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Author's Chapter Notes:

 

Ein Seneschall ist ein sehr ranghoher Beamter, der in der Verwaltung des Königreichs tätig war. Hier trifft das auf William Marshal zu, der dieses ehrenvolle und hohe Amt bekleidete.
 










 

Mylord Sheriff! Ihr findet mich in einer etwas prekären Situation, denn ich habe meine Zunge schneller sein lassen als meinen Verstand und King John – Ihr wisst, wie er sein kann – hat die Dinge falsch ausgelegt und verlangt nun nach Eurer Anwesenheit hier in London. Er ist in der Annahme, dass ich mit Euch… dass wir beide… kurzum, er denkt, Ihr wärt mein Verlobter. Nun besteht er darauf, uns eine Feierlichkeit zu widmen, ich glaube, er tut dies nur aus Neugier und um bestätigt zu sehen, dass ich mit meiner vorlauten Äußerung nicht gelogen habe.

Mylord, ich flehe Euch an, geht auf dieses Spielchen ein, ansonsten bin ich verloren!

Leslie of Glanvil

Diesen Brief faltete sie so klein wie möglich zusammen und nähte ihn in den Saum eines Samtetuis ein. Dorthinein kam ganz normal ein zweiter Brief, den sie in weiser Voraussicht mit folgendem Wortlaut verfasste:

Mein lieber Philip! Der gute und fürsorgliche King John bittet Euch zu sich an den Hof nach London, damit Ihr mir – Eurer Euch liebenden Verlobten – nahe sein könnt und möchte als Belohnung für die ihm geleistete Dienste in der Grafschaft Nottinghamshire eine angemessene Verlobungsfeier für uns ausrichten. Ich hoffe sehr, dass Euch Euer Amt abkömmlich werden lässt, harre hier Eurer Ankunft und sehe dieser mit Ungeduld entgegen.

Stets die Eure,

Leslie

P.S. Die samtene Hülle des Briefes ist ebenso blau wie Eure Augen! Habe ich Euch jemals gesagt, wie unglaublich strahlend Eure Augen sind?

King John zog den Brief aus dem blauen Futteral und las ihn durch.

Ein höhnisches Grinsen zog über sein Gesicht, als er halblaut rezitierte: „Habe ich Euch jemals gesagt, wie unglaublich strahlend Eure Augen sind?"

Er steckte den Brief wieder zurück in seine Hülle und gackerte weiter amüsiert vor sich hin: „Ha! Wo gibt es denn sowas? Hat der verlotterte Kerl wirklich blaue Augen? Ist mir nie aufgefallen. Die Kleine scheint tatsächlich einen Narren an diesem Bauerntölpel gefressen zu haben. Weiß Gott, wie er das angestellt hat. Aber ich werde es herausfinden, sobald ich ihn hier unter meiner Fuchtel habe. Ich werde beide streng beobachten. Sollte sich auch nur einer von ihnen etwas zuschulden kommen lassen, wandern sie beide in den Kerker!“

Dann rief er nach seinem Seneschall: „Lasst den Brief zustellen, Marshal, er hat mein Wohlwollen.“

Mit kugelrunden Augen zog Philip Marc ein Schriftstück aus dem feinen, königsblauen Samt heraus, das ganz offensichtlich von der Handschrift einer Frau verfasst war.

Während er las, suchte er mit seiner freien Hand nach Halt an einem groben Balken. Was… was hatte das zu bedeuten? Habe ich Euch jemals gesagt, wie unglaublich strahlend Eure Augen sind? Hatte Leslie of Glanvil den Verstand verloren? Oder hatte sie jemand gezwungen, diesen blanken Wahnsinn zu Papier zu bringen? Bestimmt hatte sich wer einen Scherz erlaubt. Nie im Leben war der Brief wirklich von Lady Leslie. Und wenn doch? Er musste klar und strukturiert denken, doch er war dazu einfach nicht in der Lage. Wer konnte ihm helfen? Ihm fiel nur eine einzige Person ein, die er um Rat fragen konnte: Marian of Locksley!

Er musste völlig von Sinnen sein, in dieser eiskalten Winternacht in den Wald zu reiten und die Outlaws zu suchen! Aber er tat es; unter Sylvesters Hufen knackte ab und zu das Eis einer zugefrorenen Pfütze. Schnee lag keiner, es war ein eher trocken-kalter Winter und es hatte bisher nur wenige Flocken vom Himmel geschneit.

Er wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bevor er rüde von Robin Hoods Wachen gestoppt werden würde. Es gelang kaum einem Reisenden, sich unbehelligt von ihnen durch Sherwood Forest zu bewegen.

„Halt! Wer da?“

Er war nicht überrascht, die knapp gebellten Fragen aus der Dunkelheit zu hören.

„Philip Marc. Ich muss mit Lady Marian sprechen, dringend.“

„Das kann jeder behaupten, Mann. Habt Ihr etwas Besonderes auszurichten, etwas, das Lady Marian die Echtheit Eurer Person und Eure Loyalität beweist?“

„Nicht direkt. Aber wenn man ihr sagen würde, dass ich Nachricht aus London von Lady Leslie habe und zwar keine sonderliche gute, dann wäre es der Sache vielleicht förderlich.“

„Ihr rührt Euch nicht vom Fleck, verstanden?“

„Natürlich.“

Er brachte wohl nahezu eine halbe Stunde oder sogar länger frierend auf dem Pferderücken zu, immer mal wieder ein Stück hin und her reitend, damit der Gaul nicht kalt und lahm wurde. Die Wachen wussten damit umzugehen, sollte er sich jedoch weiter als ein paar Yards von ihnen wegbewegen, würden selbst in der Nacht ihre spitzen Pfeile ihr Ziel in seinem Rücken nicht verfehlen.

Endlich bekam er die erhoffte Mitteilung: „Ihr dürft uns nun folgen.“

Eskortiert von zwei Wachen kam er nach etlichen weiteren Minuten in Sichtweite einiger Feuerstellen, die ihm sogar aus der Ferne heimelig und wärmend vorkamen.   

„Steigt ab.“

Er ließ sich vom Pferd gleiten, das ihm sofort abgenommen wurde, und so stapfte er zu Fuß weiter in Richtung des Lagers.

Als ihm plötzlich die Klinge eines Dolches an den Hals gehalten wurde, schluckte er nervös und rührte sich kein Zoll mehr.

„Sheriff! Ihr werdet doch nicht etwa bekehrt sein und zu uns stoßen wollen?“
Robins Stimme.

„Nein, ja… ähm, nicht ganz.“

„Habt Ihr Fortschritte beim Führen eines Schwertes gemacht?“

„Ja. Ich… ich habe sehr viel geübt. Und ausdauernd.“

„Bestens. Gegebenenfalls wird Euch das irgendwann einmal den Hals retten. Was wollt Ihr von Marian? Sprecht, Mylord.“

„Ich… ich muss sie um Rat in einer privaten Angelegenheit fragen.“

Robin lachte trocken und drückte die kalte Klinge fester an seinen Hals: „Ihr habt Nerven. Oder Ihr seid von Sinnen.“

„Bitte… es geht nicht unbedingt um mich. Eher um Lady Leslie… in London.“

Der harte Stahl an seiner Haut wurde weggezogen und Robin gab ihn frei.

Marian empfing ihn mit aufgelöstem Haar und im Morgenrock, ganz als wäre sie noch in einem großen Anwesen wohnhaft, obgleich sie in einer Behausung lebte, die halb unter der Erde zu liegen schien. Wahrscheinlich wollte sie ihm zeigen, dass man auch hier draußen im Wald, als Outlaw, seine Annehmlichkeiten hatte.

„Was bringt Ihr mir von Leslie of Glanvil, Mylord?“

„Etwas, woraus ich nicht recht schlau werde und ich muss offen gestehen, dass ich dafür den Rat einer weiblichen Person benötige.“

„Gut, dann zeigt es mir.“

Sie lachte nicht, sie spottete nicht, sie las ruhig und konzentriert und reichte ihm am Ende den Bogen Papier ohne Worte zurück.

„Und?“

Er brannte auf eine Antwort, auf des Rätsels Lösung.

„Ihr werdet zu ihr fahren, nicht wahr?“

„Das… das kommt auf Eure Einschätzung an, Lady Marian.“

„Habt Ihr in der Tat blaue Augen?“

„Ja… was tut das zur Sache? Ich verstehe nicht…“

„Mir ist das nie aufgefallen. Aber wenn es ihr aufgefallen ist und sie den Brief in eine Hülle aus Samt in der Farbe Eurer Augen gegeben hat, dann liegt meiner Meinung nach darin die tiefere Bedeutung.“

„Worin? In meinen Augen? In der Samthülle?“

Zu seiner Überraschung legte Marian eine Hand auf seinen Unterarm, als sie antwortete: „Vermutlich in beidem. Und ich denke, sie bewegt sich auf gefährlichem Terrain in London. Ihr solltet so oder so hinfahren.“

„Natürlich. Aber ich werde aus dem Brief nicht schlau. Weswegen redet sie mich so vertraulich an und behauptet, wir wären verlobt? Marian…“, seine Stimme bekam einen flehenden Klang.

„Das Futteral und Eure Augen… Eure Augen und das Futteral… hmh, habt Ihr Euch die samtene Umhüllung des Briefes einmal näher angeschaut? Vielleicht im Gegenlicht des Feuers?“

Skeptisch nahm er das Samtsäckchen an sich und hielt es der Feuerstelle entgegen.

Doch das Feuer war bereits sehr weit herunter gebrannt und gab das Geheimnis der Samthülle nicht preis. Philip Marc war der Verzweiflung nahe.

„Gebt nicht so schnell auf, Mylord Sheriff.“

„Philip“, murmelte er undeutlich, „ich heiße Philip.“

„Ja, ich weiß. Philip also.“

Er wagte es in der langsam entstehenden neuen Vertraulichkeit, ihr eine weitere Frage zu stellen: „Meint Ihr, dass sie und ich… dass es möglich sein könnte… ich wage es nicht zu hoffen, nicht einmal zu denken und doch…“

Marian musste nun doch leicht schmunzeln; also hatte er sich tatsächlich in die schöne Lady aus dem Norden verliebt. So etwas Ähnliches hatte sie sich bereits gedacht. Er würde deutlich anders zu Werke gehen müssen, als die plumpen Versuche der Annäherung und Werbung erneut anzubringen, mit denen er sich bei ihr hatte anbiedern wollen.

„Ich denke, dass grundsätzlich nichts unmöglich ist, Myl… Philip. Doch wenn Ihr wirklich um sie werben wollt, dann müsst Ihr selbst dazu in der Lage sein, das Rätsel um das blaue Etui zu lösen. Es wird sich Euch in dem Augenblick offenbaren, in welchem Ihr bereit seid Euer gesamtes Verhalten umzustellen.“

Er nickte langsam: „Ich verstehe. Und ich danke Euch, Marian. Ihr… Ihr seid sehr warmherzig und klug. Au revoir.“

Er ritt zurück nach Nottingham und kam dort an, als gerade die fahle, morgendliche Wintersonne am Horizont erschien. Eldon war sofort zur Stelle und nahm ihm Sylvester ab, daher befahl Philip Marc ihm auch gleich, dass gepackt werden sollte.

Der Samt in seiner Manteltasche fühlte sich weich, warm und anschmiegsam an und doch war da eine Stelle… er zerrte in plötzlicher Erkenntnis das Futteral hervor und knetete es Zoll für Zoll gewissenhaft durch. Da! Da war es, eine knisternde, festere Stelle im Saum. Er zog seinen Hirschfänger aus dem Halfter und öffnete mit Bedacht die Naht an besagter Stelle. Trotz seiner Ungeduld ging er sehr vorsichtig zu Werke und förderte schließlich mit triumphierender Miene einen vielfach gefalteten Zettel hervor.

Mit zittrigen Fingern entfaltete er das Blatt und las die Nachricht mit angehaltenem Atem.

Dann erscholl sein Ruf durch halb Nottingham: „Eldon! Ich reise noch heute ab, beeil‘ dich also mit der Packerei!“






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