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Author's Chapter Notes:
Hier wird es etwas härter für RA








aus TB RA

Tag 5 (abends) / Tag 6, Ich bin zwar kein Star, aber holt mich bitte trotzdem hier raus!

Es regnet immer noch. Wir werden mit zwei Land Rover Richtung Wales gefahren. Jedem von uns hat man freundlicherweise einen kratzigen, alten beige-grau-grünlichen Mantel gegeben. Dazu gibt es einen Kompass in Knopfgröße und eine Karte, die auf ein Seidentuch gekritzelt wurde. Die Karte ist zwar akkurat, zeigt aber nur die allernotwendigsten Anhaltspunkte. Mehr haben wir (von unseren Klamotten mal abgesehen) nicht dabei. Vor der Abfahrt werden wir noch penibel abgetastet, damit wir nichts schmuggeln. Und mit penibel meine ich penibel SAS-Style. Mein Hausarzt arbeitet nicht so gründlich.

Während der Fahrt klärt mich Cedric auf, was ich zu tun habe, falls wir erwischt werden.
Das einzige, was ich ausplaudern darf, sind mein Name, genauer Nachname. Meinen Rang, da ich keinen habe einfach nur "Trooper". Meine Nato-Nummer, die ich auch nicht habe. Cedric schlägt vor, ich soll meine Handy-Nummer, die Geburtsdaten meiner Eltern o.ä. nehmen. Und schließlich mein Geburtsdatum.
Auf alle anderen Fragen darf ich nur antworten: "Es tut mir leid, Sir (oder Ma'am), ich kann die Frage nicht beantworten."
Ich fürchte, dass wird mir nicht ganz leicht fallen. Ich quassle ja häufiger mehr, als gut für mich ist.
Außerdem soll ich versuchen, meinem Gegenüber nicht in die Augen zu schauen und aufpassen, dass meine Hände ruhig bleiben.

Irgendwo schmeißt man uns dann raus. Einer der Fahrer nennt uns die Koordinaten des ersten Zielpunktes. Er sagt sie genau einmal und wir müssen sie uns merken. Zum Aufschreiben ist ja nichts da. Wir erfahren die Uhrzeit, wann wir da sein müssen und dass der dortige "Agent" maximal eine halbe Stunde auf uns warten wird.

Es ist kurz vor halb sieben und schon fast komplett dunkel. Dunkel bedeutet in London, dass die Straßenbeleuchtung genug Licht gibt, dass man nachts ins Bad findet, ohne über Möbel zu stolpern.
Hier, wo es nur Wald, Wiesen und Hügel gibt und der Himmel bewölkt ist, bedeutet dunkel, es ist finster.
Wir flüchten uns erstmal in den Wald. Mag sein, dass der Wald vor Entdeckung schützt, vor Regen jedenfalls nicht mehr. Ich ziehe den Mantel so eng um mich, wie es geht.
Ich stelle fest, dass sich nach einiger Zeit die Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Die Gefahr, gegen einen Baum zu laufen verringert sich, aber es gibt ja genügend Wurzeln zum Stolpern. Jamie, der vorneweg geht, hebt die Hand. Wir bleiben stehen. Ich höre es rascheln. Irgendein Tier bewegt sich vor uns durchs Unterholz. Wir machen einen Umweg zu einem verlassenen Gehöft. Ich suche mir ein Plätzchen zum Unterstellen, denn ich kann gar nicht so schnell klappern wie ich friere. Die Jungs teilen sich auf und suchen in den Gebäuden und auf dem Hof im Müll herum. Was soll das nur? "Richard!" flüstert Cedric grade so hörbar. Er winkt mich zu sich. Ich verlasse widerstrebend meine trockene Ecke. Er zieht mich in ehemalige Scheune. Er hat ein paar Kordeln gefunden, die wohl mal Heuballen zusammengehalten haben. Er bindet eine davon als Ersatzgürtel um den Mantel. Dann holt er händeweise Uralt-Stroh und stopft meinen Mantel damit aus. "Damit Du nicht so schnell auskühlst." "Oh, mach Dir deshalb keine Sorgen, sogar mein Knochenmark ist schon steif gefroren." Als er fertig ist, fühle ich mich wie ein Michelin-Männchen, das Stroh piekt, aber es scheint tatsächlich etwas wärmer zu werden.
Die anderen Jungs "stopfen" sich auch aus und man inspiziert die erbeuteten Schätze. Ein Stück Plane, eine alte Plastikflasche, Kordel, eine Glasscherbe. Ich habe keine Ahnung, was man damit anfängt -die Flasche mal ausgenommen- aber nach der Tampon/Kondom-Lektion wäre ich auch nicht zu überrascht, wenn sie daraus ein U-Boot bauen. "Lasst uns weitergehn."
Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Hier drin war es relativ trocken und mir wurde grade relativ warm.
Gegen 22 Uhr erreichen wir den ersten Checkpoint. Der Agent teilt uns die nächsten Koordinaten und das Zeitfenster mit. Für mich ist es immer noch ein Wunder, dass wir hier angekommen sind. Ich hätte gar nicht gewusst, wo ich anfangen soll und ich hätte mich garantiert in der Scheune zusammengerollt und auf den Morgen gewartet. Ich denke mit Neid an Nicks Kamin.
Wir rennen über eine Weide und schrecken ein Kälbchen aus dem Schlaf. Wir gehen erstmal in Deckung, bis sich die Tiere wieder beruhigt haben. Wir kommen an ein weiteres, diesmal bewohntes, Gehöft. Alec und Smythe pirschen sich an die Gebäude, um festzustellen, ob da ein Hund Wache hält.
Cedric erklärt mir, dass sie im Ernstfall solche Gelegenheiten nutzen, um Hühner, Getreide u.ä. zu klauen. Diesmal beschränken wir uns darauf, die alte Flasche notdürftig zu reinigen und Wasser zu holen.
Kurz nach Mitternacht stehen wir vor einem Problem. Ich insbesondere. Nämlich einem Fluss, der geschätzte 40 m breit ist. Nirgendwo eine Brücke. "Das muss ein Alptraum sein."
"Wieso, wir sind doch eh schon durchnässt, darauf kommt's jetzt auch nicht mehr an." Wir ziehen die Mäntel aus. Smythe rollt sie so fest es geht zusammen und wickelt sie in die Plane ein. In der Flussmitte ist eine kräftige Strömung. Ich kämpfe mit aller Kraft dagegen an, komme aber nicht weiter. "Kämpf nicht gegen die Strömung, nutz sie für dich," ruft mir Alec zu. Ich schaffe es tatsächlich zum Ufer. An der Böschung bleibe ich erstmal liegen und schnappe nach Luft. Mit Cedrics und Jamies Hilfe komme ich schließlich die Böschung rauf und bin froh, mich in einen vergleichsweise trockenen Mantel kuscheln zu können.

So um 2 Uhr erreichen wir unser nächstes Zwischenziel. Ich bin ein Eiszapfen auf zwei Beinen, todmüde, hungrig und habe Durst. Ich hoffe inständig, dass uns der "Agent" sagt, die Übung sei vorbei. Der nennt uns nur die nächste Grid-Referenz. Mein Hirn hat auf völligen Input-Stop geschaltet. Ich wäre nicht in der Lage, mir die Zahlen zu merken, wenn mein Leben davon abhinge.
Auch den Jungs fällt es schwerer sich zu konzentrieren. Das enge Zeitfenster lässt kaum Zeit zum Verschnaufen und die Müdigkeit macht mich gereizt und nörgelig. Mir geht auch wirklich die Puste aus. Wir laufen, rennen, rutschen und schwimmen seit 8 Stunden durch die Gegend, als seien wir -nun ja- auf der Flucht.
Um Kräfte zu sparen, beschließt Cedric, dass wir je halbe Stunde marschieren 5 Minuten Pause machen. Alec hat einen Ameisenhaufen gefunden und er wühlt ihn mit einem Stock auf. Auch wenn ich elend hungrig bin, ich kann mich nicht überwinden Insekten zu futtern. Cedric erklärt mir, wie ich herausfinden kann, ob Blätter genießbar oder giftig sind. Wenn es doch endlich hell würde!
Bei der nächsten Pause schlafe ich sofort ein, aber 5 Minuten sind nicht wirklich viel Zeit.

Um halb sechs der nächste Agent, die nächsten Koordinaten, das nächste Zeitfenster. Mir ist vor Müdigkeit und Erschöpfung übel.
Ich bin erleichtert, als es nach halb sieben hell wird. Die Jungs sammeln am Rand eines Feldes Löwenzahnblätter, Huflattich und anderes Grünzeug. Das Frühstück. Viel wichtiger wäre aber etwas zu trinken. Unsere 1 l Plastikflasche hat für 5 Leute nicht sehr lange gehalten.
Wir müssen jetzt viel mehr aufpassen. Jäger sind unterwegs, Leute, die ihre Hunde ausführen und auch die Hunter-Force hat es jetzt leichter. Ich versuche, mich zu erinnern, was die Handzeichen bedeuten, mit denen sich die Jungs untereinander verständigen, aber meine interne Festplatte lehnt jeden Zugriff ab.
Auf dem Weg zum nächsten Zielpunkt müssen wir einige Umwege in Kauf nehmen, damit uns unsere Verfolger nicht erwischen. Wir beeilen uns, damit wir noch rechtzeitig zum nächsten Zielpunkt kommen. Schließlich wollen wir nicht nach Hereford laufen.
Der Agent wartet in unübersichtlichem Gelände. Cedric macht es nervös, dass wir das Gelände nicht komplett sondieren können, bevor wir aus der Deckung treten. Er schlägt vor, dass nur zwei zum Agenten gehen und der Rest in Sicherheit bleibt. Smythe und Jamie empfinden das als übervorsichtig und Alec macht, wie in jeder Ruhephase, ein Nickerchen.
Also gehen wir alle. Seit über 14 Stunden sind wir jetzt auf den Beinen und ich hätte den Agenten am liebsten erwürgt, als er uns die nächsten Zahlen gibt.
Als wir zurück in den Wald wollen, passiert es. Der Boden um uns herum wird lebendig. Überall tauchen Soldaten auf, die sich mit Gebüsch u.ä. getarnt haben.
Die Jungs sind sofort im Kampfmodus und ich bin im Schockstarremodus. Chancen haben wir keine. Je drei Mann stürzen sich auf uns. Ich bekomme einen dunkelblauen Sack über den Kopf gezogen, die Hände werden mir mit den fiesen Kabelbindern auf den Rücken gefesselt. Wir werden angebrüllt, aufzustehen und ich werde unsanft auf die Beine gerissen, als es nicht schnell genug geht.
Ich bin in völliger Panik. Ich weiß nicht, was ich tun soll, aber ich glaube, am schlimmsten ist es, dass ich nichts sehen kann.
Ich werde in einen Lorry geschmissen wie eine Teppichrolle und schlage mir dabei Kopf und Schienbeine an. Ich bin immer noch wie gelähmt. Von wegen, man hätte im Hinterkopf es sei nur eine Übung! Die Fahrt wäre an sich eine gute Gelegenheit etwas Schlaf nachzuholen, aber daran kann ich noch nicht mal denken. Mein Herz schlägt bis zum Hals und mein Körper schüttet alles an Adrenalin aus, dass er finden kann. Ich muss wirklich tief in meinen Mutreserven graben.

Wohin die Fahrt geht, weiß ich nicht, aber sie dauert nicht lange genug für Hereford.
Wir werden aus dem Lorry geschubst wie Kartons und mein unerwarteter Sturz in ca. 1,50 m Tiefe endet nur deshalb glimpflich, weil ich der Länge nach auf jemanden stürze, der schon am Boden liegt.
Ich mache mir eine geistige Notiz, mich später unbedingt zu entschuldigen.
Ich werde am Arm hochgerissen und einer der Soldaten schubst mich vor sich her. Offenbar ist es denen völlig egal, ob wir stürzen, daher befürchte ich bei jedem Schritt, irgendwelche Stufen oder so runterzupurzeln.
In einem Raum angekommen tritt mir jemand von hinten in die Kniekehlen und ich lande hart auf dem Boden. Sehr energisch rückt man mich in eine Position zurecht. Beine im Schneidersitz, Kreuz aufrecht, Hände hinter dem Kopf -wenigstens bin ich die blöden Fesseln los-, Ellenbogen zurück, so dass Unterarme mit Fingern eine gerade Linie bilden. Jemand dreht ein Radio laut auf und sucht solange, bis er weißes Rauschen findet.

Die Position ist anstrengend, ich kann mich nirgends anlehnen. Schlafen ist nicht drin. Dafür habe ich zuviel Angst, die Position ist zu unbequem und das Rauschen und Knistern aus dem Radio macht mich irre.
Nach einiger Zeit protestieren meine Muskeln. Mein Nacken ist verspannt, der Rücken tut weh und ich kann die Spannung in den Armen nicht mehr halten. Sobald ich locker lasse, rückt mich einer der Kerle wieder roh in die alte Position zurück und ich bekomme als Dreingabe einen Tritt ins Kreuz.
Ich versuche mich gedanklich abzulenken, aber langsam werden die Schmerzen qualvoll.
Irgendwann reißen mich zwei Leute an den Armen hoch und zerren mich in einen anderen Raum.
Ich werde unsanft auf einen Stuhl gesetzt, mir wird der Sack vom Kopf gezogen und ich blinzele wegen des grellen Lichts. Mir gegenüber sitzt ein Kerl, den ich noch nie gesehen habe, zwischen uns ein alter Holztisch, ansonsten ist der Raum leer.
Er starrt mich längere Zeit stumm an und ich habe das Bedürfnis, das Schweigen zu brechen und irgendetwas zu sagen. Aber ich beherrsche mich, Cedrics Anweisungen noch dunkel im Kopf.
Schließlich fragt er mich barsch: "Name?" Ich kann gar nichts sagen, ich bekomme keinen Ton raus.
Lauter: "Name?!" Immer noch nichts. Er springt mit einem Blick auf, als wolle er mich umbringen, schlägt mit beiden Händen auf den Tisch (ich zucke zusammen und versuche wie eine Schildkröte den Kopf einzuziehen) und beugt sich zu mir vor, bis sich fast unsere Nasenspitzen berühren. Dabei lässt er mich keine Sekunde aus den Augen. "NAME!!!!" Ich schlucke, "A-a-armitage."
Er bleibt so nahe und starrt mich weiter nieder. "Rang?" "T-trooper." "Einheit?"
Was soll ich jetzt sagen? Darf ich darauf antworten oder gehört es nicht zu den erlaubten Fragen?
"Einheit?!" Hätte ich was im Magen, ich würde mich vor Angst und Müdigkeit übergeben. Ich habe wahnsinnigen Durst und will hier raus. Meine Hände und Beine fangen an zu zittern. "EINHEIT!!"
Ich zucke zusammen, als hätte er mir eine gescheuert. Ich kämpfe, bis ich das nächste Wort aus meiner zugeschnürten Kehle bekomme. Meine Stimme hat jede Kraft verloren und ich komme über ein heiseres Flüstern nicht hinaus. "Es, es tut mir leid…" "WAS?" "Es tut mir leid, i-ich kann die F-frage…" Er setzt sich wieder und sieht mich mit so viel Abscheu an, dass es mich bis ins Mark trifft.
"Bringt dieses Stück Dreck raus."

Ich bekomme von hinten wieder ruppig den Sack über den Kopf gezogen, vom werde vom Stuhl hoch und zurück in den Raum gezerrt. Wieder zurück in diese schmerzhafte Sitzposition und dem Rauschen. Mir kommen die Tränen. Ich war noch nie so verzweifelt. Diesmal wird mein Nachlassen mit einem Knuff in die Nieren bestraft und ich werde noch nachdrücklicher wieder zurecht gerückt. Und immer nachdrücklicher meldet sich das Bedürfnis auszutreten.

Ich habe jedes Zeitgefühl verloren, ich versuche mich an etwas Schönes zu erinnern, aber es will mir nichts einfallen.
Alles, was mir gelingt ist, die Gesichter meine Eltern vor mein geistiges Auge zu holen. Nicht, wie sie jetzt aussehen, sondern wie sie aussahen, als ich so 8 oder 9 Jahre alt war und wir im Urlaub…
Wieder werde ich auf die Beine gezerrt und in den anderen Raum gebracht. Auf halben Weg versagen meine Beine und ich werde hineingeschleift. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich so schwach bin. Aus einem anderen Raum höre ich gedämpft eine aufgebrachte Stimme und dann einen der Jungs vor Schmerzen schreien. Mittlerweile zittere ich am ganzen Körper, ich kann es einfach nicht kontrollieren. Wieder lande ich hart auf dem Stuhl. Diesmal dauert es lange, bis mir der Sack abgenommen wird und ich fühle mich noch hilfloser. Wieder der gleiche Kerl. "So, Loser, nächster Versuch." Wieder dieser kalte, verächtliche Blick. Ich kann nicht hingucken. Ich drehe den Kopf zur Seite und gucke nach unten. Einer der Aufpasser hinter mir drückt mir einen Stock gegen den Unterkiefer und fährt mich an: "Los, sieh ihn gefälligst an, wenn er schon mit Dir Abschaum redet."
Also gucke ich wieder nach vorne, wer weiß, was als nächstes kommt, aber ich schaue meinem Gegenüber nicht in die Augen.
"NAME!" "Armitage." Ich kann mich selbst kaum hören. "WAS?" "Armitage." Nicht wirklich lauter.
"ICH KANN DICH NICHT HÖREN, TROTTEL! IST DAS DEIN BESTES? SOLL ICH DEINE KAMERADEN FÜR DEINE MANGELNDE KOOPERATION BESTRAFEN? WAS WERDEN DIE WOHL VON DIR DENKEN, HÄ?" Er beugt sich wieder über den Tisch und wir sind fast Stirn an Stirn.
"Macht Dich der Gedanke an, dass sie deinetwegen verprügelt werden. Dass sie deinetwegen nichts zu trinken bekommen? Wie willst Du ihnen denn das nächste Mal gegenübertreten. Als der Kleine, der seine Leute hat hängen lassen?"

Er setzt sich wieder hin. Ich sage nichts, ich kann noch nicht mal mehr denken. Keine Ahnung wie lange Stille herrschte, bis er meinen Aufpassern mit der Hand ein Zeichen gibt, mich wieder rauszubringen. Schon wieder Sack über den Kopf, zurück in die alte Sitzposition. Meine Muskeln protestieren nun nachdrücklich. Immer öfter werde ich von den Aufpassern "zurechtgerückt" und sie packen wirklich nicht zimperlich zu. Ich fühle mich völlig leer.
Plötzlich kippt mir jemand einen Eimer Wasser über den Kopf und die Erinnerungen an die Dreharbeiten zu Spooks und der vermutlich größten Dummheit meines Lebens sind wieder da.
Obwohl ich Luft bekomme, reicht die Erinnerung und ich werde panisch. Ich will weg, kann aber nicht, da ich eisern in meiner derzeitigen Position festgehalten werde. Ich habe mich überhaupt nicht mehr unter Kontrolle und zittere als hätte ich Schüttelfrost - was mir einen weiteren Tritt ins Kreuz verschafft. Und ...

… ich versuche verzweifelt mich zusammenzureißen und es geht nicht. Ich habe mich nicht mehr im Griff, es ist, als würde ich neben mir stehen und einen Fremden beobachten.
Einige Zeit später schnappen mich zwei Kerle. Diesmal werde ich in eine andere Richtung geschleift und geschubst. Ich werde fest mit den Rücken gegen eine Wand gedrückt und frage mich, was jetzt kommt. Ich höre, wie neben mir eine Waffe durchgeladen wird. Ich zucke zusammen, als hätte ich einen Stromstoß bekommen und kneife die Augen zusammen. Oh Gott, oh bitte nein, bitte nicht, bitte nicht… Wie viel Angst kann man eigentlich empfinden?
Ich bekomme den Sack vom Kopf gezogen und mein Befrager steht vor mir. "Ende der Übung."
??? "Was?" "Die Übung ist beendet, Armitage, Sie können gehen."
Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, aber ich hole aus und schlage ihm mit aller Wucht ins Gesicht. Er geht zu Boden.
Der Schreck bringt mich wieder ein bisschen zur Besinnung. "Oh, mein Gott, das tut mir leid. So was ist mir noch nie passiert, haben Sie sich weh getan?" Ich will ihm auf die Beine helfen, aber er rappelt sich schon selbst hoch. Und er schmunzelt (!).
"Wow, gar nicht so schlecht für 'nen Rookie. Mach Dir keinen Kopf, ich hab schon Schlimmeres eingesteckt."
Ich würde mich am liebsten verkriechen. Gott, ist mir das peinlich!
"Sind Sie sicher?" "Ja, ja, beruhig Dich."

Cedric legt mir die Hand auf die Schulter. "Hey, Tee?"
"Oh ja, gerne." Die anderen Jungs sind auch da und mit ihnen ist man deutlich härter umgegangen als mit mir. Sie sehen ordentlich ramponiert aus. Cedric hält sich die linke Seite. Jamie will wissen, was er hat und lässt "Nix!" nicht als Antwort gelten. Er schiebt das Shirt hoch und ein großer blauer Fleck kommt zum Vorschein. Jamie tastet die Stelle vorsichtig ab und Cedric beisst sichtbar die Zähne zusammen. "Ich glaube, Du hast Dir die Rippen gebrochen."
"Dachte ich mir schon, ist ja nicht das erste Mal. Und jetzt nimm deine verdammten Griffel da weg."
Hoffentlich war ich das nicht, als sie mich aus dem Lorry geschubst haben.
"Ähm, als sie uns ausgeladen haben, bin ich auf jemanden draufgefallen. Wen hab ich denn erwischt?"
Alec meldet sich. "Ich glaub, das war ich, mate."
"Sorry, ich hoffe, ich hab dich nicht zu arg erwischt."
"Ich bin okay." Oh ja? Du siehst aus, als hätte dich ein ganzer Boxverein zusammengeschlagen.
Cedric meldet sich: "Kommt, Jungs, der Wagen ist da. Es geht nach Hause."
Bessere Nachrichten hätte er kaum bringen können. Der Fahrer hat Tee und für jeden von uns einen Apfel, einen Schokoriegel und ein Sandwich dabei. Okay, diese Nachricht ist noch besser.
Wir futtern wie hungrige Wölfe und spülen alles mit starkem schwarzen Tee runter.
Im Camp werden wir direkt ins Hospital gebracht und untersucht.
Die Jungs wetten untereinander, wer die meisten blauen Flecken, die größten blauen Flecken, Abschürfungen etc hat. Und wer generell die schwerste Verletzung eingesteckt hat.

Der Arzt ist mit mir schnell durch. Nur der Knuff in die Nieren hat einen neuen blauen Fleck zu meiner Dalmatiner-Verkleidung hinzugefügt. Er erkundigt sich, ob ich das Erlebte mit einem Psychiater besprechen möchte. Ich lehne für den Moment ab. Wenn, dann möchte ich lieber mit Jamie oder Cedric drüber sprechen. Smythe verpasst einem Pfleger eine gewaltige Rechte, als dieser ihm Jodtinktur auf eine Abschürfung sprüht. Klarer Sieg durch k.o. 
Cedrics Röntgenbild zeigt 3 gebrochene Rippen und der Arzt bietet ihm an, ihn für eine Woche dienstunfähig zu schreiben. Cedric sieht ihn an, als sei er übergeschnappt und lehnt ab.
Er bekommt einen stützenden, wasserfesten Verband und ein Verbot am Nahkampftraining teilzunehmen.
Schließlich werden wir alle notdürftig geflickt entlassen. Wir treffen uns unter der Dusche zu einem wahren Dusch- und Schrubmarathon wieder. Das Mittagessen lockt und so wird Rasieren auf heute Abend verschoben. Es tut gut, sich wieder sauber zu fühlen und frische Kleidung anzuhaben.

Von den Jungs erfahre ich, dass für den Rest des Tages nur Kammer putzen, Wäsche waschen und Bügeln anstehen. Da sich um die letzten zwei Punkte eine Reinigung in Hereford kümmert, freue ich mich erstmal auf mein Bett.
Auf dem Weg zurück vom Mittagessen entscheide ich mich anders und klopfe an der Chaplaincy an.
Pater O'Daily ist Ende 50, schlank, ca. 1,75m groß, graue Haare und jede Menge Lachfältchen. Der irische Akzent ist nicht zu überhören. Er bietet mir einen Platz an und fragt, ob ich mit einem Geistlichen einer bestimmten Profession sprechen möchte. Ich frage ihn, ob er mir einfach ein paar Fragen beantworten könne.
"Well, ich will's versuchen. Tee?" "Ja, danke." Diesmal grüner Tee und er duftet herrlich.
"Ich bin hier, um wegen einer Filmrolle bei der Armee reinzuschnuppern. Was ich immer noch nicht verstehe ist, wie sich jemand freiwillig dafür entscheiden kann Soldat zu werden. Was sind nach Ihrer Erfahrung die Gründe?"
"Och, das ist recht unterschiedlich. Aber eins vorneweg. Special Forces unterscheiden sich stark von der Green Army. Das bitte im Hinterkopf behalten." Da gibt es Unterschiede?
"Bei etlichen Soldaten ist die Armee Familientradition. Da läuft es seit Generationen so, dass nach der Schule zur Armee gegangen wird, deshalb wird es eben auch oft einfach so gemacht. Weil es halt schon immer so war und die Familie es erwartet. Dann gibt es die, für die die Armee die Alternative zur Arbeitslosigkeit ist. Andere treten ein, um einem schwierigen oder kriminellen Umfeld zu entgehen. Da ist die Berufswahl manchmal nicht ganz freiwillig, sondern eher, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen. Schließlich haben wir noch die, die als Kinder zu oft Rambo gesehen haben und die Romantiker, die die Welt sehen und "damsels in distress" retten wollen. Gelegentlich ist auch mal jemand dabei, der mit seiner Wahl die Eltern schocken will oder der Underdog, der beweisen möchte, dass er kein Schwächling ist."

"Aber warum sucht sich jemand einen Job aus, bei dem es seine Pflicht ist, jemanden zu töten?"
"Die meisten tun es, weil sie ihr Land schützen und verteidigen wollen. Aber es gibt auch die, die Gewalt mögen und sie so legal ausüben können. Ob man wirklich in der Lage ist zu töten, weiß man meist erst, wenn man vor dem Problem steht. Nach meiner Erfahrung sind über 90% -Männer wie Frauen- dazu in der Lage."

"Puh. Ich könnte mir das nicht vorstellen." Pater O'Daily lächelt.
"Darauf würde ich nicht wetten. Wenn Sie in einer Situation sind, in der es heißt "Der tötet mich, wenn ich ihm nicht zuvorkomme" oder Sie das Leben eines Menschen schützen müssten, den Sie sehr lieben, dann kann das ganz anders aussehen." Hm, ist was dran.

"Und inwieweit unterscheiden sich Special Forces und die Armee?"
"In Bezug auf's Töten?" "Nicht nur, auch generell."
"In der Armee baut alles auf Gehorsam, Rang und Disziplin auf. Es wird Wert auf Ordnung gelegt. Dort hätte z.B. jeder Soldat sein Namensschild aufgenäht, Rangabzeichen sind gut sichtbar und man kriegt einen Tennisarm vom Grüßen. Wenn Sie da einen Befehl bekommen, dann führen Sie ihn aus. Tun Sie es nicht, oder nicht korrekt, hat das Konsequenzen. Theoretisch dürfen Sie Anordnungen hinterfragen, praktisch findet das aber so gut wie nie statt. Und es wird eifersüchtig darauf geachtet, dass die Rangfolge eingehalten wird, niemand übergangen wird und jeder den Respekt einheimst, der ihm aufgrund seines Rangs "zusteht".
Special Forces sind dagegen die pure Anarchie. Hier wird der mitdenkende Soldat gesucht. Vor einer Op. setzen sich alle zusammen, jeder äußert seine Ideen und derjenige, der die meiste Erfahrung hat, führt das Team an. Also, werden z.B. bei einem Einsatz hauptsächlich Sniper benötigt und der Rangniedrigste ist der erfahrenste Sniper, dann hat er das Kommando und dem ordnet sich dann auch der Ranghöchste unter. Hier kommen Respektbezeugungen nicht aufgrund des Rangs, sondern aufgrund erbrachter Leistungen. Viele junge Offiziere, die zu den Special Forces kommen und dort ein Team übernehmen, scheitern daran. Sie wollen Respekt und Gehorsam erzwingen und das geht furchtbar schief. Ein SF Soldat ignoriert gerne mal eine Anweisung und ein guter SF Offizier weiß, dass er seinen Leuten vertrauen kann und wann es besser ist, mal etwas "nicht mitzubekommen".
Oder sich seinerseits einer Order zu widersetzen. Sie können Cedric ja mal fragen, was 2005 in Basra war, falls Sie ein Beispiel brauchen.
Vertraut Ihnen der Soldat nicht, wird er Ihnen von der Hand gehen, sobald Sie sich umdrehen und Ihr Team gerät Ihnen außer Kontrolle. Die halten nämlich zusammen. Ich habe hier schon einige Offiziere erlebt, die beim Colonel oder General aufgeschlagen sind und wollten, dass die Soldaten zur Ordnung gerufen oder degradiert werden. Und dann haben sie sich gewundert, dass sie diejenigen sind, die von ihren Vorgesetzten zur Schnecke gemacht werden.
Special Forces sind der Albtraum eines klassischen Armee-Offiziers.
Was das Töten angeht: Bekommen sie nicht gerade die Order eine bestimmte Person zu liquidieren, werden sie es immer vermeiden, denn es bedeutet, dass sie auffliegen könnten und die Mission gefährdet wird. Wird es allerdings erforderlich, dann tun sie es eben. Was sie dabei denken und fühlen, fragen Sie am besten die Jungs."

"Kommen auch mal Jungs zu Ihnen, die Gewissensbisse haben?"
"Natürlich, uns haben auch schon Soldaten verlassen, weil sie es nicht länger unterstützen wollten, dass das United Kingdom gegen die Genfer Konventionen verstößt. Britische Soldaten haben nämlich die Order, vielversprechende Gefangene an die Amerikaner zu übergeben. Diese Gefangenen landen dann in Guantánamo -oder kurz: the bay. Das Ausliefern von POW an andere Nationen ist untersagt, aber unseren Politikern ist das ziemlich egal."

"Ich dachte eher an Gewissensbisse wegen des Tötens."
"Ist mir bei den SF noch nicht passiert." Puh.

Ich bedanke mich bei Pater O'Daily. Nach Columbo-Manier fällt mir dann beim Rausgehen doch noch eine Frage ein: "Wie fühlen Sie sich als Geistlicher denn, für Soldaten Seelsorger zu sein?"
"Ich bin hier nicht nur Seelsorger, sondern auch Vertrauter und Ratgeber. Das ist für mich viel befriedigender als die "normale" Arbeit in einer Gemeinde. Hier kann ich nämlich wirklich noch den Menschen helfen."

Ich muss erstmal meine Gedanken sortieren. Cedric bringt mir Schrubber, Besen und Eimer vorbei.
Ich bringe meine Kammer auf Vordermann, dann unterbreche ich Cedric beim Musikhören und Nintendo spielen und frage ihn, ob er Bademeister spielt, während ich Tauchen übe. Er guckt mich an wie ein Gespenst und wir machen uns auf, bevor mir klar wird, was ich mir da grade vorgenommen habe.
Im dritten Anlauf schaffe ich fünf Züge und komme sogar wieder allein zum rettenden Beckenrand.
Das Lob tut gut und zur Belohnung lade ich ihn -und mich- zu einem Stück Schokoladenkuchen ein.

Wir haben einen schönen und langen Abend im Pub, denn der Sonntag ist sogar hier frei.

Nachtrag:
Meine Nacht ist nicht so toll. Ständig schrecke ich aus dem Schlaf hoch. In meinen Träumen bin ich in totaler Finsternis, aber ich weiß, dass mich jemand verfolgt. Ich versuche zu fliehen und weiß nicht wohin. Wenn ich schließlich eine Tür finde und sie öffne, stehe ich in einer (Alb-)Traumversion des Verhörzimmers und ich höre Schritte, wie sie immer näher und näher kommen. Gleich wird er/es in der Tür auftauchen. Ich drücke mich an die Wand und sehe, wie sich die Klinke bewegt, die Tür öffnet - und ich bin wieder wach. Schweißnass, mit Herzrasen. Nach dem vierten Mal gebe ich auf und lese im Drehbuch bis es draußen hell wird.






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