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„Ich kann nicht glauben, dass du den beiden Dorftrotteln wirklich Arbeit gegeben hast. Du hast ein zu großes Herz, Charlene.“

„Solche Dorftrottel sind die beiden gar nicht. Jim hat vor einem halben Jahr kurz vorm Architekten-Examen gestanden, er ist mir mehr als nützlich, sehr hilfsbereit und ein ganz netter Bursche. Sein Bruder kann arbeiten wie eine ganze Horde Hunnenkrieger, ihm ist nichts zu viel, er packt ordentlich mit an.“

„Das habe ich sehen können.“

„So? Und?“

„Was und?“

„Warst du zufrieden mit dem, was du gesehen hast?“

Elizabeth hatte Mühe nicht ins Stottern zu geraten: „Ähm… keine Ahnung, das kann ich nicht beurteilen, ich kenne sonst niemanden in meinem Bekanntenkreis, der sich mit derart niederen Arbeiten befassen würde.“

„Das ist mir klar. Ich meinte ja auch, ob du mit dem zufrieden warst, was William optisch zu bieten ha…“, sie konnte den Satz nicht ganz beenden, denn ein sehr männlicher Schmerzensschrei hallte durch den Bau.

Beide Frauen hasteten nach draußen, wo William sich gerade über seinen Bruder beugte, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem staubigen Erdboden lag und versuchte möglichst nicht zu jammern.

„Was ist passiert?“

„Ihm ist ein schwerer Stein auf den Fuß gefallen. Er ist ihm versehentlich aus der Hand geglitten.“

„Scheiße!“

Charlene Bingley fuhr sich nervös durch die zu einem modernen Bob geschnittenen Haare.

„Sollen wir einen Krankenwagen rufen?“

„Nein“, ließ sich nun der Verletzte gepresst vernehmen, „nicht nötig. Es ist nur eine Quetschung, das wird schon wieder.“

Er stand - gestützt von seinem Bruder - auf und humpelte mit dessen Hilfe ins Haus.

In einem der Räume, die bisher noch nicht der Renovierung zum Opfer gefallen waren, ließ man ihn sich aufs Sofa legen.

William fragte: „Hast du Eis im Haus?“

Charlene schüttelte den Kopf: „Nein, leider nicht.“

„Ich könnte dich zum Drugstore fahren, dann holen wir einen Coolpack für ihn“, schlug Elizabeth ihrer Freundin und damit indirekt auch den Darcys gnädig vor.

Sie ignorierte den beinahe schon dankbar zu nennenden Blick von William Darcy wie auch die Tatsache, dass er weiterhin halbnackt vor ihr stand. Das Zweite fiel ihr deutlich schwerer als das Erste.

„Wenn wir schon unterwegs zum Einkaufen sind, Lizzie, dann könnten wir doch auch was für ein gemeinsames Abendessen besorgen, was meinst du?“

Ihre Freundin blickte sie vom Fahrersitz aus an, als hätte sie ihr einen völlig unverständlichen Vorschlag unterbreitet: „Gemeinsames Abendessen? Du und ich, oder du und ich und diese beiden Tölpel?“

„Wir alle vier“, murmelte Charlene verlegen, „Jim wird sowieso nicht mit William auf dem Moped heimfahren können, es sei denn, du würdest die beiden heute Abend mit dem Auto nach Hoddesdon fahren.“

„Nur über meine Leiche!“

„Das Abendessen oder der Fahrdienst?“

„Beides!“

„Sei doch nicht so fies. Jim ist verletzt, man kann ihm doch mal was Gutes tun.“

„Also gut, ich bin ja gar nicht so. Was soll es denn im Kerzenschein, auf Schuttbergen, zwischen eingerissenen Wänden Leckeres geben?“

„Ich dachte an etwas Bier und Hamburger sowie Wein und Pizza.

„Nicht so ganz mein Ding, aber ich möchte es mir mit deiner Freundschaft nicht verderben, also Augen zu und durch.“

Die beiden Männer staunten nicht schlecht, als ihnen nicht nur der Coldpack für den gequetschten Fuß, sondern auch ein improvisiertes Abendessen für alle bei der Rückkehr der Damen präsentiert wurde.

William, der sich sein Hemd inzwischen wieder übergestreift hatte, öffnete mit einem strahlenden Lächeln die erste Bierdose: „Ah, das kommt mir nun wie gerufen. Danke, Charlene, danke… ähm, Miss Bennet.“

„Keine Ursache“, gab diese knapp zurück.

„Seid nicht kindisch, ihr Beiden“, mischte sich Charlene nun ein, „wir duzen uns doch alle hier, also kommt, seid friedlich und nennt euch beim Vornamen, wie das heute allgemein so üblich ist.“

William hob auffordernd seine Bierdose in Elizabeths Richtung: „Prost dann, Elizabeth.“

Sie rang nach Luft, hob schließlich resigniert ihren Plastikbecher mit Rotwein in die Höhe und nuschelte dann: „Wenn’s denn sein muss, Prost William.“

Elizabeth Bennet fühlte sich noch immer unwohl, ihr enges Kostüm war einfach völlig ungeeignet, um in einer dreckigen Baustelle herumzusitzen, Pizza mit der Hand aus dem Karton zu essen, einen billigen Rotwein – auch wenn es der teuerste gewesen war, den der örtliche Supermarkt zu bieten gehabt hatte – aus einem Plastikbecker zu schlürfen und sich dabei auch noch zwanglos mit hirnlosen Bauarbeitern unterhalten zu müssen. Obwohl – sie wusste, dass sie bei letztem Punkt ungerecht war und falsch dachte. James Darcy hatte ganz sicher eine Menge Grips im Hirn und William Darcy war ein sehr praktisch veranlagter junger Mann, der keine noch so schwere Arbeit scheute.

Sie wollte gerade ihre negative Meinung über die beiden ein wenig geraderücken, da klingelte das Handy von William.

Mit einem amüsierten Blick aufs Display nahm er den Anruf an: „Hallo Mum. Ja, ich habe vorhin angerufen. Jetzt hör mal, aber reg‘ dich ja nicht auf, okay – Jim hatte einen kleinen Baustellenunfall vorhin. Hey, ich sagte doch, kein Grund zur Aufregung!“

Er musste sich bedauerlicherweise das Telefon ein gutes Stück vom Ohr weg halten und so hörten alle Anwesenden, wie Mrs. Darcy lamentierte: „Ach du liebe Zeit! Mein armer Junge! Muss er ins Krankenhaus? Sag schon, William, was ist mit ihm? Und wie kommt ihr denn nun nach Hause? Oh mein Gott, Probleme über Probleme. Soll euer Dad kommen und euch abholen? Ach nein, der ist ja heute Abend auf der Versammlung des Obst- und Gartenbauvereins. Was machen wir denn nun?“

William rollte mit den Augen und sprach ins Telefon: „Nun mach‘ mal nicht Mensch und Vieh verrückt, es geht uns gut. Ihm ist nur ein Stein auf den Fuß gefallen, er wird hier gekühlt und ruhig gehalten. Wir essen gerade alle gemeinsam zu Abend, Jim kann hierbleiben heute Nacht und ich komme dann später alleine mit dem Moped nach Hause, alles klar? Und falls ich ein Bier zu viel haben sollte, bleibe ich der Einfachheit halber auch gleich vor Ort, versprochen, dann fahre ich nicht mehr.“

Miss Bennet hatte genug von diesem Nerv tötenden Familienidyll und flüchtete in ihren Aston Martin.

Nachdem sie dort etwa eine Viertelstunde lang Debussys Klaviermusik über ihr I-Phone gehört hatte, zuckte sie erschrocken zusammen, weil sich die Wagentür plötzlich öffnete: „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Miss B… Elizabeth, aber es wäre sehr nett, wenn du mal kurz deine Scheinwerfer anmachen könntest, damit ich die Zahlenkombination an meinem Moped-Schloss sehen könnte.“

Eine leichte Bierfahne kam aus seiner Richtung, was sie zu einer äußerst patzigen Antwort verleitete, die aber zunächst zuckersüß geflötet aus ihrem Mund kam: „Selbstverständlich, wenn der Herr so dringend nach Haus zu Mama möchte, dass er sich mit zugesoffener Birne noch in der Lage sieht fahren zu können, bitte! Wenn du gesteigerten Wert darauf legst, dich um den nächsten Baum zu wickeln, hier hast du das verlangte Licht!“

Sie knipste einen Schalter an und die Auffahrt von Harlow Manor wurde gut beleuchtet sichtbar.

Er grinste: „Danke. Und sollte ich etwa deinen Worten entnehmen, dass dir mein Leben wert und teuer ist und ich heute Nacht besser hierbleiben sollte?“

„Entnimm meinen Worten, was du willst!“

„Okay, dann bleibe ich. Ist vielleicht auch besser, damit der arme Jim jemanden hat, der nach ihm sieht.“

Elizabeth Bennet wusste darauf nichts zu entgegnen, denn gegen die Fürsorge für seinen Bruder konnte sie nur schlecht etwas einwenden.

„Gute Nacht.“

Es waren einfache und ohne besonderes Anliegen vorgebrachte Worte, aber seine samtige Stimme machte selbst diesen Allerwelt-Gruß zu einer Besonderheit. Elizabeth wehrte sich innerlich gegen den Effekt, den diese Stimme auf sie hatte. So nickte sie ihm nur wortlos knapp zu, startete den Motor und fuhr vom Hof.

Völlig erledigt von der harten Arbeit, dem Schrecken um den Zwischenfall mit Jim und den paar Dosen Bier wickelte sich William in eine Decke und warf sich auf ein altes, zerschlissenes Kanapee, nachdem er sich vergewissert hatte, dass bei Jim alles in Ordnung war. Charlene war ins Hotel gefahren und Elizabeth bretterte nun gewiss mit diesem Angeber-Auto ihrer Luxusbleibe in London entgegen. Ach, sollte sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst!

In Hoddesdon nutzten die beiden jüngsten Darcys die Abwesenheit ihrer älteren Brüder, um am PC zu zocken, etwas, das sie sonst nicht durften, da es nur zwei PCs im Haus gab und davon ständig einer von Martin wegen seines DJ-Jobs in Beschlag genommen war; überdies war das Gerät – ein Laptop - zum größten Teil von Martin selbst finanziert worden, da er es für das Bestreiten seines mageren Lebensunterhalts benötigte. Aber nun, wo James und William außer Haus waren, war die Gelegenheit an Jims PC günstig!






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