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Author's Chapter Notes:

 

Die Themse war lange Zeit ein ziemliches Hindernis. Zuerst überspannte eine Holzbrücke den Fluss, die aber sehr oft in Flammen aufging und somit im Hoch-Mittelalter den Anforderungen einer großartigen Hauptstadt nicht mehr entsprach. Daher ließ man zur Zeit von King Henry II und Richard I endlich eine Steinbrücke errichten, um dem wachsenden Verkehr mit Kutschen, Pferden, Gespannen usw. Herr zu werden.
Die Bauzeit dieser Brücke betrug sage und schreibe 33 Jahre, man musste den damals noch riesigen Gezeitenhub erst architektonisch und bautechnisch in den Griff bekommen, und erst 1209 konnte sie von King John eröffnet werden. Die Rede ist natürlich von der sagenhaften London-Bridge, die jahrhundertelang der einzige Übergang über den Fluss war.
Deswegen war es durchaus üblich und ein einträgliches Geschäft (vor allem natürlich während der Bauzeit), dass Fährleute ihre Dienste anboten. Außerdem gab es eine weitere Möglichkeit von einer Flussseite auf die andere zu kommen, und zwar konnte man bei Ebbe durch eine Furth den Fluss durchqueren. Wo genau die historische Furth von Londinium lag, ist trotz längerer Recherche nicht mehr genau auszumachen. Der Einfachheit halber habe ich diese nun unweit Lambeth Palace gelegt, was aber wahrscheinlich nicht korrekt sein dürfte.










 

Froh der verhörähnlichen Konversation mit dem Erzbischof entkommen zu sein und einen vollen Magen zu haben, besuchte er Sylvester in den Stallungen. Er reichte ihm einen der sauren Äpfel, den er am Vortag in seine Manteltasche gesteckt hatte und lächelte, als das Pferd ihm diesen gierig abnahm. Dem Gaul machte das Saure offensichtlich nicht das Geringste aus.

Dann kam Leben in den Hof von Lambeth Palace, es erschienen nämlich die Damen reisefertig für die Fahrt zum Tower.

Er trat zu ihnen, deutete eine ungeschickte Verbeugung an und sprach alle betont munter an: „Guten Morgen, Myladies. Ich hoffe, Ihr habt Euch für die Überfahrt gerüstet, es ist sehr kalt heute.“

„Werdet Ihr Euer Pferd mitnehmen?“
„Nein, ich lasse Sylvester hier. Mir scheint, das einzige Pferd Englands, das seekrank wird, befindet sich in meinem Besitz.“ 

Dieser Satz löste sogleich ein erstes Gekichere unter den Damen aus.

„Der Erzbischof ist in seiner Kutsche vorgefahren.“

„Ah, und wie kommt er über die Themse? Die Brücke ist ja noch nicht passierbar, sie wird erst neu gebaut.“

„Er nutzt die Ebbe und setzt über die Furth auf die andere Flussseite über.“

„Das ist möglich?“

„An einer einzigen Stelle der Themse, ja. Aber es ist nicht ungefährlich. Bei ungünstigen Verhältnissen kann die Kutsche im Schlamm steckenbleiben und wenn dann die Flut einsetzt, ist sie dahin.“

„Wundervolles London“, murmelte er nach diesen aufklärenden Worten von Lady Emma of Montfort mit beißender Ironie vor sich hin. 

Die Fähre kam gut voran, die Flut hatte schon länger eingesetzt und es ging überaus flott themseabwärts, so dass der Tower schneller als gedacht erreicht wurde.

Philip Marc war sehr gespannt, ob man ihn heute zum König lassen würde, aber wenn er alle Damen aus Lambeth und den Erzbischof sozusagen als Eskorte dabei hatte, konnte King John wenig dagegensetzen. Da spielte es auch keine große Rolle, dass Stephen Langton eine fast schon offen zu nennende Feindschaft mit dem Herrscher pflegte.

Alle vier Damen waren bei Hof bekannt und so durften diese sich sofort bei Königin Isabella melden.

Im Vorzimmer des Königs erwartete ihn bereits der Erzbischof: „Ah, da seid Ihr ja. Dann wollen wir mal. Ich habe Euch bereits angekündigt.“ 

King John hatte einen denkbar schlechten Ruf und er tat nichts dagegen, seinen Untertanen – ob Lord oder Bauer – zu beweisen, dass er kein so übler König war. Auch sein Bruder Richard hatte durchaus seine Fehler gehabt, doch trug die große Unpopularität Johns inzwischen erheblich dazu bei, dass Richard langsam aber sicher geradezu als das Idealbild eines Herrschers angesehen wurde.

Philip Marc war wenig erbaut von der Aussicht, gleich dem unberechenbaren King John gegenüberstehen zu müssen, aber da half nun nichts, er musste es über sich ergehen lassen. 

„Seine Eminenz, der Erzbischof von Canterbury und der High Sheriff of Nottingham in seiner Begleitung.“

Das war ihre Ankündigung und er neigte instinktiv in Demut sein Haupt.

Die Maßregelung ließ wie erwartet nicht lange auf sich warten: „Dass Ihr es wagt hier zu erscheinen, zeugt entweder von großer Dummheit oder von ebenso großem Mut. Ihr habt diesen verdammten Outlaw Locksley nicht im Griff und duldet es, dass er sein Unwesen in Nottinghamshire treibt. Wozu habe ich überhaupt einen Sheriff dort? Nichts als Ärger habe ich mich Euch. Ihr seid unfähig und des Amtes nicht würdig. Und Ihr, Langton, schleppt ihn hierher. Es sieht Euch ähnlich, Euch mit hirnlosen Kreaturen wie dieser abzugeben.“

„Mit Verlaub, Sire, Ihr selbst hattet nach dem Sheriff of Nottingham schicken lassen.“

„Ich? Seid Ihr von Sinnen, Erzbischof?“

„Es war wegen der Verlobung, Majestät.“

„Der was? Ach… ach ja, ich verstehe“, der König lenkte ein und sein Tonfall schwenkte von zornig auf listig um, „natürlich. Die Schöne aus Yorkshire und der Sheriff aus Mittelengland. Der Stoff, aus dem Märchen sind… wie herzallerliebst. Nun, da Ihr schon mal hier seid, können wir ein paar sehr wichtige Dinge die Gesetzlosen betreffend bereden und da Ihr mir in der Vergangenheit recht gute Dienste geleistet habt, Sheriff, werde ich Gnade walten lassen und Euch sogar eine angemessene Verlobungsfeier ausrichten. Was sagt Ihr dazu, hmh?“

Philip Marc wusste, dass – egal welche Antwort er nun gab – er sich um Kopf und Kragen reden konnte, deswegen fiel seine Entgegnung sehr vage aus: „Mir ist alles recht, Euer Majestät.“

„Das glaube ich. Ihr redet wie ein Waschlappen. Grässlich. Was die schöne Lady Leslie of Glanvil an Euch findet, ist mir wahrlich ein großes Rätsel. Ihr habt eine solche Frau gar nicht verdient. Wenn Ihr nicht fähig seid Euren Mann hier an meinem Hof zu stehen, Sheriff, dann löse ich die Verlobung und gebe Eure Braut einem anderen, einem von höherem Stand. Habt Ihr mich verstanden?“
„Klar und deutlich, Sire.“

„Schon besser. Also: Wo ist Eure Verlobte?“

„Bei Königin Isabella, soweit ich weiß.“ 

King John winkte einen Pagen heran: „Schafft sie her. Ich möchte das reizende Paar gerne zusammen sehen. Beeilung!“

Der Sheriff schwitzte, einmal aus Angst vor dem, was nun gleich geschehen würde und einmal weil er seinen Wintermantel weiterhin anhatte und der Raum völlig überheizt war.

„Ihre Majestät, Königin Isabella, Ihre Majestät, Königinmutter Eleanor und Lady Leslie of Glanvil.“

„Endlich. Kommt nur herein, meine Damen. Mutter“, der König nickte vor allem seiner Mutter zu, wohl wissend, dass er sich ihr gegenüber nicht alles herausnehmen konnte. 

Königin Eleanor eilte schnurstracks auf den Sheriff zu: „Oh, wie tut es gut Euch wiederzusehen, Mylord.“

Dieser verneigte sich um etliches tiefer als jemals zuvor und murmelte undeutlich: „Majestät sind zu gütig.“

Sie reichte ihm ihre Hand, die er schüchtern ergriff, einen Handkuss andeutete und der hohen Dame auf diese Weise abermals huldigte.

„Bei Gott, Ihr habt nicht viel dazugelernt seit unserer letzten Begegnung. Hat Eure Verlobte Euch denn nicht ein klein wenig Galanterie den Damen gegenüber beigebracht?“

„Verzeiht, Majestät, Lady Leslie und meine Wenigkeit sind erst seit kurzem verlobt. Es… es fehlte bislang an Gelegenheit für das Hofieren.“ 

Die Königin wandte sich nun an Leslie of Glanvil: „Ach Kindchen, Ihr werdet einen Haufen Arbeit mit Eurem Ehemann haben. Aber so wie ich Euch in den vergangenen Wochen kennengelernt habe, habe ich kaum Sorge, dass Ihr seine etwas bäurische Art nicht in das tadellose Benehmen eines Edelmannes umzuwandeln wisst. Doch ich muss gestehen, ich kann nachvollziehen, was Euch an ihm gefallen hat, er hat etwas von einem rohen Edelstein, etwas Wildes, Raues an sich. Manchen Damen gefällt das.“

Es war ihm unangenehm, dass über ihn befunden wurde wie über ein Stück Schlachtvieh auf dem Markt. Aber da es die Königin war, die so sprach, erduldete er diese öffentliche Taxierung. 

Der König winkte leicht unwirsch ab: „Schön, schön. Ich danke Euch, Mutter. Und nun zurück zur Verlobung: Ich gebe ein Bankett zu diesem Anlass, wäre Euch in fünf Tagen von heute an gerechnet recht?“

„Das wäre es, Sire.“

„Euch auch, Mylady?“

Sie knickste ergeben und murmelte: „Aber natürlich, Euer Majestät.“

„So ist es beschlossen: Wir feiern in fünf Tagen! Ich wünsche noch einen guten Tag allerseits. Mutter, Erzbischof, Isabella, Mylords, Myladies.“

Er rauschte plötzlich ab, als wäre der Leibhaftige selbst hinter ihm her und ließ seinen Hofstaat einfach stehen. 






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