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Tag 3, Actor from outer space und kleine graue (!) Männchen


Wecken heute mit The Clash "London Calling". Oh ja, da wär ich jetzt auch gern.
Jeder meiner blauen Flecken besteht darauf, mir persönlich guten Morgen zu sagen. Ich stehe so grazil auf wie ein 80-jähriger Bandscheibenpatient.
Ich navigiere auf Autopilot zum Waschraum. Erst da fällt mir auf, dass ich wie die anderen Autopilotierten mein Handtuch einfach nur über die Schulter geschmissen habe. Oh, wie peinlich.
Aber nun ist es ja eh egal.

Habe beim Frühstück eine Wochenportion an Ei, Speck und Toast verdrückt und schwöre mir, dass ich das Mittagessen ausfallen lasse.

Im Briefingroom treffe ich zum ersten Mal auf meinen "Mentor" und bin nervös. Warum eigentlich, kann mir doch egal sein, was die anderen von mir denken?

Steely.
Sollte ich Cedric Cameron mit einem Wort beschreiben, es wäre steely.
Eckiges Kinn, schmallippiger Mund, stahlgraue Augen. Er ist knapp einen Inch kleiner als ich, hat aber deutlich mehr Muskulatur im Brust-Schulter-Bereich. Da muss ich auch hin, denke ich. Unter dem grünen Army-T-Shirt zeichnet sich die Muskulatur deutlich ab und nun ja, okay, na fein, ich geb's zu, ich bin ein kleinwenig neidisch auf ihn. Jede Wette, dass er nicht ein Gramm Fett am Körper hat.
Sein ganzer Habitus zeigt Entschlossenheit und ist strictly no nonsense.
Er hat schon einige graue Haare (nach ein paar Tagen mit mir werden es wohl doppelt so viele sein), aber ich traue mich nicht das Alter zu schätzen. Bislang lag ich immer weit daneben:
Maj Wareing ist 22 und sieht aus wie Ende 20.
Alec ist 24 und sieht aus wie Anfang 30.
Jamie ist 32 und sieht aus wie 40.
Smythe ist 40 und sieht aus wie ein Troll.

Ehe wir noch irgendein Wort wechseln können stürmt Maj. Wareing ins Zimmer und verkündet den heutigen Trainingsplan.
Krafttraining (oh, gut!), Schießtraining (ohne mich, hoffe ich) und Wassertraining (ganz sicher ohne mich!).
"Cedric, Du sollst Dich umgehend bei General Lancer melden." Schwupps, schon ist der Major wieder weg.
"Geht schon mal vor, Jungs." Erdige Stimme mit ganz leichtem schottischen Akzent. Er wirkt resigniert. Die anderen nicken nur, ich fühle mich deplaziert, als sei ich in einen Streit hereingeplatzt. Wir machen uns auf zum Kraftraum.

Der zuständige Soldat im Kraftraum fragt mich, ob ich schon Erfahrung mit Krafttraining hätte.
"Ja, bis zum Erbre… äh, ausreichend."
Jamie schaut mich von oben bis unten an. "Zieh mal Dein Shirt aus." Bitte???? "Na los, strip!"
Hilfe! "Naaa guuut…" Also steh ich oben ohne vor den Jungs.
"Du musst Deinen Oberkörper mehr trainieren." Ich dreh mich um, Cedric steht in der Tür und mustert mich.
"Du hast keine schlechte Figur, aber für einen Trooper bist Du ein Spaghetti." Immerhin. Besser als Cannelloni.
"Okay, wie am besten? Ach, übrigens, ich bin Richard." "Cedric. Aber das weißt Du ja bereits."
Wir schütteln kurz die Hand und -jaul- wieso versucht hier eigentlich jeder einem die Finger zu brechen? Kein Wunder, dass irgendwann mal der Salut eingeführt wurde.

Die anderen Jungs schauen Cedric an. "Und?" Er lächelt etwas melancholisch "Ich bleibe."
"Yesss." "Klasse." Die Jungs klopfen ihm auf die Schulter und ich hab schon wieder das Gefühl am falschen Ort zur falschen Zeit zu sein.
"Ähm, soll ich mal kurz rausgehen, dass ihr euch in Ruhe besprechen könnt?" Sie schauen sich gegenseitig an. Cedric zuckt mit den Schultern. "Die Sache soll diskret behandelt werden. Und diskret bedeutet, dass spätestens heute Abend alle drüber tratschen. Aber lasst uns dabei wenigstens trainieren." Der Kraftraum-"Aufseher" zeigt mir ein paar Übungen, damit aus meiner (Zitat) "Kükenbrust vielleicht irgendwann eine Hühnerbrust wird", ich danke ihm für seine "aufbauenden" Worte und fange an Gewichte zu hieven.

Als der "Aufseher" den Kraftraum verlässt, fängt Cedric an zu erzählen. Er ist frisch von seiner Frau geschieden. Sie hat sich in einen Porsche und dessen Besitzer -einen Anwalt- verliebt. Wohl in der Reihenfolge.
Vielleicht sollte ich bei künftigen Freundinnen mal diese Strategie versuchen. Ich verliebe mich in ihre Autos und nehme dann zwangsweise die Besitzerin dazu. Allerdings fahren Frauen selten Autos, die mich schwach werden lassen. Ich brauch noch 'nen Plan B. Aber ich schweife schon wieder ab.

Die Scheidung lief wohl nicht grade freundschaftlich ab. Derzeit geht es aber um das Umgangsrecht mit seinen beiden Töchtern (14 und 6 Jahre alt). Die ältere Tochter will mit ihm nichts mehr zu tun haben, weil er eh nie da ist.
CC: "Ich kann sie ja verstehen. Ich hatte ihr z.B. zu ihrem 13. Geburtstag versprochen da zu sein und ich war es nicht, ich habe ihr noch nicht mal gratuliert."
JF: "Äh, Cedric, Du konntest nicht, Du saßt in einem irakischen POW-Camp. Schon vergessen?" (POW = Prisoner of War, Anm. d. Autors)
CC: "Natürlich nicht. Aber ich habe sie enttäuscht, ich habe sie verletzt - und das zählt."
Seine Stimme bleibt sachlich, fast unbeteiligt, aber der Schmerz, der aus seinen Augen spricht, ist gradezu greifbar. Ich glaube, so eine Intensität lässt sich schauspielerisch gar nicht darstellen.
Zu der jüngeren (Penny) hatte er aber bis vor 6 Monaten noch Kontakt. Seitdem hat seine Ex diesen verweigert.
Bei der Verhandlung des Umgangsrechts hat sie vorgestern vor dem Richter dann die Bombe platzen lassen. Er habe sich an seiner Tochter vergangen. Cedric dreht sich weg, als er das erzählt, aber seine Stimme ist jetzt nicht mehr unbeteiligt, er kämpft mit den Tränen.
JF: "Ach komm, Cedric, jeder, der Dich kennt weiß, dass das absurd ist. Eher konvertiert Ahmadinedschad zum Judentum."
CC: "Ja, aber der Richter kennt mich nicht. Und wie gesagt, ihr Neuer ist Anwalt!" Er feuert ein Gewicht gegen die Wand und diese quittiert es mit einem beachtlichen Loch.
"Und das schlimmste an der Sache ist -das hab ich Euch noch nicht erzählt, guys- heute morgen hat mich mein Anwalt informiert, dass man bei Penny tatsächlich Spuren wiederholten Missbrauchs gefunden hat!" "WAS??"
"Ja, infolge dessen wird ein Verfahren gegen mich eingeleitet. Als würde ich meine eigene Tochter… F*CK!" Er setzt sich auf eine Bank und stützt den Kopf auf die Hände.
Smythe: "Wie kommt's, dass Du noch hier bist? Bei Ermittlungen in einer Strafsache wirst Du doch bis zum Abschluss suspendiert. Ich dachte, Du wärst nur beim Boss gewesen, um ihn über die Umgangsrecht-Nummer zu informieren."
CC: "Ja, und bei meinem Alter kann ich eine Rückkehr knicken, nicht wahr? Ich habe dem Boss heute Morgen alles erzählt und er hat mich nicht freigestellt. Aber er hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er mir gewaltig in den Hintern tritt, falls herauskäme, dass ich schuldig wäre."
"Nicht nur er."
Cedric lächelt wehmütig. "Damit kann ich leben, ich weiß, dass ich es nicht getan habe. Und ich weiß, dass, sollte ich je erfahren wer es war, ich mit ihm ganz sicher was anderes anstellen werde, als ihm in den Hintern zu treten."
Smythe: "Und wie will der Boss das verantworten?"
JF: "Das lass mal sein Problem sein."
CC: "Wir kennen uns seit fast 15 Jahren. In der Zeit hat er mir dreimal das Leben gerettet und ich hab ihm zweimal den Hintern vom Grill gezogen. Abgesehen davon haben wir mehr als einmal in aussichtlosen Situationen Schulter an Schulter gekämpft und sind keine Ahnung wie davon gekommen. Da lernt man den Anderen besser kennen als die engsten Freunde und Verwandten -insbesondere Ehefrauen. Du kennst seine Stärken, seine Schwächen und die geheimsten Winkel seiner Seele. Hätte er auch nur ein Milligramm an Zweifel gehabt, hätte mich die Military Police bereits vom Gelände eskortiert. Aber ich verstehe, wenn Du nicht mit mir arbeiten willst. Wareing ist bestimmt bereit, Dich solange in einem anderen Team unterzubringen, Eddie."

Ich verlasse erst mal den Raum und setze mich im Gang auf den Boden. Ich muss erstmal verarbeiten was ich gehört hab. Kann ich damit umgehen? Ich muss an meinen Neffen denken.
Ist Cedric wirklich auch ein Opfer oder nur ein guter Schauspieler? Was soll ich tun?
Wie verhalte ich mich?
Jemand kommt den Gang entlang und bleibt neben mir stehen. Oh bitte, gebt mir 'nen Moment Luft! Ich gucke hoch. Major Wareing und noch ein anderer Mann; sie gucken zu mir runter.
"Sind den Special Forces die Sitzmöbel ausgegangen, Mr. Armitage?"
"Äh, was? Nein, nein, ich musste nur eben über was nachdenken."
"Denken ist immer gut, was war's denn?" "Ach, nichts."
"Oh, nichts?" Der Andere, ein unverschämt gutaussehender Kerl (Jaqui käme wirklich in Bedrängnis. Soll sie mich für Wareing oder Mr. X verlassen…) zieht eine Augenbraue hoch.
Okay, meine Glaubwürdigkeit ist grade nicht besonders hoch.
"So?", hakt Wareing nach. Lasst mich doch einfach in Ruhe, verdammt!
"Nun, lasst mich mal raten," eine dritte Stimme, warm, geschliffen, der General, "Mr. Armitage überlegt gerade, ob man ihn mit einem widerlichen Kinderschänder zusammengesteckt hat."
Ist hier 'ne Betriebsversammlung oder so was?? "Jaaa, stimmt."
"Und, welchen Eindruck haben Sie?" Ich zucke mit den Schultern. "Ich weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht."
"Fair enough. Wie wäre es, wenn Sie sich eine Meinung bildeten und dann entscheiden?"
"Ich denke, es wäre fair. Nur ich weiß nicht, ob ich es kann."
"Worauf hören Sie denn für gewöhnlich, Ihren Kopf oder Ihr Bauchgefühl," fragt mich Mr. X.
Nun, sehr zu Jaqui's Leidwesen "Meist auf den Kopf, in Liebesdingen auf den Bauch…."
Was red ich da???
Der General: "Wo ist Ihre Trefferquote höher? Wenn Sie auf Ihr Gefühl hören oder wenn der Verstand das Ruder übernimmt?"
Die Antwort ist einfach. "Gefühl."
"Nun, dann würde ich diese Strategie jetzt auch anwenden. Gentlemen, helfen Sie doch bitte Mr. Armitage wieder auf die Beine. Nicht, dass es später heißt, wir würden jemanden sitzen lassen."
Der General verschwindet nach kurzem Nicken, Mr. X hält mir die Hand hin, ich nehme sie an und stehe auf. "Oh, übrigens, ich bin Lieutenant Wells." Bitte, bitte, nicht noch ein Händeschütteln.
"Freut mich Sie kennenzulernen." Auch die Beiden nicken mir zu und setzen ihren Weg fort. Puh!
Doch was hat mein Bauch mir denn gesagt? Ich lasse vor meinem geistigen Auge noch mal alles Revue passieren. Stimme, Augen, Haltung… … … … … … … … …
Entweder hat er den nächsten Oscar sicher oder er ist wirklich unschuldig. Das ist mein Gefühl. So. Und alles andere wird sich zeigen…
Jamie steckt den Kopf aus der Tür. "Hey Richard, beehrst Du uns noch mal mit Deiner Anwesenheit, oder bist Du schon zu erschöpft?"
"Nö, ich wollte nur noch mal Kraft sammeln und Euch dann mit meiner Performance beeindrucken."
"Aaaaaaah ja."
Nun ja, das mit dem Beeindrucken hat vielleicht noch Raum nach oben. Jedenfalls bekam der "Aufseher", als er zurückkam, um das Ende der Trainingseinheit zu verkünden, einen mittleren Herzinfarkt beim Anblick seiner Wand. Jamie erklärte mir, dass das Ganze weniger mit tiefer Zuneigung zum Mauerwerk zu tun hat, sondern eher, dass er die Reparatur beim QM einreichen muss. Nach meiner Erfahrung in Sachen Internet/QM kann ich den armen Mann völlig verstehen.

Nach dem Krafttraining kurz waschen und für mich geht's zum ersten Mal in die schwarzen Klamotten (steht mir gar nicht so schlecht). Jamie zeigte mir die beiden Waffen, die ich mitnehmen soll - plus Munition. Bei unserem Ausflug in die Beacons konnte ich die Munition ja nach zu Hause lassen, aber jetzt komm ich nicht drumherum. Ich hoffe, dass die Jungs auf der Schießbahn so konzentriert sind, dass sie meine Anwesenheit vergessen. Und ich mich drücken kann.
Leider ist die Hoffnung vergebens. Auf mich wartet ein eigener Lehrer. Ich bekomme alles erklärt und gezeigt und schließlich geht es darum, die ersten "echten" Schüsse mit der MP5 abzufeuern.
Ich habe gelernt, dass es -in der Theorie- einfacher ist ein Ziel zu treffen, je länger der Lauf der Waffe ist.
Nun, mein Lauf hätte schon genau bis zur Schießscheibe reichen müssen.
Ich dachte, ich würde mich nie überwinden können mit echter Munition zu schießen, aber der Lehrer ist einfach klasse, von zen-hafter Geduld und -um ehrlich zu sein- mich hat der Ehrgeiz gepackt. Ich wollte zumindest die Scheibe einmal treffen, bevor das Training rum ist. Egal wo, Hauptsache ein Ehrentreffer. Er hat mir die Waffe auf Einzelschuss eingestellt und der erste Schuss hat es wirklich in sich. Er ist laut (trotz Ohrenschützer), ich dachte, die Waffe zertrümmert mir gleich das Schlüsselbein und der Rückstoß bringt mich ins Wanken. Der Schuss landet sonst wo und ich bin happy, dass ich wenigstens niemanden versehentlich umgebracht habe.
An Sgt. Smythe gewöhnt ziehe ich vorsichtshalber den Kopf ein, bestimmt werde ich jetzt zurecht gestutzt. Aber wie gesagt, der Lehrer ist die Ruhe in Person. Ich ernte sogar ein kleines Lob!!!
Tatsächlich fühle ich mich von Schuss zu Schuss wohler und am Schluss des Trainings habe ich die Scheibe sogar 5mal getroffen. Mein Lehrer sieht sich mein Schussbild aus der Nähe an.
"Nun ja, wär's ein Mensch, er würde noch putzmunter sein. Aber dafür hast Du gleichmäßig in alle Richtungen gestreut. Das nächste Mal versuchen wir dann mit Absicht zu treffen."
Gar nicht so schlecht, oder? 

CC: "Und, wie lief's?"
"Ich habe immerhin fünfmal getroffen, versehentlich."
Cedric lacht. "Das kommt von ganz alleine. Die MP5 ist eine der besten Waffen, die es gibt. Sie hat fast keinen Rückstoß und verzeiht auch mal kleinere Anfängerfehler. Wirst sehen, morgen läuft es schon flüssiger." Fast keinen Rückstoß? Sag das mal meiner Schulter!

Wir stürzen uns auf's Mittagessen. Ich wollte es ja ganz ausfallen lassen, aber wenigstens eine Suppe und ein bisschen Salat…

CC: "Ist Dir nicht wohl?" "Wieso?"
"Salat und Suppe. Das ist ja wie bei meiner Ex. Hast Du Dir den Magen verkorkst?" "Nein."
"Erkältung im Anzug?" "Nein, aber ich will nicht zunehmen."
"Tust Du nicht. Du verbrennst hier um die 7.000 kcal täglich. Was meinst Du, wie viel gleich beim Schwimmen -äh- baden geht."
"Oh, apropos, ich hab kein Badezeug dabei. Ich werde das Schwimmen wohl ausfallen lassen müssen." 
"Nö, Du gehst ganz normal mit Deinem D.P.M., Schuhen und einem Ersatz-Belt-Kit ins Wasser."
Panik! "Was ist D.P.M.?" "Disruptive pattern material, Camouflage, Flecktarn."
"Du meinst ich soll mit den ganzen Klamotten ins Wasser??"
Cedric runzelt die Stirn. "Ja wie denn sonst? Glaubst Du, wenn Du auf einer Op. ins Wasser musst, hast Du Zeit Badehose und Quietscheentchen auszupacken?"
"Ich schwimm nicht so gern."
"Es gern zu tun ist keine notwendige Voraussetzung. Ich krabbel z.B. nicht gern durch enge Tunnel, aber man gewöhnt sich dran."
Die anderen Jungs setzen sich zu uns. Als sich nach Jamie auch noch Alec erkundigt, ob ich Magenprobleme hätte, verabschiede ich mich vom Mittagessen. So langsam setzen bei mir wirklich leichte Magenkrämpfe ein. Ich will nicht ins Wasser!!

Nutze Mittagspause zum Checken von e-Mail & Co. Nichts Wichtiges.
Blick auf die Nachrichten. Das übliche Theater. Lügende Politiker, steigende Schulden, Prinz Harry benimmt sich daneben, eine Gefängnisrevolte in Schottland, überbezahlte Fußballer verlieren gegen Deutschland.

Ich gehe mit Jamie zum Schwimmbad. Ich frage mich, ob ich Magen-Darm-Probleme vorschieben soll. Es wäre noch nicht mal wirklich geschwindelt. Ich stehe in der stickigen Schwimmhalle, den gruseligen Chlorgeruch in der Nase. Das Becken ist seeeeehr lang, seeeeehr breit und seeeeeeeeeeehr tief. Ich stehe einen Fuß vom Rand entfernt und mir wird langsam schwindlig. Wie komm ich aus der Nummer wieder raus?
"LOS, AB INS WASSER!" brüllt Smythe mit seinen üblichen 250 db. Ich drehe mich zu ihm um. "Lieber nicht, wissen Sie…"
Er macht drohend einen Schritt auf mich zu, ich einen halben zurück.
"INS WASSER." "… ich bin schon sehr lange nicht mehr…" Er macht einen weiteren Schritt auf mich zu. "JETZT!" Ich mache einen weiteren zurück und ehe ich es begreife, lande ich im Becken. Als ich untergehe, versuche ich heldenhaft gegen die Panik anzukämpfen und strample mich irgendwie an die Oberfläche.
Cedric und ein Trainer kommen dazu. "Oh, sind schon alle da. Gut. Fangen wir an." Cedric hopst ins Wasser und ich kneife die Augen zu, um nicht wieder eine Ladung Chlor abzubekommen.
Der Trainer gibt die Anweisungen: "Erstmal 12 Runden außen rum, Brust oder Kraul. Kein Abstützen am Beckenrand oder -boden. Ich nehme die Zeit." ???Erstmal???
Schwimmen ist die eine Sache, aber mit allen Klamotten, Schuhen und einer Art Bleigürtel, der das Belt-Kit simuliert, ist es etwas ganz anderes. Von wegen Auftrieb im Wasser. Alles will zielstrebig nach unten und ich habe alle Hände voll zu tun nicht unterzugehen. Die Jungs ziehen leicht gelangweilt ihre monotonen Bahnen und ich kämpfe gegen eine alles erdrückende Panik an. Wie viele Runden habe ich schon geschafft. Oh, fast eine. Ich bin jetzt schon erschöpft und gehe wieder mal unter. Cedric schwimmt vorbei und zieht mich am Kragen wieder an die Wasseroberfläche. Ich widerstehe mit letzter Kraft dem Drang mich einfach an ihn zu klammern. Er paddelt auf der Stelle und sieht mich prüfend an. "Wenn Du nicht mehr kannst, halte Dich einen Moment am Rand fest und schwimm dann weiter." "Erst … mal … hin …kommen." Er packt mich mit seiner rechten Hand an meinem linken Handgelenk, macht eine elegante halbe Drehung nach rechts und ich spüre den Beckenrand unter meiner Hand. Ich klammere mich auch noch mit der zweiten Hand dort fest und schließe Cedric so ungewollt zwischen meinen Armen ein. Er guckt mich eine Sekunde reichlich entgeistert an. Den Rand wieder loszulassen erscheint mir aber völlig unmöglich, ich kralle mich noch fester und rücke Cedric somit noch mehr auf die Pelle. "Aber Richard, doch nicht vor den anderen, wir wollten unsere Romanze doch noch geheim halten." Er lächelt verschmitzt, ich merke, wie ich knallrot werde und wir giggeln, ich höre irgendwo hinter mir Alec und Jamie lachen, einer von beiden verschluckt sich dabei am Wasser und fängt an zu husten. Cedric taucht unter meinem linken Arm durch schwimmt weiter.

Der Trainer hat ein Einsehen und ich darf aus dem Wasser. Zuschauerperspektive ist schon besser. Ich freue mich schon darauf, mir gleich eine heiße Dusche und trockene Sachen genehmigen zu dürfen. Von wegen.
Nächstes Kommando: "2 Bahnen tauchen." No way, das sind gute 50 Meter.
Der Trainer schaut mich an. "Sie fangen an."
"Ich tauche nicht." "Los."
"Nein, ich tauche nicht." Smythe's Gesicht spricht Bände: Oh, here we go again. Er übernimmt das "Kommando".
"DU WIRST JETZT SOFORT AUF TAUCHSTATION GEHN!" Ich schnapp nach Luft. "Gut, noch mal zum Mitmeißeln: Ich … tauche … nicht." *bock*
"BEWEG DEINEN A*SCH!"
Hätte ich lange Haare, sie würden mir waagerecht vom Kopf abstehen.
CC: "Danke, Eddie."
"ICH WERDE NICHT TAUCHEN!!"
"SOLL ICH NACHHELFEN?"
CC: "ES REICHT, SERGEANT!" Smythe schaut Cedric an, als wolle er ihn umbringen. Ich schaue Smythe an, bereit ihn umzubringen. Der Trainer, Alec und Jamie schauen unserem Schauspiel fasziniert zu. Cedric hält Smythe's Blick, seine grauen Augen hart und unnachgiebig. Er strahlt auf diese Art eine Entschlossenheit und Autorität aus, die Smythe mit seinen Tobsuchtsanfällen niemals erreichen könnte, selbst bei 500 db nicht. Schließlich ist Smythe derjenige, der sich mit verächtlichem Schnauben wegdreht. Cedric holt kurz Luft. "Okay, guys, fangt schon mal an. Richard, setz Dich bitte mal 'nen Moment zu mir auf den Beckenrand."
Ich setze mich zu ihm, unsicher was jetzt passieren wird. Cedric reibt sich mit der rechten Hand über die Stirn und holt noch mal Luft. "Warum willst Du nicht tauchen." Gaaaaah. "Weil ich nicht tauche," gebe ich stur zurück.
Ich glaube, ich habe grade die emotionale Reife eines 4-jährigen. Cedric reibt sich erneut über die Stirn, als würde sich bei ihm eben eine Migräne ankündigen.
"Okay, hör zu, Du musst ehrlich zu uns oder zumindest zu mir sein. Wir sind auch ehrlich zu Dir. Ich kann Dir sonst nicht vertrauen. Wenn ich Dir nicht traue, kann ich nicht mit Dir arbeiten. Wenn wir im Feld sind, muss jeder die Stärken und Schwächen des Anderen kennen und sich blind auf ihn verlassen können. Wenn nicht, ist man nämlich tot."
"Ich habe aber nicht vor, mit euch in den Krieg zu ziehen," sage ich ihm, meine Stimme irgendwo zwischen kühl und bockig.
Cedric atmet einmal tief durch, und ich bin gespannt, ob er mich jetzt anbrüllt oder mir eine reinhaut.
"Richard, wenn Du das hier als Spaßveranstaltung siehst, um Dir ein bisschen die Zeit zu vertreiben und neben her was für Deine nächste Rolle mitzunehmen, dann hör auf, uns unsere Zeit zu stehlen und f*ck off! Für uns geht es nämlich um echte Menschenleben. Meinst Du es jedoch ernst und Du willst etwas lernen, etwas, dass Du für Dich, Richard, mitnimmst und nicht nur ein paar Ideen für Deine Rolle, dann musst Du ehrlich zu mir sein. Nur dann kann ich helfen, nur dann können wir was erreichen. Also?"
Ich weiß für einen Moment gar nicht, was ich antworten soll. Mit dieser Reaktion habe ich am wenigsten gerechnet.
"Ich habe Angst vorm Wasser und ich habe totale Angst vorm Tauchen," sag ich so leise, dass ich glaubte, er habe es nicht gehört. Ich schaue ihn an und fühle mich ziemlich jämmerlich. Er legt mir die Hand auf die Schulter und nickt mir zu.
"Danke, dass Du ehrlich warst." Ich kämpfe gegen aufsteigende Tränen. Er streicht mir über den Rücken und sagt mit ruhiger, gradezu sanfter Stimme: "Aber ich werde Dich damit nicht davonkommen lassen. Wir gehen jetzt gemeinsam unter Wasser und tauchen. Wenn Du denkst, Du kannst nicht mehr, dann sagst Du Dir: "Noch einen Zug, dann gebe ich auf" und wenn Du den Zug gemacht hast, sagst Du Dir wieder: "Noch einen Zug, dann gebe ich auf"."
Er lässt sich ins Wasser gleiten, dreht sich zu mir hin und streckt seine Hand nach mir aus. Ich schlucke, nehme seine Hand und wir lassen uns zum Boden des Beckens sinken. Ich schließe die Augen gegen die aufsteigende Panik und diesmal bin wohl ich derjenige, der Cedric die Hand zerquetscht. Wir schwimmen los.
1 Zug, ein zweiter (ich hab keine Luft mehr) und ein dritter (ich paddle panisch nach oben). Mit Cedric erreiche ich wieder die Wasseroberfläche. Oh Gott, ich muss mich festhalten, irgendwo festhalten! In Ermangelung einer Alternative kralle ich mich an Cedrics Schultern fest, der all seine Kraft aufbieten muss, damit wir nicht untergehen und irgendwie die 3 mickrigen Längen zurück an den Rand schaffen.
Als wir dort ankommen, ist er fast genau so groggy wie ich. Wir ziehen uns mit Alecs und Jamies Unterstützung aus dem Pool und bleiben erst mal nach Luft ringend liegen. Als mir die Drei auf die Schulter bzw. Brust klopfen und Cedric auch noch sagt: "Gut gemacht," gucke ich mich nur noch verwirrt um. Die müssen sich einfach über mich lustig machen! "Äh, im Ernst?"
"Ja, total im Ernst, Du hast Dich Deiner Angst gestellt."

Jamie wirft erst Cedric, dann mir ein Handtuch über den Kopf. Ich nutze die Gelegenheit des Abtrocknens um die zwei oder drei Tränen, denen doch der Ausbruchsversuch gelungen ist, verschwinden zu lassen.
"Mensch, Jungs, ich komm mir eh schon so fremd vor, wie's kleine grüne Marsmännchen."
"Grau." Häh??? Hab ich mich verhört?
Ich ziehe das Handtuch vom Kopf runter. "Wie bitte?" Alec schaut mich an. "Grau. Rhetazetikulaner sind grau. Sie haben keine Leber und leiden dadurch unter Eisenmangel. Deswegen ist ihre Haut grau - und nicht grün." Ich schaue die anderen an, deren Gesichter sind todernst und Jamie nickt bekräftigend. Das kann doch nicht ihr Ernst sein! So'n Quatsch können sie doch unmöglich glauben!
Schließlich prustet der Trainer los, Smythe verlässt kopfschüttelnd den Raum und wir müssen mitlachen. Alec klopft mir auf die Schulter. "Du bist nicht vom Mars, mate. You're from outer space."
Als wir uns wieder einigermaßen beruhigt haben, entlässt uns der Trainer vorzeitig. "Mit euch ist heute eh kein Krieg mehr zu gewinnen."
Als wir zur Dusche gehen, legt mir Cedric die Hand auf die Schulter.
"Bevor Du hier abreist, möchte ich, dass Du es schaffst eine Länge zu tauchen. Wirst Du das versuchen?" Schluck.
Ich schau ihn an. "Versprochen."
Wir gehen zurück zu unseren Kammern, alle hungrig wie die Wölfe. Da noch nicht Zeit zum Abendessen ist, versammeln wir uns in Cedrics Kammer. Er hat schon Tee aufgesetzt und wir schmeißen unsere Notrationen an Süßem, Chips und Obst zusammen. Alec sitzt auf dem Boden im Schneidersitz. Jamie und ich sitzen auf Cedrics Bett, Jamie mit Cedrics Kissen im Arm. Cedric selbst sitzt auf dem Schreibtisch, lässt die Beine baumeln. Wir klönen über Gott und die Welt. Als die Jungs mich fragen, ob ich nach dem Dinner mit ins Pub komme, bin ich direkt etwas stolz. Ich sage gerne zu und schließlich habe ich noch ein Versprechen einzulösen.



Trainingsplan Red Troop, Team 2

0800 CQB
1000 Fallschirmsprünge
1400 Nahkampf
1600 Ausdauertraining


aus Aufzeichnung Maj. Wareing

Sgt. Smythe bat mich um ein Gespräch. Ich nahm an, er würde wegen der anstehenden Untersuchung SSgt. Camerons um Versetzung in ein anderes Team bitten. Stattdessen reichte er Beschwerde über Mr. Armitage ein. Mr. Armitages Initialen (RA) stünden (Zitat) "for an array of problems". Laut Sgt. Smythe würde so die combat readiness des Teams erheblich in Frage gestellt.
Ich habe ihm zugesagt, mich dieser Sache anzunehmen. Ich werde morgen Abend oder übermorgen SSgt. Cameron nach seiner Einschätzung fragen. Da Col. Morris noch Urlaub hat, werde ich ggfs. den Vorgang an Gen. Lancer zur Entscheidung weitergeben.


aus TB RA (Nachtrag)

Es war richtig schön mal rauszukommen! Habe meine Schulden beglichen und Sgt. Robertsons Freund ist mir dafür an den Kragen gegangen. Wäre Cedric nicht eingeschritten, hätte ich wahrscheinlich die Tracht Prügel meines Lebens kassiert. Immerhin ließ er sich nach einigem hin und her überzeugen, dass das Bier auf einen dienstlichen Gefallen zurückzuführen war. Vielleicht lag es auch daran, dass der Sergeant-Major ihn an der Schulter festgehalten hat.
Iona hat das Schauspiel sichtlich genossen. Ich weiß ja, dass viele Frauen auf Männer stehen, die sie verteidigen, aber das geht zu weit. Abgesehen davon, dass ich in festen Händen bin und nicht zu Seitensprüngen neige, wäre es Selbstmord, mir ausgerechnet einen SAS-Trooper als Gegner auszusuchen.

Abgesehen davon war es ein schöner Abend. Ich habe bewiesen, dass meine Trefferquote beim Dart ähnlich abysmal ist wie beim Schießen. Beim Billard habe ich mich besser angestellt, obwohl es das erste Mal war, dass ich mich mit Snooker versucht habe.

Allmählich bekomme ich eine Idee, wie und wer John Porter ist. Ich werde das Drehbuch mal mit JPs möglichen Charakterzügen durchgehen und schauen, ob es für mich funktioniert.






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