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Author's Chapter Notes:

 

Hier kommt die weitere fiktive Person ins Spiel, die jedoch Sproß einer realen Familie ist, d.h. sie ist zwar erfunden, aber ihre Vorfahren, die gesamte Familie und verwandtschaftlichen Beziehungen hat es gegeben!
Ihr Vater, Ranulf of Glanvil, war Sheriff of Yorkshire unter King Henry II (sehr interessant, "Die Säulen der Erde" lassen recht herzlich grüßen!) von 1163 bis 1176 (mit einer kurzen etwa einjährigen Unterbrechung, in der Zeit hatte er das Amt eines Sheriffs von Lancashire inne), von 1177 bis 1180 war er Justitiar von König Henry II und von 1180 bis 1189 sogar Oberster Justitiar (und "The King's Justice" läßt ebenso vielmals grüßen!, auch wenn dies zu einer anderen Zeit spielte). Neffe Ranulfs of Glanvil war Hubert Walter, seines Zeichens Erzbischof von Canterbury von 1193 bis 1205, also teils noch unter Richard I.
Dies alles kommt nun hier und in den Folgekapiteln immer mal wieder zur Sprache.

Anmerkung: 'Pepper Harrow' ist das Anwesen der Locksleys aus der Ridley-Scott-Verfilmung 2010. Dies ist weitgehend fiktiv, bezeichnet jedoch in der Tat einen Hügel in der Grafschaft Surrey, wo ein großer Teil der Filmdreharbeiten stattfand.










 

Fluchend rappelte sich Philip Marc vom Boden hoch und zog sich das von Wasser durchnässte Hemd mit einem energischen Ruck über den Kopf. Auch das noch! Der Stuhl war hinüber und das Hemd hatte den halben Wasserkrug dabei abgekriegt.

In diesem Augenblick flog die Tür auf und er starrte in das hochrote Gesicht einer jungen Frau. Einer sehr hübschen jungen Frau, besser gesagt. Einer Lady, ihrer ganzen Erscheinung nach zu urteilen.

Mit einem raschen Griff warf er sich seinen Mantel über und fauchte dann die Fremde an: „Guter Gott, Frau, wer seid Ihr und was tut Ihr hier?“

„Mylord… ähm… ich hatte geklopft, aber keine Antwort erhalten und die Tür war nur angelehnt, so… so bin ich eben eingetreten, weil Lärm zu hören war und ich dachte, ich könnte behilflich sein. Habt Ihr Euch wehgetan, Sir?“

„Herrschaftszeiten, nein! Es ist alles in Ordnung. Was führt Euch hierher und wer seid Ihr? Und lasst Euch gesagt sein, ich frage es nicht noch einmal!“

„Oh verzeiht. Mein Name ist Leslie of Glanvil, ich bin die Tochter des verstorbenen Sheriffs of Yorkshire, Justitiar des Königs, Ranulf of Glanvil. Mein Cousin ist Hubert Walter.“

Philip Marc schüttelte ungläubig den Kopf, das konnte doch alles gar nicht sein.

„Ihr seid die Cousine des früheren Erzbischofs von Canterbury? Des Lordsiegelbewahrers von König Richard?“

Und als sie beflissen nickte, kam er näher zu ihr hin und sagte mit einem bedrohlichen Unterton in der Stimme: „Das, Mylady, müsst Ihr mir natürlich beweisen.“

„Das tue ich gern, wenn Ihr mir Eurerseits sagt, wer Ihr seid, Sir.“

„Wen habt Ihr erwartet? Zu wem seid Ihr geschickt worden? Und eine Lady wie Ihr reist doch sicher nicht allein? Wo also sind Eure Begleiter, Madam?“

„Ihr seid ein wenig unfreundlich, Sir. Mir scheint, es kommen nicht sehr viele Reisende bei Euch vorbei.“

Er knurrte: „Wenn Ihr einen Fremdenführer sucht, seid Ihr bei mir an der falschen Adresse.“

Sie wagte es nun ihren Blick etwas zu heben, denn er hatte seinen zuvor entblößten Oberkörper inzwischen vollständig in seinen Mantel gewickelt und das Meiste an nackter Haut war nun wieder züchtig bedeckt.

„Man sagte mir, dass ich auf meinem Weg von York nach London in Nottingham Station machen sollte, der Sheriff dort würde mir gewiss die Tür nicht weisen. Also bin ich auf der Suche nach ihm, wie Ihr Euch nun denken könnt.“

Er gab nicht zu, dass er verwirrt war, daher herrschte er sie erneut an: „Wer ist ‚man‘, Mylady?“

„Meine Mutter, wenn Ihr nichts dagegen habt. Sie meinte, dass der Sheriff of Nottingham bestimmt ein gastliches Haus führt, insbesondere, wenn die Tochter eines anderen Sheriffs an seine Tür klopfen wird.“

Nun war Philip Marc derart verblüfft, dass er nicht sofort antworten konnte. Es schien, als wäre sein schlechter Ruf noch nicht in alle Ecken Englands gedrungen.

„Wo also finde ich den Sheriff hier? Ihr habt ein stattliches Anwesen, Sir, zumindest von denen, die mir bewohnt erschienen. Weswegen ist die Stadt so leer? Hattet Ihr Schwierigkeiten jüngst?“

„Mylady, Ihr seid überaus neugierig. Was Eure Suche nach dem Sheriff anlangt: Den habt Ihr gefunden! Und Nottingham ist leider durch einen Trupp plündernder und brandschatzender Franzosen zurzeit etwas entvölkert, außerdem haben sich viele Überlebende momentan in die Wälder geflüchtet. Ich hoffe, diese Auskünfte genügen Euch.“

Nun wurden die Augen von Leslie of Glanvil riesengroß: „Ihr… Ihr seid der Sheriff of Nottingham? Oh… oh verzeiht, Sir… ähm… Mylord, das konnte ich nicht ahnen.“

„Natürlich konntet Ihr das nicht ahnen. Ich nehme an, Ihr lebt mit Eurer Mutter und früher auch mit Eurem Vater unter etwas erfreulicheren Bedingungen?“

Philip Marcs Stimme hatte einen sarkastischen Ton angenommen.

Doch Leslie of Glanvil antwortete schlicht: „Sicher nur sehr unwesentlich. Und darauf kommt es auch nicht an. Wenn die Zeiten hart sind, dann muss man sich eben den Gegebenheiten anpassen. So darf ich Euch einen Guten Abend wünschen, Mylord, und meiner Freude Ausdruck verleihen, dass ich Euch gefunden habe.“

Es klang so ungekünstelt und freundlich, dass er die Augen für einen kleinen Moment schließen musste. Wie lange schon hatte er solch wohl gewählte Worte der Höflichkeit und des Anstands nicht mehr gehört? Nach seinem Dafürhalten musste das viele Jahre her sein.

Dann hörte er sich selbst murmeln: „Ganz meinerseits. Ich...“, er brach ab und musste sich räuspern, erst dann konnte er halbwegs manierlich weitersprechen, „ich bin Philip Marc de Touraine, der… der Sheriff of Nottingham, Madam.“

Sie sagte nichts und schien auf mehr von ihm zu warten, weswegen er sich nochmals vernehmlich räusperte und dann etwas mühevoll hinzufügte: „Willkommen bei uns in Nottingham.“

Nun schien die Besucherin zufriedengestellt, sie deutete einen Knicks an und meinte dann: „Mylord, ich habe Euch ganz offensichtlich in einer häuslichen Situation überrascht, die für Besucher wenig geeignet ist. Deswegen werde ich nun meine Begleitung aufsuchen und Ihr könntet Euch in der Zwischenzeit ein Hemd und eine Tunika anziehen, damit Ihr nicht weiterhin im dicken Mantel vor mir stehen müsst. Ist Eure werte Gattin denn nicht anwesend, Sir?“

Seine Zunge klebte ihm förmlich am Gaumen, als er mit belegter Stimme dümmlich fragte: „Meine was?“

„Eure Ga…“, doch dann dämmerte Leslie of Glanvil, dass sie damit ganz offensichtlich falsch gelegen hatte, ein scheues Lächeln zog über ihre Lippen und sie hauchte abermals errötend: „Ihr verzeiht, ich nahm an, Ihr wäret verheiratet. Ein Trugschluss, wie mir scheint.“

„Ein Trugschluss, in der Tat. Warum seid Ihr selbst auf die Suche nach dem Sheriff gegangen und habt nicht jemanden aus Eurer Begleitung geschickt, diese Arbeit zu übernehmen?“

„Oh, wir reisen ohne großen Aufwand. Außer einer Magd habe ich nur noch den Stallmeister dabei. Aber… das sage ich natürlich nur Euch im Vertrauen. Unterwegs würde ich das gegenüber Niemandem anmerken.“

„Wie überaus umsichtig von Euch. So holt die beiden herbei, der Herr ist sicher gewohnt im Pferdestall zu schlafen und eure Magd…“, er schaute sich unsicher um, das von ihm bewohnte Anwesen war von einem Palast weit entfernt und bot kaum Platz für alle, wenn seine Magd nicht vor dem Feuer in der Küche geschlafen, hatte sie bei ihm im Bett gelegen. Doch das konnte er natürlich unmöglich den Fremden so anbieten. Es gab nur eine Möglichkeit: Er musste mit den Gästen nach Pepper Harrow, dem Anwesen der Locksleys, umsiedeln.

Marian würde ihn dafür umbringen, aber sie war ja nun im Wald.

„Mylady, führt Eure Leute nach Pepper Harrow. Das liegt jenseits des Hügels, ist aber nicht weit. Dort haben wir mehr Platz und mehr Annehmlichkeiten, das versichere ich Euch.“

„Gehört es Euch, Mylord Sheriff?“

„Ähm, ja… nein… nicht direkt. Freunden von mir. Sie… sie sind derzeit nicht in Nottingham, deswegen kann ich es nutzen. Habt keine Angst, es… es ist alles in bester Ordnung. Ich ziehe mich um, packe einige Vorräte zusammen und komme dann sofort hinüber geritten. Wäre das in Eurem Sinne?“

„Wenn Ihr es für richtig befindet, gerne. Auf gleich.“

„Ja, auf gleich.“

Als sich die Tür hinter Leslie of Glanvil geschlossen hatte, sank er in Verzweiflung mit seinem Allerwertesten auf die Tischplatte, wissend, dass wenigstens diese so stabil war, dass sie nicht auch noch zusammenbrechen würde.

Er raufte sich die Haare, dann warf er den Mantel fast panisch von sich und hastete an die Wäschetruhe, um aus dieser mit großer Ungeduld ein frisches Hemd zu zerren. Von einem Haken an der Wand riss er einen Waffenrock, den er so hastig überstreifte, dass er ihn zunächst verkehrt herum anhatte. Fluchend schlüpfte er wieder aus dem Kleidungsstück heraus und zog es schließlich richtig herum an.

Seine Vorratskammer war weitgehend von den Franzosen geplündert, doch ihm war es gelungen, hinter der großen Feuerstelle in der Küche in einem Hohlraum des Mauerwerks etwas Geräuchertes zu verstecken. Außerdem hatte er Äpfel und Birnen gehortet, die er nun unter seinem Strohsack hervorholte. Er hoffte, dass die Magd der Glanvils imstande sein würde, daraus ein Essen zu zaubern. Aus dem Obst konnte man ein warmes Kompott kochen, es müsste in der Kirche noch Honig von Friar Tucks Bienen sein, den er auf dem Weg nach Pepper Harrow gleich mitnehmen würde.

Mit halb gefülltem Beutel – er hatte zum Glück noch ein kleines Fässchen Wein in Friar Tucks Beständen unweit des Honigs gefunden – trabte er auf Sylvester durch die Stadt. Obwohl er es eilig hatte, trieb er das Pferd nicht zum Galopp an, denn er wollte schließlich nicht außer Atem und völlig verschwitzt ankommen.

Dieser Umstand verunsicherte ihn enorm, denn üblicherweise war ihm so etwas völlig egal, er legte sonst nie Wert auf derlei Dinge.

Warum lag ihm soviel daran, einen guten Eindruck auf die Gäste aus York zu machen? War es, weil er zum ersten Mal seit ewigen Zeiten überhaupt Gäste hatte? War es, weil er froh war ganz allgemein ein wenig Gesellschaft zu haben? Oder war es, weil diese junge Lady ihn beeindruckt hatte? Bei diesem Gedanken hätte er nun fast die Kontrolle über Sylvester verloren, und so rief er sich energisch selbst zur Ordnung: Philip Marc… sei kein Trottel!

Als Pepper Harrow in Sicht kam, parierte er Sylvester schnell durch und blieb mit ihm in einiger Entfernung stehen: Vor dem Haus stand ein sehr kleines Wägelchen, das nur einspännig gefahren wurde und ein Mann entlud diesem gerade eine nicht sehr geräumige Truhe. In der Tat keine große Reisegesellschaft, wie Leslie of Glanvil richtig gesagt hatte.

Er ahnte nicht, dass besagte Dame ihn ebenfalls genau beobachtete, aber im Gegensatz zu ihm nicht gesehen werden konnte, da sie hinter dem Wagen stand und durch eine Lücke hindurch einen guten Blick auf den Sheriff auf seinem Pferd hatte.

Es war offensichtlich, dass diese Grafschaft keine sehr blühende war, dass es viel Elend und Not gab und dass Philip Marc diesen Dingen wohl ziemlich machtlos gegenüberstand. Dennoch gab er ein überaus imposantes Erscheinungsbild ab, wie er dort oben gegen die untergehende Sonne auf dem Hügel auf seinem schweren Pferd saß. Ross und Reiter passen perfekt zusammen und gaben eine harmonische Einheit ab.

Ein leichter Schauer überrieselte Leslie of Glanvil, aber sie schob diese Reaktion rasch auf den kühlen Abendwind.






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