Sie antwortete nicht mehr, lehnte aber ihren Kopf an seine rechte Schulter und er legte diskret und fürsorglich seinen Arm um sie, während die Landschaft von Wales draußen an ihnen vorbeiflog.




Ende
doris anglophil ist Autor von 80 anderen Geschichten.



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