„Mit wem hast du denn da noch gesprochen? Du führst doch nicht etwa Selbstgespräche zu später Abendstunde, Liebes?“
James Darcy war von hinten an Charlene herangetreten und schlang seine Arme um ihre Taille.
„Mit William. Jim, bitte rufe deine Eltern an, und sage ihnen, dass er heute Nacht nicht zu Hause schläft.“
„Nicht zu Hause? Wie? Wo… wo schläft er denn dann? Ich bin etwas verwirrt, meine Süße.“
„Vermutlich in London.“
„In London? Könntest du dich bitte etwas deutlicher ausdrücken, ich verstehe gerade nur Bahnhof.“
„Gerne. Ich rufe nun Elizabeth an, du brauchst nur zuzuhören, dann wirst du dein Aha-Erlebnis bekommen. Und vergiss nicht, deinen Eltern Bescheid zu geben, ich nehme an, sie werden bald zu Bett gehen wollen.“
Und schon nahm Charlene ihr Handy ans Ohr und klingelte bei Elizabeth an: „Hallo, ich bin‘s nochmal. Du hast eine Stunde Zeit, dich so verführerisch wie möglich herzurichten. William ist auf dem Weg zu dir. Er hat zufällig unser Telefongespräch mit angehört. Ich hätte auf alle Zeiten dichtgehalten, das darfst du mir glauben, aber ich denke, es ist viel besser, dass nun die Karten auf dem Tisch liegen. Ach, noch was, Lizzie: Sei lieb zu ihm, er ist ein bisschen durcheinander, ja?“
Jims Augen waren riesengroß geworden und nun funkte er dazwischen: „Was geht hier vor? Kann mich mal einer bitte vollständig aufklären? Ich bin ebenfalls durcheinander!“
„Sch, gleich. Ja, Lizzie, ich lege auf, James drängt auch schon auf Erklärungen. Wir sprechen uns sicher morgen. Ich… ich drücke dir die Daumen und William auch.“
Sie beendete das Gespräch und drehte sich zu James um: „Los, wir fahren rasch ins Hotel, dort bekommst du sämtliche Erklärungen und noch ein bisschen mehr.“
James seufzte, gab aber sofort klein bei: „Okay, wenn das keine großartigen Aussichten sind. Einiges kann ich mir ja schon zusammenreimen. Auf geht’s, Miss Bingley, mit meinen Eltern telefoniere ich von unterwegs aus.“
Williams Herz raste, ebenso wie der Motor des alten VWs, den er ans Limit seiner Leistungsfähigkeit auf dieser Fahrt nach London brachte.
Hoffentlich empfing ihn Elizabeth mit offenen Armen. Er zweifelte zwar nicht mehr an ihrer Haltung ihm gegenüber, aber wenn er sie nun mitten in der Nacht quasi überfiel… wer weiß, wie sie da reagieren würde, wo sie doch immer ein wenig schnippisch und kühl sein konnte. Wie sollte er ihr klarmachen, dass er sie so furchtbar falsch eingeschätzt hatte und wie sollte er ihr seine Liebe gestehen? Eine hammerschwere Aufgabe, fand er.
Elizabeth Bennet flitzte kopflos in ihrem Penthouse hin und her. Du liebe Zeit! Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Was sollte sie William sagen? Was sollte sie tun? Und die wichtigste Frage war: Was sollte sie anziehen? Es war fast Mitternacht, es wäre schwachsinnig, ihn um diese Zeit in einem Hosenanzug oder Kostüm zu empfangen, das tagsüber für geschäftliche Anlässe angemessen gewesen wäre. Ebenso unmöglich war der totale Schlabberlook, also Jogginghose und Kapuzenshirt, wobei sie so etwas erst in ihren Schränken hätte suchen müssen. Und ein seidenes, halb durchsichtiges Nachtkleid war ein absolutes No go, denn das war ihr zu ordinär, zu offensichtlich, zu… erschöpft sank sie auf ihr Designersofa aus feinstem beigem Boxcalf-Leder.
William hatte bisher nur selten in seinem Leben Knie aus Pudding gehabt, lediglich einige wenige Male zuvor, aber nun hatte er Mühe, aus dem Auto zu steigen und auf das exklusive Wohngebäude in North Sheen zuzugehen. Bevor er auf den Klingelknopf drückte, vergingen mehrere Minuten, in denen er mehrmals tief ein- und ausatmete. Dann endlich fasste er sich ein Herz und schritt zur Tat. Der Türdrücker summte innerhalb weniger Sekunden nach seinem Klingeln. William betrat den Lift und war kaum erstaunt, dass er dort die Namen der Bewohner fein säuberlich in Messingschilder eingraviert anstatt Etagen-Anzeigen vorfand. Er drückte auf ‚Bennet‘ und der Aufzug setzte sich in Bewegung.
Als sich die Aufzugstüren oben öffneten, stand Elizabeth direkt vor ihm. Das war ziemlich unerwartet und er verspürte einen fetten Kloß in seinem Hals, überdies stieg ihm sofort eine ordentliche Hitzewelle zu Kopf.
Elizabeth hatte sich für eine schwarze Jeans und einen hellgrauen Kaschmir-Pullover entschieden.
William wusste, dass er etwas sagen musste, also stotterte er den erstbesten Blödsinn daher, der ihm in den Sinn kam: „Sehr schick, gehst du noch aus heute Abend?“
Sie sah ihn an, als wäre er einem UFO entstiegen und entgegnete knapp: „Nicht dass ich wüsste.“
Er fuhr sich nervös durch die braunen Haare, dann startete er einen zweiten Versuch: „Entschuldige, ich bin wie ein Irrer hierher gefahren. Guten Abend, erstmal.“
„Guten Abend. Bitte komm rein.“
Sie ging durch einen mit rotem Granit belegten und ebenso getäfelten Flur auf die Wohnungstür zu und öffnete diese durch Eingabe eines Codes.
William sagte nichts, er ließ das alles auf sich wirken. Natürlich wäre es gelogen zu behaupten, dass ihn das Haus, die Umgebung und vor allem das Penthouse, das sich nun seinem Blick darbot, nicht beeindruckt hätten, aber das war einfach nicht vorrangig. Es war existent, eine Beigabe, doch sein Hauptaugenmerk lag auf Elizabeth.
Sie deutete auf das Ledersofa: „Nimm doch bitte Platz. Möchtest du einen Drink?“
Er war geneigt, ihr freundliches Angebot abzulehnen, doch er spürte, dass ein guter Schuss Alkohol ihm vielleicht guttun würde, also nickte er und presste heiser hervor: „Danke, ein… ein ordentlicher Schluck Whisky wäre nicht verkehrt, wenn möglich.“
„Natürlich.“
Sie ging und überließ ihn seinen sich überschlagenden Gedanken.
Im Schein des nahen Kaminfeuers, das in einem wahnsinnig extravaganten offenen Kamin flackerte, überkam ihn Panik und beinahe wäre er, einem kaum zu unterdrückenden Impuls folgend, aufgesprungen und aus der Wohnung gerannt. Er konnte sich gerade noch selbst an dieser Hals-über-Kopf-Aktion hindern.
Erneut zwang er sich ruhig durchzuatmen und auf die Rückkehr von Elizabeth zu warten.
Erwartungsvoll blickte er zur Tür, aus der sie vor einigen Minuten hinaus gegangen war. Noch hörte und sah er nichts. Etwas ruhiger werdend zog er langsam seine dicke Jacke aus und entledigte sich auch des gestrickten Schals; beide Kleidungsstücke fanden neben ihm auf dem Sofa Platz.
Als er wieder aufschaute, blieb ihm die Spucke weg, denn in der Tür stand Elizabeth mit den Drinks. Sie hatte allerdings nicht mehr die Jeans und den Pulli an, sondern ein… ein… William fiel es schwer zu denken. Es war ein Nachtkleid aus fliederfarbener Spitze, darüber ein Morgenrock aus dunkellila Seide, der ihre Figur schmeichelnd umspielte.
„Gut“, hörte er sie sagen, „du hast auch schon weniger an als bei deiner Ankunft. Hier ist der gewünschte Whisky.“
„Da… danke. Entschuldige, dass ich stottere, aber… es… es kommt nicht alle Tage vor, dass ich einen so schönen Traum träume.“
Sie stand nun direkt vor ihm, lächelte, dann raunte sie: „Darf ich mitträumen?“
Jetzt oder nie, William!
Ein letztes Mal holte er tief Luft und er erwiderte mit vibrierender, tiefer Stimme: „Gern. Sehr, sehr gern.“
Sie stellte die Gläser achtlos ab, sank neben ihn auf das Sofa, packte ihn an der Knopfleiste seines Hemdes und zog ihn sanft zu sich.
Sein verwuschelter Kopf tauchte nach einer Weile wieder auf und er nuschelte: „Ich muss nun doch einen Schluck trinken und dann auch ein paar Dinge loswerden.“
„Sicher. Hier oder im Bett?“
Er griff nach dem Whiskyglas, nahm einen Schluck eines offensichtlich herausragenden Malt-Whiskys, dann drehte er sich wieder zu Elizabeth und grinste: „Erst hier und dann im Bett?“
Elizabeth rollte mit den Augen, doch sie antwortete beschwingt: „Ich frage nun nicht, wie lange du schon keinen Sex mehr gehabt hast.“
„Du möchtest das gar nicht wissen. Ich glaube, es war, als ich mein Motorrad gekauft hatte. Auf so was standen halt einige Mädchen. Aber deswegen bin ich nicht hier.“
„Nicht?“
Er tat entrüstet: „Natürlich nicht. Also… nicht nur… ich nehme es aber gern als Beigabe.“
„Kleiner Schwerenöter.“
„Ich… also bevor wir es tun, möchte ich, dass du weißt, dass ich dich liebe. Und ich möchte auch sagen, dass ich ein bornierter Idiot gewesen bin. Bitte verzeih mir.“
„Da gibt es nichts zu verzeihen, lieber, liebster William. Vielmehr muss ich mich für viele Anzüglichkeiten meinerseits entschuldigen. Spitzen gegen dich und gegen deine Familie, die aber niemals wirklich boshaft gemeint waren. Es ist meine Art mich abzuschotten, mir unerwünschte Dinge ein bisschen vom Leib zu halten.“
Er zog fragend seine Augenbraue in die Höhe: „Ich bin also unerwünscht?“
Sie küsste ihn sofort und beruhigte ihn: „Nein, das bist du nicht und das warst du auch nie. Ich habe nur so viel Schlechtes erlebt, so viel Verdruss, dass ich überaus vorsichtig gegenüber allem Unbekannten und den meisten Leuten geworden bin.“
„Verstehe. Ich weiß ja auch dank des unabsichtlich belauschten Telefongespräches, dass du ein Herz im Leib hast. Bitte, ich möchte dir dafür danken, dass du meine Fami…“, weiter kam er nicht, denn sie verschloss ihm abermals mit einem Kuss den Mund.
Als sie beide wieder zu Atem kamen, meinte Elizabeth: „Ich möchte keinen Dank. Es war eine Selbstverständlichkeit, ich wollte dass du glücklich bist, dass deine Eltern und deine Brüder glücklich sind.“
Nun musste er ihr nur noch eines entlocken, deswegen fragte er geschickt nach: „Weswegen wolltest du das?“
Sie schmiegte sich eng an ihn, wich aber mit der Antwort aus: „Was denkst du?“
„Oh nein. Kein Ausweichen.“
Elizabeth richtete sich auf: „Gehen wir ins Bett?“
„Raffiniertes Luder! Aber da ich mich eh kaum noch in der Gewalt habe, weil du mir eine ganze Weile schon in diesem Hauch von Nichts vor der Nase herumturnst – bitte zeigen Sie mir den Weg, Gnädigste!“
Eine Stunde später hauchte sie, an seine breite, äußerst männliche Brust geschmiegt: „Ich schulde dir noch etwas.“
William war schon nicht mehr recht ansprechbar, daher kam seine Antwort sehr träge: „Hmh, was meinst du?“
„Möchtest du es nun hören oder nicht?“
„Sicher doch“, murmelte er ins Kissen.
„Ich liebe dich.“
Sein Kopf fuhr hoch und er lächelte.
Doch sie war noch nicht fertig: „Ich weiß das schon recht lange, übrigens.“
„Wie lange denn schon?“
„Ich glaube, seitdem ich dich mal auf dem Bau mit nacktem Oberkörper habe arbeiten sehen.“
„Oberflächliches Biest!“
Sie lachte laut: „Ja. Genau deswegen habe ich auch mit meiner Liebeserklärung gewartet, bis wir miteinander im Bett gewesen sind. Ich musste mich doch auch erstmal von deinen Qualitäten als Liebhaber überzeugen.“
William schnellte hoch und warf ein Kissen nach ihr.
Sie gluckste vor unterdrückter Heiterkeit: „Darf ich Ihnen versichern, Mr. Darcy, dass Sie in allen Bereichen volle Punktzahl erreicht haben.“
Nun lachte er auch: „Und darf ich Ihnen versichern, Miss Bennet, dass auch Sie keinerlei Anlass zu Klagen geben.“
„Danke.“