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Author's Chapter Notes:

 

Mit ein bisschen Mut, List und Tücke konnten auch zwei Frauen zur damaligen Zeit so einiges bewirken... man musste sich nur trauen! Selbstverständlich kann man den schweren Dialekt hier nur andeutungsweise auf Deutsch wiedergeben, wäre es im Original gesprochen und kämen die Worte in rascher Abfolge, würde es von uns kaum jemand verstehen, denke ich mal.
Dann noch ein Wort zu Hollow Bourne, das im Text erwähnt wird: Dem entspricht das heutige Holborn in Camden, London (nahe dem British Museum, oder auch - bekannter für manche von euch - in Holborn gelegen: Freemasons Hall, die dem MI5 HQ in "Spooks" entspricht). Der Name bedeutet "hohler Bach" und steht wahrscheinlich für einen Teilabschnitt des River Fleet, der durch einen sehr tiefen Einschnitt dort in der Gegend fließt/floß (nach seiner Begradigung und Kanalisierung eben nicht mehr). Smithfields, das im letzten Kapitel eine Rolle spielte, ist nicht sehr weit, ebenso ist die Entfernung zur Themse gut zu Fuß bewältigbar. Zum Tower muss man schon ein gutes Weilchen gehen (ca. zwei Meilen), aber im MA war das ja weniger ein Problem als heute.










 

Die Gedanken überschlugen sich sofort in des Sheriffs Kopf. Sein Puls raste und er konnte nicht klar denken. Robin Hood war hier? Um ihn aus dem Tower zu befreien? Unmöglich! Er musste halluzinieren, ja, das war’s: Er war sterbenskrank, lag in einem schweren Fieberdelirium und all dies geschah gar nicht wirklich, sondern nur in seiner kranken Fantasie.

Eine andere Erklärung konnte es doch gar nicht geben und doch… er wusste, dass er das nicht nur geträumt oder vor sich hin fantasiert hatte. Er hielt den kalten Stahl der Schwertklinge wahrhaftig in seinen Händen und dieses Mal spürte er tatsächlich wie schwer die Waffe wog, wenn man sie anhob. Es war kein imaginäres Schwert, es war echt!

Wenn dem so war, wenn sich die Dinge so verhielten wie Eldon ihm gesagt hatte, dann musste Leslie hinter all dem stecken. Oder vielleicht doch nicht? Wie konnte sie, da sie unter Hausarrest stand? Er war sich sicher, dass ihre Briefe – sofern sie überhaupt welche schreiben durfte – unter Zensur standen und nicht nach draußen gehen würden ohne auf ihren Inhalt kontrolliert zu sein. Demnach wäre es ihr kaum möglich gewesen, aus Nottingham Hilfe herbei zu holen. Es musste also jemand anderes dafür Sorge getragen haben. Der Erzbischof! Er hatte das alles eingefädelt, einen Boten nach Nottinghamshire geschickt und den König von London weggelockt. Er hatte ja auch bei seinem Besuch hier bei ihm in der Zelle gesagt, dass er sich darauf einrichten sollte, über kurz oder lang befreit zu werden. Je länger er darüber nachdachte, umso größer wurde seine Gewissheit, dass Stephen Langton der Drahtzieher gewesen sein musste.

Dass Robin Hood darauf eingegangen war, stand auf einem völlig anderen Blatt. Wahrscheinlich verdankte man seinen Einsatz lediglich dem Umstand, dass Marian in Leslie eine Art Tochter sah, ihr schon immer wohlgesonnen war und Robin zu dieser Mission überredet hatte.

Aufgeregt berichtete Eldon den anderen von seiner erfolgreichen Tat und der kurzen Unterhaltung mit seinem Herrn.

Marian lächelte, als Eldon stolz verkündete, dass der Sheriff trotz Gefangenschaft vor Gesundheit nur so zu strotzen schien und einen zwar zerlumpten, aber ansonsten guten Eindruck machte.

„Das klingt erfreulich, Eldon. Wenn er bei Kräften ist, kann er tatkräftig mitkämpfen, sollte dies notwendig werden. Wir hoffen jedoch, dass es bei ein paar wenigen Ausfällen bleiben wird und kein Schlachtgetümmel entsteht.“

„Das hoffen wir alle“, bekräftigte Aldred nickend.

Marian hatte nur noch eine Aufgabe zu erledigen, bevor die Rettung ihren Anfang finden sollte: Sie musste Lady Leslie im Tower ausfindig machen und ihr zur Flucht verhelfen! Es war immens wichtig, dass sie dem Ort des Geschehens fern sein würde und somit nicht durch unbedachte Reaktionen ihren Gatten betreffend die gesamte Unternehmung gefährden konnte. Verliebten war diesbezüglich einfach alles zuzutrauen. Und dass diese beiden ineinander verliebt waren, war Marian vollkommen klar.

Sie hatte Augen und Ohren offengehalten und hatte von Ada wichtige Informationen erhalten, die nämlich annähernd sagen konnte, wo sich ihre Herrin im Tower aufgehalten hatte, als sie ihr Kleidung aus Lambeth gebracht hatte. Es konnte natürlich sein, dass Lady Leslie das Gemach gewechselt hatte, aber das schien allen ziemlich unwahrscheinlich.

Also brauchte man nur ein bisschen seinen Mut zusammenzunehmen und beten, dass alles gutgehen würde.

Marian hatte sich ein sehr einfaches Gewand besorgt und bekam ein Kleiderbündel von Ada gebracht. Damit versehen spazierte sie forsch drauf los und versuchte sich in den Gängen, Treppenhäusern und Sälen des Towers zurechtzufinden.

Sie wurde nur einmal angehalten und gefragt, was sie hier zu schaffen habe und sie gab mit breitem bäurischem Dialekt Auskunft, dass sie Kleidung für Lady Leslie, der unter Hausarrest stehenden Gemahlin des Sheriffs of Nottingham bringen würde. Für den Fall, dass man sie noch ausführlicher befragt hätte, hatte sie sich die glaubwürdige Geschichte zurechtgelegt, dass sie aus Lambeth Palace kam und die Magd von Lady Leslie ersetzte, die krank geworden war. Aber so weit musste sie ihre Geschichte gar nicht weiterspinnen, denn man ließ sie ohne weiteres passieren, ja man zeigte ihr sogar den richtigen Weg.

Sie klopfte energisch an die Tür.

„Wer da?“

„Mylady, saubere Kleidung für Euch.“

„Ada?“

„Nein, Ada ist leider krank.“

Die Tür öffnete sich und Marian erschrak, als sie eine blasse, sehr schmal gewordene und fast kränklich wirkende Leslie Marc de Touraine erblickte.

„La… Lady Marian“, flüsterte diese fassungslos.

Marian schlüpfte schnell in das Gemach und schloss die Tür.

„Ja. Bitte bleibt ganz ruhig und lasst mich reden. Zunächst muss ich feststellen, dass Euch entweder die Londoner Luft oder die Ehe nicht zu bekommen scheint. Ihr seht wirklich schlecht aus.“

„Schiebt die Schuld auf meine Ehe, Mylady.“

„Dachte ich mir. Daran können wir aber bald etwas ändern. Leider ist es sehr viel einfacher in den Tower hinein- als wieder hinauszukommen. Ich habe Euch Adas Kleider mitgebracht, wohinein Ihr vermutlich zwei- bis dreimal passen dürftet, aber das bekommen wir schon hin. Zieht sie an, bitte.“

Die junge Lady nahm die Sachen entgegen und schlüpfte hinein, dann schlang Marian einen Strick darum, damit ihr die Röcke nicht vom Leib rutschen würden. Geübt band sie ihr die schwarzen langen Zöpfe nach oben und knotete ein leinenes Kopftuch drum, außerdem hieß sie Leslie sich Gesicht und Hände mit Asche und Ruß aus dem Kamin schmutzig machen.

„Fertig ist die Magd. Ihr seid nun Katie und ich habe Euch… dich zufällig hier getroffen und nehme dich nun mit zur Baustelle der London Bridge, wo wir uns einen schmucken Ziegelleger oder Steinmetz ansehen gehen. Wir sind Weibsleute, die genau wissen, was sie wollen und es sich auch notfalls nehmen. Natürlich werden wir – sobald wir den Tower hinter uns gelassen haben – mit Robin und den anderen zusammentreffen, die alle hier in London sind.“

„Und...“, Leslie standen die Tränen in den Augen, „und was ist mit Philip?“

„Ach ja, der gute Philip. Keine Angst, wenn alles nach Plan läuft, wirst du ihm bald in die Arme sinken können. Er hat von Eldon bereits ein Schwert erhalten und sobald du hier raus bist, holen wir ihn.“

Lady Leslie hatte zwar nur die Hälfte der Zusammenhänge verstanden, aber sie merkte, dass hinter all dem offensichtlich eine ausgeklügelte Taktik stand und fragte daher nichts mehr. Vorsichtig öffneten die beiden Frauen die Tür und spähten in den Flur hinaus. Da alles ruhig zu sein schien, gab Marian Leslie einen Schubs und folgte ihr kurz darauf nach.

An der ersten Ecke fasste sie sie am Arm und rief laut und mit schwerem Dialekt aus: „Nee, is‘ nich‘ möglich! Katie! Das is gut, dass ich dich hier treffe! Bin auf’m Weg zur Brücke, willste mit? Klar willste, ich weiß ja, wie du den kräftig‘n Edgar immer anstarrst. Ha, na will mich nich‘ beschwer’n, kann ja meine Aug‘n auch nich von John lass‘n. Dann woll’n wir mal, bevor es dunkel wird und die Jungs den Hammer bei der Arbeit fall‘n lass’n, wa?“

Leslie nickte nur schüchtern, gab aber dann lauter und mit bemühtem Dialekt Antwort, als sie von Marian fast schon schmerzhaft in die Seite gekniffen und somit zur Ordnung gerufen wurde: „Ja… da woll’n wir mal.“

Sie kicherten albern, als sie Arm in Arm an einigen Wachposten vorbeigingen und Marian es sogar gelang, ihren Allerwertesten aufreizend hin und her zu schwingen, wobei sie fröhlich gackernd verkündete: „Ich sach dir’s, Katie, die Jungs brauch’n nich nur was Handfestes zum Ess‘n, nee, die brauch‘n auch handfeste Weiber, damit die sich wohlfühl’n. Biste bereit, den‘n heut‘ Abend was zu biet’n?“

„Klar bin ich das.“

„Noch lauter“, zischte Marian Leslie zu, die daraufhin doppelt so laut rief: „Ich biet‘ ihn‘n was, wenn sie mir dann auch was zu biet’n ham. Jawoll.“

„Du sachst es. Die soll’n sich vorseh’n, wir komm’n nu!“

Als sie ein gutes Stück weg vom Tower waren und tatsächlich die Brücken-Baustelle an der Themse sichtbar wurde, blieb Lady Leslie stehen und brach in Tränen aus: „Oh, ich fasse es nicht! Ich bin tatsächlich geflüchtet. Der Zorn von King John wird mächtig groß sein. Hoffentlich bemerkt man meine Abwesenheit erst, wenn… wenn Philip auch in Sicherheit ist. Sie werden… sie werden ihm sonst etwas antun. Er endet am Galgen, ich weiß es.“

„Es ist keine Zeit zum Jammern. Kommt, wir gehen. Je schneller wir zu den anderen stoßen, desto eher wird man Philip zur Hilfe eilen können. Auf, auf.“

Doch als sie in Hollow Bourne ankamen, brach Lady Leslie ohnmächtig zusammen. Aldred persönlich trug sie auf ein halbwegs ordentliches Lager und kümmerte sich mit Ada um sie.

„Der Kummer hat ziemlich an ihr gezehrt. Sie ist entkräftet und hat Erkrankungen nicht viel entgegenzusetzen. Der Winter bringt etliche Krankheiten mit sich, das ist eben so. Mit Gottes Hilfe, gutem Essen und viel Wärme wird sie wahrscheinlich wieder gesund werden“, so lautete Friar Tucks Diagnose, der ein bisschen etwas von Heilkunde verstand. Ähnlicher Meinung war auch Marian, die ebenfalls viele Kranke in Nottingham gesehen und gepflegt hatte.

Sie beschlossen, bei ihrem ursprünglichen Plan zu bleiben, ungeachtet der kranken Leslie, die man selbst in gesundem Zustand in der Obhut von Ada gelassen hätte. So nahmen sie alle ein recht karges Mahl zu sich und begaben sich dann zu Bett, um den nächsten Tag gestärkt angehen zu können.

Marian zog sich das gleiche einfache Gewand erneut an und ließ sich von Friar Tuck ein Gebräu in einer kleinen Tonflasche geben, das sie vorsichtig in einen Lederbeutel an ihrem Gürtel steckte.

Little John und einige andere waren bereits am Tower und hatten die Wachen an den Außenmauern im Blick.

Nachdem Marian einen Blick auf die zwar nicht mehr bewusstlose, aber weiterhin schlafende und sich im Fieber befindliche Leslie geworfen hatte, zogen sie los.






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