78.
Und das tat sie.
Sie schnitt bei ihrem ersten Schießtraining katastrophal ab, da Greg sie vor dem Rückschlag der Waffe überhaupt nicht gewarnt hatte, was dazu führte, dass sie ihm eine blutige Nase schlug mit ihrem Ellbogen.
„Salome, du weißt, dass du die Augen nicht beide zukneifen darfst, oder?“
Gregori wischte sich über die Nase und sah seine Schwester fassungslos an.
Salome hasste diese Waffe, sie hasste den Tod verführerisch kalt und glatt in ihrer Handfläche zu spüren, hasste den lauten Knall und den Stoß der ihren Arm vibrieren ließ.
Ihr Bruder jedoch trieb sie gnadenlos an und so schoss sie immer und immer wieder und als sie zumindest das Blatt das er aufgehängt hatte und das ungefähr so groß wie ein Zirkuszelt war endlich am Rand traf, hätte sie vor Erleichterung weinen können.
Gregori machte keine halben Sachen und Geld spielte für ihn keine Rolle während Zeit Geld war und so sah Salome auf ihre Waffe, auf eine echte Waffe mit scharfer Munition, voll Unbehagen hinab.
„Entsichern.“ Bellte Gregori und sie tat was er ihr tausendmal gezeigt hatte.
„So Kleines, das war gar nicht mal so schlecht.“
Salome verzog das Gesicht, sie hatte den verdammten Pappmenschen nicht einmal getroffen, dachte sie angewidert.
„Honey, du wolltest das hier machen und ich sehe ein wieso.“ Erinnerte er sie leise und sie umklammerte die Waffe fester, denn das Erste nach dem Entsichern was Gregori ihr beigebracht hatte, war ihre Waffe nie irgendwo hinzulegen.
„Ich weiß, ich habe nur nicht gedacht, dass das alles so schwer sein würde.“ Seufzte Salome frustriert und biss sich hart auf die Lippe um nicht zu weinen.
„Oh Salome, du hast als Kind schon mit kleinen Waffen wie Messern gekämpft. Eine Pistole ist keine Frauenwaffe, keine Mädchenwaffe und ich habe Schusswaffen immer von dir ferngehalten, aber du wolltest lernen und ich weiß, glaub mir ich weiß, dass das hier ganz was Anderes ist.“
Was hatte sie gedacht? Sie hatte bisher nur Tricks die sie bereits kannte aufgefrischt, aber das hier war komplettes Neuland für sie.
„Ok, hören wir auf mit dem Schießen.“ Gregori nahm ihr die Waffe ab und entfernte die Munition.
„Reflextraining.“ Lächelte er dann.
Jeden Tag wiederholten sie alle Übungen, das Reinigen, das Sichern und Entsichern, das Schießen selbst und der allgemeine Umgang mit einer Waffe.
Gregori schärfte ihre Sinne, trieb sie dazu an immer schneller die Waffe zu ziehen und schnell exakt zu schießen.
Als Salome endlich das Männchen auf dem Blatt konsequent traf, begann Gregori das Blatt zu bewegen, sie musste auf Tontauben schießen und vor allem quälte er sie durch einen Parcours auf dem sie immer wenn etwas auf sie zukam die Waffe, die sie Annabelle getauft hatte um die Bindung zu ihr zu stärken, ziehen, entsichern und benutzen musste.
Nach zwei Wochen schmerzte Salomes Arm höllisch, aber ihre eiserne Disziplin und das Lob ihres Bruders motivierten sie dazu weiterzumachen, besser, schneller und präziser zu werden.
Die Angst vor der Waffe ließ nach und sie begann über Dinge die sie erst vor Kurzem mühsam erlernt hatte gar nicht mehr nachzudenken.
Ihr Fokus schwenkte vom Ziehen und Entsichern auf den Schuss selbst um und als sie den Parcours meisterhaft und ohne Fehler durchlief, sah Gregori sie ernst aber stolz an.
„Verdammt Kleines, du könntest das echt beruflich machen.“
Er wollte ihr auf die Schulter klopfen und als er den Bruchteil einer Sekunde später auf dem Boden lag, wusste er, dass seine Schwester bereit war.
„Ich habe ein Monster erschaffen.“ Sagte er nur halb im Scherz, denn er wusste, dass wenn Salome je auf die „dunkle Seite“ wechseln würde, die Welt der Ordnung in ihr eine gefährliche Gegnerin haben würde.
Klug, mutig und bewaffnet, Salome war zu dem Albtraum aller schwachen Männer geworden und zu einer anderen Zeit hätten sich die Weltmächte die nun wie fette Hauskatzen schlummerten um sie gerissen, das war klar.
Salome wäre schlecht im Militär gewesen, daran bestand kein Zweifel, denn dazu hatte sie nicht genügend Respekt vor Autoritätspersonen und vor allem hatte sie keine festen politischen Meinungen.
Allerdings wäre sie eine gute Spionin gewesen, eine verdeckte Agentin oder aber ein Auftragskiller.
Die Wut dazu hatte sie und ihre Erfahrung mit grundloser Gewalt gaben ihr eine Aufmerksamkeit die fast unheimlich war.
Ein Leben lang hatte er sein Bestes getan um seine kleine Schwester vor solchen Dingen fernzuhalten, aber er konnte verstehen, dass sie sich und ihre Freunde schützen müsste.
„Gut…Ich kann dir nicht mehr helfen, ich kann dir nur noch Glück wünschen.“ Murmelte er und schob seine Schwester in den Wagen, immer noch nicht überzeugt nicht den größten Fehler seines Lebens zu begehen.
Er reichte ihr schweigend die winzige Klinge, die sein persönliches Geschenk an sie war, und wie nicht anders erwartet, ließ sie diese innerhalb von Sekunden in ihrer Kleidung verschwinden.
Salome und Sue richteten das Gästezimmer ein, verkauften den Wagen den sie gefunden hatten und entrümpelten den Dachboden.
Der Wagen musste dem toten Onkel gehört haben, anders konnte Salome sich seine Existenz nicht erklären, aber da sie mit der Speditionsfirma hergezogen war und nur das Motorrad benutzte wenn sie selbst fuhr, war sie einfach noch nicht auf die Idee gekommen sich nach einem Wagen umzusehen.
Sie beschloss zusammen mit Sue das Motorrad und den alten Wagen zu verkaufen und sich was Neueres zu kaufen, nur leider wussten sie nicht genau wie sie das anstellen sollten, da Sue ein Einzelkind und eine Frau war und sich demnach ganz dem Klischee entsprechend nie für Wagen interessiert hatte und Salome eh nur anhand der Form und eindeutiger Indizien wie beispielsweise den breiten Fenstern, den Reifen und der Spiegel erkannte, dass es sich überhaupt um ein Auto handelte.
Gott sei Dank überhörte ein Kunde ein Gespräch das Sue mit Siobhan, ihrer Verkaufsleiterin führte und bot an ihr beides zu einem vernünftigen Preis abzukaufen.
Gregori überwachte den Verkauf und fand, dass der Mann den Mädchen mehr Geld bot als die alte Klapperkiste und das arg abgenutzte Motorrad überhaupt wert waren, verkniff es sich aber etwas zu sagen.
Derek, der Kunde und Käufer, fand jedoch ein gutes Geschäft gemacht zu haben und zog erfreut ab.
Frauen waren einfach für nichts zu gebrauchen, dachte er schadenfroh und besah sich seine armseligen Errungenschaften mit dem Stolz eines Königs.
Als sie den Dachboden aufräumten fanden Salome und Sue ein Familienfoto das längst vergangene Zeiten aufzeigte.
„Gott, ist das Anya?“ keuchte Sue auf einmal und Salome sah sich das Foto genauer an.
„Ja das sind meine Eltern vor meiner Geburt.“ Wisperte Salome und zeigte auf den kleinen Jungen der sich eng an das Kleid seiner Mutter presste, welche die Hand auf ihren großen Bauch gelegt hatte.
„Gregori.“ Murmelte sie, doch Sue sah den Mann an, den sie nie kennengelernt hatte, weil er so früh gestorben war.
Er war groß und sah Salome so ähnlich, dass Sue ganz warm ums Herz wurde.
„Das ist mein Vater.“ Wisperte Salome sehr leise und fuhr mit dem Finger über das Gesicht des Mannes der sie verlassen hatte und auf einmal vermisste sie Richard schmerzlicher als sonst.
Wieso bewahrte ihr Onkel ein Foto eines Toten und seiner neuverheirateten Witwe auf?
Sie fühlte sich innerlich zerrissen und vor allem sehr einsam und so stürzte sie sich in wilde Geschäftigkeit, räumte auf, entstaubte und machte aus dem alten Dachboden eine gemütliche Sitzecke, ein Versteck, ein Zuhause.
Sehr weit entfernt saß ein Mann auf seinem Bett und hob sein Telefon überrascht auf.
Weniger weit von ihr entfernt saß ein anderer Mann auf dem Fußboden und plante seine Rache, die nach Blut und Tod verlangte.